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“Bild” mit Gil Ofarim im “Land der Dichter und Stänker”

Für spießbürgerliche Petzen, die ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger wegen Kleinigkeiten denunzieren, hat die “Bild”-Redaktion nur eines übrig: Verachtung. Im April dieses Jahres schrieb beispielsweise ein “Bild”-Autorenteam:

Screenshot Bild.de - Steuern, Wohnen, Parken - Deutsche sollen ihre Mitbürger verpetzen

Wird Deutschland zur Petzer-Republik? Zum Land der Dichter und Stänker?

Immer neue staatliche und halbstaatliche Petz-Portale und -Apps drängen die Deutschen dazu, ihre Mitbürger anzuschwärzen.

Die “Bild”-Redaktion braucht fürs Anschwärzen hingegen gar keine “staatlichen und halbstaatlichen Petz-Portale und -Apps” – sie hat ja Bild.de:

Screenshot Bild.de - Reifen-Problem nach Lügen-Prozess - Droht Gil Ofarim jetzt neuer Ärger?
(Alle Unkenntlichmachungen der Paparazzi-Fotos in diesem Beitrag durch uns.)

Musiker Gil Ofarim, der Ende November vor Gericht zugegeben hat, einen antisemitischen Vorfall in einem Leipziger Hotel nur erfunden zu haben, soll – Achtung, festhalten – noch keine Winterreifen aufgezogen haben. “Bild” nimmt sich diesem Missstand an:

Freitagmorgen in München. Sänger Gil Ofarim (41) trägt vor dem BILD-Reporter Winterreifen in seinen Mini Cooper, fährt danach zur Werkstatt, um sie wechseln zu lassen. Ganz schön spät im so zugeschneiten Süden, gut zwei Wochen vor Weihnachten.

Aber ist das überhaupt erlaubt bei diesen Winterbedingungen in München? BILD fragte bei der Polizei und einem erfahrenen Rechtsanwalt nach: Droht Ofarim nach dem Lügen-Prozess in Leipzig (Sachsen) jetzt neuer Ärger?

Ja, “ist das überhaupt erlaubt” in der “Petzer-Republik” Deutschland? “Bild” sagt lieber mal der Polizei Bescheid. Und die antwortet:

Polizeisprecher Peter Werthmann zu BILD: “Nachdem es keine generelle Winterreifenpflicht gibt, kommt es im Einzelfall auf die Situation und Witterungsbedingungen an, ob eine Ordnungswidrigkeit (OWi) begangen wurde oder nicht. Also je nach Temperatur, gegebenenfalls Schneefall, Eis auf der Straße etc.“

Vor Ofarims Haustür ist eindeutig eine Eisschicht auf der Straße zu erkennen.

Oha, “eindeutig”! Fall gelöst.

Dass die “Bild”-Leute diesen Winterreifen-Skandal so heldenhaft aufdecken konnten, liegt daran, dass sie Gil Ofarim ganz offensichtlich vor dessen Privatgrundstück auflauern. Das Foto, auf dem Ofarim einen der Reifen schleppt, hat ein für “Bild” tätiger Fotograf geschossen. Mit einer anderen Aufnahme aus derselben Serie hat er es am Samstag sogar auf die “Bild”-Titelseite geschafft:

Ausriss Bild-Titelseite - Erstes Foto nach Skandal-Prozess - Ofarim völlig verändert

Der dazugehörige Artikel “Lügen haben kurze Haare” über das “erste Foto nach Skandal-Prozess in radikal neuem Look” bildet den Auftakt der seitdem laufenden Verfolgungsjagd durch die “Bild”-Medien: Bei Bild.de präsentierte die Redaktion anschließend eine Psychologin, die sich nicht zu blöd war, “Gils neue Gel-Frisur” einer fachlichen Analyse zu unterziehen. “Psychologin knackt Ofarim”, steht in der Dachzeile. Uns fällt in diesem Zusammenhang eher ein anderes Stichwort ein: beknackt.

Es folgte der bereits dargelegte Winterreifen-Skandal. Und gestern dann eine weitere Geschichte auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Gil Ofarim - Plötzlich wieder auf der Bühne

Der “Bild”-Redaktion wurden mehrere Fotos zugespielt (Fotocredit: “PRIVAT”), die Gil Ofarim auf der Bühne der Ballettschule seiner sechsjährigen Tochter zeigen sollen:

Nach BILD-Infos brachte sich Ofarim bei der Generalprobe als Assistent der Ballettlehrerin mit ein, gab den Kindern Tipps und half mit, dass die Inszenierung noch besser gelingt.

Die Redaktion beschreibt im Artikel, mit wem sich Ofarim die Aufführung seiner Tochter angeschaut und wie er sich verhalten haben soll. Alles offenbar zugetragen von Denunzianten Petzen “Bild”-Informanten.

Mit Dank an Thomas W. für den Hinweis!

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“Bild” und “B.Z.” behelligen 14-Jährige, deren fünfjähriger Bruder einen Tag zuvor gestorben ist

Am vergangenen Dienstag ist in Berlin ein fünfjähriger Junge aus dem neunten Stock eines Wohnhauses gefallen und später im Krankenhaus gestorben. Die Polizei geht davon aus, dass das Kind aus dem Fenster geklettert und gefallen ist, und spricht derzeit von einem “tragischen Unfallgeschehen”. Sie ermittelt wegen des Verdachts auf Verletzung der Aufsichtspflicht.

Zwei Tage später, am Donnerstagmorgen, lag das Springer-Blatt “B.Z.” mit dieser Titelseite in Berliner Kiosken, Bäckereien und Tankstellen:

Ausriss der BZ-Titelseite - Junge (5) sah aus dem Fenster nach seiner Mama - Todessturz aus neuntem Stock

Die Unkenntlichmachungen stammen alle von uns. Die “B.Z.” zeigt ein unverpixeltes Foto des Fünfjährigen sowie eine Aufnahme des Wohnhauses. Die Redaktion hat extra das Fenster rot eingekreist, aus dem der Junge gefallen sein soll. Im dazugehörigen Artikel im Blatt nennt sie den Berliner Stadtteil sowie den Namen der Straße, in der das Haus mit auffälliger Fassadenbemalung (ebenfalls zu erkennen) steht. Wer also möchte, sei es nur zum Gaffen oder zum Aufsuchen der Familie, dürfte dank der ausreichend genauen Zielführung der “B.Z.” den Weg zur Wohnung finden.

Das Foto des Jungen, die Aufnahme des Hauses von außen und den Namen der Straße findet man auch bei bz-berlin.de und beim Schwesterportal Bild.de. Dort ist das Fenster des Kinderzimmers zwar nicht rot eingekreist, aber durch die Angabe des Stockwerks dürfte die Suche nach der Wohnung der Familie auch nicht viel länger dauern.

“B.Z.” und Bild.de zeigen aber nicht nur Fotos von außen. Es gibt auch Aufnahmen aus der Wohnung, etwa aus dem Kinderzimmer des verstorbenen Jungen. Noch einmal zur Erinnerung: Am Dienstagmittag ist der Fünfjährige aus dem Fenster gefallen. Am Donnerstagmorgen ist die “B.Z.”-Ausgabe erschienen. Das heißt: Der Fotograf muss die Familie am Mittwoch, gerade mal einen Tag, nachdem das Kind gestorben ist, aufgesucht haben.

Als Urheber der Fotos ist Jörg Bergmann angegeben, ein alter Bekannter im BILDblog. Er scheint derjenige zu sein, der die Familie des verstorbenen Fünfjährigen behelligt hat.

Bergmann ist auch, gemeinsam mit seiner Kollegin Maren Wittge, Autor des Artikels. Die beiden schreiben, dass die Mutter des fünfjährigen Kindes gerade einkaufen gewesen sei, als der Junge aus dem Fenster stürzte. Die 14-jährige Schwester sei zu Hause gewesen. Sie ist es auch, die Bergmann und Wittge dazu gebracht haben, einige Zitate zu geben und ein Foto ihres Bruders zu zeigen. Eine entsprechende Aufnahme hat Bild.de veröffentlicht: Die 14-Jährige ist von hinten zu sehen, sie hält ein Foto ihres Bruders hoch, alles unverpixelt. Als Bildunterschrift ist zu lesen:

Der kleine K[.] stürzte aus dem Fenster eines Berliner Wohnhauses und starb – seine Schwester O[.] trauert mit der Familie um ihren Bruder

Und die Familie trauert nicht nur, sie steht unter Schock, mindestens die Mutter. Das schreiben auch Bergmann und Wittge:

Die Mutter erlitt einen schweren Schock und blieb über Nacht in einer Klinik. Neben den Sanitätern waren auch mehrere Seelsorger am Unfallort und betreuten die Zeugen.

Für Auflage und Klicks haben die Redaktionen von “Bild” und “B.Z.” die Notsituation einer Familie, die gerade ein Kind verloren hat, skrupellos ausgenutzt.

Mit Dank an Felix für den Hinweis!

Wer liest schon “Bild” in Kenia?

Seit vergangenem Donnerstag berichten die “Bild”-Medien intensiv über den Tod einer 32-jährigen Frau in Stuttgart. Der Fall hat einiges, was ihn für eine Boulevardredaktion interessant macht, beispielsweise einen festgenommenen Tatverdächtigen, mit dem das Opfer laut “Bild” eine Affäre gehabt haben soll. Außerdem, und das ist sicher von zentraler Bedeutung, gibt es Fotos – zwei verschiedene Aufnahmen der Frau hat die “Bild”-Redaktion zusammenklauben können. Und die zeigt sie bei jeder Gelegenheit.

Allein bei Bild.de sind mindestens sieben Artikel seit vergangenem Donnerstag erschienen (überwiegend als “Bild-plus”-Artikel, schließlich versucht die “Bild”-Redaktion immer wieder, mit dem Tod von Menschen Abos zu verkaufen). Dazu mehrere große Artikel in der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung beziehungsweise in der “Bild”-Bundesausgabe. Außerdem eine komplette Seite in “Bild am Sonntag”. Und mehrere Push-Nachrichten für alle, die die “Bild”-App auf dem Smartphone haben.

Screenshot Bild.de - Mysteriöser Leichenfund in Schwesternwohnheim - K. wollte nur in die Disco - jetzt ist sie tot
Screenshot Bild.de - Pflegerin (32) vor Disco-Besuch getötet - Mutmaßlicher Killer von K. gefasst
Screenshot Bild.de - Krankenschwester tot in Wohnheim gefunden - Wie kam K.s Killer in Zimmer 1109?
Screenshot Bild.de - Pflege-Schülerin (32) getötet - 39-Jähriger verhaftet - War K.s heimlicher Freund ihr Killer?
Screenshot Bild.de - Pflege-Schülerin (32) in Wohnheim getötet - Entkam K.s Killer durch diese Tür?
Screenshot Bild.de - Pflegeschülerin in Wohnheim getötet - Polizei verhaftet K.s Liebhaber - Wie ihm die Soko Tür auf die Spur kam

Die Verpixelungen oben haben alle wir hinzugefügt – in den “Bild”-Medien sind die Fotos der Frau ohne jegliche Unkenntlichmachung erschienen (lediglich beim letzten Screenshot hat die “Bild”-Redaktion dem Tatverdächtigen einen schmalen Balken über die Augen gelegt). Als Quelle der Aufnahmen ist “Privat” angegeben.

Der Pressekodex des Deutschen Presserats ist bei diesem Thema recht eindeutig. In Richtlinie 8.2 zum “Opferschutz” steht:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Um eine Person des öffentlichen Lebens handelt es sich bei der Frau nicht.

Wir haben bei “Bild” nachgefragt, ob der Redaktion eine Erlaubnis der Familie vorliegt, die Fotos unvepixelt zu zeigen. Und wenn nicht, warum sie es trotzdem tut. Eine Antwort haben wir bislang nicht erhalten.

Sollte keine Erlaubnis der Familie vorliegen, dürfte es auch juristisch gesehen recht klar sein, dass das, was die “Bild”-Redaktion hier macht, nicht in Ordnung ist. Allerdings gilt: wo kein Kläger, da kein Richter. Und so gibt es in diesem Fall noch einen weiteren Umstand, der ihn für die “Bild”-Redaktion besonders interessant machen dürfte: Die getötete Frau stammt aus Kenia. Sie soll allein in Deutschland gewesen sein, ihre Familie befindet sich laut “Bild” in Kenia. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Familienmitglieder mitbekommen, was die “Bild”-Redaktion mit den Fotos alles anstellt.

“Bild” macht, was “Bild” laut “Bild” nicht machen darf

Am Samstagabend meldete die “Bild”-Redaktion per Push-Nachricht die angebliche Schwangerschaft einer prominenten deutschen Frau: “Erstes Kind mit 43!” Im dazugehörigen Bild.de-Artikel findet sich auch diese Passage:

Doch wenn sie wie jetzt das Glück unter ihrem Herzen trägt, können auch sie und ihr Lebensgefährte, ein erfolgreicher Musiker, dessen Namen BILD nicht nennen darf, die Freude wohl nicht für sich behalten.

In der “Bild am Sonntag” fand sich gestern zum selben Thema eine ganz ähnliche Formulierung: “… dessen Namen BamS nicht nennen darf …”.

So viel Zurückhaltung und Selbstreflexion ist bei den “Bild”-Medien überraschend. Und nicht von langer Dauer. Gestern Abend ganz oben auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Schwanger mit 43 - Er ist der Vater
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns)

Im Artikel wird dann tatsächlich der Name des angeblichen Vaters genannt (“so erfährt BILD exklusiv”). Auch die “Bild”-Zeitung nennt in ihrer heutigen Ausgabe den Namen.

Es scheint sich für die Redaktion gelohnt zu haben, das zu machen, was sie laut eigener Aussage gar nicht machen darf. Der Beitrag hinter der “Bild-plus”-Paywall führte gestern Abend die erfolgreichsten Artikel des Bezahlangebots an:

Screenshot Bild.de - Übersicht über die Top Bild-plus-Artikel - ganz oben der Artikel mit der Überschrift Er ist der Vater

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DOCH VERÖFFENTLICHT !!!!!!!!!!!!!!

Es gibt die verschiedensten Varianten: Ein Mensch stirbt, die “Bild”-Redaktion besorgt sich ein Foto der Person, berichtet über den Fall, und die Familie des oder der Verstorbenen wehrt sich juristisch gegen die Berichterstattung. Oder: Ein Mensch stirbt, “Bild” veröffentlicht ein Foto, das aber eine völlig andere Person zeigt, und die beschwert sich anschließend. Oder: Ein Mensch stirbt, “Bild” berichtet, niemand wehrt sich, weil niemand die Nerven und die Kraft dazu aufbringen kann oder weil die möglichen Rechtsmittel nicht bekannt oder zu kostspielig sind oder weil niemand es mitbekommen hat oder auch weil die Familie mit der Berichterstattung einverstanden ist.

Am vergangenen Freitag kam eine neue Variante hinzu, die uns so bisher noch nicht begegnet ist:

Screenshot Bild.de - Nicht veröffentlichen - es folgen vierzehn Ausrufezeichen - Trauer um 41-jährigen Mediziner - Nicht publizieren - Witwe will es nicht - Augsburger Oberarzt stirbt im Kroatien-Urlaub - Bruder sammelt für die Familie spenden - dazu ist ein unverpixeltes Foto des verstorbenen Mannes zu sehen, das wir vor der Veröffentlichung hier im BILDblog unkenntlich gemacht haben

Ein Mann stirbt, “Bild” will berichten und erstellt einen entsprechenden Bild.de-Beitrag, die Witwe macht aber schon vor der Veröffentlichung klar, dass sie damit nicht einverstanden ist, die “Bild”-Redaktion erfährt das ganz offensichtlich auch, und dann wird der Artikel doch veröffentlicht, mit unverpixeltem Foto des Verstorbenen (die Unkenntlichmachung stammt von uns).

Auf unsere Anfrage, warum der Artikel bei Bild.de publiziert wurde, obwohl die Familie des Verstorbenen dies offenbar nicht wollte, antwortete uns eine “Bild”-Sprecherin:

Wie am internen Hinweis in der Überschrift und der Dachzeile zu erkennen, wurde der Artikel versehentlich publiziert. Es handelt sich um einen bedauerlichen Fehler, der sehr schnell bemerkt wurde. Der Artikel war am frühen Morgen des 28. Julis für wenige Minuten online, wurde umgehend depubliziert und seither nicht erneut veröffentlicht.

Zu unseren weiteren Fragen, warum sich der Artikel überhaupt noch im Redaktionssystem befunden hat, obwohl die Witwe sich so deutlich geäußert hatte, ob die “Bild”-Redaktion noch auf irgendeine Entwicklung bei der Geschichte gewartet hat, beispielsweise dass die Frau doch noch einer Veröffentlichung zustimmt, und warum Bild.de ein unverpixeltes Foto des Mannes verwendet hat, bekamen wir keine Antwort.

Mit Dank an Jens L. für den Hinweis!

Ex-“Bild”-Chef mit Pieptönen, Umstrittene Quelle, Hinweisgeber

1. ARD-Sendung über Ex-“Bild”-Chef ist wieder online – aber mit Pieptönen
(tagesspiegel.de, Tobias Mayer)
Der NDR musste eine Ausgabe von “Reschke Fernsehen” über den ehemaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt aus der Mediathek nehmen. Reichelt war juristisch gegen den NDR vorgegangen und das Landgericht Hamburg hatte per Beschluss verschiedene Äußerungen in der Sendung untersagt. Diese ist nun in einer überarbeiteten Fassung wieder abrufbar, mit einer vorangestellten Texttafel: “Diese Version ist eine bearbeitete Fassung. Einige Passagen sind derzeit Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung. Sie sind vorläufig unkenntlich gemacht.”

2. Einigung beim Whistleblower-Gesetz
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 5:51 Minuten)
Mit fast zwei Jahren Verspätung und nach langem Hin und Her könnte in Deutschland bald das Whistleblower-Gesetz in Kraft treten, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht. Johannes Kuhn erklärt im Gespräch mit Antje Allroggen, welche Interessengruppen sich mit ihren jeweiligen Wünschen durchsetzen konnten.
Weiterer Lesetipp: Der Deutsche Journalisten-Verband hält den im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromiss zum Hinweisgeberschutzgesetz für unzureichend (djv.de, Hendrik Zörner).

3. Umstrittene Quelle: Polizei auf Social Media
(verdi.de, Julia Hoffmann)
Auch die Polizei nutzt Social Media für ihre Kommunikation. Ob jedoch Polizei-Accounts als Quellen für Journalistinnen und Journalisten geeignet sind, sei umstritten, da die Polizei ein eigenständiger Akteur in der öffentlichen Meinungsbildung ist. Der Medienwissenschaftler Michael Graßl hat die Kommunikation der Polizei in Sozialen Medien untersucht. Dabei geht es unter anderem um “kanalspezifische Unterschiede, Fehlerkultur und Corporate Influencer”.

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4. Erdogan verfolgt Journalisten auch im Exil
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen fordert ein Ende der systematischen Einschüchterung türkischer Medienschaffender im Exil: “Die Türkei braucht ein neues politisches Klima, das die Rechte von Medienschaffenden und die Pressefreiheit sowohl im Land selber als auch im Ausland respektiert. Wir fordern die künftige Führung der Türkei auf, die seit Jahren anhaltenden, unerträglichen Schikanen gegen türkische Journalistinnen und Journalisten im Exil zu beenden.”

5. Mehr Sichtbarkeit mit LinkedIn – Tipps für Fachjournalist:innen
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Verena Bender, Expertin für “Personal Branding”, betont in einem Interview mit dem “Fachjournalist”, dass Sichtbarkeit in der Medienbranche heute nicht nur für freie Journalistinnen und Journalisten, sondern auch für festangestellte Redakteurinnen und Redakteure unerlässlich ist. Als ausgebildete Journalistin und PR-Managerin hat sie einige Tipps, wie man seine Fachkompetenz mit Hilfe des Netzwerks LinkedIn erfolgreich präsentieren kann.

6. Große Gefühle, gute Geschäfte
(taz.de, Aida Baghernejad)
Buchempfehlungen auf TikTok seien zu einer Macht im Literaturbetrieb geworden, berichtet Aida Baghernejad, aber es gebe auch Arroganz und Hass, vor allem gegen junge Frauen. Baghernejad erklärt das Phänomen, das für die Buchbranche eine Chance sein kann, junge Käuferschichten zu erreichen, aber auch Gefahren birgt.

Wenn “Bild” sämtliche pressethischen Standards einhält

In Dresden wird eine Frau erschlagen. Bild.de zeigt ein unverpixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Eine Einwilligung für eine identifizierbare Abbildung konnte die Redaktion nicht vorlegen.”

In Nürnberg wird ein Mann erschossen. “Bild” und Bild.de zeigen ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Die Identität von Opfern muss laut Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex besonders geschützt werden.”

In Ibbenbüren wird eine Frau mit mehreren Messerstichen getötet. “Bild” und Bild.de zeigen ein unverpixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Das Wissen um die Identität des Opfers ist in der Regel unerheblich. Eine Einwilligung der Angehörigen lag nicht vor, es handelte sich auch nicht um eine Person des öffentlichen Lebens.”

In Stadtallendorf wird eine Frau mit mehreren Messerstichen getötet. “Bild” und Bild.de zeigen ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: Im Artikel “zeigte die Redaktion das Porträt des Opfers, für das offenbar keine Einwilligung der Angehörigen vorlag.”

In Warendorf wird eine Frau getötet. Bild.de zeigt ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Das Bild stammte von der Gedenkseite eines Bestattungsunternehmens. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Veröffentlichung bei BILD.DE lag offenbar nicht vor.”

Der Deutsche Presserat hat vergangene Woche Rügen verteilt: insgesamt 17 Stück, acht allein an “Bild” und Bild.de, davon fünf für “Verstöße gegen den Opferschutz”.

Gestern berichteten die “Bild”-Medien über einen “tödlichen Streit um Vermögen in Hamburg”. In der “Bild”-Bundesausgabe groß auf Seite 6:

Ausriss Bild-Zeitung - Rocker im Vorgarten hingerichtet

Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Tödliche Schießerei in Hamburg - Rocker D. im Vorgarten hingerichtet

Die Verpixelungen oben stammen alle von uns. “Bild” und Bild.de haben die Fotos des Opfers und des Tatverdächtigen, der auch nicht mehr lebt, ohne irgendeine Unkenntlichmachung veröffentlicht.

Wir haben bei “Bild” nachgefragt, ob der Redaktion Einwilligungen der Familien vorliegen, die Fotos ohne Verpixelung zu veröffentlichen. Ein “Bild”-Sprecher antwortete uns: Das Foto des Tatverdächtigen …

wurde uns aus dem direkten familiären Umfeld rechtefrei für unsere Berichterstattung zur Verfügung gestellt.

Leider sagt er nicht, von wem genau. Es könnte die Verlobte des Mannes sein, jedenfalls scheint “Bild” mit ihr gesprochen zu haben, sie wird im Artikel zitiert. Ob das mit Blick auf den Pressekodex für eine Veröffentlichung reichen würde, ist fraglich. In dem eingangs erwähnten Fall aus Nürnberg hatte “Bild” das Foto offenbar von einem Cousin des Opfers erhalten. Das reichte dem Presserat nicht: “Die für eine identifizierbare Berichterstattung notwendige Einwilligung eines nahen Angehörigen konnte die Redaktion nicht vorlegen, lediglich die eines Cousins.” Die Entscheidung des Presserats: “Zustimmung des Cousins zur Verwendung eines Opferfotos reichte nicht aus”.

Doch zurück zum Hamburger Fall. Zur Veröffentlichung des Fotos, das das Opfer zeigt, schreibt der “Bild”-Sprecher: Die Aufnahme sei …

in sozialen Medien mit großer Reichweite öffentlich und dort ebenfalls unverpixelt einsehbar.

Die Argumentation ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Erstmal scheint keine Einwilligung der Familie vorzuliegen, jedenfalls erwähnt der “Bild”-Sprecher sie nicht. Mit der Begründung macht er es sich bemerkenswert einfach: Dass irgendwer irgendwas irgendwo in irgendwelchen “sozialen Medien” postet, soll für “Bild” und Bild.de ein legitimer Grund für eine identifizierende Berichterstattung sein? Und was meint der “Bild”-Sprecher überhaupt, wenn er davon schreibt, das Foto sei “in sozialen Medien mit großer Reichweite öffentlich”?

Die “Bild”-Redaktion gibt selbst an, wo sie das Foto her hat: von der Instagram-Seite eines Hells-Angels-Charters (auch nicht unbedingt die typische “Bild”-Quelle). Dort trauern sie um das verstorbene Mitglied. Der Account hat aktuell 3.172 Follower, der Beitrag mit dem Foto, das sich die “Bild”-Redaktion geschnappt hat, wurde bislang 392 Mal geliket, es gibt 75 Kommentare. Nun ja.

Eine gute halbe Stunde nach der ersten Mail des “Bild”-Sprechers schickt er uns eine zweite. Wir “dürfen bitte noch ergänzen”:

Die Veröffentlichung der Fotos erfolgte unter Einhaltung sämtlicher presserechtlicher und pressethischer Regeln und Standards.

Ob das stimmt, werden wir vermutlich nach der nächsten Sitzung des Deutschen Presserats erfahren.

Zur Rückkehr von Marion Horn

Im November 2019, als klar war, dass Marion Horn den Axel-Springer-Verlag verlassen wird, hatten wir hier im BILDblog einen kritischen Blick auf Horns Schaffen als Chefredakteurin der “Bild am Sonntag” veröffentlicht: Zum Abschied von Marion Horn.

Was von uns als Rückschau auf die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme gedacht war, könnte nun als Vorschau dienen: Gestern wurde bekannt, dass Marion Horn zum Springer-Verlag zurückkehrt, als Vorsitzende der Chefredaktionen der “Bild”-Gruppe. Daher veröffentlichen wir unseren Beitrag von damals unverändert hier noch einmal: Zur Rückkehr von Marion Horn.

***

Marion Horn war nicht mal ein halbes Jahr im Amt, da zeigten sich selbst hartgesottene Islamhasser beeindruckt. So schrieb das Hetzportal “Politically Incorrect” im März 2014 verblüfft:

Ja was ist denn in die BILD am SONNTAG (BamS) gefahren? (…) Gleich zwei mal packt das Springer-Blatt das heiße Thema Islam an – und zwar in einer Deutlichkeit, die es in sich hat.

Schon auf dem Titelblatt prangt die unmissverständliche Headline: “Islam-Rabatt für Jolins Mörder”. Ohne Fragezeichen!

Tatsächlich behauptete die “Bild am Sonntag” gemeinsam mit den anderen “Bild”-Medien ohne Fragezeichen, in Deutschland gebe es einen “Islam-Rabatt”, also mildere Strafen vor Gericht, wenn es sich bei den Straftätern um Muslime handelt.

Titelseite BILD am Sonntag: Islam-Rabatt für Jolns Mörder

In Wahrheit kam eine Studie, die die “Bild”-Medien als vermeintlichen Beleg für den in Deutschland vorherrschenden “Islam-Rabatt” anführten, sogar zum genau gegenteiligen Schluss: Deutsche Strafgerichte würden sogenannte Ehrenmörder “nicht milder als andere Beziehungstäter” behandeln, “sondern sogar strenger.”

Der zweite Artikel in der “Bild am Sonntag”, über den sich “Politically Incorrect” damals so freute, war ein Interview mit einem deutsch-türkischen Schriftsteller – große “BamS”-Überschrift: “‘Islam gehört zu uns wie die Reeperbahn nach Mekka'”.

Fazit der Fremdenfeinde:

“Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze”, sagte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zehn Jahren. Wenn die oben erwähnten Artikel eine intensive und schnörkellose Debatte über die Gefahren des Islam in Deutschland auslösen, könnte die BamS vom heutigen 30. März 2014 eine nicht zu unterschätzende Katalysator-Funktion gehabt haben.

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So ging sie also los, Marion Horns Karriere als Chefredakteurin der “BamS”. Und nun, gut sechs Jahre später, geht sie zu Ende: Wie der Axel-Springer-Verlag in dieser Woche mitteilte, verlässt Horn die “Bild am Sonntag”.

Mit “Kompetenz und Leidenschaft” habe sie als Chefredakteurin “insbesondere die investigative und politische Relevanz von BILD am SONNTAG geprägt”, sagte Springer-Chef Mathias Döpfner.

Werfen wir zum Abschied also einen Blick zurück auf ihr glorreiches Werk.

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Als erste Frau an der Spitze der “BamS”, als bekennende “schlimme Feministin” ging es ihr immer auch darum, ein Zeichen zu setzen: für Frauen, gegen Sexismus. Klischees und stereotype Rollenbilder seien ihr zuwider, sagte sie mal, und dagegen kämpfe sie an:

Wir versuchen bei “BamS”, andere Frauenbilder zu zeigen.

Zum Beispiel solche:

Ein großes Foto in der

Herzogin Kate war im Mai 2014 “dem Wind sei Dank” das Kleid hochgerutscht, wodurch ihr Po entblößt wurde.

Der Windhauch des royalen Helikopters bei der Landung in den australischen Blue Mountains sorgte für diesen kurzen, aber magischen Moment.

Diesem “magischen Moment” widmete die “Bild am Sonntag” unter Feministin Horn fast die ganze letzte Seite.

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Im Juli 2014 veröffentlichte die “BamS” neben den anderen “Bild”-Medien zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die beim Abschuss eines Flugzeuges über der Ukraine ums Leben gekommen waren.

Eine Erlaubnis der Angehörigen hatte die Redaktion nicht eingeholt. Die Veröffentlichung wurde später auch vom Presserat kritisiert.

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Wenige Tage später entschied sich Marion Horn für den Abdruck eines islamfeindlichen Kommentars ihres damaligen Stellvertreters Nicolaus Fest. “Der Islam stört mich immer mehr”, schrieb er darin, ihn störe “die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund”, “die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle” und vieles mehr. Der Islam sei wohl “ein Integrationshindernis”, was man “bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen” solle.

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Nach massiver Kritik verließ Fest die “Bild am Sonntag”. Horn entschuldigte sich mehr oder weniger – und blieb.

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Im Monat darauf verkündete die “Bild am Sonntag” exklusiv, Schauspieler Henning Baum habe das Ende seiner Serie “Der letzte Bulle” bestätigt. Noch am selben Tag teilte sein Management mit, das Zitat in der “BamS” sei frei erfunden.

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Zwei Wochen später berichtete die “Bild am Sonntag” über den Mord an einem 14-jährigen Mädchen und druckte im Artikel ein Foto des vermeintlichen Täters, das die Redaktion bei Facebook geklaut hatte:

Tatsächlich hatte der Abgebildete überhaupt nichts mit der Tat zu tun.

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Im Dezember 2014 fragte die “Bild am Sonntag” empört:

Haben wir nicht alle Lichter am Baum?

Denn in Berlin-Kreuzberg, so die Behauptung der “BamS”, müsse der Weihnachtsmarkt neuerdings “Winterfest” heißen. Auf “dem Altar der politischen Korrektheit” werde “die christliche Tradition geopfert”, insinuierte das Blatt.

In Wahrheit stimmte die Geschichte gar nicht: “Wie die Märkte sich nennen, ist uns total egal”, erklärte das zuständige Bezirksamt auf unsere Nachfrage. Die “Bild am Sonntag” hatte sich das Weihnachtsmarktverbot ausgedacht – und lieferte den besorgten Bürgern und Islamhassern einmal mehr neue Munition.

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Im darauffolgenden Frühjahr berichtete die “BamS”, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft Franz Beckenbauer wegen der WM-Vergabe an Russland und Katar als Zeugen befragen wolle. Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilte auf unsere Nachfrage mit, dass das Quatsch sei. Die Geschichte in der “Bild am Sonntag” sei sogar “mehrfach falsch”. Die Redaktion habe nicht mal bei ihr nachgefragt.

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Im Monat darauf schrieb die “BamS” auf ihrer Titelseite, Angela Merkel habe in Bayreuth einen “Kollaps” erlitten.

Angela Merkel - Kollaps in Bayreuth
Zwei Stunden nach diesen Fotos kippte Merkel um

Die Meldung des angeblichen Schwächeanfalls verbreitete sich rasend schnell, doch kurz darauf brachte die Nachrichtenagentur AFP folgende (wortwörtliche) Breaking News:

Regierungssprecher: Merkel bei Wagner-Festspielen nicht kollabiert – Kein Schwächefall – Stuhl der Kanzlerin brach zusammen

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Im August 2015 wurde in Schleswig-Holstein die Leiche eines Mannes gefunden, der Suizid begangen hatte. Daraufhin bat die Polizei die Medien darum, die Fotos, die sie zur Fahndung veröffentlicht hatte, “aus der Berichterstattung zu nehmen”.

Die “Bild am Sonntag” ignorierte nicht nur die Bitte der Polizei, sondern lieferte möglichen Nachahmern auch gleich noch den genauen Ort des Suizids:

Von dieser Brücke sprang ein Vater in den Tod

(Wenn du selber Probleme hast, depressiv bist oder über Suizid nachdenkst, kansst du dich jederzeit unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 an die TelefonSeelsorge wenden.)

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Anfang 2016 druckte die “Bild am Sonntag” zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die bei einem Zugunglück in Bad Aibling gestorben waren.

Diesen 11 Opfern schuldet ihr die Wahrheit! (dazu 11 Porträtfotos)

Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.

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Wenige Monate später druckte die “Bild am Sonntag” zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die bei einem Anschlag auf ein Einkaufszentrum in München getötet worden waren.

Titelseite der

Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.

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Im September 2016 druckte die “Bild am Sonntag” einen Gastkommentar des Fußballers Arne Friedrich. Der meldete sich kurz darauf bei Twitter zu Wort und erklärte, die Redaktion habe in seinem Kommentar rumgepfuscht. Als Beweis schickte er einen Screenshot seines Originaltextes mit:

Negative Überschrift eingesetzt, Textteile weggelassen, so wird aus positiv plötzlich negativ. @HerthaBSC @bild Daumen-nach-unten-Emoji

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An Ostern 2017, nachdem ein Mann einen Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund verübt hatte, titelte die “Bild am Sonntag”:

Gott sei Dank -BVB-Bomben zündeten eine Sekunde zu spät

Wie sich später herausstellte, war auch diese Geschichte Unsinn. Die Bundesanwaltschaft teilte in einer Pressemitteilung mit, die Sprengsätze seien “zeitlich optimal gezündet” worden.

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Anfang 2018 behauptete die “Bild am Sonntag”:

4 von 5 Flüchtlingen fallen bei Deutsch-Test durch

Doch auch diese Schlagzeile war falsch. Tatsächlich ergab die Statistik, dass nicht “4 von 5 Flüchtlingen” bei ihrem Deutsch-Test durchfallen, sondern dass vier von fünf Flüchtlingen, die Analphabeten sind, nicht das Sprachniveau B1 erreichen. Insgesamt schafften nicht nur 20 Prozent einen Abschluss, wie von “BamS” behauptet, sondern 76 Prozent.

Auch diese falsche Schlagzeile war eine willkommene Vorlage – nicht nur für andere Medien, sondern vor allem für rechte Hetzer.

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Wenige Wochen später schrieb die “Bild am Sonntag”:

Weil Behörde Asylantrag zu spät bearbeitete - 7300 Euro im Monat für Flüchtlingsfamilie

Was in der Überschrift schon mal nicht klar wurde: Dabei handelte es sich nicht um eine drei- oder vierköpfige Familie, sondern um eine Mutter mit neun Kindern. Zudem wurden die 7300 Euro für die zehnköpfige Familie nicht bar ausgezahlt, sondern ein Großteil wurde schon vorher abgezogen, um die Kosten für die Unterbringung in einem Asylwohnheim inklusive aller Nebenkosten zu begleichen. Auch die Dauer der Bearbeitung war entgegen der “BamS”-Behauptung komplett irrelevant. Und auch sonst gab sich die “Bild am Sonntag” große Mühe, in dem Artikel möglichst viel Irreführendes und Falsches unterzubringen.

Tatsächlich hätte jede deutsche Mutter mit neun Kindern im selben Alter als Sozialhilfeempfängerin genauso viel und dieselben Leistungen bekommen wie die Flüchtlingsfamilie. Davon war in der “Bild am Sonntag” allerdings nichts zu lesen.

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Als im Dezember 2018 über die Nachfolge von Angela Merkel an der Spitze der CDU abgestimmt werden sollte, veröffentlichte die “Bild am Sonntag” eine Liste von 1001 Delegierten und verriet, für welchen Kandidaten/welche Kandidatin sie jeweils stimmen würden. Allerdings erklärten daraufhin etliche der angeblich Befragten, sie hätten überhaupt nicht mit der “Bild am Sonntag” gesprochen.



***

Sechs Jahre war Marion Horn Chefredakteurin der “Bild am Sonntag”. Sechs Jahre, in denen ihr Blatt Unwahrheiten in die Welt setzte, Persönlichkeitsrechte verletzte und den Hass gegen den Islam befeuerte. Die Liste ließe sich noch viel weiter fortsetzen, mit Schleichwerbung, geheuchelter Selbstkritik oder politischen Kampagnen.

Oder wie man beim Axel-Springer-Verlag sagt: “Kompetenz und Leidenschaft”.

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Bild.de zeigt Hinrichtung eines Menschen

Wenn auf der Bild.de-Startseite ein Artikel mit der Überschrift “Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein” zu finden ist und in der dazugehörigen Dachzeile steht: “SCHOCKIERENDES VIDEO AUS USA”, dann ist zu befürchten, dass die “Bild”-Redaktion eben dieses Video auch zeigt. Und genau so ist es: Bei Bild.de ist seit gestern zu sehen, wie ein Mensch regelrecht hingerichtet wird (auf jegliche Verlinkungen verzichten wir in diesem Fall bewusst).

Screenshot Bild.de - Schockierendes Video aus den USA - Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns. Mehr dazu weiter unten im Beitrag.)

Am Montag soll in St. Louis ein Mann einen anderen am helllichten Tag auf der Straße erschossen haben. Ein Passant hat einen Teil der Tat mit seiner Handykamera aus kürzerer Distanz, leicht versteckt gefilmt. Dieses Video hat die “Bild”-Redaktion in ihren Artikel eingebettet. Zu Beginn blendet sie einen Warnhinweis ein:

Screenshot Bild.de - Achtung gewaltsame Szenen

Anschließend ist eine Straßenszene zu sehen, in der ein Mann auf dem Bordstein sitzt. Ein anderer steht neben ihm und hantiert mit einer Waffe. Nichts ist verpixelt, nicht das Opfer, nicht der Täter. Nach kurzer Zeit streckt der stehende Mann den Arm aus und richtet die Waffe auf den Kopf des sitzenden Mannes. In diesem Moment friert bei Bild.de das Video ein (dieses Standbild ist auch die Aufnahme, die bei Bild.de auf der Startseite zu sehen ist, und die wir weiter oben unkenntlich gemacht haben). Die Tonspur des Videos läuft hingegen weiter, ein Schuss ist zu hören und die Aussage der filmenden Person: “Oh my God, he just fucking killed him.”

Was nicht in dem Video zu sehen ist, aber aus einem Polizeiprotokoll hervorgeht: Dem Opfer wurde vom Täter zuvor bereits in den Rücken geschossen. Der Mann sitzt völlig wehrlos auf dem Bordstein, während der Täter seine Waffe nachlädt. Es ist eine regelrechte Hinrichtung, die die “Bild”-Redaktion da zeigt. Und sie zeigt sie nicht nur einmal – in dem 1:21 Minuten langen Clip zeigt sie die Szene insgesamt dreimal. Es scheint dabei einzig um Sensationsgier zu gehen.

In einem recht ähnlichen Fall sprach der Deutsche Presserat im September 2020 eine Rüge gegen die “Bild”-Redaktion aus:

Als unangemessene Darstellung von Brutalität und Leid nach Ziffer 11 des Pressekodex beurteilte der Presserat das Video einer Tötungsszene. Unter dem Titel “Mann in New York aus Auto erschossen” zeigte BILD.DE, wie ein Mann beim Überqueren einer Straße erschossen wird und zu Boden fällt. Die Redaktion hatte das Fahndungsvideo vom Twitter-Account der New Yorker Polizei übernommen. Nach Ansicht des Presserats bediente das Video – in dem die Tötung wiederholt gezeigt wurde – reine Sensationsinteressen. Der ursprüngliche Fahndungszweck des Videos hatte in der deutschen Öffentlichkeit keine Bedeutung. Für die Presse gilt bei der Veröffentlichung von Ermittler-Material der Pressekodex, betonte der Beschwerdeausschuss.

Die “Bild”-Redaktion weiß von dieser Kritik, sie hat die Rüge damals unter dem entsprechenden Bild.de-Artikel wie vorgeschrieben veröffentlicht.

Ein Unterscheid zwischen dem aktuellen Video aus St. Louis und dem aus New York, für das Bild.de die Rüge bekommen hat: Während in dem New Yorker Fall das Video nach einem Schnitt auch die Szene nach dem Schuss und damit den Übelebenskampf des Opfers zeigt, friert das Video aus St. Louis bei Bild.de, wie gesagt, direkt vor der Schussabgabe ein. Allerdings sollte man das nicht als Rücksichtnahme auf Opfer und Leser-/Zuschauerschaft und als letztes Fünkchen Anstand der “Bild”-Mitarbeiter deuten. Im Originalvideo, das uns vorliegt, schwenkt die filmende Person genau in diesem Moment weg. Die Redaktion konnte also gar nichts weiter zeigen.

Betr.: “Drogen-Hölle”

Der Fall ist schon traurig und tragisch und schlimm genug: In Hagen soll ein fünfjähriger Junge von seiner Mutter über längere Zeit in einem Zimmer eingeschlossen worden sein. Die Ausstattung des Raums soll lediglich aus einer Matratze und einem Eimer für die Notdurft bestanden haben. Das Kind ist am vergangenen Sonntag aus dem Fenster und auf das Dach des viergeschossigen Hauses geklettert. Dort entdeckten es Nachbarn und alarmierten die Polizei, die den Jungen befreite. Das eingeschaltete Jugendamt nahm ihn daraufhin mit in eine städtische Einrichtung, brachte ihn allerdings am Montag wieder zurück in die Wohnung der Mutter und des Stiefvaters – offenbar aufgrund eines Fehlers. Am Dienstagmorgen ist das Kind dann vom Jugendamt wieder aus der Familie geholt worden.

Wie gesagt: Das alles ist schon schrecklich genug. Die “Bild”-Redaktion aber will es noch etwas schrecklicher haben:

Screenshot Bild.de - Er flüchtete über die Dachrinne vor seinen Eltern - Jugendamt bringt Jungen zurück in die Drogen-Hölle
(Links zu sehen ist ein gemeinsames Foto der Mutter, des Stiefvaters und des Kindes. Mehr zur Unkenntlichmachung des Fotos weiter unten im Text.)

Die “Drogen-Hölle”, von der Bild.de auf der Startseite spricht, soll aus “einigen Cannabispflanzen” bestehen. So steht es im dazugehörigen Artikel. Das erfahren allerdings nur jene, die mit ihrem “Bild-plus”-Abo hinter die Paywall schauen können. In einem weiteren Bild.de-Artikel (ebenfalls nur mit “Bild-plus”-Abo lesbar) wird es konkreter: Es soll sich um “drei Cannabispflanzen” handeln. Das erklärt die “Bild”-Redaktion also zu einer “Drogen-Hölle”. Es ist eine völlig unnötige Übertreibung zu diesem schlimmen Fall, die auch den sowieso schon heftigen Fehler des Jugendamts in der Schlagzeile noch mal heftiger wirken lässt.

Zur Bebilderung des Artikels nutzt Bild.de unter anderem ein gemeinsames Fotos des Jungen, der Mutter und des Stiefvaters. Die Gesichter der Erwachsenen hat die “Bild”-Redaktion verpixelt, den Jungen hat sie komplett mit einer weißen Fläche überdeckt. Die zusätzliche, großflächige Verpixelung stammt von uns. In der Bildunterschrift steht:

[Vorname und abgekürzter Nachname der Mutter] und [Vorname und abgekürzter Nachname des Stiefvaters] mit dem Kind am Tag ihrer Hochzeit. Um ihn zu schützen, nennt BILD den Namen des Jungen nicht

Das ist ja erstmal eine für die “Bild”-Redaktion überraschend weitsichtige Idee. Sie hat sie aber so gut wie gar nicht umgesetzt: Wenn Bild.de die Vornamen der Mutter und des Stiefvaters sowie den abgekürzten Nachnamen nennt und dazu ein Foto der beiden zeigt, auf dem zwar deren Gesichter verpixelt sind, sie aber beispielsweise aufgrund der Statur zumindest für Personen, die das Paar kennen, dennoch identifizierbar sind, dann dürfte diesen Personen auch direkt klar sein, um welches Kind es sich handelt.

Nur die “Bild”-Redaktion geht so vor – in keinem anderen Artikel zu dem Fall, den wir gesehen haben, wird ein Foto der beteiligten Personen gezeigt.

Mit Dank an Sabine P. für den Hinweis!

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