Studien, Klickvieh, Lesekultur

1. “Einseitige mediale Wahrnehmung einer deutschen Studie”

(nzz.ch, H. Sf.)

Spiegel.de, welt.de, sueddeutsche.de. Sie alle berichteten über eine Studie mit dem Titel “Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt” (pdf-Datei). H. Sf. glaubt, das Medienecho gebe “den Schwerpunkt der Studie grob verzerrt wieder”, denn alle hätten sich auf den “Schlussteil, der auf 15 Seiten von ‘Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus’ handelt”, gestürzt, den “Stoff, nach dem deutsche Medien offenbar süchtig sind”.

2. Interview mit Günter Schröder

(dwdl.de, Thomas Lückerath)

Günter Schröder denkt sich die Fragen zur RTL-Sendung “Wer wird Millionär” aus: “Es mag sich banal anhören, aber das größte Problem ist oft auch sicherzustellen, dass die falschen Alternativen auch tatsächlich falsch sind.”

3. “Das Klickvieh-Gehege”

(medialdigital.wordpress.com)

“Was Verlage von der Blogosphäre lernen können.”

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Ostdeutsche Milchmädchenrenten

Es scheint, als hätte die “Bild”-Zeitung ihre Kampagne gegen die angebliche Ungerechtigkeit, dass die Ossis unsere ganze schöne Rente bekommen, für den Moment abgeschlossen. Heute steht nur noch ein kleinerer Artikel unten auf der zweiten Seite mit der Überschrift: “So viel Rente bekommen die Deutschen WIRKLICH”, als würde das, was “Bild” an den vorigen Tagen zum Thema veröffentlicht hatte, die Lage gar nicht treffen — was sogar stimmt.

Am Dienstag und Mittwoch hatte “Bild” mit diesen Schlagzeilen aufgemacht:

Weil die Rentenbezüge in den neuen Bundesländern um 3,38 Prozent steigen, in den alten aber nur um 2,41 Prozent, formulierte “Bild”:

Damit ist die Kluft zwischen den Rentenerhöhungen in Ost und West so groß wie zuletzt vor 10 Jahren.

Das stimmt, ist aber eine geschickte Verkehrung der Perspektive. Denn der Westen hat bei den Renten immer noch einen deutlichen Vorsprung vor dem Osten. Der “Rentenwert” (die monatliche Rente, die man pro Jahr mit einem Durchschnittseinkommen bekommt) ist im Osten über zehn Prozent niedriger. Unter gleichen Voraussetzungen bekommt ein Ostrentner weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenversicherung als ein Westrentner.

Wenn die Renten jetzt im Osten also stärker steigen als im Westen, heißt das nicht, dass die Ostrenten den Westrenten weglaufen, wie “Bild” suggeriert, sondern nur, dass sich die Kluft zwischen beiden verringert. Das ist eine Folge davon, dass sich auch die Einkommensunterschiede langsam ausgleichen.

“Bild” suggeriert, dass Ostdeutsche auch in absoluten Zahlen mehr Rente bekommen. Auch das stimmt nur scheinbar. Ein realistischer Vergleich ist kaum möglich, weil in Ostdeutschland Gutverdiener wie Ärzte oder Rechtsanwälte den Durchschnitt in die Höhe treiben, die im Westen nicht aus der gesetzlichen Rentenkasse bezahlt werden. Außerdem sind ostdeutsche Frauen im Schnitt länger berufstätig gewesen, was ihre Rente entsprechend in die Höhe treibt.

Das stand gestern sogar auch in “Bild” — hinderte das Blatt aber nicht daran, mithilfe seiner professionellen Milchmädchen Ost und West gegeneinander auszuspielen:

Schaut man sich die Daten genauer an, fällt auf, dass die Männer, die beide jeweils 45 Jahre als Handwerker gearbeitet haben, auch fast genau die gleiche Rente bekommen. Der Unterschied geht allein auf die unterschiedlichen Lebensgeschichten der Frauen: Frau Ost hat 26 Jahre als Kindergärtnerin gearbeitet, Frau West nur 15 Jahre als Schneiderin.

Als Beleg für die Ungerechtigkeiten im deutschen Rentensystem zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung taugen diese Paare nicht. Aber um Neid zu schüren und Zeitungen zu verkaufen, reicht’s natürlich.

Mit Dank an Rainer S.!

Wo kommen nur diese ganzen bösen Spiele her?

“Was ist eigentlich ein Killerspiel?”

…fragte Bild.de kürzlich und antwortete:

Der Begriff tauchte wohl zum ersten Mal 1993 in einem Blog zum Thema Paintball auf. Damit waren noch reale Ballerspiele – Menschen beschießen sich mit Farbkugeln – und noch nicht die virtuellen Ableger (…) gemeint. Erst nach dem Schulmassaker von Littleton an der Columbine High School am 20. April 1999 und nach dem Amoklauf von Erfurt am 26. April 2002 (…) wurde der Begriff Killerspiel in der öffentlichen Wahrnehmung auf Computerspiele gemünzt.

In der von Bild.de verlinkten Quelle aus dem Jahr 1993 heißt es indes:

“Man verstehe mich hier bitte nicht falsch — Ich halte auch die allseits bekannten Killerspiele am Computer fuer verwerflich (…)”

Seit Tagen arbeiten sich “Bild” und Bild.de an “Killerspielen” ab.

Vorgestern gab Bild.de Tipps, wie man Kinder und Jugendliche von Spielen fern hält, für die sie noch zu jung sind.

In dem Artikel findet sich auch folgende Passage:

Bei dem PC-Game "Grand Theft Auto", von dem bereits die vierte Folge erschienen ist, gehört auch Amoklaufen zum Spiel. Der schärfste Kritiker von Gewalt-Games, der Kriminologe Christian Pfeiffer, erklärte in einem Interview mit COMPUTER BILD SPIELE: "Bei Grand Theft Auto 4 ist ein Amoklauf möglich. Da kriegt man nicht viele Punkte, aber es wird ein bisschen Geld fallen gelassen, wenn Passanten abgeschossen werden. Und dieses Spiel ermöglicht diesen Amoklauf-Modus. Warum ist das möglich?"

Nun könnte man Pfeiffers Frage natürlich “philosophisch” nennen. Aber weil Bild.de gestern über die Warenhauskette Galeria Kaufhof berichtete, die zukünftig keine Spiele ohne Jugendfreigabe mehr verkaufen will (“Damit reagiert zum ersten Mal ein Endverkäufer auf die öffentliche Debatte um Killerspiele”), böte sich auch eine schlichte Antwort an: Weil es einen Markt gibt. Mit Käufern und Verkäufern.

Und zu diesen Verkäufern gehört beispielsweise …

Bild.de Download-Spiele: Grand Theft Auto 4

… das Download-Portal von Bild.de.

Mit Dank an Christian S.!

Politiker und Journalisten, Winnenden

Winnenden nach dem Amok: Presse unerwünscht (Keystone)
1. “Studie: Hauptstadtjournalisten wollen Einfluss auf Politik nehmen”
(tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann)
Hans Mathias Kepplinger befragte in Berlin 187 Bundestagsabgeordnete und 235 Journalisten. Letztere gefragt, ob sie erstere beeinflussen, schätzten sie den Ist-Zustand mit 7,04 / 10 Punkten ein, den gewünschten Zustand mit 5,47 / 10 Punkten (auf einer Skala von 0 bis 10). “Damit nimmt ein großer Teil der Hauptstadtjournalisten offenbar an, dass sie bereits spürbar in das politische Geschehen eingreifen.”

2. “Winnenden: Stadt im Ausnahmezustand”
(ndr.de, Video, 8:18 Minuten)
Kann man trauern, wenn einen dabei ungezählte Kameras verfolgen? Nein, und das stört die Einwohner der von Journalisten überschwemmten Kleinstadt. Befragt nach den Journalisten, berichten sie von Missachtung der Privatsphäre und von Erpressungsversuchen. Beste Szene: Über die Friedhofsmauer fotografierende Presseleute beschweren sich, weil sie dabei gefilmt werden

3. “Der Markt schreit immer mehr nach Sensation”
(zeit.de, Kathrin Wanke)
“Nach dem Amoklauf von Winnenden hat die Öffentlichkeit über Schützenvereine und Computerspiele diskutiert. Doch auch die Berichterstattung der Medien steht in der Kritik.”

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Das doppelte Verlies

Bei Bild.de hält man es offenbar für sehr wichtig, den Lesern zu zeigen, wie das Verlies ausgesehen habe, in dem Josef F. über Jahre “seine Tochter mit den drei Kindern gefangen” hielt.

 

 

 

 

 

Bild.de zeigt nämlich den “Inzest-Keller als 3D-Animation” (rechts oben).

 

 

 

 

 

Andererseits gibt es auf derselben Seite, unmittelbar darunter eine Grafik, auf der der “Inzest-Keller” ganz anders aussieht (rechts unten).

So gesehen hält Bild.de es dann wohl doch primär für wichtig, den Lesern irgendwas zeigen. Egal was.

Mit Dank an Andreas G. auch für die Pointe.

Österreich, Experten, DSDS, CBL

1. “Der nationale Hang zur Gosse”
(zeit.de, Joachim Riedl)
Die Medienbranche in Österreich befindet sich in einem Teufelskreis: “Noch jede Neugründung führte in den vergangenen Jahrzehnten dazu, dass die Niveauspirale ein Stück weiter nach unten gedreht wurde. In Österreich bewirkt Konkurrenz am Mediensektor offensichtlich, dass, wie in einem negativen evolutionären Prozess, die Standards immer weiter sinken.”

2. “Justizministerin plant härtere Strafen für Medien”
(derstandard.at)
Noch einmal Österreich. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner möchte den Opferschutz ausweiten und “Medien bei entwürdigender Berichterstattung künftig härter bestrafen”. Sie erwägt auch, “strafrechtliche Sanktionen gegen einzelne Journalisten auszubauen”.

3. “World Of Bullshit”
(taz.de, Arno Frank)
“Wie wäre es, statt der ‘Computerspiele’ mal populistische Studien zu verbieten? Oder deren Lektüre erst ‘ab 18’ zu erlauben? Es würde nichts helfen, die ‘Experten’ sind nicht mehr zu stoppen.”

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“Wir hätten das niemals erlaubt”

“Nicht jugendfrei”, das Jugendportal der “Waiblinger Zeitung” hat mit dem Vater von einem der Mädchen geredet, die bei dem Amoklauf in Winnenden am vergangenen Freitag ums Leben gekommen sind, und über deren Leben und Sterben auch “Bild” in größter Aufmachung berichtet hat:

Uwe Schill kann reden in seiner Trauer. Von sich aus hat der Vater der getöteten Chantal unsere Redaktion aufgesucht, und es hat sich ein Gespräch ergeben über die Dankbarkeit des Hinterbliebenen für den großen Beistand. Und über den Schmerz darüber, wie Bild-Zeitung und Fernsehsender sich des Bildes der getöteten Tochter bemächtigen; und wie Bekannte über Opfer und Täter sprechen und er dies wehrlos im Fernsehen mitverfolgt.

Zwei Stunden nachdem Chantal gestorben war, stand ein Reporter bei Schills in der Haustür und wollte Bilder von Chantal. “Kein Ausdruck des Beileids, keine Rücksicht, kein Mitgefühl . . . Mein ältester Sohn hat ihn dann von der Tür gewiesen.” (…)

Das Bild der getöteten Tochter wird fremdbestimmt: “Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder von Chantal erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt.” (…)

Schill vermutet, dass die Fotos seiner Tochter aus dem Schüler-VZ stammen, einem Internetverzeichnis, das bei Schülern äußerst beliebt ist und in das die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler Fotos von sich hineinstellt — meist in dem Gefühl, dass nur andere Schüler dieses Verzeichnis anschauen, dass Jugendliche und Kinder unter sich wären in dieser Abteilung des Internets. Aber Internet ist immer Weltöffentlichkeit. Die Bildbeschaffer bestimmter Medien nützen dies aus. “Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen”, sagt Schill. (…)

“Bild” lässt Schläger-Opfer für sich kämpfen

Es ist nicht Neues, dass “Bild” Probleme mit der Tatsache hat, dass für Kriminelle die gleichen Rechte gelten wie für alle anderen Bürger.

Wenn ein junger Mann, der wegen versuchten Mordes im Gefängnis sitzt, seine langjährige Freundin heiraten will, mit der er ein Kind hat, ist das für “Bild” etwa ein “Trick”, um der Abschiebung zu entgehen. Wenn ein Anwalt nach Unregelmäßigkeiten während der Polizei-Verhöre Freispruch für seinen Mandanten fordert, nennt die Zeitung diesen Vorgang “unfassbar”.

Auch braucht es in der Regel mehrere Gerichtsurteile, bis “Bild” zähneknirschend und unter “Aber die Pressefreiheit!”-Gemurmel darauf verzichtet, aktuelle Fotos von freigelassenen Ex-Terroristen zu zeigen.

Was also ist es für “Bild”, wenn einer der Münchener “U-Bahn-Schläger” vor dem Landgericht Hamburg erwirkt, dass die Zeitung sein Foto nicht mehr unverfremdet zeigen darf?

Na sicher:

Skandal um U-Bahn-Schläger

“Bild” ereifert sich aber nicht selbst, sondern überlässt die Empörung jemandem, bei dem sie jeder noch so skeptische Leser nachvollziehen kann: dem Opfer.

Prügelopfer entsetzt über Gerichtsurteil

Spiridons Opfer Bruno N. (76): “Ich kann das nicht verstehen. Die wollten mich totschlagen. Bei so einer Tat gibt es keinen Anspruch auf Privatsphäre. BILD hat die Leser aufgeklärt, indem Fotos der Täter veröffentlicht wurden.”

Quasi über Bande kann die “Bild”-Redaktion so deutlich machen, was sie von dem Urteil hält, ohne sich selbst zu Wort zu melden.

Na ja, fast:

Gegen das Foto-Urteil wird BILD Berufung einlegen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Unverbesserlich VII

"Die Mutter vom Container-Baby: Sie hielt ihrem Jungen Mund und Nase zu, bis er nicht mehr atmete"

So berichtet “Bild” heute über eine Mutter, die ihren Säugling umgebracht und in einem Altkleider-Container abgelegt haben soll. “Bild” zeigt ein unverfremdetes Foto der Frau und nennt die Straße und den Stadtteil, wo sie wohnt.

Die “Bild”-Zeitung tut also das, was sie andauernd in solchen Fällen tut: Sie zeigt, dass der Pressekodex und die Spruchpraxis des Presserats ihr herzlich egal sind – vom Persönlichkeitsrecht der Mutter ganz zu schweigen.

ProSieben, Schwarzer, Stewart, Davies

1. “Winnenden: 100 Euro für eine Tränen-Aufnahme”
(wuv.de, Jochen Kalka)
“Schülern wurde gegen Cash diktiert, was sie vor laufender Kamera sagen sollten. Auch der Satz ‘Tim wurde von seinen Mitschülern gemobbt’, soll gekaufte Filmware gewesen sein. Andere Schüler wurden, ebenfalls gegen ein Entgeld von 20 bis 100 Euro, gebeten, Blumen oder Kerzen abzulegen und sich dann weinend zu umarmen.”

2. “Gibt es noch recherchierende Journalisten?”
(carta.info, Marvin Oppong)
Alice Schwarzer belegt ihre Thesen in der Welt und im Standard zu den Auswirkungen von Pornografie mit Untersuchungen von Henner Ertel vom G.R.P. Institut für Rationelle Psychologie. Dieses wurde aber 2008 von Jochen Paulus in der Zeit als unseriös enttarnt. Gegen Henner Ertel läuft ein Strafverfahren, ihm “wird vorgeworfen, die Grade ‘Doktor’ und ‘Professor’ zu Unrecht zu führen.”

3. Pro7 Newstime täuscht Nachrichten vor
(dwdl.de, Jochen Voß)
“Am Wochenende verstörte ProSieben seine Zuschauer mit Programmtrailern im Stil einer echten Nachrichtensendung.” Auf YouTube zu sehen einmal das in Rekordzeit gealterte Baby, einmal der von Insekten angegriffene Mann.

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