Wir haben heute noch einmal bei der Berliner Staatsanwaltschaft nachgefragt, und ihr Sprecher Martin Steltner hat uns bestätigt: Es gibt weiterhin keinen Nachweis dafür, dass der frühere Piraten-Politiker Gerwald Claus-Brunner den Mann, der tot in seiner Wohnung lag, vor dessen Tod sexuell missbraucht hat. An den bisherigen Erkenntnissen dürfte sich auch nichts mehr ändern: Da sich Claus-Brunner später selbst das Leben nahm und gegen Tote nicht ermittelt wird, sind die Ermittlungen inzwischen eingestellt.
“Bild” und Bild.de hatten Gerwald Claus-Brunner ziemlich früh nach Bekanntwerden der Tat zum “Sex-Killer” erklärt, “B.Z.” und “Berliner Kurier” schrieben, dass er sein Opfer missbraucht habe. Inzwischen sprechen auch die “Bild”-Medien nicht mehr von Missbrauch. Aus “Sex-Killer” wurde “Killer-Pirat”. Aber Sex spielt in der “Bild”-Berichterstattung über Gerwald Claus-Brunner weiter eine zentrale Rolle:
In dem Artikel von gestern schreiben Franziska Klemenz und Juliane Weiss über Claus-Brunners Partnersuche im Internet, über seine Chats mit anderen Männern, in denen es um “extreme Sex-Fantasien” gegangen sein soll, über seine sexuellen Vorstellungen. Sie zeigen einen Screenshot seines privaten Profils bei einem Dating-Portal mit persönlichen Angaben, dazu drei Fotos eines Mannes, mit dem Gerwald Claus-Brunner auf diesem Portal befreundet gewesen sein soll. Auf den Bildern sieht man den Mann beim Ablecken eines Stiefels, man sieht ihn “nur mit einem Tiefschutz bekleidet” und in der Badewanne, während er mit Bier überschüttet wird. Dieser Mann hat weder etwas mit dem Tod von Gerwald Claus-Brunner zu tun noch mit dem Mord an dem 29-jährigen Opfer. Die “Bild”-Medien zeigen trotzdem seine Fotos. Sein Gesicht haben sie dabei immerhin verpixelt.
Heute legen “Bild” und Bild.de noch einmal nach:
Es geht um die Bestellung zweier handgefertigter Sex-Spielzeuge. Der Inhaber der von Gerwald Claus-Brunner damit beauftragten Manufaktur sprach offenbar mit “Bild”-Autorin Juliane Weiss. Er lieferte ihr auch Claus-Brunners gezeichneten Sex-Spielzeug-Entwurf, den “Bild” und Bild.de veröffentlichen. In dem Artikel darf er außerdem eine kurze Ferndiagnose zur Psyche seines früheren Kunden abgeben (“‘deutet auf einen Hang zu Masochismus und Selbstzerstörung hin'”).
Wir haben mit dem Medienanwalt Dominik Höch über die Berichterstattung gesprochen. Seine Einschätzung dazu:
Die detaillierten Berichte in der Boulevardpresse gestern und heute über das angebliche Sexualleben des Piraten-Politikers Claus-Brunner stellen sich nach meiner Einschätzung als Verletzung dessen postmortalen Persönlichkeitsrechts dar. Dieses Recht, das die Angehörigen geltend machen können, garantiert auch über den Tod hinaus einen Wert- und Achtungsanspruch gegenüber dem Verstorbenen. Dies folgt aus dem Schutz der Menschenwürde im Grundgesetz. So schrecklich die mutmaßlich von Claus-Brunner begangene Tat ist, dürften detaillierte Berichte über seine sexuellen Vorlieben und bestellte Sex-Spielzeuge die Grenze des Zulässigen überschreiten. Dies gilt jedenfalls, solange die Behörden keinen Hinweis dafür haben, dass es bei dem Tötungsdelikt zuvor Missbrauchshandlungen gegeben hat.
Die Tat von Gerwald Claus-Brunner ist durch nichts zu rechtfertigen. Sie rechtfertigt aber auch nicht diesen massiven Eingriff in seine Intimsphäre.
1. Deutschlands wichtigster Jugendschutz-Filter blockiert Hilfsangebote (netzpolitik.org, Sebastian Meineck)
Die Jugendschutzsoftware JusProg, die in Deutschland zum Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet eingesetzt wird, hat laut netzpolitik.org fälschlicherweise wichtige Informationsseiten zu Themen wie Verhütung, Coming-out und Suizidprävention blockiert. Eine Untersuchung habe ergeben, dass mindestens 74 seriöse Hilfsangebote irrtümlicherweise als “ab 18 Jahren” eingestuft und dadurch blockiert worden seien.
Weiterer Lesehinweis: Der Beitrag des an der Recherche beteiligten Bayerischen Rundfunks: Offizieller Jugendschutz-Filter blockiert Aufklärungsseiten (br.de, Julia Barthel & Katharina Brunner). Außerdem hat Sebastian Meineck in einem Kommentar “fünf Forderungen für gute Jugendschutz-Filter” formuliert (netzpolitik.org).
2. DJV weist Medienschelte zurück (djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat die Kritik von Bundesfinanzminister Christian Lindner an der Berichterstattung der Medien zurückgewiesen. Lindner hatte bei einem Auftritt vor protestierenden Landwirten die Medien aufgefordert, “vor der linksextremistischen Unterwanderung der Klimakleber” zu warnen. Der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster betonte, über die Aktionen der “Letzten Generation” und die damit verbundenen Gerichtsverfahren sei umfassend berichtet worden. Journalistinnen und Journalisten bräuchten keine Ratschläge des Finanzministers.
3. Vom Wetterfrosch zur Glücksfee (taz.de, Florian Bayer)
Florian Bayer kritisiert einen ORF-Mitarbeiter, der sich offenbar für Glücksspielwerbung einspannen ließ. Dies sei nicht der einzige Fall von Nebentätigkeiten von ORF-Mitarbeitern, der Fragen nach möglichen Interessenkonflikten und mangelnder Transparenz aufwerfe. Trotz neuer und strengerer interner Regelungen des öffentlich-rechtlichen österreichischen Senders bleibe die öffentliche Transparenz über solche Nebentätigkeiten und mögliche Interessenskonflikte unklar.
4. OpenAI will ChatGPT gegen Desinformation sichern (zeit.de)
Im Jahr 2024 finden in mehreren Ländern wichtige Wahlen statt, darunter die USA, Indien und Großbritannien. Anlässlich dieser Ereignisse möchte das Unternehmen OpenAI Werkzeuge zur Erkennung von Desinformation in seinen Chatbot ChatGPT integrieren. Diese Werkzeuge sollen den Nutzerinnen und Nutzern helfen, ChatGPT-generierte Texte zu erkennen und festzustellen, ob Bilder von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Außerdem sollen Interessierte bei Fragen zu den US-Wahlen auf offizielle Webseiten umgeleitet werden.
5. Presseclubs? Nein, danke! Auslandskorrespondenz in Japan (de.ejo-online.eu, Jana Niehoff)
Jana Niehoff hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit sechs deutsche Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten in Japan zu deren Arbeitsbedingungen während der Corona-Pandemie vor dem Hintergrund des japanischen Presseclub-Systems befragt. Die Ergebnisse seien überraschend: Entgegen der landläufigen Kritik hätten sich die Befragten durch das System nicht eingeschränkt gefühlt und es nicht als wesentlich für ihre Arbeit angesehen.
6. Böhmermann-Klage: Bio-Imker aus Meißen lehnt Einigung ab (mdr.de)
Jan Böhmermann hat einen Imker aus Meißen verklagt, weil dieser ohne Böhmermanns Zustimmung dessen Bild und Namen für Honigwerbung verwendet haben soll. Der Imker habe seine Aktion als Reaktion auf einen satirischen Beitrag Böhmermanns zum Thema “Beewashing” verteidigt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Dresden sei keine Einigung erzielt worden.
Weiterer Lesehinweis: Bei Legal Tribune Online kommentiert Max Kolter den Fall aus juristischer Sicht: Muss Jan Böhmermann Beewashing-Werbung dulden?
1. Journalistenverband rät von Türkeireisen ab (spiegel.de)
Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, wurde kürzlich bei ihrer Einreise in die Türkei für mehrere Stunden festgenommen. Vier Jahre alte Social-Media-Posts sollen ihr als “Terrorpropaganda” vorgehalten worden sein. “Wenn selbst die parlamentarische Immunität einer Abgeordneten nicht vor der Festnahme schützt, sei die Gefahr für Journalistinnen und Journalisten umso größer”, warnt der Deutsche Journalisten-Verband. Dessen Bundesvorsitzender Frank Überall sagt: “Wer sich als Journalist schon einmal kritisch in den eigenen Beträgen und in den sozialen Netzwerken über die Türkei, ihren Präsidenten oder die Regierungspartei AKP geäußert hat, sollte sich von dem Land fernhalten.”
2. Wenn mit Lügen Politik gemacht wird (zeit.de, Kai Biermann)
“Irgendjemand hat es auf sie abgesehen und verbreitet im Internet Lügen. Sie ist das Opfer einer breit angelegten Desinformationskampagne. Steckt dahinter die Führung eines Landes, das sie als Politikerin kritisiert hat?” Kai Biermann schreibt über die EU-Parlamentarierin Hannah Neumann und rekonstruiert dabei sehr lesenswert die Kampagne, die gegen die Politikerin läuft: vom ersten Text mit haltlosen Vorwürfen über offensichtlich extra für dessen Verbreitung geschaffene Twitter-Accounts bis zu vermeintlich seriösen Websites, die die Vorwürfe aufgreifen. Biermann hat mit Expertinnen und Experten für Desinformation über den Fall gesprochen und auch den Urheber des Ausgangstextes per Telefon erreicht.
3. Berliner Sumpf oder BRD-Mief? (taz.de, Caspar Shaller)
Gut ein Jahr ist es her, dass RBB-Intendantin Patricia Schlesinger fristlos entlassen wurde. Caspar Shaller fasst die damaligen Vorgänge noch einmal zusammen und blickt auf die aktuelle Situation beim öffentlich-rechtlichen Sender. “Doch die Affäre rbb ist weder eine Lokalposse noch eine Geschichte über die dysfunktionale Hauptstadt”, so Shaller, sondern “ein typisches Problem der miefigen BRD”.
4. Journalist Lutz Mükke beklagt die mediale Vernachlässigung des Sahel (deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 8:23 Minuten)
Lutz Mükke forscht und publiziert schon viele Jahre zur Afrika-Berichterstattung deutscher Medien. Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht er speziell über die Sahelzone, die nach dem Putsch im Niger wieder in den medialen Fokus gerückt ist. Deutsche Redaktionen hätten sich bisher “ganz wenig, leider Gottes ganz wenig” für den Sahelraum interessiert, “und das schon seit vielen Jahren”, so Mükke. Man habe sich schon länger nicht mehr “um tiefgreifende Berichterstattung bemüht.” Mükke nennt verschiedene Gründe, die aus seiner Sicht dazu beigetragen haben.
5. Blackbox-Reporting: Wie Journalist*innen über KI und Algorithmen berichten können (medium.com, Katharina Brunner & Rebecca Ciesielski & Uli Köppen & Cécile Schneider)
Künstliche Intelligenz (KI) und Algorithmen spielen eine immer größere Rolle, auch als Objekt der Berichterstattung. Aber wie können Journalistinnen und Journalisten fachkundig und angemessen kritisch über KI berichten? Ein Team des Bayerischen Rundfunks, das schon länger in dem Themenfeld recherchiert, hat dazu ein sogenanntes Whitepaper veröffentlicht. Es bietet “vier Ansätze für KI-Recherche”: 1. “Wichtig ist, was rauskommt: Recherche mit Experimenten”, 2. “Software auf dem Prüfstand: Recherche mit technischen Analysen”, 3. “Recht auf Einblick: Recherche mit juristischen Mitteln” und 4. “Erklär mir den Algorithmus: Interviews und Anfragen”. Der oben verlinkte Beitrag bietet eine Zusammenfassung, das 19-seitige Whitepaper (PDF) einen ausführlicheren Einblick.
6. Wo Hafer und Korn verloren sind (coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Über den Auftritt der Medienpersönlichkeiten Markus Lanz und Richard David Precht beim Kongress “Zukunft Handwerk” wurde schon an verschiedenen Stellen geschrieben. Aber so wütend wie der Text von BILDblog-Mitarbeiter Lukas Heinser dürfte kein anderer gewesen sein. Wer sich auch über das Lanz-Precht-Geschwafel von “Hafermilch-Gesellschaft” und über das Mokieren über “Work-Life-Balance”-suchende junge Leute geärgert hat, sollte klicken. Und alle anderen auch.
1. Indirekte Medienförderung als Einfallstor für Korruption? (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz & Isabelle Klein, Audio: 7:08 Minuten)
Dem gerade zurückgetretenen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz wird unter anderem vorgeworfen, sich mit Steuergeldern eine positive Berichterstattung erkauft zu haben. Für den Medienforscher Andy Kaltenbrunner zeigt diese Art der möglichen Inseratenkorruption, “was seit vielen Jahren in Österreich systematisch möglich ist”. Kaltenbrunner hat die Inserate der Bundesregierung und der Ministerien in Österreichs Tageszeitungen und die Presse- und Rundfunkförderung für eine Studie (PDF) analysiert. Insgesamt habe die öffentliche Hand in Österreich 222 Millionen Euro für Inserate ausgegeben. Verglichen mit Deutschland sei das das Fünf- bis Zehnfache pro Kopf.
2. “Für beide Seiten nützlich” (journalist.de, Christian Rath)
Carsten Brennecke ist Rechtsanwalt in der Kölner Medienrechtskanzlei Höcker und berät das Erzbistum Köln bei der Pressearbeit zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Im Januar endete ein Pressetermin des Bistums im Fiasko, weil sich die eingeladenen Journalistinnen und Journalisten weigerten, die geforderte Verschwiegenheitsvereinbarung zu unterzeichnen. Im Interview geht es um die Frage, ob solche Verschwiegenheitserklärungen im Vorfeld von Presseterminen in Ordnung sind, und wie weit der Einfluss von Rechtsanwaltskanzleien in die Berichterstattung geht beziehungsweise gehen darf.
3. “So werden Schulkinder schlauer” (medien-doktor.de)
Unter der Überschrift “So werden Schulkinder schlauer” hat der “Nordkurier” einen Online-Beitrag mit Ernährungstipps für Schulkinder veröffentlicht, die sich angeblich förderlich auf die Gedächtnisleistung und die Konzentrationsfähigkeit auswirken würden. Der “Medien-Doktor” hat den Beitrag genauer gelesen und vermisst Zahlen und Belege für die Behauptungen. Außerdem würden die Leserinnen und Leser über die Aktualität des Beitrags getäuscht: “Dass es sich bei dem Artikel um eine fast vollständig kopierte Pressemitteilung eines Ärzteverbands aus dem Jahr 2007 handelt, und ein Arzt als Pressesprecher zitiert wird, der dies gar nicht mehr ist, verschweigt das Medium.”
5. Löschung von #allesaufdentisch-Videos war nicht rechtmäßig (zeit.de)
Youtube hat zwei Videos der umstrittenen Aktion #allesaufdentisch gelöscht. Zu Unrecht, wie nun das Landgericht Köln entschieden hat: “Das Gericht erließ auf Antrag der Initiatoren von #allesaufdentisch zwei einstweilige Verfügungen gegen YouTube. Die Plattform habe den Kanalbetreibern nicht konkret genug mitgeteilt, welche Passagen gegen welche Vorschrift ihrer Richtlinie verstießen”.
6. “Warner Late Show”: Neuer LateNight-Anlauf mitten in Köln (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Die Film- und Fernsehproduktionsfirma Warner Bros. startet auf eigenes Risiko den Versuch, eine Late-Night-Show zu etablieren. Man wolle dafür nicht länger auf einen Sender oder Plattform-Partner warten: “Wir drehen das Geschäft mal um: Wir machen jetzt erstmal was, wie wir es uns vorstellen, probieren aus und schauen dann, ob sich dafür jemand findet”, so Warners “Head of Comedy” Martin Brindöpke.
1. Von AfD bis Linkspartei – so politisch ist Facebook (sueddeutsche.de, Katharina Brunner & Sabrina Ebitsch)
Eine bemerkenswerte Kraftanstrengung hat die “Süddeutsche” mit ihrer Datenrecherche zur politischen Landschaft auf Facebook unternommen: Über Monate hat man eine Million öffentliche Likes von Nutzern untersucht, die auf den Facebookseiten der sieben großen Parteien interagiert haben. Ein schönes Stück Datenjournalismus, das unter “Der Facebook-Faktor” nochmal in Textform und mit Animationen aufbereitet wurde.
Weiterführender Link: Politikjournalismus im Superwahljahr 2017 mit einem Gespräch mit der Journalistik-Professorin und Politikexpertin Marlis Prinzing.
2. Nazi! Hure! AfD! (salonkolumnisten.com, Martin Niewendick)
Für allgemeines Kopfschütteln sorgt derzeit ein Artikel des gemeinnützigen Recherchezentrums “Correctiv”. Dort ist man mit einer Exklusiv-Meldung an die Öffentlichkeit gegangen, nach der eine AfD-Politikerin als “Teilzeitprostituierte” gearbeitet haben soll. “Salonkolumnist” Martin Niewendick hält “Correctiv” für ein wichtiges Netzwerk, das gemeinhin gute Arbeit leiste und den selbst gesteckten Ansprüchen in der Regel gerecht werde. Jedoch: “Der journalistisch-investigative Background der Recherche-Profis ist ein scharfes Schwert. Mit voyeuristischen und letztlich sexistischen Beiträgen wie diesem droht es, zu einem labbrigen Gummi-Dildo zu werden.”
3. Verhaltensbasierte Werbung: Facebook identifiziert emotional verletzliche Jugendliche (netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Kann Facebook seine Daten tatsächlich mit “Emotionsanalyse-Tools” durchsuchen lassen? Um emotional verletzliche Jugendlichen aufzuspüren, denen man daraufhin zielgerichtete Werbung unterjubeln kann? Dies wollen jedenfalls Journalisten der australischen Tageszeitung “The Australian” herausgefunden haben, die behaupten im Besitz entsprechender Beweise zu sein. Laut “Australian” habe sich Facebook zunächst entschuldigt, dann jedoch ein eigenes Statement veröffentlicht und den Text der Zeitung als irreführend bezeichnet.
4. Eines der gefährlichsten Länder für Journalisten (deutschlandfunk.de, Christoph Dreyer & Brigitte Baetz, Audio, 4:16 Minuten)
Der Jemen zählt zu einem der gefährlichsten Länder für Journalisten. Gefährlicher ist es nur noch im Irak, in Mexiko, in Afghanistan und in Syrien. Mittlerweile gibt es nur noch wenige unabhängige Journalisten vor Ort. Es gebe eigentlich nur noch parteilich berichtende Medien – für die Regierung oder für die Huthis, die weite Teile des Landes und die Hauptstadt kontrollieren. (Für den Hörbeitrag auf die Schaltfläche rechts im Beitragsbild klicken.)
5. Le Pen klaut bei Fillon (faktenfinder.tagesschau.de, Nele Pasch)
Der “Faktenfinder” der “Tagesschau” beschäftigt sich mit der Frage, ob sich die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen bei ihrer Wahlkampfrede fremder Inhalte bedient hat: Mindestens sechs Passagen würden mit einer Rede übereinstimmen, die der konservative Kandidat Fillon gehalten hat.
6. Lasst die Zeitung leben! (taz.de, Mark-Stefan Tietze)
Mark-Stefan Tietze, Satireautor und langjähriges Besatzungsmitglied der “Titanic”, schreibt in der “taz” über die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Diesmal über die Nachteile des Digitalen und die unschlagbaren Vorteile von Printprodukten (z.B. für Wohnungslose, die darauf ihr Nachtlager bereiten).
1. Mut zur Lücke: Medien-Reaktionen auf den Journalisten-Rauswurf (flurfunk-dresden.de, Andreas Szabo)
Am vergangenen Samstag haben die Delegierten des AfD-Landesparteitages Sachsen einen Journalisten der “Sächsischen Zeitung” rausgeschmissen. Der Vorwurf: Der Journalist sei angeblich für “Hetzartikel” verantwortlich. Dies sorgte für viel Kritik an der Partei und ihrem Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit. Die “Morgenpost Sachsen” reagierte mit einem Boykott der Berichterstattung und druckte eine leere Seite mit Infokasten ab. Andreas Szabo hat nun das Medienecho auf den Vorfall zusammengefasst.
2. Are you FUNKing kidding me? (fettlogik.wordpress.com)
Man muss zweimal hinschauen, weil man es nicht glauben mag: “Funk”, das Online-Medienangebot der ARD und des ZDF für Jugendliche und junge Erwachsene, hat mehreren jungen Frauen vorgegaukelt, sie hätten ein „Ernährungscoaching“ gewonnen und sie zum Videodreh in einen Supermarkt eingeladen. Statt sie zu beraten, hat eine falsche Ernährungsberaterin die Teilnehmer jedoch vor laufender Kamera bloßgestellt und wüst beschimpft („viel zu fett“) bis diese genug hatten oder weinend zusammenbrachen. Darauf erschien ein zuvor versteckter Flashmob-Chor, der den Opfern der fragwürdigen Aktion vorträllerte, dass sie toll seien und bloß bleiben sollen, wie sie sind. (Überschrift auf Facebook: “Lasst euch nicht verbiegen, Mädels! Kuss-Smiley #bleibdu”)
Nadja Hermann hat auseinandergedröselt, was alles an der Aktion misslungen ist. In den Kommentaren hat sich mittlerweile eine Teilnehmerin gemeldet, die von dem für sie furchtbaren Erlebnis berichtet. Und auch “Funk” hat dort Stellung bezogen: Eine “grundpositive Botschaft” habe man vermitteln wollen.
3. „Bloggen ist eine Kulturtechnik“ (goethe.de, Ula Brunner & Klaus Lüber)
Das Goethe-Institut hat sich an die seiner Ansicht nach wichtigsten deutschen Medienblogger gewandt: Inwiefern kann und will ein Medienblog erfolgreich eine Gegenöffentlichkeit etablieren, welche Ziele verfolgen die Macher?
Es gibt Kurzinterviews mit “Carta”, “Netzpolitik”, “Fit für Journalismus”, “Übermedien”, “iRights”, “Franziskript”, “Indiskretion Ehrensache”, “Inge Seibel” und last not but least, dem “BILDblog”.
4. Deutsches Doku-TV “verkrustet in der Erzählweise” (dwdl.de, Christian Fahrenbach)
Dokumentarfilmer Marcel Mettelsiefen hat für „Watani: My Homeland“ über Jahre hinweg eine syrische Familie auf ihrem Weg aus Aleppo nach Deutschland begleitet. Nun ist der Film im Gespräch für einen Oscar. “DWDL” hat mit dem Filmer über die Doku-TV-Branche, Journalisten mit Haltung und den schwer zu beeinflussenden Oscar-Zirkus gesprochen. Der Weg war steinig und schwer: Mettelsiefen hat den Film über drei Jahre selbst vorfinanziert und ist viele Risiken eingegangen.
5. Verdeckte Verbindungen (taz.de, Felix Krebs)
Andreas Speit berichtet in der “taz” über das neurechte “Institut für Staatspolitik” (IfS) um Götz Kubitschek und Ellen Kositza. Trotz aller Bemühungen der Neuen Rechten um Distanz zur alten Rechten, gäbe es Hinweise auf Verbindungen zu einem NPD-Bundesvorstandsmitglied.
6. Die erfolgreichste Dauerwerbesendung im deutschen TV (dwdl.de, Timo Niemeier)
Timo Niemeier hat sich die aktuelle Folge von RTLs oftmals quotenbringenden “Undercover Boss” angesehen, bei der sich ein Kreuzfahrtchef angeblich undercover unter seine Belegschaft mischt. Das Ganze gleiche einer einstündigen Dauerwerbesendung: “Ungehemmt dürfen Geschäftspartner und Investoren erzählen, wie toll die Zusammenarbeit mit Nicko Cruises läuft. Die Insolvenz von vor zwei Jahren? Längst vergessen! Heute läuft alles bestens. Und auch die Frau des Firmenchefs darf in die Kamera trällern, wie toll der Undercover-Einsatz für ihren Mann sei. Das ist alles so berechenbar, dass sich die Zehennägel biegen.”
Ein großer Dank geht an alle Leser! Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten, ein paar schöne freie Tage und einen guten Start ins neue Jahr. Ein besonders großer Dank geht an all jene, die uns in diesem Jahr mit Hinweisen versorgt haben. Leider schaffen wir es zeitlich nie, allen nachzugehen. Vielen aber schon. Und deswegen geht ein ganz besonders großer Dank an diese Personen, deren Hinweise zu Blogeinträgen geführt haben:
@19Rhyno04, @Alyama1, @BalderHelix, @coralandmauve, @dienetzpilotin, @diet_mar, @EFCRODGAU1999, @gabrielvetter, @griboe, @Hasi_Goreng, @herrnkoenig, @HoechDominik, @i_am_fabs, @im_fo, @JimmyRuppa, @KaiOliverKraft, @levinuzz, @macerarius, @mir70, @moethe, @Pertsch, @Pilzeintopf, @ralfheimann, @SteffiinneSonne, @StrohhutPirat, @TanteEla74, @TypischerTyp,@vierzueinser, @VM_83, @Wasserbanane, Alex, Alexander B., Alexander K., Alexander M., Arnd Z., Axel B., Bas Tian, basti, Ben F., Ben, Bernd, Bernhard W., Boris R., C. F., Carsten N., Chris H., Christian H., Conny S., Daniel N., Daniel, David S., Dominik H., Dominik N., Eiko M., Eugen F., Fab, Fabian S., Florian G., Florian, flurfunk-dresden.de, Gabriel M., Gero D., Götz M., Hanuš G., Hauke H., Helena, henry, Herma R., Ingolf L., Jan H., Janna H., Jannis C., Jens L., Johanna, Johannes K., Johannes R., Jonas J., Jonas, Jörn J., Julian H., Julius A., Kai, Katja, Lars B., Lennart, Lukas H., Lutz K., Marcus D., Markus E., Markus M., Martin S., Martin, Matthias K., Matthias M., Michael H., Michael W., Michel M., Micky B., Moritz D., Moritz K., nikita, Nold, Ole, Pascal S., Patrick B., Peter U., Philip W., Philipp S., pwco, Ralf H., Roland B., Rosemarie H., Samuel G., Sander, Sascha K., Sebastian M., Sebastian S., Sebastian, Sinisa M., Sisi T., Stefan K., Stefan N.,Stefan W., Susanne G., Thomas N., Thomas R., Thomas S., Thorsten H., Tobias N., Torben W., Totte, Uwe K., Volker S., Yannik S.
Sollte es in der Zwischenzeit irgendwo medial richtig knallen, unterbrechen wir natürlich unseren Winterschlaf. Außerdem präsentieren wir Ihnen nach Weihnachten jeden Tag ein Best-of aus zwölfeinhalb Jahren BILDblog.
Und damit Ihnen der Lesestoff auf keinen Fall ausgeht, haben wir eine Übersicht mit all unseren Beiträgen aus diesem Jahr zusammengestellt. Klicken Sie sich doch mal durch:
Alle Ausgaben unserer werktäglichen “6 vor 9”-Linkliste finden Sie hier. Die Arbeitsnachweise unserer Clickbait-Taskforce hier. Die “Perlen des Lokaljournalismus” hier. Benedikt Franks Kolumne “Mut zur Wirrheit” über das “Compact”-Magazin hier. Johannes Krams Kolumne “Politically Correct!” hier. Ralf Heimanns Kolumne “Im Abseits” hier. Und Leo Fischers “Bildbetrachtung” hier.
Die Political Correctness ist Schuld. Gutmenschen und weinerliche Minderheiten lähmen die Gesellschaft. Falsche Rücksichtnahmen und Denkverbote machen jede vernünftige Auseinandersetzung mit den wichtigen Themen der Zeit unmöglich. Die Ära von George W. Bush stand für den Krieg gegen den Terror. Donald Trump möchte seine gerne dem Krieg gegen “PC” widmen. In Deutschland hatte Kai Diekmann früh die Zeichen der Zeit erkannt. In seinem 2008 erschienenem Buch “Der große Selbst-Betrug” erklärte er, “wie wir um unsere Zukunft gebracht werden”. Im Vorwort rühmte er sich damit, er habe seine “Sätze nicht abgestimmt mit den politisch Korrekten im Land.” Anti-PC als Qualitätsmerkmal. Anti-PC zur Rettung unseres Landes. Die begann dann mit Sarrazin. Sarrazin wurde groß gemacht durch “Bild” und mit ihm die neue Lesart des Wörtchens “Mut”. Mut bedeutet in Deutschland seitdem nicht mehr, sich mit den Starken anzulegen. Sondern mit den Schwachen. Seitdem ist der Kampf gegen die Politische Korrektheit, der sich als Kampf gegen den Mainstream versteht, selbst zum Mainstream geworden.
All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. Den “Waldschlösschen-Appell” gegen Homophobie in Medien hat er initiiert. Sein “Nollendorfblog” bekam eine Nominierung für den “Grimme Online Award”. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.
Deshalb gibt es jetzt diese Kolumne. Sie ist ein Versuch, Political Correctness zu verteidigen. Und die Gutmenschen. Die Basisweisheit im Gutmenschen-Bashing lautet, dass “gut gemeint” eben nicht automatisch “gut gemacht” bedeutet. Das stimmt zwar, ändert aber nichts daran, dass man etwas gleichzeitig gut meinen und gut machen kann und dass es nicht schadet, etwas gut zu meinen, wenn man es gut machen will. Bei der Political Correctness ist das so: Sie funktioniert, sie hat vieles besser, ja, sie hat vieles gut gemacht.
PC bedeutet eben nicht Denkverbote, sondern das Gegenteil. Es geht darum, genauer nachzudenken. Es geht nicht darum, Worte zu verbieten, sondern darum, ein Bewusstsein für deren Wirkung und Kontexte zu erreichen. Jeder “darf” sagen, was er will. Aber dank Political Correctness kann sich keiner mehr damit herausreden, dass er nicht weiß, was er da tut. Wenn jemand unbedingt “Neger” sagen möchte, weil er meint, dass man das unbedingt sagen dürfen muss, dann weiß er, dass er einen rassistischen Begriff benutzt. Nein, das Streichen des N-Worts aus Pipi-Langstrumpf-Büchern schafft den Rassismus nicht ab, aber ohne die Diskussion um die Geschichte des Wortes hätten wichtige Erkenntnisgewinne zum Thema Rassismus so nicht stattgefunden.
Wenn ZDF-Mann Peter Hahne darauf besteht, das “Zigeuner-Schnitzel” zu “retten” (sic!), dann tut er das in dem Bewusstsein um die Probleme, die viele Menschen in diesem Land aufgrund ihrer Leidenserfahrung mit diesem Wort haben. Und tritt für das Privileg der Gesamtgesellschaft ein, sich nicht um diese Probleme kümmern zu müssen, angesichts der Zumutung, die es für sie bedeuten würde, auf diese paar Wörter (ja, wie viele ähnlich populäre Mohrenkopfwörter gibt es eigentlich? Fünf? Zehn?) zu verzichten. Wenn Peter Hahne fragt: “Müssen wir uns diesen täglichen Schwachsinn wirklich bieten lassen? Haben wir keine größeren Probleme als uns tagelang über die politisch korrekte Bezeichnung von Schnitzeln zu ereifern?”, dann lautet die — politisch korrekte — Antwort: Doch die haben wir, aber viele von ihnen haben eben auch damit zu tun, dass die immer weitere Dehnung des Sagbaren, verbunden mit dem Insistieren darauf, das bewusst Verletzende sagen zu dürfen, zu Treibmitteln geworden sind, mit denen sich die Gesellschaft gerade rasant entsolidarisiert.
Political Correctness bedeutet ja nicht, dass alle ihr Verhalten ändern müssen, nur weil irgendjemand “Diskriminierung” ruft. Es bedeutet aber hinzuhören, verstehen lernen, zu akzeptieren, dass individuelle Diskriminierungserfahrungen und die daraus resultierenden Gefühle eben individuell sind und nicht allgemein plausibel. Dass diese Gefühle eben nicht nur Befindlichkeiten sind, sondern Hemmnisse, ganz konkrete Barrieren, verwehrte Entwicklungsmöglichkeiten, die nicht nur die Betroffenen betreffen, sondern die ganze Gesellschaft. Was bedeutet, dass man diese Gefühle auch dann nicht ohne Not zu verletzen sucht, wenn man sie nicht teilen kann. Welche Not hat Peter Hahne? Was “rettet” er?
Ich streite für Political Correctness nicht, weil ich möchte, dass sie etwas bewirkt. Sondern weil ich es weiß. Die aktuelle Berichterstattung über den Fall des Berliner Piraten-Politikers Gerwald Claus-Brunner ist dafür ein guter Indikator. Wie auf Minderheiten geblickt wird, sieht man so richtig deutlich dann, wenn es zu einem ihrer “Vertreter” etwas Spektakuläres zu berichten gibt. Und unter Boulevard-Kriterien ist ein spektakulärerer Fall kaum vorstellbar. Trotzdem wurde aus politisch korrekter Sicht in Deutschland noch nie so angemessen über einen spektakulären Mordfall berichtet, bei dem Täter, Opfer oder beide schwul sind: Noch nie war das Schwulsein selbst so wenig Skandal wie in diesem. Dass im Sinne einer Knallerstory heute der Exotismus des Piratentums die des Schwulseins übertrumpft, ist eine wirklich interessante Erkenntnis.
Natürlich gibt es trotzdem noch viel zu bemängeln. Bevor man von dem Mord wusste, konnte man in der “Bild”-Zeitung an der Beschreibung des “sensiblen Riesen” sehr schön sehen, wie tief sie noch sitzen, die Stereotype, die Codes der Andersartigkeit. Wie reflexhaft sie greifen, zeigte sich dann direkt, nachdem die Story zum Mordfall und ganz selbstverständlich in den unterschiedlichsten Medien davon ausgegangen wurde, dass Claus-Brunner sein Opfer sexuell missbraucht hat. Eine schwule Tat ohne Missbrauch, ohne Sex, ohne sexuellen Missbrauch mag man sich heute dann doch noch nicht vorstellen.
Trotzdem ist das Nichts im Vergleich dazu, wie noch vor wenigen Jahren über ähnliche Fälle berichtet wurde und sicherlich auch über diesen berichtet worden wäre. Damit will ich nicht sagen, dass es keine gravierenden Grenzüberschreitungen gegeben hätte. Es ist widerlich, wie die “Bild”-Zeitung Details aus dem Intimleben von Claus-Brunner skandalisiert, obwohl diese mit dem Mordfall ganz offensichtlich nichts zu tun haben. Daran ist nichts Gutes, aber die berechtigte Annahme, dass sie es bei einem heterosexuellen Mörder ziemlich genauso und nicht weniger schlimm gemacht hätten, ist dann doch neu.
Natürlich wird “Bild” nie zugeben, dass die Tatsache, dass sie heute über den schwul-Aspekt einer solchen Geschichte einigermaßen angemessen berichten kann, ein Erfolg der Politischen Korrektheit ist. Doch das ist sie. Es ist der Erfolg vieler Menschen, die in Gesellschaft, Politik und Medien ein Bewusstsein dafür geschaffen haben, dass es nicht egal ist, wie man über Schwule spricht. Diesen Menschen wurde und wird Korinthenkackerei vorgeworfen und dass sie zu “sensibel” seien. Sie werden gefragt, wann sie denn endlich zufrieden sind mit dem, was sie erreicht haben, und ob sie eigentlich keine anderen Probleme haben, als über Wörter zu streiten. Man wirft ihnen Totschlagargumentiererei vor, weil sie, wenn es sein muss (und manchmal muss es sein) beispielsweise darauf hinweisen, dass die hohe Zahl schwuler Teenagerselbstmorde im Vergleich zu den heterosexuellen auch irgendwie was damit zu tun hat, wie Journalisten über Schwule schreiben. Diese Menschen leben mit dem Vorwurf, Schwule, Homosexuelle dauernd zu Opfern zu stilisieren, auch wenn sie gerade dafür kämpfen, dass diese nicht zu Tätern gemacht werden.
Politische Korrektheit nervt. Aber weil sie wirkt, müssen Sie da jetzt durch. Ab jetzt hier einmal im Monat.
Gerwald Claus-Brunner, der frühere Politiker der Piratenpartei, den Polizisten am Montag tot in seiner Berliner Wohnung gefunden haben, soll zuvor einen anderen Mann und dann sich selbst getötet haben.
Die heutige Titelseite der “Bild”-Zeitung:
Heute bei Bild.de:
Die “B.Z.” titelt und schreibt:
Die Ermittler vermuten, dass das Opfer vor der Tat sexuell missbraucht wurde.
Und beim “Berliner Kurier” heißt es:
Der Suizid des bekannten Politikers schockte Berlin. Entsetzlicher, was Ermittler jetzt herausfanden: Claus-Brunner tötete und missbrauchte vorher einen Mann (29), fuhr die Leiche sogar noch quer durch Berlin.
Wir haben bei der zuständigen Berliner Staatsanwaltschaft nachgefragt, ob es derzeit Hinweise dafür gibt, dass das Opfer, wie von den Medien behauptet, vor dem Tod missbraucht wurde. Ihr Sprecher Martin Steltner sagte uns, dass er die Berichterstattung nicht bestätigen könne: “Wir haben keine Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch.”
Mit Dank an Fabian S. und Sascha K. für die Hinweise!
1. “Deutsche haben wenig Vertrauen in die Medien” (zeit.de)
Die “Zeit” hat infratest dimap den Auftrag gegeben, eine Studie zum Medienvertrauen in Deutschland zu erstellen. “Die Mehrheit der Befragten, insgesamt 60 Prozent, hat wenig (53 Prozent) oder gar kein (7 Prozent) Vertrauen in die Medien. Nur vier von zehn Deutschen haben ‘sehr großes’ oder ‘großes’ Vertrauen in die politische Berichterstattung der Medien. Etwa ein Viertel der Befragten sagte, ihr Zutrauen in die Berichterstattung der Medien sei in den vergangenen Jahren gesunken.”
2. “JVA muss 600 Schlüssel austauschen” (lto.de)
Weil ein TV-Bericht von NDR über ein Konzert von Jan Delay einen Schlüssel aus dem Sicherheitsbereich eines Hamburger Gefängnisses gezeigt hatte, mussten am Tag darauf alle 600 Schlüssel der Anstalt ausgetauscht werden.
3. “Nicht lustig.” (hanningvoigts.de)
Hanning Voigts (@hanvoi) hat mit Fälschungen eigener Tweets zu tun: “Von daher, liebe Photoshop-Künstler_innen, wenn ihr das hier lest: Denkt bei solchen Fake-Aktionen bitte in Zukunft daran, was für Folgen sie für andere haben. Ich habe wirklich viel Humor, vor allem wenn es darum geht, rechte Knallköpfe zu verulken. Aber euer Fake mit meinem Namen war für mich nur eins: Nicht lustig.”
4. “Kiews Informationskrieger” (zeit.de, Simone Brunner)
Simone Brunner besucht das Ministerium für Informationspolitik in der Ukraine: “Nach den turbulenten Anfangstagen sind die großen Skandale bisher tatsächlich ausgeblieben. Die Nachricht über die ‘Informationskrieger’ poppte nur kurz in den Medien auf. Experten sehen bis dato keine Eingriffe in die Pressearbeit – abgesehen freilich vom Imageschaden, den die Regierung allein schon durch die Gründung hinnehmen musste.”
5. “Fernsehserientexte von dpa oder: Wir sind die Roboter” (medienkorrespondenz.de, Harald Keller)
Hat es eine deutsche Serie “noch nie ins gelobte Land des Fernsehens geschafft”, wie das die dpa behauptet? Harald Keller kontert: “Edgar Reitz’ Fernsehepos ‘Heimat – Eine deutsche Chronik’ war auf US-Bildschirmen zu sehen; aktuell erfreuen sich die Zuschauer des frei empfangbaren, weit verbreiteten spanischsprachigen US-Anbieters Vme TV an ‘Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei’. Ebenfalls RTL.”