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“Bild” und “B.Z.” behelligen 14-Jährige, deren fünfjähriger Bruder einen Tag zuvor gestorben ist

Am vergangenen Dienstag ist in Berlin ein fünfjähriger Junge aus dem neunten Stock eines Wohnhauses gefallen und später im Krankenhaus gestorben. Die Polizei geht davon aus, dass das Kind aus dem Fenster geklettert und gefallen ist, und spricht derzeit von einem “tragischen Unfallgeschehen”. Sie ermittelt wegen des Verdachts auf Verletzung der Aufsichtspflicht.

Zwei Tage später, am Donnerstagmorgen, lag das Springer-Blatt “B.Z.” mit dieser Titelseite in Berliner Kiosken, Bäckereien und Tankstellen:

Ausriss der BZ-Titelseite - Junge (5) sah aus dem Fenster nach seiner Mama - Todessturz aus neuntem Stock

Die Unkenntlichmachungen stammen alle von uns. Die “B.Z.” zeigt ein unverpixeltes Foto des Fünfjährigen sowie eine Aufnahme des Wohnhauses. Die Redaktion hat extra das Fenster rot eingekreist, aus dem der Junge gefallen sein soll. Im dazugehörigen Artikel im Blatt nennt sie den Berliner Stadtteil sowie den Namen der Straße, in der das Haus mit auffälliger Fassadenbemalung (ebenfalls zu erkennen) steht. Wer also möchte, sei es nur zum Gaffen oder zum Aufsuchen der Familie, dürfte dank der ausreichend genauen Zielführung der “B.Z.” den Weg zur Wohnung finden.

Das Foto des Jungen, die Aufnahme des Hauses von außen und den Namen der Straße findet man auch bei bz-berlin.de und beim Schwesterportal Bild.de. Dort ist das Fenster des Kinderzimmers zwar nicht rot eingekreist, aber durch die Angabe des Stockwerks dürfte die Suche nach der Wohnung der Familie auch nicht viel länger dauern.

“B.Z.” und Bild.de zeigen aber nicht nur Fotos von außen. Es gibt auch Aufnahmen aus der Wohnung, etwa aus dem Kinderzimmer des verstorbenen Jungen. Noch einmal zur Erinnerung: Am Dienstagmittag ist der Fünfjährige aus dem Fenster gefallen. Am Donnerstagmorgen ist die “B.Z.”-Ausgabe erschienen. Das heißt: Der Fotograf muss die Familie am Mittwoch, gerade mal einen Tag, nachdem das Kind gestorben ist, aufgesucht haben.

Als Urheber der Fotos ist Jörg Bergmann angegeben, ein alter Bekannter im BILDblog. Er scheint derjenige zu sein, der die Familie des verstorbenen Fünfjährigen behelligt hat.

Bergmann ist auch, gemeinsam mit seiner Kollegin Maren Wittge, Autor des Artikels. Die beiden schreiben, dass die Mutter des fünfjährigen Kindes gerade einkaufen gewesen sei, als der Junge aus dem Fenster stürzte. Die 14-jährige Schwester sei zu Hause gewesen. Sie ist es auch, die Bergmann und Wittge dazu gebracht haben, einige Zitate zu geben und ein Foto ihres Bruders zu zeigen. Eine entsprechende Aufnahme hat Bild.de veröffentlicht: Die 14-Jährige ist von hinten zu sehen, sie hält ein Foto ihres Bruders hoch, alles unverpixelt. Als Bildunterschrift ist zu lesen:

Der kleine K[.] stürzte aus dem Fenster eines Berliner Wohnhauses und starb – seine Schwester O[.] trauert mit der Familie um ihren Bruder

Und die Familie trauert nicht nur, sie steht unter Schock, mindestens die Mutter. Das schreiben auch Bergmann und Wittge:

Die Mutter erlitt einen schweren Schock und blieb über Nacht in einer Klinik. Neben den Sanitätern waren auch mehrere Seelsorger am Unfallort und betreuten die Zeugen.

Für Auflage und Klicks haben die Redaktionen von “Bild” und “B.Z.” die Notsituation einer Familie, die gerade ein Kind verloren hat, skrupellos ausgenutzt.

Mit Dank an Felix für den Hinweis!

Was erlaubt sich “Bild”?, Macht der Bilder, Youtube löscht “RT Deutsch”

1. Was erlaubt sich “Bild”? Warum ist das nicht allen erlaubt?
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
“Bild TV” hat sich am Wahlabend ausgiebig bei ARD und ZDF bedient, sieht sich dabei jedoch im Recht. Stefan Niggemeier kommentiert: “Für die Dreistigkeit der Übernahme – und die Bigotterie, das als vorgeblicher Kämpfer für das Urheberrecht zu tun – kann man sich nur wünschen, dass die Sache für den Verlag wenigstens halbwegs teuer wird. Zu befürchten ist, dass ARD und ZDF eine entsprechend eindeutige Forderung oder auch ein juristisches Vorgehen gegen ‘Bild’ scheuen werden – um die ohnehin vorhandenen Spannungen nicht weiter anzuheizen.”
Weiterer Lesehinweis: Im “Tagesspiegel” findet Joachim Huber deutliche Worte für die ungenehmigte Übernahme der Inhalte: “Eigener Krawall in Ehren, Schreihälse-TV meinetwegen, aber die Vorstellung, dass mein Rundfunkbeitrag am Ende auf dem Bild-TV-Schirm landet, damit will und werde ich mich nicht anfreunden. Bild TV soll zahlen, was zu zahlen ist, und künftig sein querdenkerisches Programm veranstalten – auf eigene Kosten.”

2. Youtube löscht Konto von RT Deutsch dauerhaft
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Youtube hat die beiden kremlnahen Kanäle “RT DE” und “Der Fehlende Part” abgeschaltet. Dem sei laut Youtube ein Upload-Verbot vorausgegangen: “Bei YouTube gelten seit jeher klare Community-Richtlinien, welche definieren, was auf der Plattform erlaubt ist und was nicht. RT DE hatte einen Strike für das Hochladen von Inhalten erhalten, die unsere Richtlinie gegen Covid Misinformation verletzt haben. Die Folge dafür war eine Suspendierung der Erlaubnis, auf dem Kanal Videos hochzuladen.” Erst als RT versucht habe, dieses Upload-Verbot über einen Ausweichkanal zu umgehen, habe man beide Kanäle stillgelegt.

3. Nemi El-Hassan wird “Quarks” nicht moderieren
(faz.net)
Nach Antisemitismus-Vorwürfen gegen die Journalistin Nemi El-Hassan hat sich der WDR nach einiger Überlegung dazu entschieden, die 28-Jährige die Wissenschaftssendung “Quarks” nicht moderieren zu lassen. Das Problem sei nicht unbedingt ihre Teilnahme an einer Demonstration vor sieben Jahren gewesen (von der sie sich inzwischen distanziert hat), sondern “problematische Likes” von ihr in Sozialen Netzwerken. Womöglich bleibe sie der Sendung jedoch als Autorin erhalten.

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4. Die Macht der Bilder im Wahlkampf
(deutschlandfunk.de, Michael Meyer, Audio: 4:57 Minuten)
Beim Deutschlandfunk geht es um die Suggestivkraft von Bildern in der politischen Kommunikation. Für viele Wahlkampfbeobachter war das Lachen von Unionskandidat Armin Laschet im Hochwassergebiet mitentscheidend für die Wahlniederlage. Doch wie einflussreich sind solche Bilder wirklich? Die Medienwissenschaftlerin Stephanie Geise findet, das Bild sei stark überbewertet worden, immerhin lachten sogar Rettungssanitäter in einer angespannten Situation einmal – einfach nur, um Druck abzulassen. Das Bild des lachenden Laschet sei jedoch auf eine bereits zweifelnde Öffentlichkeit getroffen.

5. Wie Facebook Trauma und Angst verstärkt
(netzpolitik.org, Rahel Lang)
Facebook sammelt Daten, um seinen Nutzerinnen und Nutzern gezielt Werbung anzeigen zu können. Eine Studie der polnischen Panoptykon Foundation in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftler Piotr Sapieżyński zeigt anhand eines konkreten Falls, wie Facebooks Algorithmen Angststörungen und Traumata für Werbezwecke ausnutzen können.
Weiterer Lesehinweis: “Auf Facebook & Co. lassen sich Anzeigen passgenau auf Zielgruppen zuschneiden. Eine Spiegel-Auswertung zeigt: Im Bundestagswahlkampf haben die Parteien davon rege Gebrauch gemacht” – Parteien schalteten Werbung für vier Millionen Euro (spiegel.de).

6. TikTok meldet eine Milliarde aktive Nutzer
(spiegel.de)
Vor vier Jahren hat das chinesische Unternehmen ByteDance seine Videoplattform TikTok gestartet. Nun habe man nach eigenen Angaben die Schwelle von einer Milliarde monatlich aktiven Nutzerinnen und Nutzern überschritten. TikTok ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen beliebt. Im vergangenen Jahr war TikTok die am häufigsten heruntergeladene App.

“Bild”: Enteignung oder Boykott?, Klima-Framing, Obskurer Appell

1. Warum man die BILD enteignen und zerschlagen muss.
(facebook.com/stephan.anpalagan)
Nachdem die “Bild”-Redaktion private WhatsApp-Nachrichten eines Kindes veröffentlicht hatte, dessen Geschwister gerade getötet wurden (BILDblog berichtete), erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Journalisten und Journalistinnen der unterschiedlichsten Medien distanzierten sich von dieser Form der Berichterstattung und bekundeten ihren Abscheu und Ekel. Stephan Anpalagan hat den Glauben an Appelle und an die Wirksamkeit von Rügen verloren: “Diese ‘Zeitung’ ist kaputt. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sie zur Rechenschaft zu zwingen und sie abzustrafen. Die BILD suhlt sich seit ihrer Gründung in ihrem Allmachtswahn und sieht sich keinerlei Kontrolle und Korrektur gegenüber. Wir können uns all diese konsequenzlosen Grenzüberschreitungen nicht länger bieten lassen. Die BILD ist gefährlich. Die BILD bricht. Mit dieser Gesellschaft. Mit den Menschen, die in diesem Land leben. Deshalb muss sie enteignet und zerschlagen werden.”
Weiterer Lesehinweis: “taz”-Medienredakteurin Anne Fromm ruft zum gesellschaftsübergreifenden Boykott des Blatts auf: “Jeder sollte dieses Blatt boykottieren: LeserInnen, indem sie kein Geld dafür ausgeben, JournalistInnen, bei Bild oder Springer, indem sie sich einen anderen Job suchen. Unternehmen, indem sie dort keine Anzeigen schalten, und PolitikerInnen, indem sie dem Blatt keine Interviews mehr geben.”
Auch Tanjev Schultz, der an der Mainzer Universität unter anderem Ethik des Journalismus lehrt, ist entsetzt über das Verhalten der “Bild”-Zeitung im Fall Solingen: “Nicht jeder, der sich mit einem Presseausweis bewaffnet, sollte Journalist genannt werden. Die Kinderschüttler sind eine Schande für den Journalismus.” (t-online.de)

2. Balance zwischen Bildern und Inhalt
(mmm.verdi.de, Felix Koltermann)
Beim Zeitungsmachen kommt der Bebilderung und der Gestaltung der Beiträge eine wichtige Rolle zu. Art-Direktorin Jane Dulfaqar spricht im Interview über das Verhältnis von Fotografie, Design und Journalismus sowie über die Gefahren der Stockfotografie: “Bei Zeitungen, die viel mit Stockfotos arbeiten, sieht man, dass ‘möglichst billig’ die Devise ist. Man findet dann zu ähnlichen Themen immer ähnliche oder gar gleiche Bilder. (…) Das schafft Langeweile, Ununterscheidbarkeit in der eigentlichen Diversität unserer Zeitungslandschaft und generiert letztendlich Interessenlosigkeit an gedruckten Produkten.”
Weiterer Lesehinweis: “Wer als Model für Stockfotos posiert, bekommt wenig Geld, aber manchmal unerwartete Aufmerksamkeit”: Für 80 Euro zur weltweiten Witzfigur (spiegel.de, Daniel Ziegener).

3. Besser übers Klima schreiben
(taz.de, Kai Schöneberg & Torsten Schäfer)
Weil das Sein das Bewusstsein bestimme, gebe sich die “taz” als erstes Medienhaus in Deutschland eine klimagerechte Sprache: “Warum schreiben wir eigentlich Erderwärmung und nicht Erderhitzung? Ist die Idee eines sich kuschelig erwärmenden Planeten nicht viel zu beschönigend, wenn man daran denkt, dass sich Wüsten bilden und Menschen und Tiere wegen der Hitze keine Lebensgrundlagen mehr finden? Wer genauer über die Sprache in der Klimaberichterstattung nachdenkt, kann genauer formulieren.”
Weiterer Lesehinweis: “Der ZDF-Wetterexperte Özden Terli versucht im täglichen Wetterbericht, Fakten über die Klimakrise zu vermitteln. Dafür wird er von Zuschauern massiv angefeindet”: So kämpft ZDF-Wettermoderator Özden Terli gegen die Klimaleugner (tagesspiegel.de, Armin Lehmann).

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4. Toleranz für die Intoleranz?
(sueddeutsche.de, Philipp Bovermann & Felix Stephan)
Die Initiatoren des “Appells für freie Debattenräume” sehen sich auf breiter Front einem angeblichen Denk- und Sprechverbot ausgesetzt: “Absagen, löschen, zensieren: seit einigen Jahren macht sich ein Ungeist breit, der das freie Denken und Sprechen in den Würgegriff nimmt und die Grundlage des freien Austauschs von Ideen und Argumenten untergräbt.” Wer steht hinter dem obskuren Appell? Wer hat ihn unterzeichnet? Und worin liegen die Unterschiede zu einem ähnlichen Schreiben aus den USA? Philipp Bovermann und Felix Stephan haben sich auf die Suche nach Antworten begeben.

5. Tobias Schlegl: Vom Moderator zum Notfallsanitäter
(rnd.de, Nora Lysk)
Tobias Schlegl hatte sich über viele Jahre und einige Zwischenstationen vom Viva- zum ZDF-Moderator der Kultursendung “Aspekte” hochgearbeitet. Für viele überraschend, verabschiedete er sich vor vier Jahren vom Medienbusiness und begann eine Ausbildung zum Notfallsanitäter. Im Interview erzählt Schlegl von seinem Umzug aus dem Fernsehstudio in den Rettungswagen.
Weiterer Hörtipp: In seinem Podcast “Fighting Corona” spricht Schlegl mit den Menschen, die tagtäglich für uns im medizinischen Einsatz sind, ob als Ärztin, Rettungssanitäter oder Altenpflegerin.

6. Trumps Lieblingssender: Was hinter dem Phänomen Fox News steckt
(youtube.com, RND, Matthias Schwarzer, Video: 5:38 Minuten)
“Was ist das für eine merkwürdige Beziehung zwischen einem Nachrichtenmedium und dem US-Präsidenten?” Matthias Schwarzer erklärt in unterhaltsamen fünfeinhalb Minuten auf Youtube, was den Erfolg von Fox News ausmacht: Wie kam es zur Gründung? Wie hält es der Sender mit der Wahrhaftigkeit? Und inwieweit kann das Programm überhaupt als Journalismus bezeichnet werden?
Weiterer Lesehinweis: Der USA-Korrespondent der “Süddeutschen”, Jürgen Schmieder, berichtet über die ehrgeizigen Expansionspläne von Fox News Media und den Einstieg des Unternehmens ins weltweite Streaminggeschäft: Ausweitung der Kampfzone.

Spekulationen zum Täter von Hanau: Warum “Bild live” der letzte Mist ist

Gestern gegen 22 Uhr dringt ein bewaffneter Mann im hessischen Hanau in eine Bar ein und erschießt mehrere Menschen. Dort und an einem weiteren Tatort, zu dem der Täter fährt, sterben neun Personen. Später entdeckt die Polizei in einer Wohnung zwei weitere Leichen: die des Täters und die von dessen Mutter. Die Bundesanwaltschaft soll von einem “Verdacht einer terroristischen Gewalttat” sprechen. Ein Bekennerschreiben spricht dafür, dass es sich bei dem Täter um einen Rassisten handelt.

Gegen 1:30 Uhr startet die erste “Bild live”-Sondersendung zur “Bluttat in Hanau”.

Ein kommentiertes Protokoll.

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Moderator Moritz Wedel sagt zu Beginn der Sendung:

Die Informationen derzeit unübersichtlich. Wir versuchen, das, was wir zur Stunde wissen, für Sie zu dieser späten Stunde zusammenzufassen.

Das Versprechen “was wir zur Stunde wissen” werden er und seine “Bild”-Kollegen in den kommenden knapp 43 Minuten nicht ansatzweise einlösen können.

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“Bild”-Reporter Tobias Bayer ist in Hanau. Er erzählt von seinen Erlebnissen vor Ort. Offenbar hat er ein paar Angehörige der Getöteten belästigt befragt:

Ich habe mit einigen Angehörigen sprechen können. Die Stimmung hier deutlich aggressiv. Man drohte mir, das Handy aus der Hand zu schlagen. Da sind Emotionen im Spiel. Das waren wohl auch Angehörige von mutmaßlich Toten hier. Da muss man das auch, denke ich, verstehen und richtig einordnen können.

Zum “Täterumfeld” sagt er:

Ich habe aus relativ gut unterrichteten Quellen in Hanau hier erfahren — aber ich muss dazu sagen: Das sind nur Spekulationen –, dass es sich hier bei dem Täterumfeld um Russen handeln könnte.

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Moderator Moritz Wedel will wissen: “Beschreib uns das Milieu bitte etwas: Was ist das für ein Stadtteil? Was ist das für eine Straße? Könnte vielleicht das Umfeld dieser Shisha-Bar Schrägstrich Sportsbar auf irgendwelche Motive oder Hintergründe dieser Tat hindeuten?”

Reporter Bayer weiß, dass das, was er nun antwortet “alles nur reine Spekulation” ist — und spekuliert dann wild rum:

Das ist jetzt zu diesem Zeitpunkt alles nur reine Spekulation. Ich habe aber aus mehreren Quellen erfahren, dass es eben bei den Opfern mit ziemlich großer Sicherheit um kurdischstämmige Menschen handeln soll. Das bestätigt auch mein Bild, das ich hier vor Ort sehe. Die Menschen, die hier stehen und weinen. Einige sind zusammengebrochen. Da mussten die Rettungssanitäter noch mal helfen und die Menschen beruhigen. Die Menschen, die ich hier sehe, sind eben vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund, mutmaßlich türkischem, was ich so sprachlich höre: türkische Sprache, aus dem arabischen Sprachraum kommend. Also türkische und kurdische Menschen, die unter den Opfern sein sollen. Und eben es gibt auch Quellen, die behaupten, dass die Täter aus mutmaßlich russischem Umfeld kommen sollen. Es gibt auch Anwohner, aber das halte ich für viel zu früh, zumindest Spekulationen, dass es aus einem sehr rechtsradikalen Milieu eine Tat sein könnte. Einfach aufgrund der Tatsache, dass es um Shisha-Bars geht. Aber ich glaube, das ist viel zu früh, um das einzuordnen.

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“Bild”-Chefreporter Frank Schneider wird zugeschaltet und erzählt, dass man ja noch gar nicht wisse, ob die Angriffe an den zwei Tatorten nacheinander stattfanden oder gleichzeitig. Und er spricht auch von Organisierter Kriminalität. Da hakt Moderator Wedel nach: “Frank, wenn Du jetzt ein bisschen Hanau einschätzen musst: Ist das, Du hast von Organisierter Kriminalität gesprochen, ist das ein Hotspot in der Region?” Das könne er so nicht sagen, antwortet Schneider, speziell was die angegriffenen Bars angeht. Aber:

Wenn jetzt möglicherweise diese Bars von Menschen betrieben werden, die Streit mit anderen haben, oder es geht da um Vormacht, worum auch immer, oder eben Schutzgelderpressung. Es kann ja auch sein, dass die Betreiber der Bars schlicht und ergreifend kein Schutzgeld bezahlen wollten. Das wäre dann natürlich, wie gesagt, eine Qualität, die hat es in Deutschland so noch nicht gegeben. Aber das wären jetzt alles reine Spekulationen.

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Währenddessen blendet die “Bild”-Redaktion ein:

Screenshot Bild live - Möglicherweise zwei Schießereien gelichzeitig

Auch an anderen Stellen in der Sendung fällt der Begriff “Schießerei”. Das ist wahrlich nicht der schlimmste Aspekt an dieser Sondersendung, die die “Bild”-Redaktion zusammengezimmert hat, aber passend ist das Wort nicht.

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“Bild” hat Hanaus Bürgermeister Claus Kaminsky am Telefon. Er sagt:

Meine Aufgabe sehe ich im Moment eher, dafür zu plädieren, dass wir Ruhe und Besonnenheit an den Tag legen. Und auch wildes Spekulieren, in welche Richtung auch immer, hilft uns im Moment überhaupt nicht weiter.

In welche Richtung ein solche Hinweis wohl zielt? Moderator Wedel will dann gleich Informationen zu den Opfern. Kaminsky sagt, dass er lieber verlässliche Informationen der Polizei abwarten will.

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Reporter Tobias Bayer ist wieder dran:

Ich habe mich ein bisschen weiterbewegt. Hier hinter mir sieht man direkt die gelbe Wand. Ich weiß nicht, ob man es im Dunklen so gut erkennen kann. Da ist wohl die Shisha-Bar, um die es gehen soll. Man sieht sogar eine Aufschrift: […]. Eine kleine Leuchtreklame “Open” leuchtet da. Dieses “Open” gilt nun natürlich nicht mehr.

Moderator Moritz Wedel fragt schon wieder: “Was ist das für ein Viertel, für ein Stadtteil dort, wo sich der Tatort befindet?”

Bayer antwortet:

Hanau ist eine relativ beschauliche Stadt in Hessen. Natürlich bekannt auch ein bisschen für die relativ hohe Kriminalität. Ähnlich wie Offenbach oder Darmstadt gibt es hier gewisse Milieus und soziale Schichten hier. Ich würde mal von einer nicht gutbürgerlichen Stadt sprechen, sonder eher eine etwas prekärere Lage vor Ort und in den Stadtteilen eher eine höhere Arbeitslosigkeit und deswegen sozial eine eher schwache Stadt. Aber die Menschen sind trotzdem irritiert, dass das in ihrem Hanau passiert ist.

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“Bild”-Redakteur Florian von Heintze steht im “Bild live”-Studio. Er sagt: “Die Täter oder der Täter, man kann aber von mehreren Tätern wohl ausgehen, sind flüchtig.”

Und:

Es hat sich noch nicht bestätigt, dass es sich bei der Auseinandersetzung oder bei den Angriffen, muss man schon sagen, auf diese Bars um Auseinandersetzungen im kriminellen Milieu gehandelt hat. Es war zunächst auch die Rede von möglichem rechtsextremen Hintergrund. Das ist aber auch alles noch Spekulation. Es verdichten sich allerdings dann doch wohl die Hinweise darauf, dass es eher im kriminellen Milieu sich abspielt das Ganze.

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Nun erzählt wieder Reporter Tobias Bayer über den möglichen Hergang am Tatort, an dem er gerade steht. Seine Ausführungen beendet er mit: “Aber all das bisher unbestätigte Informationen, ganz wichtig, reine Spekulation.”

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Moderator Wedel will wieder über die Hintergründe sprechen:

Tobi, jetzt ist natürlich die Frage: Welche Hintergründe könnten diese Taten haben? Ist es ein Verbrechen im Milieu? Ist es ein Anschlag aus dem rechten Lager? Was glauben oder was fühlen die Menschen zumindest vor Ort? Glauben oder wissen kann man ja zu dieser Stunde wohl kaum sagen, aber was hörst Du so? Das hat ja auch viel damit zu tun, in welchem Milieu sich diese Straße, dieser Bereich der Stadt befindet.

Bayers Antwort:

Es gab hier die Angst, dass es sich um einen rechtsradikalen, einen rechtsextremen Anschlag handeln könnte, weil eben zwei Shisha-Bars oder Bars mit Shisha-Konsum aufgesucht wurden, wo ja vermehrt auch immer Menschen sind mit, muslimische Menschen öfters auch vorzufinden sind. Aber die meisten Spekulationen, die ich bisher wahrnehmen konnte, gehen eher in die Richtung, dass es sich um eine Milieutat handeln könnte. So soll es sich bei den Tätern mutmaßlich um Russen handeln.

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Die Redaktion zeigt ein Video, auf dem Schüsse des Täters zu hören sein sollen. Moderator Wedel mutmaßt, dass dort “offensichtlich Sanitäter” zu sehen sind, und sagt:

Das Ganze noch nicht verifiziert, aber so verbreiten sich die Videos im Netz jetzt nach dieser schrecklichen Tat und geben einen Einblick auf das, was passiert sein könnte in Hanau

Und “Bild” verbreitet mit.

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Der beste, vielleicht einzige journalistische Moment der “Bild live”-Sendung: Auf die Frage, was er zu einem angeblich gefassten Täter berichten kann, antwortet Reporter Tobias Bayer:

Dazu liegen mir momentan noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Der Polizeisprecher ist noch nicht vor Ort, der Pressesprecher der Polizei, der macht sich gerade hier auf den Weg. Und sobald ich den bekommen kann, werde ich das versuchen, dass wir auch mit ihm sprechen können.

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Frank Schneider ist noch mal dran. Moderator Moritz Wedel will von ihm wissen, “in welchem Milieu” sich die Tat abgespielt haben könnte. Schneider:

Ja, wie ich vorhin schon gesagt habe: Das Milieu kann eigentlich nur sein, dass es möglicherweise um Delikte geht im Drogenmilieu oder es geht um Schutzgelderpressung. Was genau die Hintergründe sind, kann man natürlich momentan noch nicht sagen, weil man nicht weiß, was in diesen Bars genau passiert, welche Kundschaft dort verkehrt, was es für Vorfälle vielleicht in jüngster Vergangenheit gab. Das muss man jetzt im Einzelnen klären.

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Das war’s dann auch.

Natürlich ist es leicht, im Nachhinein schlauer zu sein und zu wissen, dass es nicht “Russen” waren, die da geschossen haben; dass es nicht um “Schutzgeld” oder ums “Drogenmilieu” ging; dass man nicht “von mehreren Tätern wohl ausgehen” kann. Es wäre aber auch leicht, nicht so viel zu spekulieren, wenn man noch nicht so schlau ist. Und vor allem wäre das verantwortungsvoll.

Stattdessen aber kritisieren “Bild”-Mitarbeiter wie Paul Ronzheimer die öffentlich-rechtlichen Sender, die den Ereignissen nicht mit Live-Sendungen hinterherhecheln und mit ihrer Breaking-News-Raterei Falschinformationen verbreiten. Auf die Kritik, dass es bei “Bild” lediglich “pure Spekulation zum Tathintergrund im Livestream” gebe und dass das “kein seriöser Journalismus” sei, antwortete Ronzheimer, dass er diesen ganzen, oben protokollierten Murks für eine tolle Sendung hält:

Sehe ich anders, das war eine hochprofessionelle Sendung, u.a. mit Augenzeugen und Live-Interview des Bürgermeisters.

Weist man ihn dann darauf hin, dass seine Redaktion “hochprofessionell” über völlig falsche Tatmotive spekuliert, entgegnet Ronzheimer nur:

BILD war das erste Medieum, das über den rechtsradikalen Hintergrund berichtet hat heute morgen.

Es ist zu befürchten, dass er das tatsächlich für ein gutes Argument hält.

  • Drüben bei “Übermedien” spricht Stefan Niggemeier die Parallelen zur Berichterstattung über eine Mordserie an, die sich später als die Morde des NSU entpuppten. Außerdem hat er einen Worst-of-Zusammenschnitt der “Bild live”-Sendung erstellt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Bild.de erfindet den Rechtsstaat neu

Vor dem Landgericht Neubrandenburg hat heute der Prozess gegen einen Mann begonnen, der seine sechsjährige Stieftochter getötet haben soll. Dem Angeklagten wird Mord durch Unterlassen und Misshandlung von Schutzbefohlenen vorgeworfen. Der Pflichtverteidiger des Mannes sagt, dass sein Mandant die Tat bestreite.

Auch Bild.de berichtet über den ersten Prozesstag und erfindet dabei gleich mal den Rechtsstaat neu:

Was ist geschehen?

Als die Rettungssanitäter am Abend des 12. Januar eintreffen, liegt Leonie (6) tot in der Wohnung der Familie. Später wird klar: Das Kind starb an schweren Kopfverletzungen. Ihr Stiefvater David H. behauptet es handle sich um einen tragischen Unfall. Das muss er Staatsanwaltschaft und Richtern jetzt vor Gericht beweisen.

So grausam die Taten sein mögen, die David H. vorgeworfen werden, gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung. Nicht er muss “Staatsanwaltschaft und Richtern jetzt vor Gericht beweisen”, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe; die Staatsanwaltschaft muss David H. den Mord nachweisen.

Die Richter aus der Bild.de-Redaktion haben ihr Urteil übrigens schon längst auf der Startseite gesprochen:

Screenshot Bild.de - Kleine Leonie (6) von Stiefvater ermordet - Feiger Kinder-Killer zeigt verzweifeltem Vater den Mittelfinger
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Mit Dank an Harald und @unalternativ für die Hinweise!

Nachtrag, 25. September: Mehrere Leserinnen und Leser haben uns darauf hingewiesen, dass der Mittelfinger, den der Angeklagte laut Bild.de dem Vater gezeigt haben soll, ja auch dem Fotografen gegolten haben könnte, dessen Foto die Redaktion verwendet. Und tatsächlich gibt es solche fragwürdigen Interpretationen, bei denen die “Bild”-Medien einen ausgestreckten Mittelfinger etwa als Verhöhnung des Gerichts auslegen, obwohl er vermutlich dem eigenen Fotografen galt.

In diesem Fall dürfte die “Bild”-Darstellung hingegen stimmen. Jedenfalls zeigt ein Video vom Prozessauftakt, das UM.tv bei Facebook gepostet hat, dass der Angeklagte den Mittelfinger zumindest in jene Richtung streckt, in der der Vater des verstorbenen Mädchens sitzt.

Geld machen mit den “dramatischen Bildern einer Rettung”

Zwei 14-jährige Jungen sind am Sonntag auf ein Dach einer S-Bahn-Haltestelle in Neuss geklettert und haben dabei einen Stromschlag erlitten. Der eine wurde dabei leicht verletzt und konnte aus eigener Kraft vom Dach wieder runterklettern, der andere blieb liegen.

Die “Bild”-Zeitung berichtet heute in der Düsseldorf-Ausgabe über den Vorfall (Überschrift: “SCHEISS LEICHTSINN”). Bei Bild.de erschien bereits gestern am späten Abend ein Artikel dazu:

Screenshot Bild.de - Dramatische Bilder einer Rettung in Neuss - Junge (14) erleidet 15000-Volt-Stromschlag - dazu ein Foto, auf dem Sanitäter und Feuerwehrleute zu sehen sind, die um den auf einer Trage liegenden Jungen stehen
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Der Beitrag befinden sich, man sieht es an dem “Bild plus”-Logo, hinter der Bezahlschranke — lesen kann ihn nur, wer ein Abo hat. Wer keins hat, sieht lediglich diese zwei Absätze:

Das Foto zeigt einen Jungen, der flach auf dem Dach des Bahnsteigs einer S-Bahn-Haltestelle in Neuss liegt. Der 14-Jährige hat gerade einen Stromschlag erlitten. Doch die herbeigeeilten Helfer können nicht sofort an ihn heran …

Der Junge und sein Kumpel hatten sich am Sonntagnachmittag in akute Lebensgefahr gebracht. Sehen Sie mit BILDplus die dramatischen Bilder der Rettung.

Na, wollen Sie mal sehen, wie ein 14-Jähriger gerade so noch überlebt und gerettet wird? Da haben wir was für Sie! Bei Bild.de wissen sie, wie man an die Portemonnaies von geifernden Gaffern kommt. Denen bietet die Redaktion dann drei Fotos, die mit diesen Bildunterschriften versehen sind:

Nach dem Stromschlag bleibt der Junge  (14) flach auf dem Dach des Bahnsteigs liegen

Endlich können die Retter zu dem Jungen, er ist sogar ansprechbar

Das schwer verletzte Opfer wird vom Dach geholt

Beide Jungen wurden ins Krankenhaus gebracht, sie sollen sich nicht in Lebensgefahr befinden.

Mit Dank an Janine B. und @unalternativ für die Hinweise!

Die AfD-Gärtner der “Bild”-Zeitung wundern sich über die Frucht-Ernte

Liest man heute den Kommentar von Tanit Koch zur Bundestagswahl und den 12,6 Prozent, die die AfD bekommen hat, könnte man fast meinen, dass die “Bild”-Chefredakteurin in den vergangenen Monaten durchgehend im Urlaub war und nichts davon mitbekommen hat, was in ihrem Blatt so passiert ist.

Ausriss Bild-Zeitung - Überschrift des Koch-Kommentars - Die Früchte der Angst

Koch schreibt:

Für Anstand steht das A in AfD nicht. Dennoch wurde sie gewählt — weil die regierenden Parteien, weil die Kanzlerin Vertrauen verspielt haben. (…)

Angela Merkel ist es nicht gelungen, einer verunsicherten Bevölkerung die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung zu nehmen.

Die Angst davor gab es lange vor der Flüchtlingskrise. Doch man war sich zu fein dafür, sie zu adressieren. Nun hat die AfD die Früchte dieser Angst geerntet.

Es mag stimmen, dass ein Grund für die AfD-Stärke die Schwäche der “regierenden Parteien” ist. Es mag stimmen, dass Angela Merkel Sorgen nicht schmälern konnte. Was aber auch stimmt, und was Tanit Koch nicht mit einer Silbe erwähnt: Die “Bild”-Zeitung hat “die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung” stetig bedient. Um im Bilde zu bleiben: Die fauligen Bäume und dornigen Sträucher, von denen die AfD “die Früchte der Angst” ernten konnte, haben unter anderem Tanit Koch und ihr Team ausgesät, sie haben sie immer wieder gegossen und gepflegt.

Da war zum Beispiel das “Bild”-Wahlprogramm:

Ausriss Bild-Titelseite - Das große BILD-Wahlprogramm - Was sich endlich ändern muss - Rente! Steuern! Sicherheit!

Am 17. Juli, also gut zwei Monate vor der Bundestagswahl, veröffentlichte die Redaktion fast auf einer kompletten Doppelseite eine Sammlung aus 25 “ES KANN DOCH NICHT SEIN”-Punkten:

Ausriss Bild - Übersicht zur Doppelseite mit verschiedenen Wahlprogrammpunkten

Nur ein Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Forderung der Bild zu Asyl/Integration - Es kann doch nicht sein, dass Asylsuchende und Zuwanderer sich nicht nach unseren Regeln richten. Darum gilt in Deutschland ein Burka-Verbot. Frauen und deren Ehemänner, die sich dem Widersetzen, werden mit Bußgeld belegt. Handelt es sich um Touristen, müssen sie umgehend ausreisen. Ein umfassendes Ausweisungsgesetz regelt zudem, welche Straftaten zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen. Fortgesetzter Sozialbetrug führt zur Beendigung eines Asylverfahrens.

Schon die Entscheidung für diesen Wahlkampfpunkt hat nichts mit Aufklärung zu tun, nichts mit dem Nehmen von Sorgen, sondern ist das reine Bedienen von Sorgen durch ein Scheinproblem. Abgesehen von dem Detail, dass es in der Regel nicht um Burkas, sondern um Niqabs geht, betrifft dies wohl wie viele Menschen in Deutschland? Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln sicher ein paar mehr. In der Fußgängerzone in Görlitz vermutlich deutlich weniger. Sind es insgesamt im ganzen Land überhaupt mehr als 1000 Niqab-Trägerinnen? Dank “Bild” sieht es für mehrere Millionen Menschen wenige Wochen vor der Wahl so aus, als gehöre das Thema Burka/Niqab zu den 25 dringendsten der Bundesrepublik.

Dass ein Teil dieser Leute dann an den Laternen AfD-Plakate hängen sieht, auf denen steht “‘Burkas?’ Wir steh’n auf Bikinis.”, und sich denkt “Och, joar, könnte man vielleicht wählen” — völlig abwegig ist das nicht.

Diese Burka-Forderung, dieses ganze “Bild”-Wahlprogramm voller AfD-Positionen war komplett unnötig. Ja, man kann das machen, wenn man ganz rechten Positionen eine Plattform geben, Ressentiment schüren und ein bisschen zündeln will. Aber man muss es nicht. Und vor allem muss man sich dann nicht einen Tag nach der Wahl verblüfft zeigen über 12,6 Prozent. Bei der AfD waren sie im Juli jedenfalls hellauf begeistert von der kostenlosen Wahlwerbung in der immer noch auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands:

Tweet der AfD Bund - Hallo Bild, nahezu alles hier findet sich im AfD-Wahlprogramm
Tweet der AfD Berlin - So schnell kann es gehen: Das Bild-Wahlprogramm liest wie das der AfD. Gut gemacht
Tweet von Uwe Junge - Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!

Das “Bild”-Wahlprogramm war nur ein kleiner Baustein der Berichterstattung, die Uwe Junge, Alexander Gauland, Alice Weidel und all den anderen in die Hände gespielt hat. Seit Jahren — auch schon lange vor Gründung der AfD — trägt die Redaktion dazu bei, dass Positionen wie die der rechtesten Partei im kommenden Bundestag millionenfach an Kiosken liegen. Und häufig basieren die empörten und empörenden Schlagzeilen auch noch auf falschen Fakten. Da war beispielsweise der von einem AfD-Sympathisanten erfundene falsche Flüchtlings-“Sex-Mob”, den “Bild” willfährig aufgriff. Die sechsfach falsche Meldung, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die falsche Geschichte, dass Politiker forderten, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen. Die falsche Information, dass Flüchtlinge in Hamburg problemlos schwarzfahren dürften. Oder das falsche Gerücht, dass Sanitäter des Roten Kreuzes wegen Asylbewerbern nun Schutzwesten anhätten. “Bild” schreibt gegen Muslime, gegen Roma, gegen Griechen, gegen Ausländer, noch mal gegen Muslime, ein weiteres Mal gegen Muslime, gegen Migranten, gegen Muslime. Es sei auch noch mal an den hasserfüllten Kommentar von Nicolaus Fest erinnert, der einst Kulturchef bei “Bild” und bis September 2014 stellvertretender Chefredakteur beim Schwesternblatt “Bild am Sonntag” war und der gestern als Direktkandidat der AfD im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nicht den Einzug in den Bundestag schaffte.

Am 17. Juli dann also das “Bild”-Wahlprogramm. Und auch danach ging es weiter mit der AfD-Förderung durch das Boulevardblatt. Mats Schönauer hat sich bei “Übermedien” durch die vergangenen zwei “Bild”-Monate gewühlt. So sahen die Titelseiten und Überschriften aus:

Collage mit Bild-Schlagzeilen - Mitten in Deutschland Burka-Frau verprügelt Dessous-Verkäuferin - Krankenkassen machen Minus Flüchtlinge kosten 20 Millionen im Monat - Asylbetrug So leicht ist es in Deutschland abzukassieren - Die große Abschiebe-Lüge - 387 Abschiebungen in letzter Minute gestoppt - Das hat der Islam mit Terror zu tun - So viele Flüchtlinge haben keinen Schulabschluss - Und wieder ein Frauenmörder der längst abgeschoben sein müsste - Joggerin vergewaltigt Warum wurde der Täter nicht abgeschoben? - Die Strafakte der abgeschobenen Afghanen - So spaltet die Flüchtlingskrise unser Land

Ich glaube nicht, dass die “Bild”-Redaktion ein Haufen von AfD-Wählern ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Julian Reichelt und Tanit Koch und die meisten anderen “Bild”-Mitarbeiter in ihren Kommentaren öffentlich gegen diese Partei anschreiben und in der Wahlkabine heimlich Kreuze bei ihr machen. Und trotzdem ist die “Bild”-Zeitung ein AfD-Blatt. Mit ihren gewählten Schwerpunkten, mit den Zuspitzungen auf den Titelseiten, mit den verwendeten Begriffen in Überschriften haben Reichelt und Koch und viele ihrer Kollegen die Gesprächsthemen in Büromittagspausen, in Bauwägen und an analogen wie digitalen Stammtischen geprägt. Über die “Burka-Frau” wurde dort diskutiert. Man regte sich über die Bedrohung der Rot-Kreuz-Sanitäter auf. War wütend über schwarzfahrende Flüchtlinge. “Bild” hat nicht direkt für die AfD geworben. “Bild” hat aber den öffentlichen Diskurs im Sinne der AfD vorgegeben.

Tanit Koch und ihre Redaktion titeln heute:

Titelseite der Bild-Zeitung - Der Rechts-Rumms

“Bild” hat kräftig mitgerummst.

Auch mal die andere Seite zeigen

Wenn bei schlimmen Unfällen auf öffentlichen Straßen Feuerwehrleute und Sanitäter anrücken, haben sie in der Regel auch eine oder mehrere Decken dabei. Die halten sie dann als Sichtschutz vor die Verletzten, damit vorbeifahrende Gaffer nicht gaffen und allzu sensationsgeile Fotografen nicht fotografieren können.

Am vergangenen Samstag gab es so einen Unfall in Ruhpolding. Mehrere Kinder wurden beim Überqueren einer Straße von einem Auto angefahren und dabei teilweise sehr schwer verletzt. Die Feuerwehr und die Sanitäter rückten also an, packten auch eine Decke aus und hielten sie vor die Verletzten, während diese vor Ort behandelt wurden.

Und was macht ein Fotograf, der keine Rücksicht auf irgendwas kennt, in so einer Situation? Geht einfach auf die andere Seite der Decke und macht vorn dort aus seine Aufnahmen. Einige Medien haben diese Fotos dann auch noch gebracht.

Bild.de zum Beispiel:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Artikel durch uns.)

Oder “Bild”:

BR.de:

abendzeitung-muenchen.de:

chiemgau24.de:

pnp.de:

Unser Leser Götz Marx hat eine Idee, was beim Anblick der Decke wohl im Kopf des Fotografen vorgegangen sein muss: “Der BILD-Fotograf dachte wohl, die Feuerwehrleute halten die Decke bei den Opfern nur deswegen hoch, damit er nicht gegen die Sonne fotografieren muss!”

Mit Dank an Götz M. für den Hinweis!

Nachtrag, 13. September: Die Redaktion von BR.de hat das Foto inzwischen aus der Galerie entfernt.

Foto-Tumult im Freibad

Vergangene Woche ist im Freibad von Neu Wulmstorf, in der Nähe von Hamburg, ein Mann ertrunken.

Am Rande der letztlich erfolglosen Rettungsaktion der Sanitäter kam es zu Tumulten, wie die “Hamburger Morgenpost” berichtet:

Zwei Journalisten wollen die Hilfskräfte bei dem Wiederbelebungsversuch fotografieren und werden zur Zielscheibe von etwa 30 aufgebrachten Badegästen. Ein Augenzeuge berichtet, dass ein Mann versuchte, die beiden Fotografen zu schlagen und zu würgen.

Anschließend ergriff der Mann die Flucht. Die Journalisten erstatteten nach der Attacke Anzeige gegen Unbekannt, die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung.

Nun ist Schlagen und Würgen sicherlich kein angemessenes, erwachsenes Verhalten, aber das Fotografieren von Schwerverletzten, Sterbenden oder Toten ist ja auch nicht unbedingt besonders ethisch oder feinfühlig.

… womit wir wieder bei der “MoPo” wären, denn neben dem Artikel “Mann ertrinkt – Badegäste gehen auf Journalisten los” hat die noch einen zweiten über den Unglücksfall im Freibad veröffentlicht (“Vorwürfe gegen Bademeister: Ertrunkener Flüchtling konnte nicht schwimmen”), in dem auch diese zutreffende Bildunterschrift vorkommt:

Hier kämpfen Rettungskräfte um das Leben des Mannes. Er wird reanimiert, stirbt jedoch später im Krankenhaus.

Ob das Foto von einem der angegriffenen Journalisten stammt, konnte uns die lokale Polizei nicht sagen, bei mopo.de ist kein Urheber genannt.

Mit Dank an Sebastian S.

Wer Hass sät

“Bild” hat also beschlossen, noch ein wenig im Mittelalter zu verweilen.

So viel offener Hass war noch nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten. (…) BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger!


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

So präsentiert “Bild” heute knapp 40 Kommentare von Facebook (ganz prangermäßig natürlich samt Fotos und Namen der Verfasser). Zum Beispiel von Marco W.:

Verpisst euch aus Deutschland

Oder von Waldemar B.:

An die Wand,mit dem Dreckspack.

Oder von von Silvio B.:

Sind wir nicht alle ein bisschen Nazi

Dazu erklärte “Bild”-Chef Kai Diekmann heute:

Man kriegt Angst, wenn man sich dieser Tage die Nachrichten anschaut. Eine Politikerin, die sich für Flüchtlinge einsetzt in Köln, wird einfach abgestochen, niedergestochen. Da gibt es Demonstrationen, da laufen Leute rum mit selbstgebastelten Galgen, an denen Politiker hängen. Und das alles hat angefangen mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien. Und da gilt einfach, wir sehen es jetzt: Wer Hass sät, der wird Gewalt ernten. Das können wir nicht zulassen, da müssen wir „Halt, Stopp!“ rufen. Da wird ein Klima erzeugt, was wir nicht wollen. Und deshalb ist es richtig, diese Leute, die glauben, hier mit ihrem Gesicht diesen Hass, diesen Rassismus verbreiten zu müssen – die müssen wir an den Pranger stellen.

Die eigentliche Frage lässt er allerdings unbeantwortet: Warum „Bild“ die Hetzer an den Pranger stellt. Was soll das bewirken? Dass die 40 Abgebildeten jetzt stellvertretend für all die Dumpfnasen sozial geächtet, von ihrer Familie verstoßen und von ihrem Boss gefeuert werden? Oder dass sich die rechtschaffenden Leser dazu aufgefordert fühlen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen?

Der Medienanwalt Christian Solmecke hat die Aktion heute stark kritisiert. In einer Pressemitteilung schreibt er, „Bild“ hätte die Fotos und Nachnamen verpixeln müssen:

Unabhängig davon welche Straftat möglicherweise durch ein Bürger begangen wurde, gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Dieses Prinzip gehört zu den fundamentalen Grundlagen unseres Rechtsstaates und wird durch einen solchen undifferenzierten Internetpranger mit Füßen getreten. Hinzukommt, dass die Verfolgung von Straftaten ausschließlich den zuständigen Behörden zukommt. Wer die Namen potentieller Straftäter veröffentlicht, verurteilt diese, bevor die Strafverfolgungsbehörden überhaupt Ermittlungen aufgenommen haben. Dies widerspricht unserem Rechtssystem und greift tief in die Grundrechte der einzeln aufgeführten Personen ein.

Gerade diejenigen, „die zwar moralisch verwerfliche Kommentare von sich geben, jedoch die Grenze der Strafbarkeit noch nicht erreichen“, würden „besonders stark in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt“, schreibt Solmecke. Das Gleiche gelte für jene, die einen ähnlichen Namen tragen „und durch die Berichterstattung nun mit rechtswidrigen Äußerungen in Verbindung gebracht werden“.

Beim Presserat sind schon die ersten Beschwerden eingegangen, was in den Springer-Chefetagen freilich nur für eines sorgte:

Aber zurück zu den Hetzern, also denen bei Facebook.

Angefangen habe alles „mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien“, sagt Kai Diekmann. Aber das ist nicht ganz richtig.

Ab ins Arbeitslager, und die Alte gleich mit !!!

Garnicht erst reinlassen diesen Abshaum
raus aus der EU und die Grenzen wieder dicht !!!

Die Familie sofort abschieben, meine Steuern sind mir zu Schade für solche Menschen, der wird sonst sein Leben lang auf Kosten der anderen leben. Kein Wunder, wenn die Deutschen immer mehr nach rechts rucken, so kann es nicht weitergehn!!!

Diese Hass-Botschaften sind nicht bei Facebook oder Twitter veröffentlicht worden, sondern in der Kommentarspalte von Bild.de. Und sie waren auch nicht der Anfang, sondern eine Reaktion – auf diesen Artikel:

Dass die beiden in Wirklichkeit Deutsche sind, haben die „Bild“-Medien damals natürlich verschwiegen. Dort war nur von „Roma“ die Rede.

Und dieses Pack füttert der Steuerzahler durch, sofort dort hin wo sie hin gehören.
Sehe es auch so, dass später nur krumme Dinger gedreht werden. Haben doch genug von den Romas in Deutschland Der größte Teil ist wie die oben genannte Sippe. Ein Kind nach dem anderen kriegen. Geld kassieren und nicht arbeiten.

Viele solcher Hass-Posts kamen nicht aus dem Nichts. Sie kamen, weil „Bild“ sie provoziert hat.

Das ist unser D E U T S C H L A N D!!!
Wir, das Volk sollte mitbestimmen dürfen, wen wir hier reinlassen oder nicht!
Ich möchte nicht, mit einer S&W Cal .357 schlafen, bzw. jeden Tag draussen rum laufen müssen,
aus Angst wegen ein paar Cent ausgeraubt zu werden!
Aber, ich denke, das ist so gewollt mit der Unterwanderung anderer Völker in Deutschland.
Siehe I. und II.WK!

Ich bin nur noch traurig. Haben diese Richter keine Verantwortung oder Gespür für das deutsche Volk.
Wer hier schreib es gibt keine Menschen erster od. zweiter Klasse gibt, hat eigentlich recht. Mitlerweile komme ich mir, als hier geborener,also echter Inländer, schon vor wie in der dritten Klasse.

[…] jetzt müssen wir noch Rumänen und Bulgaren, die arbeitsscheu sind unterstützen. Für einen Normalverdiener mit Kindern ist es doch jetzt schonj uninteressant in die Arbeit zu gehen. […] Aber für Asylanten und sonstige haben wir scheinbar genug Geld. Armes Deutschland.

Diese Kommentare sind erschienen, weil „Bild“ geschrieben hatte:


Dabei war das nur ein winziger Teil der Wahrheit. Das Urteil bezog sich nämlich nicht nur auf Rumänen und Bulgaren, sondern auf alle EU-Bürger, die in Deutschland leben und keinen Job finden, völlig unabhängig davon, aus welchem EU-Land sie kommen.

Nächstes Beispiel.

Solche Dreckspatzen sollte man verrecken lassen!!!!!!!

Großes Schiff. Care-Paket für die Reise, Bundeswehr“reisebegleiter“ mit genügend Waffen im Anschlag und gute Heimreise. Ganz einfach.
Wer tatsächlich vor Krieg und Tot fliehen MÜSSTE, benimmt sich nicht so , sondern würde vor Dankbarkeit den ganzen Tag arbeiten und fleißig deutsch lernen, um sich möglichst schnell in die Kultur und Gesellschaft einzubringen und anzupassen…!

Gleich eine Injektion aufziehen mit Fentanyl und Dormicum dazu noch ein bißchen Lidocain und fertig..

All das sind Reaktionen auf den „Bild“-Artikel, in dem behauptet wird, Rettungssanitäter in Bautzen müssten jetzt Schutzwesten tragen – „aus Angst vor Attacken im Asyl-Hotel“. Was überhaupt nicht stimmt.

Nächstes Beispiel.

Der deutsche Steuerzahler blecht dafür, dass brutale Ausländer in Deutschland sicher leben können, muss aber damit rechnen, von ihnen verprügelt zu werden!

Ah, nee. Das stammt von „Bild“ selbst.

Diese hier aber …

bekomme ein immer größeren Hass auf den rückständigen sch**** Islam, und das ist auch gut so. Lange lebe PEGIDA. Und Gauck, du Urmel aus dem Eis, gehe dahin wo die Baumwollpflücker leben….over and out.

WIE BESCHEUERT UND VERRÄTERISCH GEBEN SICH DIESE ISLAM-ARSCHKRIECHER NOCH BEI DER ABSCHAFFUNG UNSERER KULTUR UND UNSERER WERTE?!

Und genau darum bin ich dabei, genau darum werde ich im Neuen Jahr weiter argumentieren, mich streiten, mit linkem PACK anlegen, demonstrieren, zum N.A.S.I gemacht, und ich werde es aushalten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und der Gemeinde noch ein schönes Weihnachtsfest !

… sind ebenfalls Reaktionen auf einen zurechtgebogenen „Bild“-Artikel, in dem das Blatt behauptete, Politiker würden „fordern“, dass im christlichen Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder gesungen werden.

Eine Idee, die in Wahrheit von „Bild“ kam, nicht von den Politikern.

Es gibt unzählige solcher Beispiele: Islam-Rabatt, Weihnachtsmarktverbot, Sonne-Mond-und-Sterne-Fest, Schnitzelkrieg, Moslem-Feiertag, Sarrazin, Ehrenmorde, Roma, Griechen, kriminelle Ausländer und so weiter und so weiter. Seit Jahren verschweigen die „Bild“-Medien bei diesen Themen entscheidende Tatsachen, sie verdrehen die Fakten zu knalligen Schlagzeilen, sie tricksen und lügen, sie heizen die Stimmung an, sie säen den Hass, über den sie sich heute empören.

Oder anders:

Mit Dank auch an Saskia K., Geesje R., Thomas R., Christian B. und bluspot.

Siehe auch:

Wie „Bild“ Ausländerfeindlichkeit fördert
Wie „Bild“ den Hass gegen Flüchtlinge schürt
„BILD lässt Vorurteile wachsen“

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