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So schnell wird man in “Bild” zum Putin-Propagandisten

Hatten Sie schon mal einen Gedanken, den vor Ihnen theoretisch auch Wladimir Putin gehabt haben könnte? Also zum Beispiel sowas wie “Hundewelpen, denen es nicht gutgeht, sollten zum Tierarzt gebracht werden”? Dann: Achtung! Sie könnten auf “Putins Fake-News-Kampagne” reingefallen sein.

Auf diesem argumentativen Niveau — zusammengefasst in etwa: wer etwas fordert, das auch die Russen fordern, hilft den Russen bei ihrer Propaganda — bewegt sich dieser Bild.de-Aufmacher (“Bild-plus”-Inhalt) von Donnerstag in weiten Teilen:

Am Freitag berichtete die Print-“Bild” ebenfalls, mit einer leicht abgewandelten Version des Artikels:

Mit “Deutschland” meinen die zwei Autoren Filipp Piatov und Julian Röpcke vornehmlich die Bundesregierung und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. “Das Erste” und das ZDF kritisieren sie, weil diese den Publizisten Michael Lüders in mehrere Talkshows eingeladen haben und somit “den von Russland verbreiteten Fake News eine Bühne” geboten hätten. Lüders sei ein “überführter Fake News-Verbreiter”, schreiben Piatov und Röpcke und stützen sich bei diesem Urteil auch auf Aussagen des türkischen Journalisten Can Dündar. Inzwischen hat sich Dündar noch einmal zu Michael Lüders geäußert und plötzlich wirkt dessen kritisierte Aussage eher wie eine Ungenauigkeit und nicht mehr wie eine glatte Lüge.

Vor allem aber teilt das “Bild”-Autorenduo gegen die Bundesregierung aus. Deutsche Regierungspolitiker würden “den russischen Fake News Vorschub leisten bzw. die deutsche Position ihnen anpassen.” Zum Beispiel Sigmar Gabriel: Der Außenminister forderte zum jüngsten Giftgasangriff in Syrien eine “Untersuchung ohne Behinderungen”. Dass Russland zuvor ebenfalls “eine ‘unabhängige Untersuchung’ des Vorfalls” gefordert hat, reicht Piatov und Röpcke als Beweis, dass “Deutschland auf Putins Fake-News-Kampagne reinfällt”. Weil man auf dieselbe, nicht ganz abwegige Idee wie die Russen kommt, macht man sich in den Augen der beiden “Bild”-Schreiber der Russen-Propaganda verdächtig.

Und das sei nicht nur bei Sigmar Gabriel so. Auch beim früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier seien “russische Fake News auf fruchtbaren Boden” gefallen. Dieses Mal geht es zwar um einen anderen Fall, den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 über der Ukraine, aber um dieselbe “Bild”-Logik: Russland hat damals eine unabhängige Untersuchung gefordert; auch Steinmeier war für eine unabhängige Untersuchung. Und schon sei laut Bild.de einmal mehr bewiesen, dass es eine “Anfälligkeit bestimmter Teile der Bundesregierung für russische Propaganda” gebe.

Piatov und Röpcke kommen nicht auf die Idee, dass es durchaus möglich ist, mit der gleichen Forderung völlig unterschiedliche Dinge bezwecken zu wollen. Dass es dem einen zum Beispiel um wirkliche Aufklärung geht, während der andere nur taktiert, Scheinversprechungen macht und damit hinhalten möchte. Und dass diese Forderungen unabhängig voneinander gestellt werden können. Denkt man die Argumentation der beiden Autoren weiter, könnte man nie mehr Dinge fordern, die Russland bereits gefordert hat, ohne damit zum Russland-Fake-News-Verbreiter zu werden — egal wie sinnvoll die jeweilige Forderung erscheint.

Stattdessen plädieren die zwei “Bild”-Mitarbeiter dafür, sich nach einem derartigen Angriff direkt auf eine Seite zu schlagen, ohne Zweifel und ohne unabhängige Untersuchungen.

“Bild am Sonntag” und die falsche Sekunde beim Anschlag in Dortmund

In der Pressemitteilung, die die Bundesanwaltschaft gestern zur Festnahme des möglichen Attentäters von Dortmund rausgegeben hat, findet man auch einige Informationen zu den Sprengsätzen, die vor elf Tagen neben dem BVB-Mannschaftsbus explodiert waren:

Die drei Sprengsätze waren über eine Länge von 12 Metern in einer Hecke entlang der Fahrstrecke des Mannschaftsbusses angebracht. Die Sprengwirkung der Sprengsätze war auf den Bus ausgerichtet. Die Sprengsätze wurden zeitlich optimal gezündet. Der vordere und der hintere Sprengsatz waren in Bodennähe platziert. Der Mittlere befand sich in einer Höhe von etwa einem Meter. Damit war er zu hoch angebracht, um seine Wirkung voll entfalten zu können.

Auch Bild.de berichtete gestern über diese neuen Erkenntnisse. Die “SEKUNDEN-THEORIE” sei “WIDERLEGT”, schreibt die Redaktion:

Im Text steht unter anderem:

Die Sprengsätze wurden zeitlich optimal gezündet, heißt es in der Mitteilung. Denn zunächst hatte es geheißen, dass die Bomben eine Sekunde zu spät detonierten.

“Zunächst hatte es geheißen”? Wer hat sowas denn verbreitet? Das hier ist die Titelseite der “Bild am Sonntag” vom vergangenen Sonntag:

Der Artikel im Blatt beginnt so:

Es war wohl nur eine Sekunde, die beim Bombenanschlag in Dortmund über Leben und Tod entschieden hat. (…)

Jetzt kommt raus: Es hätte noch viel, viel Schlimmeres passieren können!

Ein Ermittler zu BamS: “Wären die Splitterbomben nur eine Sekunde früher gezündet worden, hätte der Bus eine regelrechte Breitseite bekommen. Es hätte dann bestimmt viele Schwerverletzte und möglicherweise auch Tote gegeben.”

Wer auch immer dieser “Ermittler” ist, den “Bild am Sonntag” da aufgetan hat — er verfügte offenbar über ganz andere Ermittlungsergebnisse als die Bundesanwaltschaft.

Andere Medien und Agenturen griffen die exklusive “BamS”-Titelgeschichte auf und berichteten ebenfalls über die “Sekunde, die beim Bombenanschlag in Dortmund” wohl “über Leben und Tod entschieden hat”. Die “Bild am Sonntag” (Leitspruch: “Immer einen Schritt voraus”) ist ziemlich stolz darauf, die “meist zitierte Sonntagszeitung” (PDF) Deutschlands zu sein.

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an roy für den Hinweis!

Ging es beim Anschlag auf den BVB wirklich um Millionen Euro?

Kein islamistischer Terror, keine Rechtsextremen, keine Linksextremen. Habgier soll das Motiv des Anschlags auf den BVB-Mannschaftsbus vor zehn Tagen gewesen sein. Heute früh wurde ein Mann festgenommen, der die drei Sprengsätze am 11. April in Dortmund gezündet haben soll. Dabei soll es ihm um die Aussicht auf viel Geld gegangen sein — die Bundesanwaltschaft schreibt in einer Pressemitteilung, dass der Tatverdächtige vor dem Anschlag Optionsscheine gekauft habe, mit denen er auf einen fallenden Kurs der BVB-Aktie spekuliert habe. Viele Medien schreiben, dass der Mann dadurch Millionen hätte machen können.

Bei ihrer Jagd nach großen Schlagzeilen mit großen Summen bringen die Redaktionen allerdings Zahlen ins Spiel, an denen es erhebliche Zweifel gibt. Der Ursprung des Übels ist dabei einmal mehr Bild.de:

Die zuständigen sieben Autoren schreiben:

Nach BILD-Recherchen fanden die Ermittler heraus, dass Sergej W. vom Hotel aus online ein Aktienpaket von 15 000 Optionsscheinen für 78 000 Euro kaufte. (…)

Im Falle eines deutlichen Kursverlustes der BVB-Aktie hätte Sergej W. einen Millionengewinn machen können. Nach den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes hätte er einen Gewinn von bis zu 3,9 Millionen Euro erzielt.

Dafür musste die Aktie dramatisch fallen. Und genau das wäre nach einem Anschlag, bei dem ein Teil der Mannschaft schwer verletzt oder sogar getötet worden wäre, vermutlich passiert.

Andere Nachrichtenseiten übernahmen die Kennziffern 15.000 Optionsscheine, 78.000 Euro Einsatz, 3,9 Millionen Euro möglicher Gewinn. “Focus Online” zum Beispiel:

“Der Westen”:

“20 Minuten” aus der Schweiz:

Und viele weitere.

Erstmal zu den 78.000 Euro — wir vermuten, dass die Bild.de-Mitarbeiter durch eine simple Rechnung auf diese Zahl gekommen sind: Sie dürften die 15.000 Optionsscheine, von der die Bundesanwaltschaft berichtet, mit dem Basispreis von 5,20 Euro je Optionsschein multipliziert haben. Macht insgesamt 78.000 Euro.

Das Problem dabei: So funktioniert der Kauf von Optionsscheinen nicht. Man erwirbt die sogenannten Put-Optionsscheine, mit denen man auf fallende Kurse spekulieren kann, nicht zum Basispreis, sondern zu einem Kaufpreis des jeweiligen Optionsscheins. Und der lag bei den Put-Optionen zur BVB-Aktie am Tag des Anschlags bei nur wenigen Cents je Schein.

Die Put-Option zur BVB-Aktie mit dem Basiswert von 5,20 Euro, auf die sich Bild.de bei der 78.000-Euro-Rechnung vermutlich bezieht, hatte am Tag den Anschlags einen Kaufpreis von 0,18 Euro. Die 15.000 Optionsscheine, die der Tatverdächtige gekauft haben soll, haben also nur 2700 Euro gekostet.

Weiter zu den 15.000 Optionsscheinen — vermutlich hat der Verdächtige noch einige mehr gekauft. Sowohl boerse.ard.de (wo Detlev Landmesser übrigens bereits am 12. (!) April im Zusammenhang mit dem Anschlag in Dortmund auf “eine kleine Auffälligkeit aus Börsensicht” hingewiesen hatte) als auch die “Wirtschaftwoche” gehen davon aus, dass mehr Transaktionen getätigt wurden.

Es gibt 23 verschiedene Put-Optionen auf die BVB-Aktie, die man an deutschen Börsen kaufen kann. Sie haben unterschiedliche Basiswerte und unterschiedliche Kaufpreise. Bei insgesamt fünf von ihnen gab es am Tag des Anschlags Aktivitäten an der Frankfurter Börse (was laut Finanzexperten auffällig ist, da Optionsscheine von Privatanlegern in der Regel an der Stuttgarter Börse gehandelt werden):

1) Wertpapierkennnummer DG9CHE
Basiswert: 3,60 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,09 Euro

2) DG7MN5
Basiswert: 4,00 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,019 Euro

3) DGQ1VU
Basiswert: 4,40 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,043 Euro

4) DGM51Y
Basiswert: 4,80 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,12 Euro

5) DGQ1VV
Basiswert: 5,20 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,18 Euro

Der Gesamtkaufpreis für diese 75.000 Optionsscheine liegt bei 6780 Euro.

Einen Tag später gab es ebenfalls an der Frankfurter Börse noch einmal Aktivitäten bei Put-Optionsscheinen zur BVB-Aktie. Wir konnten nicht endgültig klären, ob es sich auch bei ihnen ausschließlich um Käufe — und nicht um Verkäufe — handelt. Sollten es alles Käufe gewesen sein, und sollte für all diese Käufe der nun festgenommene Mann verantwortlich sein, hätte er insgesamt 123.000 Optionsscheine im Wert von 10.218 Euro erworben. Also immer noch weit entfernt von den 78.000 Euro, die Bild.de ins Spiel gebracht hat. Und auch nur ein Bruchteil des 79.000-Euro-Kredits, den der Tatverdächtige laut NRW-Innenminister Ralf Jäger aufgenommen haben soll. Bei süddeutsche.de und “Spiegel Online” ist die Rede von einem 40.000-Euro-Kredit.

Zuletzt noch zu den 3,9 Millionen Euro — konnte der Verdächtige auf so viel Geld hoffen? Höchstwahrscheinlich nicht. Detlev Landmesser schreibt bei boerse.ard.de, dass “der theoretisch maximale Gewinn” bei “gerade mal 276.000 Euro” läge. Dafür hätte der Wert der BVB-Aktie allerdings auf 0 Euro sinken müssen. Wäre er lediglich auf 3 Euro gesunken, hätte der Gewinn nur 96.000 Euro betragen. Die “Wirtschaftswoche” nennt zwar keine konkreten Zahlen, glaubt aber auch nicht, dass der nun festgenommene Mann Millionen hätte verdienen können: Die Annahme, dass sich mit dem Einsatz von einigen Tausend Euro “mithilfe von Put-Optionsscheinen Millionen verdienen lassen”, sei “vollkommen unrealistisch.”

Dazu auch:

Mit Dank an Tobi W. für den Hinweis!

Ein Zwischenruf zur sogenannten “Mutter aller Bomben”

Liebe Medien,

die Amerikaner haben ihre größte konventionelle Bombe mit 8.000 Kilogramm Sprengstoff über Afghanistan abgeworfen. Der erste Einsatz dieser Bombe überhaupt. (In einem Land, in das Bundesinnenminister Thomas de Maizière immer noch abschieben will, weil er es für sicher hält. Aber das nur nebenbei.)

Tut uns bitte in der Berichterstattung den Gefallen und übernehmt nicht gedankenlos die Kriegsrhetorik der US-Streitkräfte: Der Begriff “Mutter aller Bomben” ist testosterondampfende Militär-Poesie und eine unangemessene Trivialisierung und Bagatellisierung eines Kriegsaktes.

Abgesehen davon bringen Mütter nicht den Tod, sondern schenken Leben.

Euer Lorenz Meyer

Medien diffamieren Gewaltopfer

David Dao wurde in den vergangenen Tagen gleich zweimal zum Opfer. Erst zerrten ihn Sicherheitsleute gewaltsam aus einem Flugzeug, dann machten sich Medien über seine Vergangenheit her, ohne dass er selbst irgendeinen Anlass dazu gegeben hätte.

Dao, ein 69-jähriger Arzt aus Kentucky, hatte ein Ticket für den ausgebuchten “United”-Flug 3411, der am Sonntag von Chicago nach Louisville ging. Doch Dao flog nicht mit. “United” wollte eigenen Mitarbeitern Plätze im Flugzeug verschaffen, bat dafür mehrere ausgewählte Passagiere, die Maschine gegen eine Geldzahlung zu verlassen, darunter auch David Dao. Als der sich weigerte, wurden Sicherheitsleute handgreiflich. Handyvideos, auf denen Dao über den Gang des Flugzeugs geschleift wird, gingen um die Welt. Dao musste ins Krankenhaus, es gibt Aufnahmen von ihm, auf denen er aus dem Mund blutet. Ein riesiges PR-Desaster für “United Airlines”.

Doch anstatt sich weiter auf das unfassbare Verhalten der Airline zu konzentrieren, verschoben einige Medien, darunter auch deutsche, ihren Fokus: Auf einmal ging es auch um David Daos Vergangenheit, ein Gerichtsverfahren gegen ihn, den Verlust seiner Zulassung als Arzt.

Damit angefangen hatte die in Kentucky ansässige Zeitung “Louisville Courier-Journal”. Recht schnell nahmen größere Medien die Meldung von Daos früherer Verurteilung auf. In Europa dürfte das Onlineportal des britischen Knallblatts “Daily Mail” zu den Ersten gezählt haben.

Am vergangenen Dienstag stiegen auch Medien aus Deutschland, der Schweiz und Österreich in die Schmierenkampagne gegen ein eigentliches Opfer ein. Bild.de berichtete über Daos “dunkle Vergangenheit”:

Stern.de machte mit:

Das Schweizer Portal blick.ch veröffentlichte einen Artikel:

Genauso derstandard.at aus Österreich:

Allein schon in der Wahl des Themas, das nichts mit dem Vorfall an Bord der “United”-Maschine zu tun hat, steckt der Subtext: Ja, klar, das ist schon ganz schön heftig, was David Dao passiert ist. Aber ein lieber Kerl war er nun auch nicht gerade. Oder etwas stärker zugespitzt: Es hat vielleicht gar nicht mal den Falschen getroffen.

Die Medien, die David Daos “dunkle Vergangenheit” für berichtenswert halten, diskreditieren mit ihren Artikeln ein Opfer einer komplett unnötigen Gewaltanwendung, indem sie einen Fall rauskramen, der über zehn Jahre zurückliegt. Dao hat damals eine Strafe bekommen, die er abgesessen hat. Er ist als Arzt wieder zugelassen. Wäre er wegen Randalierens an Bord eines Flugzeugs verurteilt worden — okay, dann könnte man das in der Berichterstattung vielleicht erwähnen. Stünde er auf einer No-Fly-List — dito. Aber nichts dergleichen ist der Fall. David Dao wurde schlicht per Zufallsprinzip von “United” als einer der Passagiere ausgewählt, die im Flugzeug Platz machen sollten. Er wurde schlecht behandelt. Er hat die Situation am Sonntag nicht selber herbeigeführt. Jetzt muss er aushalten, dass ihn Zeitungen und Onlineportale weltweit diffamieren.

Zwischenzeitlich gab es sogar das Gerücht, dass die Medien beim Wühlen nach früheren Vergehen Informationen über den falschen David Dao veröffentlicht haben. Es gibt nämlich einen anderen Arzt namens David Dao aus New Orleans. Inzwischen scheint allerdings klar zu sein: Immerhin diesen Fehler haben die Redaktionen nicht begangen. Doch es bleibt dabei: Für die Berichterstattung über das Geschehen am vergangenen Sonntag ist es völlig irrelevant, ob David Dao früher etwas Schlimmes getan hat oder nicht — niemand verdient es, so behandelt zu werden.

Bild.de hat das Urteil bereits gesprochen

Die Polizei fahndet aktuell bundesweit nach einem Mann, der in der Nähe von Hannover eine Frau umgebracht haben soll. Soll. Es handelt sich erst einmal nur um einen Tatverdächtigen, einen mutmaßlichen Mörder, endgültig bewiesen ist noch nichts. Und so schreiben die meisten Medien auch, dass die Fahndung nach dem “mutmaßlichen Täter” laufe oder dass ein “Verdächtiger noch flüchtig” sei.

Nur für Bild.de stand bereits gestern Abend fest: Der Gesuchte ist kein mutmaßlicher Mörder, er ist ein “Killer”. Die Tatsachenbehauptung prangte dick und fett auf der Startseite:

Polizei fahndet nach diesem Krankenpfleger - Nach der Pilgerfahrt wurde er zum Killer
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Da die Fahndung öffentlich ist, und die Polizei selbst ein Foto sowie den kompletten Namen des Mannes herausgegeben hat, ist nichts dagegen einzuwenden, dass auch Bild.de diese Informationen verbreitet. Dass die Redaktion aber jemanden zum “Killer” macht, bevor ein Gericht darüber entschieden hat, ob der Verdächtige schuldig ist, oder dieser ein Geständnis abgelegt hat, missachtet die Unschuldsvermutung. Wenn die Mitarbeiter von Bild.de das Gefühl haben, jemand hat ein Verbrechen begangen, dann sprechen sie ihr Urteil. Dass noch nichts bewiesen ist, scheint bei der Suche nach einer klickversprechenden Überschrift irrelevant zu sein.

Heute morgen veröffentlichte das Portal einen weiteren Artikel zu dem Fall. Inhaltlich ist er sehr ähnlich, es gibt kaum etwas Neues. Dieses Mal muss man allerdings ein “Bild plus”-Abo haben, um den Text lesen zu können.

In der zugehörigen Teasergrafik auf der Startseite ist Bild.de etwas vorsichtiger geworden — nun “soll” der Mann “gemordet” haben, hinter dem “Killer” steht ein Fragezeichen:

Kurz danach soll er gemordet haben - Pilgerten diese Frauen mit einem Killer?
(Unkenntlichmachung des Mannes durch uns, Unkenntlichmachug der Frauen durch Bild.de.)

Sowohl für den Artikel von gestern Abend als auch für den von heute gilt übrigens: Einen Zusammenhang zwischen der Pilgerreise des Gesuchten und dem Mord nahe Hannover scheint es nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu geben.

Mit Dank an Tobi für den Hinweis!

Julian Reichelt berichtigt mit falschen Fakten

Am Montagabend lief eine neue Folge “Hart aber fair”. Thema der Sendung: “Giftgas gegen syrische Kinder — werden wir schuldig durch Wegschauen?” Als Talk-Gast mit dabei: “Bild”-Chef-Chef Julian Reichelt. Und der muss, schaut man sich eine Nachbesprechung der Sendung an, einen richtigen guten Job gemacht haben. Denn Reichelt lieferte laut TV-Kritik “erst mal Fakten”. Später habe er einiges geradegerückt. Muss ein guter Mann sein, dieser Reichelt. Von wem stammt noch mal gleich das Doppel-Lob im “Hart aber fair”-Nachgang? Ach, hier: von Julian Reichelts eigenem Portal Bild.de.

Worauf der Bild.de-Autor in seiner Kritik nicht eingeht: Dass sein Chef sich im TV-Studio immer wieder so verhielt, wie sonst nur bei Twitter. Er unterbrach ständig andere Leute, musste von Moderator Frank Plasberg zur Räson gerufen werden, wurde persönlich, fand Aussagen anderer Studiogäste “dumm”.

Fast immer war Ulrich Scholz, ein früherer NATO-Planungsstabsoffizier, Ziel von Reichelts Angriffen — in einem Punkt durchaus zurecht: Scholz konstruierte eine Version des jüngsten Giftgasangriffs in Syrien, die stark an die des Kreml erinnerte, die wiederum in der Sendung durch einen Einspieler von der “Hart aber fair”-Redaktion widerlegt wurde. In einem anderen Punkt war Reichelts, nun ja, Kritik aber völlig unangebracht: Scholz sagte, dass der frühere US-Präsident Bill Clinton 1998 Raketen auf Afghanistan schießen ließ. Das war ein Punkt, bei dem Julian Reichelt mal wieder etwas geraderücken musste. Er sagte:

Ich finde es schon bezeichnend, bei allem, was Sie sagen, wie viele falsche Fakten da drin sind. Es gibt keinen Frieden zwischen Israel und Assad [Anmerkung: Scholz hatte sich zuvor versprochen und anstatt Sadat “Assad” gesagt]. Bill Clinton hat 1998 nicht Afghanistan, sondern den Sudan bombardiert.

Rumms! Endlich sorgt mal einer für Klarheit. Nur: Reichelts Zurechtweisung ist inhaltlich falsch. Die USA haben im August 1998 Ziele im Sudan und in Afghanistan bombardiert. Die “Operation Infinite Reach”, ein Vergeltungsschlag nach Bombenangriffen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania, ist gut dokumentiert.

Später in der Sendung, nachdem das “Hart aber fair”-Team die Sache recherchiert hatte, ergänzte auch Moderator Frank Plasberg, dass Ulrich Scholz mit seiner Aussage zu Bill Clinton Recht hatte. In die TV-Kritik bei Bild.de hat es Julian Reichelts Berichtigung mit falschen Fakten leider nicht geschafft.

Mit Dank an Wolf T. und Sascha W. für die Hinweise!

Bild.de pfeift auf Polizei-Bitte und spekuliert zu Explosionen in Dortmund

Vor dem Champions-League-Spiel des BVB gegen den AS Monaco gab es am Mannschaftsbus der Dortmunder Fußballer offenbar drei Explosionen.

Die Polizei Dortmund bat bei Twitter darum, “Gerüchte und Spekulationen” zu unterlassen:

Dabei richtete sich die Polizei nicht explizit an Medien. Aber warum soll diese Bitte nicht (und gerade auch) für Redaktionen gelten?

Und was machen die Mitarbeiter von Bild.de? Sie pfeifen auf die Bitte der Polizei und spekulieren:

Bomben-Explosion am Dortmund-Bus! Spiel abgesagt! Dortmund-Boss Watzke: 'Sprengstoff-Anschlag auf den Bus. Mannschaft in Schockstarre' - BVB-Spieler Bartra leicht verletzt und auf dem Weg ins Krankenhaus - Polizei bestätigt: Drei Sprengsätze am Mannschaftsbus - Schock nach Bombenattacke: Was steckt hinter dem Anschlag?

In ihrem Artikel “Was steckt hinter dem Anschlag?” rät die Redaktion rum, wie es zu den Explosionen gekommen sein könnte (auf einen Link verzichten wir bewusst — wir wollen die Spekulationen von Bild.de ja nicht noch stärker weiterverbreiten als wir es durch unsere Zusammenfassung sowieso schon tun):

Dortmund unter Schock. Kurz vor Beginn der Champions-League-Partie gegen Monaco wurde der BVB-Mannschaftsbus angegriffen. BILD erklärt, was hinter der Attacke stecken könnte.

… ohne genauere Informationen dazu zu haben. Es sind schlicht Spekulationen: vielleicht sei etwas ferngezündet worden, was “für Erfahrung beim Bau und Auslösen von Sprengsätzen” spräche; vielleicht sei eine Lichtschranke “(wie zum Beispiel beim Anschlag auf Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen)” oder “eine Druckplatte auf der Straße” benutzt worden; vielleicht habe aber auch jemand “die Sprengsätze (zum Beispiel Granaten) von Hand auf den Bus” geworfen. Bild.de weiß nichts und schreibt viel.

Das Portal schließt aus der eigenen Rumraterei, dass viele der Punkte dafür sprächen, dass es sich um ein “Werk von Profis” handele. Das kann natürlich sein. Es kann aber auch ganz anders sein. Unter anderem deswegen bat die Polizei Dortmund, keine Spekulationen zu verbreiten oder — noch schlimmer — sie selbst in die Welt zu setzen. Aber seit wann interessiert die “Bild”-Medien schon, was die Polizei will?

Zuckermelonen, die hupend Muscheln sammeln

Im Dezember vergangenen Jahres, Sie erinnern sich vielleicht, wollte die “Bild”-Zeitung eine “große Debatte um das Frauenbild von Flüchtlingen” anstoßen:

Natürlich haben viele Männer ein schiefes Frauenbild — egal ob Flüchtling, Deutscher oder wasauchimmer. Und die “Bild”-Medien arbeiten mit ihren unzähligen Brüste-Hintern-Schlüpferlos-Artikeln nicht gerade dagegen an. Deswegen wollen wir uns hier im BILDblog immer mal wieder das Frauenbild der “Bild”-Redaktionen anschauen.

Seit der letzten Ausgabe im Januar ist ein bisschen was zusammengekommen. Zum Beispiel dieses lustige Wortspiel in der Bildunterschrift aus der vergangenen Woche über Leila Lowfire und Sophia Thomalla:

Klar, warum nicht einfach mal Frauen mit größeren Brüsten oder tieferem Ausschnitt mit dem Wort “ficken” in Verbindung bringen? Was ziehen die sich auch so aufreizend an?!

***

Bleiben wir bei Sophia Thomalla. Denn um sie handelt es sich bei dieser “fruchtigen Aussicht”:

Bild.de schreibt dazu:

Dann schauen wir mal, wir sehen: schöne Füße, wohlgeformte Beine, flacher Bauch, zwei Kokosnüsse — und zwei Zuckermelonen …

Melonen? Hat hier jemand “Melonen” gesagt?

Wenn man häufiger bei Bild.de vorbeischaut (was keine Empfehlung unsererseits sein soll), bekommt man das Gefühl, dass die Redakteure, die dort arbeiten, an keinem Bikini-Foto vorbeikommen. Wenn irgendwo eine halbwegs prominente Frau zwischen 15 (ja, 15!) und 40 Jahren (oder Liz Hurley) in Bademode auftaucht — zack, ein neuer Artikel bei Bild.de.

***

Oder wenn irgendwo mal ein Millimeter eines Nippels zu sehen ist. Und wenn gerade keine Kokosnuss und auch keine Melone in der Nähe ist, dann geht es dieses Mal eben um “Hupen”:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Und auch sonst veröffentlich Bild.de gern Fotos, bei denen irgendwelche Paparazzi Frauen in den Ausschnitt oder unter den Rock fotografiert haben:

***

Doch zurück ans Wasser. Denn dort kann man Frauen immer noch am besten auf ihr Äußeres reduzieren:




***

Das Frauenbild der “Bild”-Medien begrenzt sich aber nicht nur auf plumpes Titten-Glotzen und Ärsche-Gucken. Es lässt Frauen neben Männern oft klein aussehen. Die Begleitung von Schauspieler Ryan Gosling bei der “Oscar”-Verleihung war für Bild.de nicht “seine Begleitung” oder gar einfach eine “Frau an seiner Seite”, sondern “die heiße Blondine von Ryan”:

Während Casper “Rap-Star” ist, ist Lisa Volz nicht eine Schauspielerin, sondern eine “Schönheit”:

Während Andreas Bourani “Sänger” ist, ist Toni Garrn nicht ein erfolgreiches Model, sondern “Single”:

Und während es völlig zurecht als Problem gesehen wird, wenn Flüchtlinge Frauen als reine Objekte betrachten, soll der Sexismus der “Bild”-Medien Journalismus sein.

Hohl-in-one

Im “Augusta National Golf Club” im US-Bundesstaat Georgia startet morgen eines der bedeutendsten Golfturniere der Welt, das “US Masters”. Unter anderem am Start: Der Deutsche Martin Kaymer, mit dem “Bild” im Vorfeld gesprochen hat. Das Interview kann man heute im Blatt lesen, und die Überschrift hat es durchaus in sich:

'Trump ist ein Geschenk für uns'

Die Bild.de-Mitarbeiter haben daraus einen “Bild plus”-Artikel gemacht, mit der gleichen Titelzeile wie ihre Print-Kollegen:

Deutschlands bester Golfer - Kaymer: 'Trump ist ein Geschenk für uns'

Nanu — Martin Kaymer ein großer Fan der Politik Donald Trumps? Der US-Präsident “ein Geschenk” für die Menschheit? Die Aussage von Martin Kaymer, die die “Bild”-Medien für ihre Schlagzeilen gewählt haben, stammt zwar von dem Golfer. Sie hat allerdings nichts mit Politik zu tun:

Sie spielen einen Großteil des Jahres in den USA. Wie hat sich Amerika unter Präsident Donald Trump verändert?

Kaymer: “Ich bin überrascht, dass die Leute, besonders die, die Trump gewählt haben, jetzt über seine Äußerungen und Handlungen verwundert sind. Er macht das, was er angekündigt hat. Für uns Golfer gibt es allerdings auch noch einen zweiten Donald Trump.”

Was meinen Sie?

Kaymer: “Über den Politiker Trump muss sich jeder seine eigene Meinung bilden. Der Golf-Fan Trump ist jedoch ein Geschenk für unseren Sport. Er hat extrem gute Plätze auf der ganzen Welt gebaut. Was er im Golf anpackt, ist eigentlich immer ein Riesenerfolg.”

Das Problem dabei: Die kompletten Antworten können bei Bild.de nur die Leute lesen, die ein “Bild plus”-Abo haben. Alle anderen sehen lediglich die Überschrift und die ersten paar Zeilen des Textes, aus denen nicht hervorgeht, dass sich Kaymers Aussage bloß auf Golfplätze bezieht.

Weil sich erste empörte Fans meldeten und schrieben, sie werden ihn ab sofort nicht mehr unterstützen, hat sich Martin Kaymer bei Facebook zu der “Bild”-Schlagzeile geäußert:

Hallo zusammen! Nach den ersten Reaktionen auf ein heute erschienenes Interview möchte ich klarstellen, dass ich mich nicht zu politischen Themen in Bezug auf Donald Trump und meiner persönlichen Meinung zu ihm, die sich im übrigen in keinster Weise in diesem Artikel widerspiegelt, geäußert habe und das auch in einem Interview nicht tun werde. Es ging rein um sein Engagement im Golfsport. Bitte lest die ganze Antwort bevor ihr euch eine Meinung bildet und lasst euch nicht von der reißerischen Schlagzeile blenden. Gruß aus Augusta!

Mit Dank an Kiezgolf für den Hinweis!

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