Suchergebnisse für ‘Ausländer’

Hauptsache motzen

Die Journalistin Verena Mayer musste, als sie in der Zürcher Kronenhalle für 25 Franken einen kleinen Salat aß, mitansehen, wie am Nachbartisch die Rechnung beglichen wurde:

Sie betrug – ungelogen – 3489 Franken.

Das ist eines der Beispiele, mit denen sie im “Tagesspiegel”-Artikel “Das Leben ist schön teuer” klar zu machen versucht, wie teuer das Leben in Zürich ist.

Die Schweizer Boulevardzeitung “Blick am Abend” mochte das nicht auf sich sitzen lassen und konterte am Mittwoch mit einer Replik. Unter dem Titel “Gekommen um zu motzen” versuchen die Redakteure, Mayers Beispiele zu entkräften. Dafür nahmen sie sich fast eine Doppelseite Platz, die von einem Foto einer deutschen Flagge dominiert ist (PDF-Datei, Seiten 2 und 3):

Gekommen um zu motzen

In der Einführung zum Text heißt es:

Die deutsche Journalistin Verena Mayer lebt in Zürich und kritisiert im deutschen "Tagesspiegel" das teure Leben – wir relativieren.

Auch wenn die “motzenden” Deutschen mittlerweile zu den größten Gruppen von Ausländern in der Schweiz zählen: Verena Mayer ist Österreicherin, wie ein kurzes Anwerfen einer Suchmaschine in den ersten Resultaten verraten hätte. Immerhin, der “Tagesspiegel” ist tatsächlich aus Berlin.

WAZ  

Ebony And Irony

Die Hälfte der neuen Ärzte in Westfalen-Lippe sind Ausländer.

Die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” (“WAZ”) hat in ihrer Hattinger Lokalausgabe deswegen heute den Gastbeitrag eines Mediziners veröffentlicht, der als Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum lehrt.

Der Text liefert ein paar Hintergründe, stellt ein paar Zahlen zum Vergleich nebeneinander und erklärt, was entscheidend sei: die “Einsicht aller Beteiligten in die Relativität der eigenen Kulturstandards, Werte und Normen”. Er schließt mit den Worten, Hattingen stelle seine Weltoffenheit unter Beweis.

Das unterscheidet Hattingen von den Überschriftenmachern der “WAZ”:

Schwarze Männer in weißen Kitteln

Mit Dank an Sarina S.

Nachtrag, 20.30 Uhr: In ihrem Internetportal “Der Westen” hat die “WAZ” die Überschrift zu einem unverfänglicheren “Ärzte aus aller Welt” abgeändert.

Adressenhandel, Frauenquote, Imperium

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Bild-Zeitung zerstört Europa”
(handelsblatt.com, Marek Dutschke)
Marek Dutschke über “Bild” und Europa: “Hierzulande wird uns ständig gesagt, insbesondere von der Bild-Zeitung, dass die Menschen in Griechenland, Irland, Spanien, Italien und Portugal nicht genug arbeiten, zu viel Geld ausgeben und deshalb selbst an ihrer verzweifelten Lage schuld sind. Die sollen erstmal lernen, richtig zu arbeiten und ordentlich zu sparen. Diese Narrative ist unverantwortlich und schlichtweg falsch. Nebenbei bedient sie gängige Klischees über faule Südeuropäer, die nur in der Sonne liegen.”

2. “Heiopei der Woche: Hartlap und die Ultra-Geiselnehmer”
(publikative.org, Andrej Reisin)
Was Detlef Hartlap, Chefredakteur der 50 Tageszeitungen beiliegenden Fernsehzeitschrift “Prisma”, über Ultras schreibt und wie er Zitate verkürzt.

3. “Ich fordere nichts von Männern. Was ich stattdessen tue.”
(antjeschrupp.com)
Antje Schrupp meldet sich auf die Forderung einer Frauenquote in deutschen Redaktionen: “Ich fordere von Chefredakteuren, Intendanten und Verlegern rein gar nichts. Ich glaube nämlich nicht, dass sie in der Lage sind, gesellschaftliche Probleme zu lösen oder dass sie dazu beitragen können, meinen Wunsch nach einer Welt mit mehr öffentlichem Einfluss von Frauen zu verwirklichen. Ich fordere von ihnen nichts, sondern ich trage mit ihnen einen politischen Konflikt aus. In diesem Konflikt bin ich die Handelnde, nicht die Bittende.” Siehe dazu auch Torsten Haeffner auf medienwoche.ch: “Hätten Frauen das Recht, Quoten im Journalismus oder in anderen Berufen durchzusetzen, dann stünde das gleiche Recht auch beispielsweise Ausländern, Christen, Muslimen etc. zu.”

4. “Adressenhandel in Deutschland: Die Privilegierten”
(gutjahr.biz)
Richard Gutjahr fragt: Warum liest man in deutschen Medien so selten Artikel zum Thema Adresshandel Deutscher Firmen? “Die Antwort ist so primitiv wie einfach: Weil die deutschen Medienhäuser selbst Teil dieses Systems sind. Das Kundenregister des größten Datenhändlers des Landes liest sich wie das Who-is-Who der deutschen Medienszene.”

5. “Christian Kracht: Imperium”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig bespricht das neue Buch von Christian Kracht und fasst die Debatte darüber zusammen: “Hyperaktive Zeitgenossen, die mit moralinsaurem Betroffenheitsgeifer Literaturkritik immer mehr zur Literatenkritik verkommen lassen. Und dann diejenigen, die sich im Gegenzug mit der übertriebenen Lobhudelei dieses eher mittelmäßigen Büchleins als Salon-Avantgardisten billig profilieren können. Beide Seiten missbrauchen den Gegenstand ihrer Betrachtung für ihre schnöde Selbstdarstellung. Das Buch wird gut verkauft werden und Christian Kracht vermutlich bis auf alle Zeiten ein Attribut wie ‘umstritten’ oder ‘problematisch’ bekommen. Damit zieht dann die Karawane weiter. Bis zum nächsten Skandal. Es ist zum Kotzen.”

6. “Ich habe lang E-Mails ausgedruckt”
(taz.de, Frédéric Valin)
CSU-Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl erklärt, wie und warum sie im Netz zu einem “Spiegel”-Artikel über sie Stellung genommen hat.

Offenbarungseid, Südsudan, Latzhosen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Unverzichtbare Lichtgestalten”
(carta.info, Vera Bunse)
Vera Bunse über die Neigung der Medien zur Personalisierung im Politikjournalismus. Selbst wenn sich neue Kräfte wie die Piratenpartei explizit dagegen wehren, versuchen die Medien, sie in die bestehenden Verhältnisse zu pressen: “Journalisten hätten auf die Neulinge mit neugierigen und interessanten Fragen reagieren können. (…) Stattdessen gab es aufgeregtes Geschnatter über Latzhosen und Palitücher, die Unkenntnis der Höhe der Verschuldung des Landes Berlin und die Tatsache, dass dank der lustigen Rampensau Christopher Lauer tatsächlich in einer Talkshow gelacht wurde.”

2. “Keine Angst: wir sprechen Deutsch!”
(publikative.org, Sheila Mysorekar)
“Jeder fünfte Mensch in diesem Land hat Migrationshintergrund, aber nur jeder 50. Journalist”, stellt Sheila Mysorekar fest. “Und Ausländer sprechen halt kein Deutsch, das weiß ja jeder. Im Laufe meines Lebens ist mir buchstäblich schon Tausende Male gesagt worden: ‘Sie sprechen aber gut Deutsch!’ Darauf antworte ich gerne: ‘Ich wünschte, ich könnte das auch von Ihnen behaupten!'”

3. “Die Doppelmoral der Medien in der Wulff-Affäre”
(danielflorian.de, Ulrich Hottelet)
Ulrich Hottelet erinnert daran, dass Anfang Januar im Südsudan mehr als 3000 Menschen getötet wurden. “Ein derart hoher Verlust von Menschenleben verursachte in den Medien und in der Öffentlichkeit nicht einmal den Bruchteil des Furors, den die Umstände eines Hauskaufs in Niedersachsen hervorgerufen haben. Da ist die Frage nach den Maßstäben, die in der Bewertung angelegt werden, überfällig.”

4. “Verdrehte Welt”
(freitag.de)
Sieben Kulturschaffende leisten Offenbarungseide. Nicht nur die Politik werde vom Geld regiert, auch der Kulturbetrieb sei “natürlich verführbar”.

5. “The Washington Post tries a new weapon to fight the trolls: humans”
(niemanlab.org, Andrew Phelps, englisch)
Journalisten, die sich einbringen in den Kommentarspalten der eigenen Artikel: “By getting involved, reporters can also help fend off rumors, speculation, and flame wars.”

6. “Interview with a hoaxster: How I fooled the Daily Mail with fake pic”
(poynter.org, Craig Silverman, englisch)
Craig Silverman befragt Jody Kirton, der zu einer Falschmeldung beigetragen hat: “I don’t have any regrets in doing this, I feel it has proved how a joke between friends can make national news almost!”

Bild  

Auf einem Auge blind

Hans-Hermann Tiedje klang am Freitag empört:

Linker Terrorismus — Was denn sonst?Es existiert da bei manchen offenbar Nachsicht bei Motiven von links, weil: Eigentlich meinen die Täter es ja irgendwie doch gut.

Wenn jetzt Linksextremisten durch Brandanschläge bei der Bahn Hunderte von Menschenleben gefährden, dann wird schon wieder um Worte gerungen.

Es wird Tiedje, den früheren “Bild”-Chefredakteur, wurmen, dass nicht einmal der Chef des Bundeskriminalamts bereit ist, angesichts der Brandanschläge auf Strecken der Deutsche Bahn von “Terrorismus” zu sprechen.

Tiedje selbst hingegen ist ein Freund klarer Worte, wie er schon zu Beginn seines Kommentars deutlich machte:

Wenn Neonazis Ausländer verprügeln, ist das dann schlicht nur Ausländerhass? Nein, es ist Terror, und zwar Terror gegen Menschen.

Hoyerswerda, Solingen, Oktoberfest 1980: alles Fälle von rechtem Terrorismus. Und jeder benennt es so, schon im Rückblick auf die Nazizeit.

Wenn wir den (bis heute nicht wirklich aufgeklärten) Bombenanschlag auf das Oktoberfest 1980 mal außen vor lassen: Es gibt wenig Hinweise darauf, dass im Zusammenhang mit den Ausschreitungen von Hoyerswerda und dem Mordanschlag von Solingen irgendjemand von “Terrorismus” gesprochen hätte.

Im Gegenteil, wie diese AP-Meldung vom November 1991 zeigt:

Für Generalbundesanwalt Alexander von Stahl sind die Anschläge auf Ausländer kein Terrorismus. Zwar habe der Rechtsextremismus zugenommen, sagte er am Donnerstag abend in Hamburg vor dem Übersee-Club. Aber es lägen bisher keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, daß die mittlerweile über 300 Brandanschläge auf Unterkünfte von Asylbewerbern und andere Ausländern durch terroristische Vereinigungen gesteuert würden oder daß sich terroristische Strukturen gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gebildet hätten. Der Rechtsterrorismus sei “keine aktuell erkennbare Gefährdung”.

Wenn Tiedje heute behauptet, “jeder” spreche im Zusammenhang mit diesen Ereignissen von “rechtem Terrorismus” (“schon im Rückblick auf die Nazizeit”), dann ist diese Behauptung mindestens gewagt. Oder auch geschichtsklitternd.

Einige Beobachter haben übrigens die “Bild”-Zeitung für die aufgeheizte Stimmung gegenüber Asylanten und Ausländern in Deutschland mitverantwortlich gemacht. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hatte schon im September 1991 die Berichterstattung von “Bild” scharf kritisiert. Im April 1992 titelte die Zeitung: “Die Flut steigt – wann sinkt das Boot? Fast jede Minute ein neuer Asylant”.

(Co-)Chefredakteur von “Bild” war damals Hans-Hermann Tiedje.

Mit Dank auch an Robert W.

Vorzeitiger Mutmaßungserguss

Auf der Online-Hetzplattform “Politically Incorrect” stand gestern naturgemäß schnell fest, wer hinter dem Bombenattentat in Oslo und dem Amoklauf auf der Insel Utøya steckt:

Warum bombt Islam ausgerechnet in Oslo? Sieben Tote sind bisher beim Anschlag in Oslo heute bestätigt. Zugegebenermaßen steht (21.40 Uhr) noch gar nicht fest, ob es der Islam war, der heute in Oslo und Umgebung gebombt und geschossen hat, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch.

Doch die Islamhasser von “PI” sind leider nicht die einzigen, die voreilig Islamisten hinter den Anschlägen vermuteten. Obwohl gestern abend – abgesehen von einigen obligatorischen Jubelmeldungen in irgendwelchen islamistischen Foren – nichts auf einen solchen Hintergrund hinwies, setzte ein beispielloses Mutmaßungswettrennen ein.

Als erstes spekulierte “Spiegel Online” fröhlich drauf los:

Sollte es sich tatsächlich um einen Terroranschlag handeln, dürfte der Verdacht auf al-Qaida oder von dem Terrornetzwerk inspirierte Täter fallen. Die norwegischen Sicherheitsbehörden sind sich seit Jahren bewusst, dass das Land zum Ziel von Terroristen werden könnte; erst vor wenigen Wochen wurde die Einschätzung erneuert, dass Anschläge im Land möglich seien.

(…)

Wenn die Explosion vom Freitag tatsächlich auf al-Qaidas Konto geht, wäre es der erste Anschlag im Westen seit den Bomben in der Londoner U-Bahn 2005 – und der erste seit dem Tod Osama Bin Ladens. Noch hat sich jedoch niemand zu der Tat bekannt.

Nicht viel später erschien auf Welt.de dieser Artikel:

Terrorismus Drucken Bewerten Autor: Florian Flade| 22.07.2011 Norwegen ist Zielscheibe für Islamisten Al-Qaida und andere Terrror-Organisationen haben Norwegen längst ins Visier genommen. Schlüsselfigur könnte ein kurdischer Islamisten-Führer sein.

Als immer offensichtlicher wurde, dass wohl kein islamistischer Hintergrund vorlag, wurde der Artikel von der Welt.de-Startseite entfernt.

Bild.de fragte gestern um 19:58 Uhr zwar, was hinter dem Anschlag steckt, aber die möglichen Antworten drehten sich nur darum, wie der islamistische Hintergrund der Tat genau aussieht:

Terror in Skandinavien Was steckt hinter dem Terror-Anschlag in Oslo? Motiv-Suche: Norwegen ist an den Militär-Operationen in Afghanistan und Libyen beteiligt - Zeitungen haben die Mohammed-Karikaturen nachgedruckt

Dabei bemerkt Bild.de selbst, dass Norwegen nicht unbedingt als wahrscheinlichster Ort für einen islamistischen Anschlag in Frage kommt:

Norwegens Mitte-Links-Regierung von Regierungs-Chef Jens Stoltenberg setzt auf eine liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Zuwanderern.

Provozierende politische Entscheidungen, die Islamisten gereizt haben könnten, hat es in der jüngsten Vergangenheit nicht gegeben.

Bild.de kann die eigenen Bedenken dann aber doch zerstreuen:

Allerdings: Norwegen ist in der Nato und beteiligt sich an den Militär-Operation in Afghanistan und Libyen.

MOTIV AFGHANISTAN? (…) MOTIV LIBYEN? (…) MOTIV 9/11? (…) MOTIV KARIKATUREN?

oe24.at wartete gestern abend mit dieser Überschrift auf (man beachte die “doppelt spaßige” Werbeeinblendung über “Terror in Oslo”):

Al-Qaida unter Verdacht

Zumindest die norwegischen Behörden äußerten zu keinem Zeitpunkt einen solchen Verdacht.

Und selbst in der gestrigen Tagesschau mutmaßt “ARD-Terrorismus-Experte” Rainald Becker (ab 4:40):

Insgesamt spricht Vieles bei dem Anschlag in Oslo für einen islamistischen Hintergrund, eine Bestätigung dafür gibt es aber noch nicht.

Die “B.Z.” wiederum behauptet sogar noch in ihrer heutigen Ausgabe, der Terror sei zurück in Europa:

Der Terror ist zurück in Europa

Diese Formulierung ergibt nur einen Sinn, wenn man den Angriff als Teil des internationalen (islamistischen) Terrorismus versteht.

Vielleicht sollten all die Terrorismus-Experten und Instinktjournalisten einmal den erhellenden Kommentar “Der Moslem war’s!” auf derStandard.at lesen. Er endet mit diesen Worten:

Im Journalistenalltag entzieht man sich nicht leicht solchen Mechanismen: alle melden, dass es so ist, also muss nachgezogen werden. Die internationalpolitische Redaktion von derStandard.at entschließt sich, zu warten: die norwegischen Behörden und niemand anderer soll sagen, was Sache ist.

Am späten Abend wird diese Haltung bestätigt: Die norwegische Polizei gibt bekannt, internationale Zusammenhänge als Hintergrund für die Anschläge auszuschließen und bestätigt die Verhaftung eines Verdächtigen: ein Norweger, der sich im rechtsextremen Milieu bewegt.

Eine Überraschung sollte das nicht sein: von 249 Terroranschlägen in der EU im Jahr 2010 wurden lediglich drei von Islamisten begangen. Dass alle diejenigen, die bei jeder Gelegenheit Muslime als Schuldige für alles Schlechte in der Welt zur Hand haben, nun für einen Moment innehalten und ihre Vorurteile überdenken, das darf freilich bezweifelt werden.

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 22:39 Uhr: Bereits gestern hat Manfred Schermer für den Online-Auftritt der “Fuldaer Zeitung” einen unfassbaren Kommentar verfasst, in dem er behauptet, vieles würde auf einen islamistischen Hintergrund hindeuten. Er macht nicht nur die “liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Einwandern” durch Norwegen als Ursache für den vermeintlich islamistischen Anschlag aus, sondern fordert auch gleich die Beschneidung von Freiheiten.

Mehr dazu bei Stefan Niggemeier:

Eine Entführung ist kein Mord

Ein Italiener, der seit längerem im Gazastreifen lebte, ist dort entführt und tot aufgefunden worden.

Bild.de versucht, die Tat historisch einzuordnen:

Der Mord an dem Italiener ist der erste Mord an einem Ausländer im Gazastreifen seit vier Jahren.

Damals, im März 2007, wurde der BBC-Reporter Allan Jonston ebenfalls von Salafisten verschleppt. Er kam nach 114 Tagen frei …

Und wenn Sie sich jetzt fragen, warum ein entführter, aber wieder freigelassener Journalist als Beispiel für einen “Mord an einem Ausländer” herhalten soll: Bild.de hat sich beim Aufmotzen einer dpa-Formulierung schlicht verrannt.

Die Nachrichtenagentur hatte vorher noch gemeldet:

Die Entführung Arrigonis war die erste eines Ausländers im Gazastreifen seit der Machtübernahme der Hamas vor knapp vier Jahren. Im März 2007 war der BBC-Reporter Allan Jonston in dem Palästinensergebiet ebenfalls von Salafisten verschleppt worden und erst nach 114 Tagen wieder freigekommen.

Und auch dieser Text enthält noch zwei kleine Fehler: “Allan Jonston” heißt eigentlich Alan Johnston.

Mit Dank an Jan H.

Nachtrag, 16.03 Uhr: Während die dpa eine Korrekturfassung mit dem richtigen Namen verschickt hat, hat Bild.de die beiden Absätze einfach aus dem Artikel entfernt.

Guttenberg, Gaddafi, Franz Josef Wagner

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Pro-Guttenberg-Kampagne im Zwielicht”
(spiegelfechter.com, Jens Berger)
Jens Berger befasst sich mit der von “Bild” ausgerufenen, kostenpflichtigen Telefonabstimmung über den Verbleib von Karl-Theodor zu Guttenberg im Amt des Verteidigungsministers (BILDblog berichtete). Dazu: Hintergründe zur inzwischen über 270.000 Nutzer umfassenden Facebook-Seite “Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg”.

2. “Bundeswehr plant Werbekampagne bei ‘Bild'”
(ftd.de)
“Mit Blick auf die Aussetzung der Wehrpflicht plant die Bundeswehr eine große Werbekampagne für den Dienst in der Truppe. (…) Den Angaben des Ministeriums zufolge soll die Kampagne im März beginnen und bei den Zeitungen ‘Bild’ und ‘Bild am Sonntag’ sowie der Online-Ausgabe von ‘Bild’ laufen.”

3. “Die heikle Iran-Mission der BamS-Reporter”
(ndr.de, Video, 7:58 Minuten)
“Zapp” bezweifelt die Auslanderfahrung der über Monate vom Iran festgehaltenen “Bild-am-Sonntag”-Mitarbeiter Marcus Hellwig und Jens Koch. Und befragt andere Journalisten zur Recherche ohne Journalistenvisum.

4. “Dummheit und Gefahr”
(taz.de, Katajun Amirpur)
Auch die “taz” blickt zurück auf die Reise in den Iran: “Jetzt, wo die beiden frei sind, kann man es aussprechen: Diese Reise war eine Mischung aus Dummheit und Verantwortungslosigkeit.”

5. “Enden Sie bloß nicht wie Hemingway”
(zeit.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein schreibt eine Ode an Franz Josef Wagner: “Ich mag das Pathos, die starken Bilder. Ironie ist Tarnung. Ironie ist für Feiglinge. Sie haben keine Angst davor, sich lächerlich zu machen. Sie ziehen sich aus und zeigen der Welt Ihren nackten Arsch – wegen des Wortes ‘Arsch’ werde ich sicher Briefe von empfindsamen Seelen bekommen. Ohne Mut zum Risiko kann man nichts erreichen, auch nicht als Autor.”

6. “Libya: Kadafi’s other foe — copy editors”
(opinion.latimes.com, Paul Whitefield, englisch)
Muammar al-Gaddafi – ein Name in vielen Varianten.

Bittere Halbwahrheiten

Dass Menschen aus anderen Ländern nicht etwa in die Kulturnation, sondern in den Wohlfahrtsstaat Deutschland einwandern wollen, ist für die Klientel von “Bild” alles andere als neu. Trotzdem – oder gerade deshalb – lieferte die Boulevardzeitung am Dienstag auf der Titelseite noch einmal die “bittere Wahrheit”:

Die bittere Wahrheit über Ausländer und Hartz IV

Und nochmal in groß:

Ausländer-Statistik: 90 Prozent der Libanesen kriegen Hartz IV

In der Tat haben es die drei “Bild”-Autoren geschafft, Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mit denen des Statistischen Bundesamtes zu kombinieren und in eine Tabelle zu gießen. Haarklein listen sie auf, wie viele Menschen verschiedener Nationalitäten ohne deutschen Pass in Deutschland “arbeiten dürften” und trotzdem Sozialleistungen beziehen:

Sogar für einen Quellennachweis hat es gereicht:

Doch warum bestreiten so viele Libanesen in Deutschland ihren Lebensunterhalt nicht selbst, wenn sie doch nach amtlicher Statistik ausdrücklich arbeiten dürfen? Allwetter-Soziologe Christian Pfeiffer hat die passende Erklärung parat:

Woher kommen die großen Unterschiede?

Soziologe Prof. Christian Pfeiffer: Viele Libanesen etwa waren zu Beginn Asylbewerber und durften nicht arbeiten. Dieser Lebensstil hat sich von Generation zu Generation durchgesetzt. Das Bildungsniveau ist extrem niedrig, Kinder gelten als Einkommensquelle, gearbeitet wird höchstens schwarz. Gerade die Libanesen haben sich oft in dieser Armutslage eingerichtet.

Scheinbar um Ausgleich bemüht, hält “Bild” fest, dass Ausländer natürlich nicht faul seien und sogar sehr selten Arbeit ablehnen, die ihnen von der Arbeitsagentur angeboten wird. Doch wie passt das mit dem speziellen libanesischen Lebensstil zusammen? Dass Libanesen Kinder als Einkommensquelle ansehen, haben sie offenbar mit der Redaktion von “Bild” gemein. Denn wie man den amtlichen Statistiken ohne weiteres entnehmen kann, sind 6.541 (oder 17,7%) der amtlich erfassten Libanesen unter 15 Jahre alt — und dürfen daher alleine schon wegen der Schulpflicht nicht ihren Lebensunterhalt verdienen. Insgesamt sind 9.200 Libanesen als “nicht erwerbsfähig” registriert: zu jung, zu krank, zu alt für den Arbeitsmarkt.

In den ersten vier Jahren bekommen geduldete Ausländer allenfalls eine Arbeitsstelle, wenn sich kein Deutscher dafür findet. Nach Auskunft von Pro Asyl kommt diese Vorrangigkeitsprüfung in vielen Regionen Deutschlands einem “faktischen Arbeitsverbot” gleich. Sie mögen sich in Armut eingerichtet haben, sie mögen laut Ausländergesetz arbeiten “dürfen”, einem großen Teil von ihnen bleiben aber schlichtweg keine Möglichkeiten.

Das hätte “Bild” auch wissen müssen: Die Bundesagentur für Arbeit hatte für das Blatt eigens eine Sonderauswertung gemacht, in der die Gesamtzahl der Ausländer noch nach Erwerbsfähigen und nicht Erwerbsfähigen aufgeschlüsselt war — doch die Zeitung rechnete einfach mit der (natürlich höheren) Gesamtzahl weiter und liefert so eine sehr einseitige Statistik. An wirklichen Erklärungen scheint die Redaktion jedenfalls bedeutend weniger Interesse als an der riesigen Schlagzeile gehabt zu haben.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Berners-Lee, Business Report, Yassir

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Long Live the Web: A Call for Continued Open Standards and Neutrality”
(scientificamerican.com, Tim Berners-Lee, englisch)
Tim Berners-Lee warnt vor abgeschlossenen Welten im Web: “Some people may think that closed worlds are just fine. The worlds are easy to use and may seem to give those people what they want. But as we saw in the 1990s with the America Online dial-up information system that gave you a restricted subset of the Web, these closed, ‘walled gardens,’ no matter how pleasing, can never compete in diversity, richness and innovation with the mad, throbbing Web market outside their gates.”

2. “Zitieren, verlinken, Bilder veröffentlichen: Was ist erlaubt? Wo drohen Strafen?”
(kerstin-hoffmann.de)
Rechtsanwältin Anja Neubauer erklärt im Gespräch mit Kerstin Hoffmann, was erlaubt ist bei Urheber-, Zitier- und Bildrechten. “Grundsätzlich: Marken darf man verwenden! Dazu sind sie da. Viele denken, dass man dies überhaupt nicht dürfte.”

3. “Non, sagt Monsieur le Président”
(tagesspiegel.de, Anna Sauerbrey)
Frankreich: Steckt hinter den aus Redaktionen gestohlenen Computern der Inlandsgeheimdienst DCRI? “Sicher ist: Der DCRI hat in Sachen Bettencourt-Affäre wiederholt die Telefonrechnungen von Journalisten ausgewertet, um Informationslecks in Behörden und Regierung ausfindig zu machen – und damit gegen den Quellenschutz verstoßen, der seit Januar in Frankreich Gesetz ist.”

4. “Bald keine neuen redaktionellen Websites mehr?”
(andreasvongunten.com)
Andreas Von Gunten zweifelt an einer Meldung der Nachrichtenagentur SDA, die auf einem Business Report beruht. “Da ich natürlich nicht bereit bin, mehr als 4000 CHF auszugeben um zu verstehen, was an den Aussagen dran ist, belasse ich es damit, zu behaupten, dass da sehr wahrscheinlich Bullshit drin steht.”

5. Interview mit Yassir Ezarzar
(philibuster.de, Nadia Shehadeh)
Nadia Shehadeh spricht mit dem vor einem Jahr nach Marokko ausgewiesenen Musiker Yassir Ezarzar. “Ich bin hier mehr Ausländer als in Deutschland – wobei man als Ausländer hier meiner Meinung nach besser behandelt wird. Aber es gibt keine Infrastruktur, keine Arbeit – schwer krank werden ist hier gleichbedeutend mit sterben.”

6. “Angst-Quiz”
(wirhabenkeineangst.de, Magdalena Böttger)
“Erinnerst du dich noch an…?”

Blättern:  1 ... 14 15 16 ... 22