Wie viel Brüderle erträgt die Bundeswehr?

Spätestens seit sich der Quizmaster Günther Jauch am Sonntagabend in der nach ihm benannten ARD-Talkshow an dem Thema versuchte, lässt es sich nicht mehr ignorieren: Es gibt in Deutschland eine Debatte über Alltagssexismus. Auslöser war ein Artikel in der Illustrierten “Stern”, in dem eine Journalistin dem FDP-Politiker Rainer Brüderle vorwarf, sich ihr an einer Hotelbar in einer Weise genähert zu haben, die sie unangenehm fand.

Schon am Samstag hatte “Bild” die zentrale Frage gestellt:

Wie viel Brüderle ist erlaubt? 100 Frauen in BILD: Flirt oder Belästigung — wo ist die Grenze?

Eine Frage, die “Bild”-Redakteurin Stephanie Bilges erstaunlich klar zu beantworten wusste:

BILD-Redakteurin Stephanie Bilges (36, Berlin): "Wer nicht in der Lage ist, mit deftigen Sprüchen umzugehen, sollte vielleicht besser nicht berufstätig sein."

Gestern dann bedachte Franz Josef Wagner die “liebe Sexismus-Debatte” mit einem Brief, der selbst für seine Verhältnisse eher exzentrisch wirkte.

Heute schließlich erklärte “Bild”-Reporter Wilfried Pastors (“seit 36 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet, zweifacher Vater und Opa von vier Enkeln [drei Mädchen]”), er lasse sich als Mann “nicht unter Generalverdacht stellen”:

Wenn jetzt allerdings eine Geschlechtsforscherin im Frühstücksfernsehen unwidersprochen sagen darf, der Fall Kachelmann sei Beleg für alltäglichen Sexismus in Deutschland, stellen sich mir die Nackenhaare hoch.

Das war ein mit allen Mitteln des Rechtsstaats geführter Prozess, der anders ausging, als es manche gerne gehabt hätten. Aber so, und nur so, funktioniert Rechtsstaat.

Pastors widerspricht damit überraschend offen der bisherigen “Bild”-Linie, die den Ausgang des “mit allen Mitteln des Rechtsstaats geführten Prozesses” damals so kommentiert hatte:

Kachelmann: Freispruch, aber ...

Und damit kommen wir zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten der Bundesregierung. Oder, wie Hanno Kautz, “Bild”-Parlamentskorrespondent, ihn auf Bild.de nennt, dem “Jammer-Bericht der Bundeswehr”:

SEXUELLE ÜBERGRIFFE: Der Bericht über eine vergewaltigte Soldatin in der Heeresfliegerwaffenschule Bückeburg im August 2012 sei eine Ausnahme, heißt es in dem Bericht. Es ginge um Einzelfälle, die festgehalten werden, sagte Königshaus, doch mit einer "nicht unerheblichen Dunkelziffer" sei zu rechnen.

​Kautz zitiert aus dem Bericht, in dem von bekannten 50 Fällen “mit sexuellem Bezug” die Rede sei, und schließt:

“Bei der überwiegenden Anzahl der Taten”, so heißt es aber in dem Bericht, “handelte es sich um unangemessene Berührungen und verbale sexuelle Belästigungen.”

“Aber”. Aha. Na, dann ist ja alles halb so schlimm, die betroffenen Soldatinnen (oder Soldaten) sollten vielleicht besser nicht berufstätig sein und mit dem Jammern aufhören.

Mit Dank auch an Jürgen L.