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Kommt ‘n Mann zum Gericht

Das mit dem Humor ist ja so eine Sache: Die Deutschen sind international nicht gerade dafür berühmt. Mario Barth füllt das Berliner Olympiastadion, obwohl niemand irgendjemanden kennt, der Barths Witze lustig fände. Und dann gibt es auch noch Oliver Pocher.

Der fuhr am Montag als Jörg Kachelmann verkleidet vor dem Mannheimer Landgericht vor und lieferte den wartenden Journalisten die Show, auf die sie gehofft hatten (zumindest von den Ausmaßen her).

Die “Hamburger Morgenpost” fand den Auftritt nicht lustig (ließ es sich anderseits selbst nicht nehmen, ihren Artikel mit “Pochers peinliche Parodie” zu überschreiben), wusste aber immerhin zu berichten:

Pocher selbst “entschuldigte” sich später. “Es sei eine Notlösung gewesen. Er sei als Dominik Brunner (das Totschlagopfer aus München) “nicht lustig genug” gewesen. Aber auch das dürfte Klamauk gewesen sein.

Klamauk ja, aber nicht von Pocher. Die “Entschuldigung” wurde Pocher nämlich von “Glasauge”, der Satire-Rubrik von “Welt Online”, in den Mund gelegt:

Star-Comedian Oliver Pocher entschuldigt sich dafür, dass er sich mit einer Kachelmann-Parodie vor dem Mannheimer Gericht über Vergewaltigungsopfer lustig gemacht hat: “Es war eine pure Notlösung – Sat 1 fand mich in meiner Verkleidung als Dominik Brunner nicht lustig genug.”

Andererseits: Wer rechnet bei “Welt Online” schon mit Humor?

Mit Dank an Sascha B.

St. Dominik von Solln

Erster Tag im Prozess des Jahres: Kachelmann trifft Ex-Geliebte vor Gericht! S-Bahn-Held Dominik Brummer: Harte Strafen für die Schläger

Es ist ein Glücksfall für die Boulevardmedien dieser Republik: Die Richter des “Brunner-Prozesses” (benannt nach dem Opfer Dominik Brunner) haben das Staffelholz an die Richter des “Kachelmann-Prozesses” (benannt nach dem Angeklagten Jörg Kachelmann) übergeben, die Gerichtsreporter müssen ihre Koffer gar nicht erst auspacken und beleben nach der Münchener jetzt die Mannheimer Hotelwirtschaft. Vorher gab es in München aber noch die Urteile: Neun Jahre und zehn Monate Jugendhaft wegen Mordes in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung für den 19-jährigen Haupttäter, sieben Jahre Jugendhaft wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie versuchter räuberischer Erpressung für seinen 18-jährigen Mittäter.

Das mit der Körperverletzung mit Todesfolge hatte Bild.de Anfangs allerdings nicht ganz verstanden und zum “Totschlag” umdeklariert:

Totschlag! 7 Jahre Gefängnis

Überhaupt: Während andere Medien Dominik Brunner mit seiner Berufsbezeichnung (“Geschäftsmann” oder “Manager”) versehen, war er für “Bild” und Bild.de von Anfang an der “S-Bahn-Held”, der “vier Kinder vor zwei Schlägern beschützte”. Schon wenige Tage nach dem tödlichen Vorfall am S-Bahnhof Solln forderte die Zeitung das Bundesverdienstkreuz für Brunner und rief ihre Leser auf, den Appell an den Bundeskanzler Bundespräsidenten zu unterschreiben. Horst Köhler machte eine seltene Ausnahme und verlieh Brunner posthum das Verdienstkreuz 1. Klasse, worüber “Bild” wiederum groß berichtete.

Im Februar berichtete der “Spiegel” erstmalig, dass Brunner “den ersten Fausthieb setzte” — eine Meldung, die auch auch von anderen Medien interessiert aufgenommen wurde. “Bild” versteckte eine kleine Meldung auf Seite 3 und bemühte sich sofort um eine Einordnung in den Helden-Kontext:

Jetzt geht die Staatsanwaltschaft München davon aus, dass Brunner zwar zuerst zuschlug – aber nur aus Notwehr, um dem Angriff der Jungs zuvorzukommen (“SZ”).

“Bild” und Bild.de konzentrierten sich (außer einem Hinweis darauf, dass dem “Münchner S-Bahn-Held Dominik Brunner” ein Denkmal gesetzt werden soll) lieber auf den Prozess, der im Juli begann, und liefen gleich zu Beginn zu Höchtsleistungen auf: Die Schwestermedien eröffneten ihre Prozessberichterstattung, indem sie auf die “besondere Zurückhaltung”, die der Pressekodex bei der Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche fordert, verzichteten (BILDblog berichtete).

Dann ging es los: Rührselig zitierte Bild.de eine SMS, die auf Brunners Handy eingegangen sei, als dieser schon tot war (“Der tote S-Bahn-Held erhielt einen Herzensgruß für seinen letzten Weg”). Aus der “Ex-Freundin”, die ihm diese Nachricht geschickt hatte, wurde dann kurze Zeit später seine “Lebensgefährtin”.

Ein 18-Jähriger, der vorab in einem eigenständigen Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung zu einem Jahr und sieben Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden war (“Bild”: “Gericht lässt 1. Täter laufen”), wurde bei Bild.de zum “Anstifter der Schläger”, der sich aus diesem Grund kein Urteil über die Situation erlauben dürfe:

Christoph T.: “Für mich ist dieser ausschlaggebende Punkt der Schlag von Herrn Brunner” – das sagt ausgerechnet der Anstifter der Schläger!

Dass der junge Mann beim tödlichen Angriff auf Brunner gar nicht dabei war und schon deshalb nur bedingt als Zeuge taugt, ist Bild.de immerhin aber auch noch aufgefallen:

Der Anstifter hat Dominik Brunner zwar nie gesehen – doch ohne ihn wäre der Mord am S-Bahnhof Solln am 12. September 2009 wohl nie geschehen!

Dann wiederholte der S-Bahn-Führer im Zeugenstand seine Aussage, dass Brunner den ersten Schlag gesetzt habe und die Situation erst daraufhin eskaliert sei (ein Umstand, von dem “Spiegel Online”-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen irritierenderweise annahm, er sei “erst jetzt, zu Prozessbeginn, der Öffentlichkeit mitgeteilt” worden). Zusammen mit dem Obduktions-Ergebnis, nach dem Dominik Brunner einen vergrößerten Herzmuskel hatte und letztlich an Herzversagen gestorben sei, ergab sich plötzlich ein etwas anderes Bild und viele Medien fragten sich selbstkritisch, ob sie nicht voreilig über die Situation am S-Bahnhof Solln geurteilt hätten. Viele, aber natürlich nicht alle.

“Bild” fand diese neuen Töne “unglaublich!”, und reagierte erschüttert auf die Medienberichte:

ZUM HELDEN HOCHSTILISIERT? ANGEBLICH TOTGETRETEN? PRÜGELNDER KAMPFSPORTFREUND?

Die Wahrheit ist: Nichts ist anders seit dem Wochenende! Nur, dass dem Opfer nun sogar im Grab die Ehre genommen werden soll.

Wohl weil die Verklärung Brunners andernorts ins Stocken geraten war, packte Tanit Koch noch eine Schüppe Poesie drauf:

Er hat diesen Bürgersinn nicht etwa mit seinem Leben bezahlt – es wurde ihm geraubt. (…)

Dominik Brunner starb nicht, weil er ein vergrößertes Herz hatte.

Der S-Bahn-Held starb, so erkennt die “Süddeutsche Zeitung” zu Recht an, weil er ein “großes Herz” hatte.

Franz Josef Wagner schließlich wusste es sowieso wieder besser als alle anderen und schrieb dem “lieben Held Dominik Brunner” ins Jenseits, “gegen Ihr Herzflimmern mussten Sie Mittel nehmen”. Gegen einen Herzfehler, von dem Brunner selbst Zeit seines Lebens nichts geahnt hatte.

Die Linie blieb also klar und das, was in anderen Medien “Präventivschlag” hieß, wurde bei Bild.de zum “Abwehrschlag” umdeklariert und taucht in der “Chronologie der tödlichen S-Bahn-Attacke”, wie sie heute noch online steht, gar nicht auf:

Der Mann steigt mit den Jugendlichen aus, die beiden Angreifer folgen ihnen. Plötzlich greifen sie den Mann an, er fällt zu Boden, sie treten weiter auf ihn ein.

Die Aussage des S-Bahn-Führers über Brunners Erstschlag ließ “Bild” erst mal unter den Tisch fallen und schrieb erst darüber, als ein “Lügenforscher” die Aussage “relativiert” hatte — gegenüber der Münchener Boulevardzeitung “tz”, wohlgemerkt, nicht gegenüber dem Gericht.

Der Beschreibung Brunners als “sozial besonders engagiert” setzte “Bild” die “kaputte Kindheit” und das “verpfuschte Leben des zweiten Brunner-Totschlägers” entgegen, dem die Zeitung nicht mal seine vor Gericht gezeigte Reue abnahm:

Sebastian L. behauptete: “Es tut mir auf jeden Fall wahnsinnig leid, es hätte nicht passieren müssen. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen.”

Selbst Details der Gewalt, die eigentlich für sich sprechen, hat “Bild” noch zugespitzt: Wenn der Angeklagte Markus S. “einen Schlüsselbund aus der Tasche und als Waffe zwischen die Finger” nimmt, ist das nicht nur “schlimm” oder “brutal” oder wie immer man das nennen würde, für die Schlagzeilenmacher bei “Bild” ist es “Der Schlüssel-Trick des S-Bahn-Schlägers”.

Über die erste Aussage dieses Angeklagten wusste Bild.de zu berichten:

Kein Mitleid, keine Reue, keine Tränen. Nein! Seine ersten Worte in dieser Verhandlung sind der blanke Hohn: “Ich habe einen Hass auf die Polizei.” Ungläubiges Kopfschütteln im Gerichtssaal.

(In der Bildunterschrift und der URL übrigens: “Ich hasse die Bullen.”)

Harte Worte, die aber trotzdem niemanden außer den “Bild-Reporter erschüttert zu haben scheinen: Für das Zitat findet sich keine einzige andere Quelle.

Auch mit einem anderen Detail stand “Bild” etwas alleine da:

Der damals 18-jährige Markus S. habe zweimal gerufen: “Ich bring’ dich um! Ich bring dich um!”, während er auf Brunner eingetreten und geschlagen habe, sagte die 16-jährige Schülerin, die das Ganze vom Bahnsteig gegenüber verfolgt hatte, vor dem Landgericht München aus.

… oder auch nicht, wie sueddeutsche.de berichtete:

Bei der Polizei hatte Vera B. drei Tage nach der Tat ausgesagt, dass einer der Täter zu Dominik Brunner gerufen hätte: “Ich bringe dich um!” Nun kann sie dies aber nicht mehr ganz sicher bestätigen.

Es sind letztlich eher Kleinigkeiten, die “Bild” anders wiedergibt als die meisten anderen Medien. Die Brutalität, mit der die Schläger vorgingen, zeigt sich auch daran, dass das Gericht mit seinen Urteilen nur knapp unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft blieb. Aber es sind viele Kleinigkeiten, mit denen “Bild” das Gesamtbild verzerrt — immer darauf bedacht, das früh gezeichnete Bild vom “S-Bahn-Helden” nicht zu beschädigen.

Über den “Kachelmann-Prozess” wird in “Bild” übrigens die Journalistin Alice Schwarzer berichten — weil sie eine “voreingenommene Berichterstattung” der “anderen Leitmedien” befürchtet.

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber in den letzten Monaten.

Schwarzer, Unterschichten, Elektroschrott

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bild setzt Alice Schwarzer auf Kachelmann an”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
Alice Schwarzer erhält von “Bild” eine wöchentliche Kolumne, in der sie den Prozess gegen Jörg Kachelmann begleitet. “Dass Kachelmann seine frühere Geliebte vergewaltigt hat, scheint für Schwarzer bereits festzustehen.”

2. “Offenheit: Mit Vorsicht zu genießen”
(fr-online.de, Daniel Bouhs)
Daniel Bouhs kommentiert die Meldung “Verbraucherzentrale kritisiert Bild-Shop” auf der Titelseite von “Bild” am Freitag.

3. “Lässt ‘Heute’ die Grünen für Dichand-Blasphemie büßen?”
(kobuk.at, Helge Fahrnberger)
Helge Fahrnberger sammelt kritische Schlagzeilen der Wiener Gratiszeitung “Heute” zur Partei “Die Grünen”: “Seit Ende Mai erschien alleine in der Printausgabe im Schnitt alle 3,7 Tage ein kritischer Artikel über die Grünen, darunter 21 große (mehrspaltige) Artikel. Angesichts des nur wenige Seiten umfassenden Politikteils eine enorme Menge.

4. “Die Aufregungsspirale”
(dradio.de, Brigitte Baetz)
Die Sarrazin-Debatte: Brigitte Baetz haben die vergangenen Tage gezeigt, dass Journalisten “nicht die Vermittler von Fakten und begründeten Meinungen, sondern die Veranstalter eines großen Kasperletheaters” sind.

5. Interview mit Gottfried Schatz
(nzz.ch, Francesco Benini)
Biochemiker Gottfried Schatz glaubt, man wisse noch zu wenig, um konkrete Aussagen zu vererbter Intelligenz zu machen. “Meine Vorfahren im südlichen Burgenland waren arme Bauern, deren Kinder meist als ungebildete Unterschicht in die USA zogen und sich dort emporarbeiteten. Hätte Sarrazin recht, stünde es um mein vererbtes intellektuelles Potenzial nicht zum Besten. Unterschichten haben uns grosse Genies geschenkt und werden dies wohl auch in Zukunft tun.”

6. “Ghana: Das Geschäft mit dem Elektroschrott”
(ardmediathek.de, Video, 7:10 Minuten)
Wie Elektroschrott aus Deutschland in Ghana verarbeitet wird.

Finanzjournalismus, Groschenromane, Mathias

6 vor 9

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1. “Bilanzen, Blödsinn und Bernanke”
(markusgaertner.com)
Wie gehen Finanzjournalisten mit Zahlen um, fragt sich Markus Gärtner: “Wir lassen uns von Ämtern, Investmentbanken und Lobbyorganisationen wie Verbänden mieses Zahlenmaterial andrehen und nehmen es für bare Münze. Wir haben auch keine Zeit, tiefer in dicken Quartals- und Jahresberichten zu graben. Das habe ich erst richtig gemerkt, als ich anfing diesen Blog aufzubauen und Themen zu recherchieren, für die Zeitungen keine Zeit haben.”

2. Interview mit Gisela Friedrichsen
(tagesspiegel.de, Thomas Eckert und Joachim Huber)
“Spiegel”-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen wird gefragt, ob sie bereits in der Rolle der “Kachelmann-Expertin” sei: “Plappern Sie doch nicht so dummes Zeug nach! Sie beleidigen mich! Im Fernsehen gibt es nur ‘Experten’: Adelsexperten, Terrorismusexperten, Geheimdienstexperten, Gesundheitsexperten, Asienexperten etc. Dass ich nicht lache: Kachelmann-Expertin! Ich kenne diesen Herrn nicht. Ich werde den Prozess gegen ihn beobachten, wie ich tausend andere Prozesse auch beobachtet habe. Über den Fall habe ich bisher einen einzigen kurzen Kommentar geschrieben …”

3. “Für wie blind hält Sky eigentlich den Zuschauer?”
(sportmedienblog.de)
Das Sportmedienblog stellt fest, dass die Bundesligakonferenz “- anders als beworben – gar nicht vollständig in nativem HD ausgestrahlt” wird.

4. “Mächtige Burschen, raue Gesellen”
(sueddeutsche.de, Katharina Riehl)
Katharina Riehl besucht einen Schreiber von Groschenromanen: “Die Welt von Dieter Walter ist eine Wohnung am Stadtrand von Augsburg. Ein kleines Wohnzimmer mit freundlichen Stofftieren, an der Tür hängt ein rotes Stoffherz mit der Aufschrift ‘Ich liebe dich’, an den Wänden Fotos von ihm und seiner philippinischen Ehefrau.”

5. “Probieren statt kopieren”
(fr-online.de, Peer Schader)
Peer Schader porträtiert die Firma Brainpool aus Köln, die hinter Sendungen wie “TV Total”, “Unser Star für Oslo” und “Ladykracher” oder Serien wie “Pastewka” oder “Stromberg” steht.

6. “Mathias”
(shripsinn.blogspot.com)
Shrip entdeckt in der “taz” einen Mathias.

Praktika, Pseudonyme, Sexualstraftäter

6 vor 9

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1. “Hetzjagd auf Sexualstraftäter”
(ndr.de, Video, 5:15 Minuten)
Reporter von “Bild” und “Hamburger Morgenpost” jagen den rechtmässig aus der Haft entlassenen Hans-Peter W. von einer Stadt in die andere und erschweren so eine Resozialisierung.

2. “Hinter der grünen Tür”
(fernsehkritik.tv, Video, 40:33 Minuten)
N-tv und RTL zeigen in Liveberichten während rund 90 Minuten das Eingangstor der Justizvollzugsanstalt Mannheim. Schließlich erscheint der Angeklagte Jörg Kachelmann, was bei RTL zur sofortigen Unterbrechung des laufenden Programms führt (der wahrlich harte Schnitt ab 8 Minuten).

3. “Die weltfremde Medienmoral-Debatte”
(meedia.de, Georg Altrogge)
Georg Altrogge widerspricht den Einschätzungen von Christian Schicha zur Loveparade-Berichterstattung (taz-Interview) und wünscht sich Medienwächter, die sich für “den investigativen Handlungsspielraum und die Presse- und Meinungsfreiheit” einsetzen. “Zweifelsohne gibt es viele, denen es nur Recht wäre, wenn auch von der Loveparade keine Bilddokumente veröffentlicht worden wären, die ein Zeugnis liefern von der Panik im Tunnel, dem opferverachtenden Verhalten der Zuständigen in der Duisburger Stadtverwaltung oder eines Oberbürgermeisters, der sich in grotesker Weise an ein gut dotiertes Amt klammert.”

4. “Zehn Gründe gegen ein Presse-Leistungsschutzrecht”
(telemedicus.info, Arnd Haller)
Arnd Haller von Google Deutschland zählt zehn Gründe auf, die gegen ein geplantes Leistungsschutzrecht sprechen. Kai Biermann hat die Punkte hier etwas kürzer zusammengefasst.

5. “Generation Praktikum? Ein Mythos!”
(fudder.de, Philipp Barth)
Philipp Barth hält die von Journalisten ausgerufene “Generation Praktikum” vor allem für ein Problem der Medienbranche.

6. “Wir müssen dann den Taliban als Zeugen vernehmen”
(buskeismus-lexikon.de, Rolf Schälike)
“Spiegel Online” schreibt über einen Soldaten und verpasst ihm (“Name von der Redaktion geändert”) ein Pseudonym. Doch es gibt tatsächlich einen Soldaten mit diesem Namen. Man trifft sich vor dem Landgericht Hamburg.

Primärquellen, Sonntagszeitung, Griechenland

6 vor 9

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1. “Journalisten und Primärquellen – Managergehälter”
(marcmichels.blogspot.com, Marc Michels)
“Nutzt endlich mal die verdammten Primärquellen!”, ruft Marc Michels Journalisten, Bürgern und Politikern entgegen. Während ein Bericht der “Thüringer Allgemeinen Zeitung” über Managergehälter auf den “Focus” verweist, schreibt “Bild”: “Eine neue Umfrage macht deutlich…”. Dabei seien die betreffenden Informationen schlicht frei im Internet verfügbar.

2. “Kachelmann-Verfahren: Schweizer Zeitung wirft Befangenheit auf”
(morgenweb.de, M. Wirth, A. Lin, J. Gruler)
In ihrer neusten Ausgabe äußert die “Sonntagszeitung” “Zweifel an der Unabhängigkeit des Richters” im Fall Jörg Kachelmann. Einige Regionalblätter vermeldeten darauf, “Vater und Richter seien im gleichen Verein und würden sich gut kennen”, was “zahlreiche seriöse deutsche Tageszeitungen und sogar die berühmten Nachrichtenmagazine Spiegel und Stern” sofort aufnahmen. Der betreffende Richter, Michael Seidling, dementiert und gibt an, weder die Klägerin noch ihren Vater überhaupt zu kennen.

3. “Im Würgegriff der Parteien”
(echo-online.de, Klaus Thomas Heck)
Klaus Thomas Heck sieht die öffentlich-rechtlichen Sender von den Parteien stark beeinflusst. Die Folge: Es ergießen sich “auf beiden Seiten telegene Gesichter in inhaltsarmen Worthülsen, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Man kennt sich, ist einander viel zu nah und hat sich vor der Kamera nichts zu sagen. Ergebnis ist meist journalistisch wie politisch der kleinste gemeinsame Nenner.”

4. “Mehr Mut zur Zensur”
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler fürchtet, dass “unterhalb der offiziellen Medienangebote”, also in den Kommentarspalten, “bizarre Parallelgesellschaften” entstehen. “Wer interessante Publikumsmeinungen finden will, muss darum oft durch kniehohen Wortmüll stapfen.” Er empfiehlt, kommerzielle Wege zu prüfen: “Wenn eine Website als Blitzableiter für Enttäuschte oder als Auffangbecken für Unterbeschäftigte dient, sollte man doch daraus eine Geschäftsidee entwickeln können.”

5. “Griechenland: Tödlicher Terror gegen Journalisten”
(focus.de, Wassilis Aswestopoulos)
Journalist Sokrates Giolias wird “im Athener Vorort Ilioupolis” von mehreren Attentätern vor seinem Haus erschossen. “Giolias war wie viele andere Journalisten auf Webseiten autonomer, extremistischer Gruppen als zu eliminierender Klassenfeind erwähnt worden.”

6. “Why Journalists Make Mistakes & What We Can Do About Them”
(poynter.org, Mallary Jean Tenore, englisch)
“Misspelled names and typos are among the more basic errors journalists make. But there’s another type of error that is harder to correct: when journalists miss the story completely.”

China, Sperrfristen, Content & Curation

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1. “Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien”
(boell.de)
Die Heinrich-Böll-Stiftung untersucht detailiert die Berichterstattung deutscher Medien über China (PDF, 304 Seiten, 2,46 MB). Beklagt wird unter anderem Eurozentrismus, eine Fokussierung auf eine konfliktträchtige Kernagenda, eine “teilweise ideologische Berichterstattung” und ein starker Fokus auf “auf deutsche Elite-Personen und Unternehmen”.

2. “Raufende Ermittlungen”
(sueddeutsche.de, W. Janisch)
Für W. Janisch ist das Klima für Medien, die über laufende Ermittlungen berichten, rauer geworden: “Das liegt auch daran, dass dort ein Geschäftsfeld für Medienrechtsanwälte entstanden ist, die auf der Seite der Betroffenen agieren. Promi-Anwalt Matthias Prinz war ein Wegbereiter, Christian Schertz in Berlin und Michael Nesselhauf in Hamburg gehören zu den aktivsten Klagevertretern.”

3. “hysterie im web2.0 – chronographie einer twitter-ente”
(stenographique.wordpress.com)
Ein lauter Knall in Göttingen und die Folgen bei Twitter: “so schnell die aufregung kam, so schnell ist sie auch wieder verstummt. gerade einmal 15minuten und mehrere hundert nachrichten lagen zwischen panikähnlichen zuständen und business as usual. 11.15 uhr: man wendet sich wieder der kaffeetasse, dem lernskript oder dem terminplaner zu. als wäre nichts gewesen…”

4. “Skandalöse Rezensionspraktiken im Fall Christa Wolf”
(freitag.de/community/blogs, Michael Angele)
Michael Angele beachtet die Sperrfrist des Suhrkamp-Verlags zum neuen Roman von Christa Wolf, andere Medien aber nicht. Das sei auch “ein Betrug am Leser, denn der kann das besprochene Buch ja noch gar nicht kaufen”.

5. “Content Is No Longer King: Curation Is King”
(businessinsider.com, Steve Rosenbaum, englisch)
“‘Content is King’ — no longer. Today, the world has changed. ‘Curation Is King.'”

6. “Holzmedien versuchen HTML”
(hetjens.com, Philip Hetjens)
Philip Hetjens prüft die Websites einiger deutschsprachigen Zeitungen mit dem W3-Validator. “Im Boulevard scheint gutes HTML beliebt zu sein, aber sonst sieht es oft eher mässig aus. Den Vogel schiesst aber definitiv das Handelsblatt ab: Bei über 1300 Fehler auf der Homepage müssen die schon absichtlich eingebaut werden.”

Assouline, Bauerntheater, Zapp

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1. “Das tägliche Brot der Demokratie”
(blaetter.de, Heribert Prantl)
Heribert Prantl schreibt in einem langen, historisch ausholenden Text, was Wissenschaft, Publizistik und Politik miteinander zu tun haben: “Mich erinnern die Blogger von heute an die politisierten Bürger von 1848/49 – Blogs sind mehr Demokratie. Soll da wirklich der professionelle Journalismus die Nase hochziehen, so wie es vor 160 Jahren die etablierten fürstlichen Herrschaften und die monarchischen Potentaten getan haben?”

2. “Doku-Soaps ohne Wahrheitsgehalt”
(ndr.de, Tina Schober, Video, 6:21 Minuten)
Im Nachmittagsprogramm der Privatsender haben sich die mit Laienschauspieler besetzten Doku-Soaps als Quotenerfolge festgesetzt. “Die moderne Form des Bauerntheaters” sei wahnsinnig erfolgreich.

3. Interview mit Julia Stein und Steffen Eßbach
(meedia.de, Christine Lübbers)
Die Macher des medienkritischen NDR-Magazins “Zapp” (siehe Link 2) in einem ausführlichen Interview: “Journalisten sind so groß im Austeilen, aber so ganz schlecht im Einstecken. Deshalb wird man als Medienjournalist häufig als Nestbeschmutzer wahrgenommen.”

4. “Promis am Pranger”
(taz.de, Christian Rath)
Christian Rath fragt, ob verdächtige Prominente wie Jörg Kachelmann, über den fast täglich berichtet werde, vor den Medien geschützt werden müssen. “Selbst wenn er am Ende freigesprochen würde, droht seiner Karriere ein schwerer Dämpfer, weil in der öffentlichen Wahrnehmung meist eben doch etwas hängen bleibt.”

5. “Der Online-Reich-Ranicki”
(freitag.de, Frank Fischer)
Frank Fischer stellt das französische Literaturblog “La république des livres” von Pierre Assouline vor, das mit fast jedem Beitrag hunderte von Kommentaren hervorruft. “Wenn es ein deutsches Pendant zu Pierre Assouline gäbe, es handelte sich wahrscheinlich um ein Mischwesen aus Marcel Reich-Ranicki, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Matthias Matussek und Don Alphonso.”

6. “Boston Globe Tailors Print Edition For Three Remaining Subscribers”
(theonion.com, Video, 2:19 Minuten, englisch)
Der “Boston Globe” richtet sich angeblich ganz auf seine drei verbleibenden Abonnenten aus.

Tagesschau, Tauss, ddp

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1. “Nachrichten nach Gutsherrenart”
(begleitschreiben.twoday.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig prüft in verschiedenen Fällen (Mixa, Tauss, Zumwinkel, Mohren, Wiedeking, Middelhoff, Garlichs) die Kriterien, zu denen sich die “Tagesschau” im Fall Kachelmann bekannt hat. Wann ist / wird eine Meldung relevant – und gilt das einheitlich?

2. “Der Tauss-Prozess: Die Berichterstattung”
(bruchsal.org, Rainer Kaufmann)
Eine Analyse der Berichterstattung zum Fall Tauss bei “Spiegel Online”, der “Stuttgarter Zeitung” und den “Badischen Neuesten Nachrichten”.

3. “ddp und der PR- Content”
(andremarty.com)
Nahost-Korrespondent André Marty wird von der ddp direct GmbH angefragt, ob er “multimedialen PR-Content” umfassend recherchieren möchte: “Alleine die Idee, Journalisten ‘gut aufbereitete PR- Inhalte’ anzubieten, spricht Bände. Was mich jedoch beunruhigt, ist die Dreistigkeit, mit der sich diese PR- Fuzzis im Jahr 2010 Journalisten anbiedern.”

4. “Warum sind die Kritiken bloß so schlaff?”
(welt.de, Sibylle Lewitscharoff)
Sibylle Lewitscharoff über den Literaturbetrieb, in dem “jeder mit jedem zumindest oberflächlich bekannt” ist. “Auch der schlachtbereite Kritiker wird unmerklich darin gehemmt, den vollen Becher seines Zorns und seiner Enttäuschung über einem Buch zu leeren, wenn er dem Menschen, der es geschrieben hat, einmal, zweimal, gar öfter begegnet ist.”

5. Mediafail
(mediafail.com, englisch)
“Expose the Worst of American Media: Find it. Post it. Fail it.”

6. “ZDF-Programmchef schützt Lobbyisten”
(heise.de/tp/blogs, Peter Muehlbauer)
Ein Beitrag von Martin Sonneborn in der “heute-Show” (Video, 3:43 Minuten) zieht eine Rüge von ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut nach sich.

Hells Angels, van Gaal, Wetterbericht

6 vor 9

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1. “Hells Angels – Verherrlicht, verharmlost”
(ndr.de, Video, 8:01 Minuten)
Wie Medien dem Motorradclub “Hells Angels” eine unkritische Plattform bieten. Als Beispiele werden die “Bild”-Artikel “Der mächtigste Rocker-Boss spricht in BILD” und “Rocker-Boss will den Krieg beenden” genannt.

2. “Der siegende Holländer”
(blogmedien.de, Horst Müller)
Horst Müller glaubt, dass es Louis van Gaal, der den FC Bayern München ins Finale der Champions League führte, nicht mehr auf den Titel von “Bild” schafft. Das habe mit Schlagzeilen aus dem Herbst 2009 zu tun. “Damals musste der FC Bayern eine 1:2 Schlappe in der Champions-League-Vorrunde gegen Girondins Bordeaux einstecken, wofür ‘Bild’ vor allem den ‘arroganten’ Holländer verantwortlich machte. ‘Van Gaal ist schlechter als Klinsi’, stellte ‘Bild’ seinerzeit fest.”

3. “‘Österreich’ & ‘Krone’ uneinig über Autobahn-Ehestreit”
(kobuk.at, Svetlana Gricenko)
Svetlana Gricenko vergleicht, wie ein Streit eines Ehepaars in den Zeitungen “Österreich” und “Krone” dargestellt wird.

4. “Theaterkritik mit Kopf und Bauch”
(kreuzer-leipzig.de, Tobias Prüwer)
Jörg van der Horst denkt im Gespräch mit Tobias Prüwer darüber nach, wie das Internet die Theaterkritik verändert hat. “Interessant ist die Ich-Perspektive, aus der viele Blogger schreiben. Davon kann herkömmliche Theaterkritik, die sich bisweilen im Absolutheitsanspruch übt, noch lernen.”

5. “Vermisst: Anstand!”
(jensscholz.com)
Jens Scholz stört sich an der Marketingaktion eines Hörgeräteherstellers, der mit fiktiven Vermisstenanzeigen für seine Leistungen wirbt. “Wann ist bei euch der Anstanddetektor ausgefallen? Wer von euch hat in seiner Kindheit nicht gelernt, im Schwimmbad nicht um Hilfe zu rufen, damit wenn jemand wirklich Hilfe braucht, seine Rufe gehört und Ernst genommen werden?”

6. “Krass: Wetterbericht wird wegen Wetter gesehen!”
(medienpiraten.tv/blog, Peer Schader)
Peer Schader zu einer Meldung des Branchendiensts “Kontakter”: “Na sowas. Zuschauer, die sich den Wetterbericht ansehen, schalten also nicht ein, um Jörg Kachelmann zu sehen – sondern um sich erklären zu lassen, wie morgen das Wetter wird!”

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