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Bild.de hat den letzten

Auf den ersten Blick — und auch auf den zweiten — ist bei dieser Bild.de-Überschrift nicht so ganz klar, um wen es hier eigentlich geht: Um den vor zwei Tagen verstorbenen Hellmuth Karasek? Oder um “Bild”?

In der Gratis-“Bild”, die heute in allen Briefkästen des Landes stecken soll und die vermutlich schon im Druck war, als der Tod Karaseks bekannt wurde, klingt die Überschrift noch etwas weniger “Bild”-zentristisch:

Durch den Tod des Literaturkritikers wird eine Liste mit 25 Lesetipps, keiner davon länger als drei Sätze, für Bild.de und “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann (der es nicht hinbekommt, Karaseks Vornamen richtig zu twittern) also zum “Vermächtnis” Karaseks, der auch über 20 Bücher und für “Zeit” und “Spiegel” geschrieben hat und Teil des “Literarischen Quartetts” war und, und, und.

Nun gibt es aber noch ein Problem bei Karaseks Vermächtnis Liste: Sie hat ein paar Fehler. Zum Beispiel direkt bei Tipp Nummer eins, Günter Grass’ “Blechtrommel”:

Buchstäblich mit einem Paukenschlag meldete sich in diesem Schelmenroman der kleine Oskar Matzerath in die Literatur. Er weigerte sich zu wachsen und beobachtete mit dem Blick eines bösen Zwerges die schreckliche Erwachsenenwelt nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ebenso erfolgreich wie das Buch war die Verfilmung von Volker Schlöndorff, die mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.

Mit dem “Ausbruch des Ersten Weltkriegs” hat die Blechtrommel zeitlich nichts zu tun. Protagonist Oskar Matzerath wird erst 1924 geboren, also sechs Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs.

Und auch bei Tipp Nummer drei, Theodor Fontanes “Effi Briest”, passt der zeitliche Rahmen nicht so recht:

“Effi Briest” ist neben Tolstois “Anna Karenina” und Gustave Flauberts “Madame Bovary” der berühmteste Ehebrecherroman des 20. Jahrhunderts. Er beschreibt, an welchen Grenzen damals bürgerliche Frauen zerbrachen.

Theodor Fontane ist 1898 gestorben, also noch im 19. Jahrhundert. “Effi Briest” erschien wenige Jahre vor seinem Tod und ist damit — genau wie “Anna Karenina” und “Madame Bovary” — kein Roman “des 20. Jahrhunderts”.

Schade eigentlich, dass Hellmuth Karaseks letzter Text an diesen Details und dem offenbar nicht vorhandenen Gegenlesen der “Bild”-Redaktion krankt. Aber immerhin: Es ist ja nicht sein Vermächtnis.

Mit Dank an @SchaerWords.

Nachtrag, 16:53 Uhr:

Und auch bei Tipp Nummer 23 stimmt was nicht, diesmal sogar recht grundsätzlich:

Der große Roman der Wirtschaftskrise der kleinen Leute in Berlin zur Zeit des Börsenkrachs. Fallada beschreibt ein mutiges Paar, das trotz seiner “Stehaufmännchen”-Qualitäten unter die Räder zu kommen droht.

Diese Zweisatzbeschreibung soll laut “Bild” und Bild.de Hans Falladas Roman “Jeder stirbt für sich allein” zusammenfassen, klingt aber eher nach Falladas “Kleiner Mann — was nun?”.

Mit Dank an @JohannesFreytag und Jens.

Ein Schubser wie ein Schlag ins Gesicht

Auch wenn der VfL Osnabrück und Preußen Münster in der 3. Liga nicht auf der ganz großen Fußballbühne spielen — bei den Derbys zwischen beiden Vereinen ist immer richtig was los. Pyrotechnik, Stadionverbote, Strafen durch den Verband.

Gestern war es wieder soweit, Preußen Münster kam zum Duell nach Osnabrück. Und erneut ging es hoch her: 2:1-Führungstreffer in der 90. Minute für die Münsteraner. Großer Jubel. In der Nachspielzeit der 2:2-Ausgleich für Osnabrück. Noch größerer Jubel. In all dem Drunter und Drüber läuft auch Tom Merkens aufs Spielfeld. Merkens ist Profi beim VfL Osnabrück, nach einem Knöchelbruch im Derby gegen Preußen Münster vor eineinhalb Jahren aber kaum noch einsatzfähig. Seit der Verletzung und der anschließenden Operationen kam er lediglich auf zwei Kurzeinsätze. Auch gestern sitzt er nur auf der Tribüne.

Merkens läuft also in Jeans und VfL-Jacke aufs Spielfeld, erst zum 2:2-Torschützen, dann zu Münsters Amaury Bischoff. Bischoff war es, der Merkens im März 2014 so hart foulte, dass dessen Knöchel brach. Im Handgemenge gestern geht Amaury Bischoff zu Boden, nachdem Tom Merkens ihn geschubst hat.

“Bild” hat die Situation so interpretiert:

Eklat in der 3. Liga: Direkt nach dem Spiel Osnabrück gegen Münster (2:2) stürmt ein Zuschauer aufs Spielfeld, rennt direkt auf Münsters Spielmacher Amaury Bischoff (28) zu und streckt ihn mit einem Handschlag nieder. […] Der “Amok-Läufer” ist Tom Merkens

Und in der Bildunterschrift heißt es:

Osnabrücks Merkens stürmt in Zivil den Platz und schlägt Münsters Bischoff zu Boden

Der NDR hat das Spiel gestern im Internet live übertragen. Einen Großteil der zusammengeschnittenen Höhepunkte machen die Tumulte am Ende des Spiels aus (ab Minuten 1:50). Und da ist von einem “Handschlag” rein gar nichts zu sehen. Von “Faust-Rache” kann keine Rede sein. Und auch nicht davon, dass Tom Merkens Amaury Bischoff zu Boden schlägt.

Online hat “Bild” den Artikel inzwischen unauffällig entschärft, und auch die Überschrift geändert:

Nur beim “‘Amok-Läufer'” bleibt die Redaktion.

Die Print-Geschichte ließ sich naturgemäß nicht mehr ändern und klingt damit nach wie vor wie ein aufgebauschter Fanbericht aus dem Preußen-Lager. Joachim Schuth, der Autor des Artikels, hat übrigens eine “ganz besondere Leidenschaft”: Preußen Münster.

Mit Dank an Fabian P. und Rüdiger!

“Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße?”

Der VfL Bochum ist Tabellenführer in der 2. Fußballbundesliga. Nun sind gerade einmal sieben von 34 Spieltagen absolviert, aber laut Ruhrgebiets-“Bild” und Bild.de steht das Saisonziel für VfL-Trainer Gertjan Verbeek schon fest:

Klartext nach 1:1 gegen Fortuna. Verbeek spricht vom Meister-Titel!

Im Interview mit SPORT1 stellte der Holländer bereits klar: “Wir sind angetreten, um Meister zu werden!”

Hoppla! Der ehrgeizige Coach legt die Latte selbst hoch, sagt weiter: “Die Ambition muss immer sein: Raus aus der 2. Liga und aufsteigen in die Bundesliga. Aber das wird schwer.”

Morgen steht bereits das nächste Spiel auf dem Programm, die Bochumer treten in Bielefeld an. Daher gab es heute beim VfL die übliche Vor-dem-Spiel-Pressekonferenz. Großes Thema dort: die “Bild”-Schlagzeile und Verbeeks vermeintlicher Titeltraum.

Ein Reporter der “Ruhr Nachrichten” fragt:

Herr Verbeek, ich habe gelesen und gehört, dass Sie den Meistertitel jetzt als Ziel ausgegeben haben. Ist das so?

Gertjan Verbeek ist offenbar klar, wo der Reporter das gelesen hat. Er antwortet:

Das ist so unglaublich kindisch von “Bild”, immer wieder so zu schreiben. […] Die Ambition hier beim VfL ist, den Aufstieg zu machen. Das kann man erreichen, um Meister zu werden, Zweiter zu werden oder Dritter zu werden. Und wir wollen kein Ziel ausgeben. Und das ärgert die “Bild”. Und darum schreiben sie so. Weil ich habe nicht gesagt, dass wir Meister werden. Jeder sieht, dass wir die Qualität nicht haben, um Meister zu werden in der 2. Liga. […] Also was wollt ihr, “Bild”?

Ein Zwischenruf, vermutlich vom anwesenden “Bild”-Reporter:

Nö, gar nichts.

Dann wieder Verbeek:

Nee. Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße? Warum spielt ihr immer zwei Parteien gegeneinander aus? Selbst mit Flüchtlingen dazwischen. Ihr seid ja Arschlocher. Das seid ihr.

Wieder ein schwer zu verstehender Zwischenruf, irgendwas mit:

Das geht an die Berliner Adresse. Den Schuh zieh’ ich mir nicht an.

Darauf Verbeek:

Du arbeitest für “Bild”, oder nicht? Du sitzt hier für “Bild”. Und du schreibst immer falsch. Ja, ja, ja, ja, ja. Jetzt sind auch die Fans schon. Du bist unglaublich, immer wieder. Immer wieder willst du gerne zwei Parteien haben, die gegenüber einander stehen. Immer. Und ihr lügt auch noch. Das ist die “Bild”.

Zwischenfrage:

Hat “Sport 1” gelogen? Das steht auf der Homepage.

Verbeek:

Ja, dasselbe. Hör mal zu, was ich vor der Kamera gesagt habe. Die Ambition des VfL ist, Aufstieg zu machen. […] Man muss die Ambition haben, und das erkläre ich dir noch mal, schlechten Lehrlingen muss man immer viele Male dasselbe gesagt haben: Wir wollen gerne den Aufstieg machen. Wir haben die Ambition, den Aufstieg zu machen. Aber das Ziel ist nicht, den Aufstieg zu machen. Das ist ganz was anderes.

Die Pressekonferenz widmet sich anschließend einem Definitionsversuch der Worte Ambition und Ziel, bis die Themen Aufsichtsratssitzung und eine dort mögliche Vertragsverlängerung angesprochen werden. Und auch da ist Gertjan Verbeek nicht glücklich — mit der Berichterstattung im Allgemeinen und konkret mit der von “Bild”:

Ich verstehe nicht, dass ihr wisst, was besprochen wird, weil ich das selber noch gar nicht weiß. […] Es ist mir sehr fremd, dass ihr wisst, dass es heute Abend um meine Kontraktverlängerung geht. Ich habe gerade verlängert, im Mai habe ich gesagt, ich bleibe noch ein Jahr. Und jetzt sind wir vier Monate weiter und ich muss wieder reden über eine Verlängerung von meinem Kontrakt? Das hat “Bild” auch schon geschrieben. Das war letzte Saison im Mai. Haben die auch wieder falsch.

So langsam beruhigt sich die Lage. Es werden noch ein paar Personalien für das anstehende Spiel in Bielefeld besprochen. Dann aber doch noch einmal Gertjan Verbeek:

Und dann noch eine falsche Aussage: Letztes Mal war Piotr Cwielong nicht dabei, weil ich ihn nicht in den Kader gestellt habe, er war verletzt. Also kann er nicht im Kader sein. […] Der Trainer konnte ihn nicht fragen und er war verletzt. “Bild”, schreibst du mit?

Antwort vom “Bild”-Reporter:

Hier hat gerade eine Legende angerufen. Das war wichtiger.

Verbeek:

Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.

Hier die gesamte Pressekonferenz (um “Bild” geht’s ab Minute 2:20):

Mit Dank an Christian H. und Matthias S.

Nachtrag, 22. September, 13:47 Uhr: Der Vorstand des VfL Bochum hat sich heute in einer Stellungnahme zu den Aussagen von Trainer Gertjan Verbeek geäußert: “Fußball lebt von Emotionen, die manchmal in Aussagen gipfeln, die zwar Anklang und Nachhall finden, zuweilen in der Tonalität aber daneben liegen.” Man habe mit Verbeek gesprochen, der sich für die Kraftausdrücke entschuldige. Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht sagen allerdings auch:

Die Kernaussagen bleiben davon aber unberührt und in dieser Sache hat Gertjan Verbeek unserer Meinung nach vollkommen Recht

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (3)

Dass Fans des Hamburger SV dem FC St. Pauli Respekt zollen und sich wünschen, ihr Verein würde genauso handeln wie der Kiezklub, kommt nicht häufig vor. Auch nicht, dass Anhänger des FC Schalke 04 und von Borussia Dortmund voller Neid auf die kleineren Nachbarn VfL Bochum und MSV Duisburg schauen. “Bild”-Chef Kai Diekmann hat mit seinen zwei Pöbeltweets zu St. Paulis Entscheidung, sich nicht als Werbetransmitter der “Wir helfen”-Aktion benutzen zu lassen, also das geschafft, was sonst nur Reizthemen wie Stadionverbote oder zu hohe Ticketpreise schaffen: Er hat Fans vereint, die sich sonst nicht besonders leiden können, mitunter sogar regelrecht bekriegen.

Es waren nämlich vor allem die Anhänger der deutschen Fußballvereine, die seit Mittwoch mächtig mobil machten. Fangruppen forderten die Vereinsbosse in offenen Briefen auf, sich der “Bild”-Hermes-DFL-Werbekampagne zu verweigern. Viele Fans haben bei Twitter das Hashtag #BILDnotwelcome tagelang in den sogenannten Trending Topics gehalten. Manche von ihnen kündigten dabei recht drastische Maßnahmen an.

Und ihr Protest hatte Wirkung: Bis zum Ende des vergangenen Spieltags in der 1. und 2. Bundesliga hatten sich zehn Vereine dem FC St. Pauli angeschlossen. Manche verzichteten ebenfalls komplett auf das “Wir helfen”-Logo, andere klebten nur das darin beinhaltete “Bild”-Logo ab; alle elf spielen in der 2. Liga, damit gab es lediglich sieben Zweitligisten, die sich der “Bild”-Aktion komplett angeschlossen haben. In der 1. Liga waren es alle 18 Klubs.

Unabhängig davon, ob ihr Verein mit oder ohne “Wir helfen”-Aufnäher auf dem Spielfeld stand, haben viele Fangruppen ihren Protest aus dem Internet auf die Stadionränge getragen. In Nürnberg zum Beispiel …



(Danke an @Ilja_FCN)

… oder in Paderborn durch die Gästefans aus Karlsruhe …


(Danke an @Doering_Stefan)

… oder beim SC Freiburg, wo die Heimfans Transparente mit “Refugees welcome — Bild nicht” und “Erst die Hetze angefacht — wird’s mit Fußball wieder gut gemacht?” hochhielten …



(Danke an Fotografin Friederike Bauer und @HulaLena)

… oder in Darmstadt …


(Danke an @DaTagblatt-Fotograf Arthur Schönbein)

… oder in Köln …


(Danke an @Lollipop2701 und die #SektionTwitter)

… oder in Mainz …



(Danke an @ne_ratte)

… oder in München, wo die 1860-Fans “Scheinheiligkeit und Doppelmoral als PR-Strategie — das bringt nur Blöd #BILDnotwelcome” aufs Banner schrieben …


(Danke an @Komissarov95)

… oder in Bremen durch die Gäste aus Ingolstadt …


(Danke an fuba tour)

… oder in Stuttgart …




(Danke an die Cannstatter Kurve)

… oder auf beiden Seiten beim Spiel zwischen dem VfL Bochum und Fortuna Düsseldorf …


(Danke an @mistadangee)



(Danke an turus)

… oder in Wolfsburg durch die Fans von Hertha BSC Berlin …


(Danke an La Familia)

… oder bei der Partie Union Berlin gegen Greuther Fürth von beiden Fanlagern …



(Danke an @NN_Online-Redakteur @chribenesch)

… oder mit Stickern beim BVB:


(Danke an @Doering_Stefan)

In Dortmund gab es bereits beim Spiel in der Europa League am Donnerstagabend Proteste gegen “Bild”. Die Fans auf der legendären Südtribüne hatten zahlreiche Banner gespannt:





(Danke an @schwatzgelbde)

Damit stellten sich genau die Fans mit Zitaten aus der neuen “Bild”-Imagekampagne gegen das Blatt, die noch vor wenigen Tagen von “Bild” für die neue Imagekampagne instrumentalisiert wurden:

Nun liest man derzeit immer wieder, dass Kai Diekmann genau das wollte: Aufmerksamkeit, für sich, für “Bild”, für die “Wir helfen”-Aktion.

Klar, mit seiner Twitterei zum FC St. Pauli dürfte er genau darauf ausgewesen sein. Jedenfalls wären so seine unsinnig-steilen Thesen zum Kiezklub zu erklären (weitere Erklärungsversuche: Warnschuss für mögliche Wackelkandidaten, bloß nicht auch noch abzuspringen; spezielles Weltbild: Wer nicht mit “Bild” kooperiert, kann nicht ganz sauber sein). Aber dieses Mal scheint der Aufmerksamkeitsprofi Diekmann die Folgen falsch eingeschätzt zu haben. Die Heftigkeit und die Vielfältigkeit der Reaktionen dürften auch für ihn überraschend gewesen sein. Unzählige Medien berichteten, kleinere Blogs, die großen Onlineportale, selbst die “Tagesthemen”. Und bei so gut wie allen Beiträgen konnte man das Unverständnis über die Äußerungen des “Bild”-Chefs herauslesen und -hören. In Interviews durften Sprecher von Faninitiativen ihren Ärger darüber äußern, dass ihr Verein möglicherweise mit Diekmanns Blatt paktiert, und sich über den scheinheiligen Wandel der “Bild” beim Thema Flüchtlinge auslassen.

Der sonst so tweetselige Diekmann wurde in der Folge auffallend still und twitterte stundenlang überhaupt nichts. Auch dem “Spiegel” wollte er nichts sagen. Gut möglich, dass er mit nur zwei Kurznachrichten eine ganze Menge zerstört hat — nicht nur beim Verhältnis zu den Fußballvereinen, sondern auch am mühsam aufgebauten Image der freundlichen “Bild”.

Damit sich der Schaden einigermaßen in Grenzen hält, schwenkte die Redaktion in ihrer Berichterstattung schnell um: Während sie am Donnerstag noch vorwurfsvoll-beleidigt meldete

… war sie bereits einen Tag später ganz handzahm und einsichtig:


Wir helfen — das haben alle Vereine bereits vorher schon mit zahlreichen Aktionen und Projekten bewiesen. Die Bundesliga ist Meister im Helfen. […] Beispiel St. Pauli: Sach- und Geldspenden des Vereins, seiner Mitarbeiter und Fans. Aktionen beim Test gegen Dortmund. Die Warmmach-T-Shirts und Refugees-Welcome-Banner werden versteigert. Profis besuchen Flüchtlingslager. Es gibt Trainingsangebote für die Kinder.

Nur zur Erinnerung: Das schreibt das Blatt, dessen Chefredakteur zwei Tag zuvor noch polterte, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”, und den Verein in die Nähe der AfD rückte.

Wie heuchlerisch dieser neue “Bild”-Ton vom Freitag ist, zeigt auch ein Blick in die anderen Regionalausgaben:

Einen Tag später, als bei einigen Klubs noch nicht endgültig feststand, ob sie sich an der “Wir helfen”-Kampagne beteiligen oder nicht, ging das Gutwettermachen auf der Titelseite weiter:

Und das Erstligaduell am Freitagabend zwischen dem FSV Mainz 05 und der TSG Hoffenheim nutzte die Redaktion für ihre Samstagsausgabe so:

Also alles wie gehabt: Die Bundesliga steht im Mittelpunkt, genauso die “Bild” selbst mit ihrer “Wir helfen”-Aktion. Die Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen soll, bleiben eine Randerscheinung.

Eine Überraschung gab es dann aber doch noch: Die “Bild am Sonntag” titelte im Sportteil mit Blick auf die Spiele in Liga eins und zwei:

Dabei klopfte sie ganz sicher auch sich selbst und ihrem Schwesterblatt auf die Schultern. Aber immerhin: Die Flüchtlinge haben es in die Überschrift geschafft.

Damit war heute allerdings direkt wieder Schluss, als Kai Diekmann das redaktionelle Sagen zurück hatte — bei “Bild am Sonntag” ist er lediglich Herausgeber –, und seine “Wir helfen”-Aktion wieder die wichtigste Rolle in diesem Schmierentheater bekam:

Mit Dank an alle Fotografen für die Bilder aus den Stadien!

Nachtrag, 22. September, 13:29 Uhr: Auch die Fans des FC Schalke 04 haben sich am Wochenende per Banner zur “Bild”-Aktion geäußert …


(Danke an die Cannstatter Kurve)

… genauso wie die des 1. FC Kaiserslautern.

Mit Dank an Johannes S. für den Link.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (2)

Gestern wurde bekannt, dass die Fußballer des FC St. Pauli am kommenden Wochenende bei der “Bild”-Aktion “Wir helfen” nicht mitmachen werden. Damit war der Verein der erste der 36 Erst- und Zweitligisten, der beim “Bild”-Hermes-DFL-Theater nicht mitspielt. (Inzwischen hat sich der 1. FC Union Berlin den Hamburgern angeschlossen, genauso der SC Freiburg, der VfL Bochum, der MSV Duisburg, die SpVgg Greuther Fürth, der 1. FC Kaiserslautern, Eintracht Braunschweig, der TSV 1860 München und Fortuna Düsseldorf teilweise und womöglich auch der 1. FC Nürnberg.)*

“Bild”-Chef Kai Diekmann polterte daraufhin bei Twitter los, behauptete, am Millerntor seien “#refugeesnotwelcome”, und rückte den Verein in die Nähe der AfD. Seine “Bild”-Kumpels fanden das gut, viele andere eher nicht. Im Blog des DJV schreibt Hendrik Zörner heute, Diekmanns Verhalten sei “eine ausgemachte Sauerei”, und fordert ihn auf, Flüchtlinge nicht zu instrumentalisieren. Und selbst der Kai-Diekmann-Fanklub “Meedia” spricht von “offenkundig ungerechtfertigten Vorwürfe[n]” in Richtung FC St. Pauli.

Wie falsch der “Bild”-Chef mit seinem Angriff liegt, zeigt ein Blick in seine eigene Zeitung. Die Hamburg-Ausgabe berichtete am vorletzten Mittwoch, nach St. Paulis Freundschaftsspiel gegen den BVB, das der Klub unter das Motto “Refugees welcome” gestellt hatte, so:

Und auch Bild.de erkannte, dass beim FC St. Pauli “REFUGEES WELCOME” sind:

Immerhin: In der heutigen Printausgabe gibt es nicht den großen publizistischen Gegenschlag der “Bild”. Zur Weigerung des FC St. Pauli findet man lediglich eine kleine Überschrift …

… und diese vier Sätze:

Schade nur, dass einer der 36 Klubs aus der Solidaritäts-Aktion ausschert.

Der FC St. Pauli macht nicht mit bei „Wir helfen“ und wird stattdessen mit den normalen Firmenzeichen des Logistik-Unternehmens spielen. Das teilte der Hamburger Zweitligist den Beteiligten mit. Man tue schon genug für Flüchtlinge.

Der letzte Satz lässt sich allerdings als eine ziemlich böse Interpretation dessen verstehen, was St. Paulis kaufmännischer Geschäftsleiter Andreas Rettig gestern zu Diekmanns Vorwürfen sagte:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. […] Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen.

“Bild” macht daraus eine beleidigt klingende Absage, als wollte Rettig sagen: “Irgendwann ist auch mal gut hier mit der ganzen Hilfe für diese Flüchtlinge.”

Im Gegensatz zu dieser vermeintlichen Haltung steht für die “Bild”-Leute ihre “Wir helfen”-Aktion. Doch wohlgemerkt: Wofür sich das Blatt (und auch die Deutsche Fußball Liga) seit Tagen feiert, ist nicht etwa die komplette Umbenennung des Bundesligaspieltags oder der Verzicht aller Trikot-Hauptsponsoren zugunsten eines großen “Refugees welcome”-Schriftzugs auf der Brust der Mannschaften (wie zum Beispiel beim Zweitligisten MSV Duisburg), sondern ein ein paar Quadratzentimeter großer Badge, bei dem optisch diejenigen im Mittelpunkt stehen, die helfen, und die Flüchtlinge wortwörtlich zur Randerscheinung werden.

Schon möglich, dass am Wochenende einige Fußballfans vor dem Fernseher sitzen, den Aufnäher sehen und denken werden: “Boah, toll, was mein Verein und die ‘Bild’ und Hermes und die Bundesliga so für Flüchtlinge machen.” Spätestens dann ist Kai Diekmanns Werbeplan aufgegangen.

Mit Dank an Michael P.

*Nachtrag, 19:41 Uhr: Nicht nur der 1. FC Union Berlin schließt sich dem FC St. Pauli an, sondern mindestens zwei weitere Zweitligaklubs: der SC Freiburg und der VfL Bochum.

Die Freiburger schreiben:

Für uns ist klar, dass es vor allem das glaubwürdige Engagement vieler lokaler Initiativen ist, das Flüchtlingen jetzt in enger Absprache mit örtlichen Behörden und überregionalen Hilfswerken ganz konkret hilft. Wir haben uns entschieden, morgen ohne den veränderten Ärmel-Aufnäher „Wir helfen” gegen die Bielefelder Arminia auf den Platz zu gehen.

Und beim VfL Bochum heißt es von Seiten des Vorstands:

Die VfL-Vorstände Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht erklären hierzu: „Gegen Engagement ist nichts einzuwenden, im Gegenteil: Der VfL Bochum 1848 begrüßt sämtliche Hilfsmaßnahmen, die in Not geratene Menschen unterstützen. Wenn es also um die Sache gegangen wäre, wären wir kompromissbereit gewesen und hätten eine Aktion, die von der BILD mitgetragen wird, unterstützt. Allerdings hat uns die scharfe Reaktion seitens der BILD-Chefredaktion ob der Absage eines anderen Clubs an die Aktion dazu gebracht, sich mit diesem Verein solidarisch zu zeigen. Es darf unserer Ansicht nach nicht sein, dass jemand einem Verein die Solidarität mit Flüchtlingen abspricht, nur weil dieser nicht bereit ist, eine u.a. von der BILD initiierte Aktion zu unterstützen.

Ähnlich argumentiert auch ein fünfter Zweitligist, der 1. FC Nürnberg. Aus der Vereinsmitteilung wird unserer Meinung nach allerdings nicht zu 100 Prozent klar, ob die Mannschaft nun mit oder ohne “Wr helfen”-Aufnäher spielen wird:

Der 1. FC Nürnberg begrüßt die ligaweite Aktion für Flüchtlinge. Sie ist sinnvoll und unterstützenswert. Weil der 1. FC Nürnberg aber den Umgang mit den Vereinen, die an der freiwilligen Aktion nicht teilnehmen, für unangebracht hält, wird der Club auf eine besondere Promotion des Medienpartners verzichten.

Damit haben schon mal die drei aktuell besten Vereine der 2. Bundesliga der “Bild”-Werbeaktion abgesagt. Was noch fehlt ist der erste Erstligist. Ein bisschen Zeit ist ja aber noch.

Nachtrag, 18. September, 11:15 Uhr: Der Zweitligist MSV Duisburg sagt mit Blick auf die eigenen geplanten Aktionen der “Bild” ebenfalls ab:

Wir Zebras möchten den Einsatz der Menschen in Duisburg, unserer Fans und des Vereins für Flüchtlinge in den Vordergrund stellen. Angesichts der tief entbrannten und kontrovers geführten Diskussion um die Aktion “Wir helfen” befürchten wir einen Schatten über die von uns vorbereiteten Aktionen am Sonntag und in den kommenden Wochen. Das wollen wir vermeiden, deshalb verzichten wir auf das angebotene Aktions-Badge auf dem Trikotärmel.

Nachtrag, 17:26 Uhr: Im morgigen Zweitligaspiel zwischen dem TSV 1860 München und dem 1. FC Kaiserslautern wird kein “Bild” auf den Trikots zu sehen geben. 1860 wird zwar mit dem “Wir helfen”-Badge auf dem Ärmel auflaufen, aber das “Bild”-Logo mit einem weißen Herz überkleben. Kaiserslautern verzichtet komplett auf den Werbeaufnäher:

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen mussten die Verantwortlichen des FCK feststellen, dass es in dieser Sache inzwischen leider nicht mehr um das Thema Hilfe für Flüchtlinge geht, sondern nur noch um die Haltung der Vereine zu einzelnen Medien. Daher hat sich der 1. FC Kaiserslautern nun entschlossen, nicht wie ursprünglich geplant mit dem entsprechenden Badge, sondern mit dem klassischen Logo des Partners Hermes aufzulaufen. Der FCK reagiert damit auf die Tatsache, dass durch die öffentliche Diskussion die eigentliche Botschaft in den Hintergrund gerückt ist.

Nachtrag, 18:56 Uhr: Fortuna Düsseldorf macht es wie 1860 München und klebt das “Bild”-Logo ab:

Damit ist auch das Spiel zwischen dem VfL Bochum und der Fortuna frei von “Bild”-Werbung auf den Trikots der Mannschaften.

Nachtrag, 19. September, 00:11 Uhr: Die “Braunschweiger Zeitung” meldet, dass Eintracht Braunschweig ebenfalls nicht an der “Wir helfen”-Aktion teilnehmen wird, und zitiert Eintracht-Präsident Sebastian Ebel:

“Im Vordergrund stehen die Motive und was Vereine für Flüchtlinge tun. Das sollte bewertet werden”, sagte Eintracht-Präsident Sebastian Ebel.

Nachtrag, 20. September, 14:59 Uhr: Zweitligist Greuther Fürth ist beim Auswärtsspiel bei Union Berlin — etwas überraschend — ohne die “Wir helfen”-Werbung der “Bild” aufgelaufen. Eine Anküdigung des Vereins gab es im Vorfeld nicht.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein

Auf die Frage, wie man Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen kann, hat Kai Diekmann eine ziemlich klare Antwort: Man schließt sich der “Bild”-Kampagne “Wir helfen” an. Derjenige, der das nicht tut, kann im Diekmann’schen Umkehrschluss nur gegen Flüchtlinge sein:

Hintergrund ist der kommende Spieltag in der ersten und zweiten Fußballbundesliga. Normalerweise laufen die 36 Profiklubs mit einem Hermes-Werbeaufnäher auf dem Trikotärmel auf. Dieses Wochenende wird stattdessen das “Wir helfen”-Logo der “Bild” hundertfach zu sehen sein. Für diesen werbetechnischen Coup beweihräuchern sich Diekmann und seine Mitarbeiter fleißig selbst, Hermes-Chef Hanjo Schneider bekam heute als Lohn den Titel “Gewinner des Tages” in der “Bild”-Zeitung verliehen.

Nur der FC St. Pauli, als Zweitligist ebenfalls betroffen von der Hermes-“Bild”-Bundesliga-Kooperation, will bei dem ganzen Bohei laut Bild.de nicht mitmachen.

Auf dieser Verweigerung basiert nun offenbar Kai Diekmanns steile Twitterthese, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”. Gerade dem Kiezklub aus Hamburg vorzuwerfen, sie würden Flüchtlinge nicht willkommen heißen, ist selbst für Diekmannverhältnisse ausgesprochen dreist.

Fans des FC St. Pauli standen schon mit “Refugees welcome”-Aufnähern und -Transparenten im Stadion, als “Bild” und Bild.de noch gegen Ausländer und Asylbewerber zündelten. Und auch der Verein ist aktiv. Nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Das Freundschaftsspiel vor rund einer Woche gegen den BVB stand unter dem Motto “Refugees welcome”, der Verein lud dazu 1000 Flüchtlinge ins Millerntor ein; und vor der Zweitligapartie am Montag sammelte der Klub Hygieneartikel für Geflüchtete. Über das Engagement hat vor Kurzem erst die “New York Times” berichtet.

Für Kai Diekmann reicht das alles anscheinend nicht. Solidarität mit Flüchtlingen bedeutet für ihn, sich seinem Blatt zu beugen.

Mit Dank an all die Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:50 Uhr: Inzwischen hat sich auch der FC St. Pauli geäußert. Man wundere sich, “dass das vertrauliche Schreiben an die Bild-Zeitung von dieser genutzt wurde, die Absage des FC St. Pauli negativ in der Öffentlichkeit darzustellen.” Der kaufmännische Geschäftsleiter Andreas Rettig zu den Vorwürfen der “Bild”:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. Unser Testspiel gegen Borussia Dortmund, das private Engagement unserer Spieler sowie verschiedenste Aktionen unserer Fans und Abteilungen für die Flüchtlinge in Hamburg sind Beleg dafür. Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen. Hierüber haben wir vorab alle Beteiligten informiert. Der FC St. Pauli steht für eine Willkommenskultur und wir handeln damit auf eine Art und Weise, die unseren Club schon seit Jahrzehnten ausmacht. Wir leisten ganz praktische und direkte Hilfe dort, wo sie gebraucht wird.

Schnellschuss in der Schmuddelecke

Na, na, na, “1Live”! Einfach so am Sonntagvormittag im Radio über Sex reden und dann auch noch einen Pornodarsteller erzählen lassen, wie man den Orgasmus herauszögern kann?

Klar, dass die frommen “Bild”-Redakteure da einschreiten müssen:

Nun gut, das Durchschnittshöreralter “des WDR-Jugendsenders ‘1Live'” liegt bei 32 Jahren. Aber sonst: Ganz genau, “in die Schmuddelecke” gehört sowas. Dorthin, wo die ganzen standhaften Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de zu Fachleuten für “Masturbationsübungen”, “Orgasmus-Training” und “Schnellschießer” geworden sind.







Mit Dank an Daniel und @19Rhyno04.

Das wird man ja wohl noch zeigen dürfen!

Die “Bild”-Medien trommeln heute mal wieder kräftig in eigener Sache.

“Das bringt nur BILD”, so lautet der Slogan der großen PR-Kampagne, deren ganzer Wahnsinn sich schon an diesem Video erahnen lässt:

Die Kampagne findet, wie der Axel-Springer-Verlag verkündet:

auf allen analogen und digitalen Kanälen statt. Sie beinhaltet Print- und Online-Motive, Out-of-Home-Plakate und -Kurzvideos, einen Kino- und TV-Spot sowie verschiedene Funk-Spots.

Und auf redaktioneller Ebene das hier:

Eine (nicht ganz neue) Aktion, mit der das Blatt heute viel Aufmerksamkeit erregt hat. „Bild“ schreibt:

Wir wollen damit zeigen, wie wichtig Fotos im Journalismus sind. Und dass es sich lohnt, jeden Tag um das beste Foto zu kämpfen!

Denn Fotos können beweisen, was Mächtige verstecken wollen. Sie wecken Emotionen in uns. Sie zeigen schöne Momente, aber auch grausame. Sie lassen uns mit anderen Menschen mitfühlen. (…)

Darum steht BILD immer wieder für die Veröffentlichung umstrittener Fotos ein – oft gegen harte Widerstände. Die Welt muss die Wahrheit sehen, um sich zu verändern.

So etwas sagen die Menschen von „Bild“ gern, wenn es um die „Veröffentlichung umstrittener Fotos“ geht. Man müsse die Wahrheit „ungeschönt“ zeigen, man müsse die Geschichten und Gesichter der Opfer (und Täter) abbilden, um „die Tragik“ eines Ereignisses „fassbar“ zu machen.

In den meisten Fällen geht es dann aber nicht um solche Fotos, die „Bild“ in dem Artikel als Beispiele anführt — das des Mädchens, das im Vietnamkrieg vor einer Napalm-Wolke flieht und das des ertrunkenen Flüchtlingsjungen am Strand von Bodrum, bei denen es tatsächlich nachvollziehbare Gründe für eine Veröffentlichung gibt –, sondern um Fotos, die nicht als Symbolbilder um die Welt gegangen sind. Fotos, auf denen Menschen hilflos sind oder trauern oder sterben, Fotos von Menschen, die Schlimmes getan haben oder die nur zufällig Teil eines tragischen Geschehens wurden, über das die „Bild“-Zeitung unbedingt unverpixelt berichten muss.

Solche Fotos:

Oder solche:

Oder solche:

So sieht der Umgang mit „umstrittenen Fotos“ bei der „Bild“-Zeitung tagtäglich aus: „Mutig“ und „ungeschönt“, trotz all der „harten Widerstände“ durch den politisch korrekten Verpixelungswahn dieser Gutjournalisten. Alles im Sinne der „Wahrheit“. Und letztlich im Sinne der „Schwachen“, wie „Bild“-Online-Chef Julian Reichelt erklärt:

Diese BILD-Ausgabe ohne Fotos ist eine Verneigung vor der Kraft der Fotos. Ohne Fotos wäre die Welt noch ignoranter, wären die Schwachen verloren, unsichtbar. Ohne Fotos blieben viele Verbrechen nicht nur ungesühnt – sie würden nicht einmal erinnert. Fotos sind der Aufschrei der Welt.

Und wer meint, die „Bild“-Zeitung mache die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens zum zweiten Mal zu Opfern, wenn sie irgendwo private Fotos von ihnen auftreibt oder Fotos, auf denen sie blutüberströmt auf der Straße liegen, und diese dann groß und unverpixelt und ohne Erlaubnis abdruckt, der irrt natürlich gewaltig:

Immer wieder – auch jetzt – hören wir die Forderung, Fotos gar nicht oder nur verpixelt zu zeigen, weil sie menschliches Leid zu drastisch dokumentieren, weil sie Menschen „ihre Würde nehmen“ würden.

Dieses Argument übersieht immer wieder den wichtigsten Punkt: Nicht das Foto stellt die würdelose Situation her, sondern der Krieg oder die Ignoranz der Politik oder unsere Feigheit davor einzuschreiten. Das Foto dokumentiert bloß die Welt. Die Welt ist nicht verpixelt. Wir haben kein Recht darauf, es uns leicht zu machen, wenn Unrecht geschieht. Wir müssen uns zwingen hinzusehen. Der Schmerz, den wir beim Anblick von Leid empfinden, hat nicht das leiseste Recht, sich gleichzumachen oder auch nur zu vergleichen mit dem Schmerz der Abgebildeten.

Der Gedanke, dass auch die Abgebildeten Rechte haben, das Recht am eigenen Bild zum Beispiel, und dass eine Verletzung dieser Rechte ebenfalls Schmerz auslösen kann, ist Julian Reichelt bei seiner Argumentation wohl nicht gekommen, aber er hat ja auch schon genug damit zu tun, sich ständig um die Angehörigen der Abgebildeten zu sorgen:

Das twitterte der Bild.de-Chef vor ein paar Wochen, kurz nachdem die Leiche eines entführten und ermordeten Mädchens entdeckt worden war.

Und weil Reichelt und sein Team den Angehörigen mit einer möglichst unverpixelten Berichterstattung ja im Grunde nur helfen, dokumentieren sie seither akribisch die grausamen Details des Verbrechens, zeigen die Fotos, auf denen das Mädchen in einem Leichensack weggetragen wird, veröffentlichten ihre Todesanzeige und mehrere Fotos von ihrer Beerdigung, fotografierten ihr Grab aus verschiedenen Perspektiven und präsentieren konsequent in jedem Artikel mindestens ein Bild von ihr ohne jede Unkenntlichmachung, „mutig“ und „ungeschönt“ eben, denn es geht ja um die Wahrheit und darum, das Leid „fassbar“ zu machen.

Fotos von Verbrechensopfern, von Leichen, von Menschen, die ums Überleben kämpfen, die von Geiselnehmern oder Vergewaltigern erniedrigt werden, all das zeigt die Zeitung, aber schließlich ist sie ja auch der Chor des Lebens!

So wie es in der griechischen Tragödie des Chors bedarf, der das, was der Zuschauer sieht, beweint, braucht das Leben, braucht das Land jemanden, der es beklagt und besingt.

BILD ist dieser Chor.

… trällert Alexander von Schönburg heute in seinem Beitrag zur „Bild“-Eigen-PR-Kampagne, in dem er vor allem den „einzigartigen Erfolg“ von “Bild” besingt.

BILD zielt nicht nur auf den Verstand, sondern tiefer. Aufs Herz.

Insofern hat BILD die Kernidee seines Gründers doch bewahrt. Er schuf eine Zeitung, die unmittelbarer mit dem Leser kommuniziert.

Ein Beispiel:

Jede Zeitung der Welt druckte das Foto von Willy Brandts historischem Kniefall 1970 in Warschau. Aber nur in BILD wurde beschrieben, wie ihm Tränen in die Augen schossen.

Gut, und in der “Süddeutschen Zeitung”.

Ein Alleinstellungsmerkmal gab’s damals aber dennoch: Nur der damalige Chefredakteur von „Bild“ polterte kurz nach dem Kniefall:


Aber das erwähnt Alexander von Schönburg in seiner „Bild“-Hymne natürlich genauso wenig wie die spätere Verwendung des Kniefall-Fotos durch “Bild” – und hebt stattdessen zum großen, schleimigen Finale an:

Durch ihre Zeilen gibt BILD den Fotos emotionale Kraft. Aber ohne diese Fotos ist BILD nicht mehr BILD.

BILD ist täglich erlebte Geschichte. Weil sie Geschichte fühlbar macht.

Und weil Mitfühlen so ziemlich das Menschlichste ist, dessen wir fähig sind, ist BILD eben in allererster Linie vor allem das – menschlich.

Aus der Veröffentlichung von Leichenfotos einen Beleg für die eigene “Menschlichkeit” zu basteln — stimmt: Das bringt tatsächlich nicht jeder.

Mit Dank an alle Hinweisgeber!

Siehe auch: Die Bild zeigt keine Fotos — wie schön! (Jonas Jansen auf medium.com)

Franz Josef Wagner und die Nazi-Scheiße in der “Bild”-Zeitung

Das „Lieber“ hat er sich am Dienstag lieber verkniffen:

Post von Wagner - Betrifft: Hitlers Gold-Zug

Der gepanzerte Nazi-Zug soll in einem polnischen Stollen-System stehen, voller Kunstschätze. Mag sein, mag nicht sein.

Mag eher nicht sein, aber egal. Auf jeden Fall stößt Franz Josef Wagner diese ganze Sache ziemlich übel auf.

Was mich anwidert, ist, dass Hitler eine Art Marke geworden ist. (…) Was mich nervt, ist seine unverminderte Gegenwart. Hitler-Filme, Zeichnungen von ihm werden in Auktionshäusern feilgeboten, Filme, „Der Untergang“, Bücher, „Er ist wieder da“.

Seine Ur-Enkelsind wieder da, sie werfen Brandbomben auf Flüchtlingsheime.

Mit dem Gold-Zug ist Hitler wieder da. Das Finstere, das Abscheuliche.

Und dann gibt es doch tatsächlich noch Medien, die diesem finsteren, abscheulichen Hitler-Schatz-Nazi-Gold-Zug allen Ernstes eine Bühne bieten:

Selbst die „Süddeutsche Zeitung“ schlagzeilt auf Seite 1: „Gerüchte um einen Zug voller Nazi-Schätze“.

Also wirklich, „Süddeutsche Zeitung“!

[Titelseite der Süddeutschen Zeitung, ganz oben steht in einer dezenten, grünen Zeile: 'Tunnelblick: Gerüchte um einen Zug voller Nazi-Schätze']
(Falls Sie nicht auf Anhieb fündig werden: ganz oben, die grüne Zeile.)

Gut, dass sich wenigstens Wagners Heimblatt bei dieser Geschichte zurückhält.

Polen bestätigt Sensations-Fund - Hitlers geheimer Gold-Zug!
Nazi-Zug versetzt Experten in Goldrausch
Sensationsfund in Tunnel bei Breslau - Die Suche nach Hitlers Gold-Zug
Juwelen, Gold, Bernsteinzimmer? - Das Geheimnis um den Nazi-Zug von Polen
Gold-Zug in Polen - Diese Nazi-Schätze wurden in Verstecken gefunden
Goldschatz in Polen vermutet - Russland fordert Anteil am Nazi-Zug
Suche nach Goldschatz in Polen - Zeigen Satelliten-Bilder, wo der Nazu-zug steckt? - Historikerin brachte BILD-Reporter auf die Spur
Geteilte Böschung mit auffälligem Bewuchs - Führt diese Furche zu Hitlers Gold-Zug?
Hobbysucher im Goldrausch - So gefährlich ist die Jagd nach dem Nazi-Zug - Minister warnt vor Sprengfallen ++ Anwohner fürchten um ihre Häuser
Der Mann, der das geheimnis lüften kann - Ich habe die Spur zu Hitlers Gold-Zug gefunden
Wem gehören die Schätze aus dem Nazi-Zug?
BILD vor Ort - Was passiert mit Hitlers Gold-Zug?
Ist hier Hitlers Gold-Zug-versteckt? - Nazi-Zug versetzt Experten in Goldrausch - Was steckt alles in Hitlers Zug? - Wem gehören die Schätze aus dem Nazi-Zug? - Mythos Nazi-Schätze - Ich habe die Spur zu Hitlers Gold-Zug gefunden - BILD beantwortet die wichtigsten Fragen zum Schatz-Rätsel

Die Schatzsuche nach dem Nazi-Gold ist für mich wie in Scheiße suchen.

… schreibt Wagner noch. Wäre immerhin geklärt, womit die “Bild”-Zeitung ihre Seiten füllt.

In allen vier Ecken soll Unsinn drin stecken

Die Fußballer des SV Schwerborn spielen und trainieren auf einem merkwürdigen Platz, laut “Bild” und Bild.de befindet sich in dem Erfurter Ortsteil sogar:

Während die Torlinien mit 68,8 Metern gleich lang sind, unterscheiden sich die Seitenlinien des Spielfelds um ganze 13 Meter! Die eine Seite misst 99,3 Meter, die andere 112,3 Meter.

“Was ist denn hier schiefgelaufen?”, fragen die “Bild”-Medien und stellen fest: “Hier stimmt doch was nicht”. Das Verrückteste aber, das die beiden Autorinnen — die noch einmal selbst vor Ort per Geodreieck nachgemessen haben (im Ernst) — herausgefunden haben:

Erstaunlich: Obwohl die Seiten unterschiedlich lang sind, verstoßen sie nicht gegen die Regeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB)! Die geben vor, dass das Spielfeld zwischen 90 und 120 Meter lang und 45 bis 90 Meter breit sein soll.

Leider haben die beiden Expertinnen da aber eine ganz grundsätzliche Regel des DFB (PDF) übersehen:

Das Spielfeld ist rechteckig und wird mit Linien gekennzeichnet.

Und rechteckig kann ein Fußballplatz nur dann sein, wenn die zwei Tor- und die zwei Seitenlinien jeweils gleich lang sind.

Mit Dank an Jannik R.

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