Reisen bild.det

Christoph Driessen hat für die Deutsche Presseagentur (dpa) einen Artikel darüber geschrieben, worauf sich Engländer im Deutschlandurlaub vorbereiten sollten und dazu Beispiele aus englischsprachigen “Reiseführern und anderen landeskundlichen Beschreibungen” zitiert.

Mal mit, mal ohne entsprechende Namensnennung und dpa-Kennzeichnung erschien sein Beitrag in zahlreichen Online-Medien. Bei Bild.de dürfte sich der Autor aber ganz besonders freuen, dass sein Name nicht darunter steht:

Briten warnen in Reiseführern vor deutschen Unsitten

Die lockere Einleitung Driessens wurde weggelassen, dafür schreibt Bild.de das:

Es geht schon wieder los: Zur schönsten Ferienzeit schießen britische Reiseführer gegen die Deutschen! Sie warnen, worauf sich ausländische Touristen in Deutschland gefasst machen sollten. Man kann entsetzt sein – oder über diesen Unsinn lachen.

Zum tatsächlichen Inhalt des Artikels passt das nicht. Die zitierten Reiseführer sind nämlich größtenteils weder britisch noch gerade erst “zur schönsten Ferienzeit” aufgetaucht.

Ein Beispiel:

Die erste Enttäuschung der Briten: Leider sehen die Deutschen nicht wie Deutsche aus. Keine Dirndl, keine Lederhosen. “Am ehesten bekommt man diesen Anblick noch in Bayern zu Gesicht”, informiert der Klassiker “Culture Shock Germany” (Kulturschock Deutschland).

Die erste Auflage von “Culture Shock Germany” erschien bereits 1996 und der betreffende Lederhosentext ist wohl seitdem – spätestens aber seit der Auflage von 2005 – darin enthalten. Der Autor ist Amerikaner und kein Engländer.

“Planet Germany” von Cathy Dobson wurde 2007 und damit lange vor der “schönsten Ferienzeit” veröffentlicht. Zwar ist die Autorin Britin, dafür ist ihr Buch kein Reiseführer, sondern ein Erlebnisbericht in Romanform – oder wie sie es selbst auf ihrer Homepage nennt: “a crazy tale of an ex pat’s adventures settling into the Rhineland in Germany”

Es wird noch besser:

Selbst der renommierte “Lonely Planet” schreibt in seiner Deutschland-Ausgabe: Deutsche erscheinen beim ersten Kontakt nicht übermäßig freundlich, aber das müsse man nicht persönlich nehmen, untereinander sind sie genauso kurz angebunden.

Auch hier schießt kein “britischer Reiseführer gegen die Deutschen”: Die in Los Angeles wohnhafte Autorin Andrea Schulte-Peevers ist sogar selbst Deutsche, der “Lonely Planet”-Verlag wiederum sitzt in Australien.

Auch das letzte Buch, aus dem Bild.de zitiert, stammt – wen wundert’s noch? – von einem Amerikaner. Greg Nees’ “Germany Unravelling an Enigma” erschien 2000.

Na, hoffentlich titelt jetzt keine englische Zeitung: “Zur schönsten Ferienzeit schießt eine deutsche Boulevardzeitung ungerechtfertigt gegen die Briten!”

Mit Dank an Pekka R. und Clemens W.

Fähnlein Videoschweif

Regelmäßig ist Bild.de in den vergangenen Wochen und Monaten dadurch aufgefallen, Videoclips von Internetplattformen wie YouTube herunterzuladen und auf der eigenen Website zu veröffentlichen. Das hat den Vorteil, dass man kurze Clips mit Wiederholungen, Zeitlupen und teilnahmslosen Off-Kommentaren verlängern und mit der davor geschalteten Werbung (sog. Pre-Roll-Werbung) auch noch Geld verdienen kann.

Weil aber selbst die eifrigsten Redakteure nicht das ganze Internet im Blick haben können, sind “Bild” und Bild.de vor kurzem auf eine neue Idee gekommen: Den “BILD-Leser-Scout”.

Schicken Sie alles, was Ihnen spannend, neu oder originell erscheint, an uns. Wird aus Ihrer Anregung eine Geschichte in BILD, gibt’s dafür 20 Euro Honorar!

Schon am ersten Tag bekam Bild.de “zwei Hinweise auf tolle Videos im Netz”:

BILD-Leser-Scout Markus T. fand das 1. Interview dem “DJ der guten Laune”.

(Anonymisierung von uns.)

Erstaunlich, dass Bild.de das Video nicht selbst entdeckt hat — stammt es doch vom gleichen YouTube-Nutzer wie der inzwischen legendäre Auftritt des DJs, den Bild.de kurz zuvor “gefunden” hatte (BILDblog berichtete).

Auch Leser-Scout Horst W. wurde belohnt: Er hatte “sehr witzige” Fußball-Videos “aufgespürt”.

Eigentor beim Elfmeter.

“So einen Elfmeter haben Sie noch nie gesehen”, verkündet der Offsprecher stolz und hat damit natürlich Recht — es sei denn, man war seit April 2008 zufällig mal auf Bild.de und kennt das Video vom Eigentor nach einem Elfmeter deshalb schon.

Eigentor beim Elfmeter.

Auch viele andere Einsendungen sind nicht unbedingt “neu”.

Da die Axel Springer AG, zu der “Bild” und Bild.de gehören, sich ja bekanntlich seit längerem dafür einsetzt, die Urheberrechte im Internet besser zu schützen, haben wir ihrem Sprecher einige Fragen geschickt:

  • Werden die Urheber der Videos vorher von Bild.de um Erlaubnis gebeten und anschließend am Gewinn durch die Pre-Roll-Werbung beteiligt?
  • Falls nicht: Wie passt dieses Vorgehen zur Forderung der Axel Springer AG nach mehr Respekt vor dem Urheberrecht?
  • Wie würde Bild.de reagieren, wenn Videoclips von Bild.de heruntergeladen und auf anderen kommerziellen Seiten wiederveröffentlicht würden?
  • Im Zusammenhang mit Urheberrechten ist häufig vom “Diebstahl geistigen Eigentums” die Rede. Wäre die “BILD-Leser-Scout”-Aktion dann nicht analog dazu Hehlerei?

Unsere Anfrage stammt vom 21. Juli. Irgendwie haben wir nicht das Gefühl, noch eine Antwort zu bekommen.

Mit Dank auch an United und Ellen L.

Nachtrag/Korrektur: Auf unserem Screenshot war zunächst der Name des “Leser-Scouts” zu lesen, den wir im Text abgekürzt hatten. Das war natürlich dämlich. Entschuldigung!

Leich daneben

Man sollte ja dieser Tage ein bisschen vorsichtig sein, was man so sagt. Manche an sich harmlose Formulierung könnte vor dem Hintergrund der Ereignisse bei der Loveparade unpassend oder gar zynisch wirken: “Tunnelblick”, “gedrückte Stimmung”, …

Boil-Interview zum Album A NEW DECAY: Verwesung am Ende des Tunnels

Was zum … ?

Das haben sie bei metal-hammer.de wohl auch ganz schnell gemerkt und den Teaser entsprechend geändert:

Boil-Interview zum Album A NEW DECAY: Verwesung in der sterilen Zone

Mit Dank an Freddy Sch.

Themenvorschläge, Vulgarisierung, Wikileaks

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Kai Diekmanns Briefwechsel mit Zapp”
(ndr.de)
Seit April 2010 sendet “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann Themenvorschläge an die Redaktion des medienkritischen NDR-Magazins “Zapp”. Die Redaktion dokumentiert den Briefwechsel.

2. “Boulevard-Medien zur Loveparade”
(taz.de, Kirsten Reinhardt)
Kirsten Reinhardt glaubt, dass die “große Ironisierphase der neunziger Jahre, in denen es auch unter linken Intellektuellen eine Zeit lang als schick galt, die Bild-Zeitung ‘ironisch zu lesen'”, vorbei ist.

3. “Vom Volk bezahlte Verblödung”
(zeit.de, Jens Jessen)
Das Vulgäre ziehe ein in das öffentlich-rechtliche Fernsehen, schreibt Jens Jessen. Jene Sendungen hingegen, die Gebühren rechtfertigen, würden auf unpopuläre Sendeplätze gesetzt. “Das Fernsehen, weit davon entfernt, die Zuschauer auf die Höhen der bürgerlichen Bildung zu heben (wie eine berühmte Formulierung der deutschen Arbeiterbewegung lautete) oder ihnen auch nur die Chance auf Teilhabe zu eröffnen, konkurriert mit den billigsten Boulevardmedien um die niedrigsten Instinkte der dümmsten Bevölkerungsteile.”

4. “The Story Behind the Publication of WikiLeaks’s Afghanistan Logs”
(cjr.org, Clint Hendler, englisch)
Ein Hintergrundartikel über die Zusammenarbeit zwischen Wikileaks und den Medienmarken “New York Times”, “Guardian” und “Spiegel” bei den veröffentlichten Afghanistan-Protokollen (Afghan War Diary, 2004-2010, wikileaks.org).

5. Interview mit Julian Assange
(democracynow.org, Amy Goodman, englisch)
“Democracy Now!” dokumentiert, was Barack Obama zu den Protokollen sagt und redet mit Julian Assange von Wikileaks, der nicht versteht, warum die “New York Times” nicht auf Wikileaks verlinkt: “I mean, it is just ridiculous. The public can see that and Google it, if they want.”

6. “Archiv von Tagesschau.de zwischen 1999-2010”
(netzpolitik.org, markus)
Netzpolitik.org weist darauf hin, dass auf “The Pirate Bay” eine Torrent-Datei mit dem “Archiv von Tagesschau.de im XML-Format aus den vergangenen elf Jahren von 1999 – 2010” geteilt wird. Siehe dazu auch “Depublizieren: Die Leere hinter dem Link” (faz.net, 19. Juli 2010).

Werben mit 21 Toten

Wenn man derzeit bei Google nach dem Stichwort “Loveparade” sucht, findet man neben den Suchergebnissen auch eine kleine, auf den Suchbegriff optimierte Werbeanzeige:

Anzeigen: Todesopfer Loveparade — Loveparadebesucherin erlag ihren Verletzungen. Mehr auf Bild.de: www.Bild.de/Opfer_Loveparade

Nachtrag, 17.20 Uhr: Ebenfalls mit dabei (offenbar regional begrenzt): Der “Kölner Stadt-Anzeiger”:

Die Parade des Grauens. Alles zu den Hintergründen und Ursachen der Loveparade in Duisburg: www.ksta.de/LoveParade

Mit Dank an Sascha P.

409 Personen gefällt das nicht mehr

Irgendwann am gestrigen Mittag müssen sie bei Bild.de bemerkt haben, dass das so nicht weitergeht: Die vielen “Gefällt mir”-Buttons neben Überschriften wie “Erstickt, verblutet, Herztod — So qualvoll starben die Opfer der Loveparade-Panik” (aber nicht nur da) wirkten mindestens unglücklich, wenn nicht schlichtweg zynisch.

Manche Artikel haben jetzt gar keine Facebook-Buttons mehr, bei allen anderen wurde die Beschriftung vom euphorischen “Gefällt mir” zum neutraleren “Empfehlen” geändert:

Zahl der Todesopfer auf 21 gestiegen — Empfehlen

Milchmädchen unter Polizeibeobachtung

Gleich drei Autorennamen stehen über dem Artikel über einen freigelassenen Sexualstraftäter (“Die genaue Adresse darf BILD aus rechtlichen Gründen nicht nennen.”) in der Hamburger “Bild”-Ausgabe, aber das hat offenbar auch nicht ausgereicht.

Erst wird die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wieder mal als “EU-Urteil” bezeichnet und dann ereignet sich auch noch diese mathematische Meisterleistung:

Drei Polizisten sind ständig in W.s Nähe, drei Schichten à 8 Stunden. Insgesamt 24 Mann für rund 20 000 Euro pro Tag.

Die Autoren haben also einfach zwei beliebige Zahlen des ersten Satzes multipliziert und kamen auf “24 Mann”. Rechnerisch kämen bei drei Polizisten je Schicht am Ende neun Beamte raus, die Gewerkschaft der Polizei in Hamburg sprach auf unsere Anfrage hin von zwölf Polizisten, die in vier Schichten im Einsatz seien.

Die von “Bild” angegebenen Kosten von 20.000 Euro pro Tag seien bei 24 Beamten zwar durchaus denkbar, aber es seien ja nur halb so viele im Einsatz, die Kosten also auch entsprechend niedriger.

Mit Dank an Niko M. und Sabine L.

Nachtrag, 29. Juli: Auch das “Hamburger Abendblatt” vertut sich heute beim Durchzählen:

24 Beamte folgen jedem Schritt des Sexual-Täters

Mit Dank an Wieland S.

2. Nachtrag, 2. August: Unser Leser Patrick K. hat entdeckt, dass die Zahlen in der “Bild”-Bundesausgabe vom 29. Juli zwar noch falscher waren, aber wenigstens mathematisch Sinn ergaben:

Acht Beamte sind ständig in seiner Nähe, drei Schichten à 8 Stunden. Insgesamt 24 Mann für rund 20000 Euro pro Tag.

Und das Quadrat da sieht aus wie ein Viereck

Mimik-Forschung: Frauen lachen wie Primaten

Frauenlächeln ähnelt dem Grinsen von Primaten

Was Bild.de und Krone.at titeln, ist so banal, dass es keine Meldung wert wäre.

Denn Frauen lächeln nicht nur wie Primaten, Frauen sind Primaten. Und Männer auch, schließlich gehören alle Menschen als Menschenaffen zu den Primaten.

In der vielfach verbreiteten dpa-Meldung heißt es:

Das meist offene Lächeln einer Frau sei vergleichbar mit dem Verhalten von Primaten im Tierreich.

(Hervorhebung von uns)

Mit Dank an Eugen W.

Nachtrag, 21.25 Uhr: krone.at hat in der Überschrift die “Primaten” durch “Affen” ersetzt.

Matthäus, Angeber, Zeitlupe

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Loveparade: Fall für Presserat”
(sueddeutsche.de, Ralph Pfister)
Fast alle der rund 140 zur Berichterstattung über die Loveparade in Duisburg eingegangenen Beschwerden beim Presserat richten sich gegen “Bild”. “Ganze drei Beschwerden richten sich – Stand Dienstag Mittag – nicht gegen Bild oder Bild Online.”

2. “Lothar vs. Liliana: die inszenierte Trennung”
(meedia.de, Nils Jacobsen)
Nils Jacobsen hält die von “Bild” und Sat.1 besonders ausführlich begleitete Trennung des Ehepaars Lothar und Liliana Matthäus für inszeniert.

3. “4 von 4 Studien sind fragwürdig”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Für Martin Weigert sind viele Studien zu Tech- und Netzthemen fragwürdig, weil sie inkorrekt sind oder fehlerhaft wiedergegeben werden, weil sie mit gesundem Menschenverstand widerlegt werden können, weil sie kaum Aussagekraft besitzen oder weil sie Erkenntnisse verbreiten, die jedes Kind erraten könnte.

4. “Blöffsack-Journalismus”
(weltwoche.ch, Daniela Niederberger)
Mitunter auch selbstkritisch kritisiert Daniela Niederberger den Angeber-Journalismus, der mit Ideenlosigkeit zu tun habe und den Austeil-Journalismus, der mit Unerfahrenheit und Selbstüberschätzung zu tun habe.

5. “Friedensnobelpreis für WikiLeaks!”
(magda.de, Wolfgang Michal)
Für Wolfgang Michal liegt der Vorteil von Wikileaks für Whistleblower auf der Hand: “Es gibt keine stationären Redaktionscomputer, die von der Polizei ‘bei Gefahr im Verzug’ beschlagnahmt werden können, es gibt keine Redakteure, die – wenn sie ihre Quellen nicht preisgeben – in Beugehaft genommen werden können, und es gibt keine Verleger, die auf Schadenersatz verklagt oder wegen Landesverrat vor Gericht gezerrt werden können – und dabei vielleicht einknicken.”

6. Einschränkung der Zeitlupe
(diepresse.com)
Der öffentlich-rechtliche TV-Sender RAI schafft gemäß Chefredakteur Eugenio de Paoli, “Tore und Ausschlüsse ausgenommen”, bei Fußball-Übertragungen die Zeitlupe ab: “Die gewonnene Sendezeit will man für Analysen der Taktik nützen.”

taz  

Deutschland, Deutschland, unter anderem

Manche Irrtümer halten sich so hartnäckig, dass man fast befürchten muss, dass sie an irgendeiner finsteren (Journalisten-)Schule als Wahrheiten gelehrt werden: Winston Churchill habe nur Statistiken getraut, die er selbst gefälscht habe; Frankenstein sei der Name der Kreatur und die erste Strophe des Deutschlandlieds sei verboten.

Die “taz” entschied sich heute für den dritten Irrtum und schrieb in einem Artikel über die Heidelberger Studentenverbindung Ghibellinia, die die “taz” ebenso falsch wie konsequent als “Burschenschaft” bezeichnet:

Zudem ist sie Teil des “Coburger Convents”. In der oberfränkischen Stadt kommt der Dachverband von 96 schlagenden Studentenverbindungen jährlich zum Pfingstkongress zusammen. Höhepunkt ist die nächtliche Fackelparade uniformierter Fahnenträger zu Marschmusik. Das Deutschlandlied wird in Gänze gesungen – inklusive der in der Bundesrepublik verbotenen ersten Strophe.

Mit Dank an Lorenz L.

Nachtrag, 29. Juli: taz.de hat sich dazu duchgerungen, den Halbsatz mit der “verbotenen ersten Strophe” durchzustreichen. Allerdings haben uns in der Zwischenzeit verschiedene Zuschriften erreicht, wonach beim Coburger Pfingstkongress schon seit vielen Jahren nur noch die dritte Strophe des Deutschlandlieds (auch bekannt als deutsche Nationalhymne) gesungen werde.

Blättern:  1 ... 661 662 663 ... 1127