Suchergebnisse für ‘Ausländer’

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Hetzen ist nur bei “Bild” erlaubt

Vor knapp zwei Monaten schrieb “Bild”:

Deutschland ist entsetzt: Ganz offen und mit vollem Namen wird in sozialen Netzwerken zu Gewalt aufgerufen und gehetzt – gegen Ausländer, Politiker, Journalisten, Künstler…

Hemmungslos und ungestört, vor allem auf Facebook und Twitter. So viel offener Hass war nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten. Längst ist die Grenze überschritten von freier Meinungsäußerung oder Satire zum Aufruf zu schwersten Straftaten bis zum Mord.

BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!

BILD-Doppelseite: 'DER PRANGER DER SCHANDE'

(Unkenntlichmachung von uns.)

Knapp 40 Facebook-Kommentare (“Verpisst euch aus Deutschland”, “An die Wand,mit dem Dreckspack”) druckte “Bild” inklusive Fotos und Namen der Verfasser ab und verkündete wenig später stolz:

Erste Anzeigen! Jetzt MUSS der Staatsanwalt ermitteln

Auf ihrer eigenen Facebookseite sehen die Leute von “Bild” das mit dem Hass, der Hetze und den Aufrufen zu schwersten Straftaten aber nicht ganz so eng. Dort lassen sie die Leute säen, was immer sie wollen.

Hier zum Beispiel geht es um eine Schlägerei in einer Schule in Neukölln:
Mal wieder die üblichern Ausländer mit ihren geistig extrem beschränkten Mitteln! Ali, Suleyman, Umit, Mustafa und Fikret, ging es mal wieder um 'die EHRE'?? Ach was, die brauchen offenbar keinen Grund, sich täglich zu kloppen.Widerliche Leute!



Hier um eine Frau, die einer Seniorin viel Geld gestohlen haben soll:
Direkt an die Wand mit der....
War bestimmt eine auslanderin

(War sie nicht.)

Hier über einen Mann, der wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde:

Dieses dumme Schwein lebt auf Kosten deutschen Bürger weiter....ich könnt kotzen
sowat gehört eingemauert... und nich auf unsere Kosten durchefüttert
Ihn auch würgen, aber NICHT minutenlang, sondern STUNDENLANG
Rübe ab und fertig























Das ist eine kleine Auswahl allein von heute Abend, es geht auch munter weiter, gelöscht haben die Leute von “Bild” nichts. Scheint ihnen ja wirklich sehr am Herzen zu liegen, der Kampf gegen den Hass.

Mit Dank an Christoph H.

Nachtrag, 11. Dezember: Inzwischen wurden die meisten Kommentare gelöscht.

Paris-Attentäter doch nicht “als Flüchtling in Bayern registriert”

Gestern Abend verkündete die “Welt” über alle Kanäle:

(Wie die „Welt“ auf „drei Terroristen“ kam, wissen wir nicht. Im Text war auf jeden Fall nur von zwei Attentätern die Rede, von denen die Ermittler ohnehin annehmen, dass sie als Flüchtlinge gereist sein könnten.)

Jedenfalls: Bayern.

Feldkirchen bei München. Die 7.000-Einwohner Gemeinde östlich der bayerischen Landeshauptstadt ist seit Monaten ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge. Im Oktober ließ sich in Feldkirchen auch ein Mann als Asylbewerber registrieren, der womöglich wenige Wochen später in Paris mordete. Einer der Attentäter vom 13. November. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat dies nach Informationen der „Welt“ ermittelt.

Wenig später klang die „Welt“ allerdings nicht mehr so sicher:

Feldkirchen bei München. Die 7.000-Einwohner Gemeinde östlich der bayerischen Landeshauptstadt ist seit Monaten ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge. Im Oktober ließ sich in Feldkirchen auch ein Mann als Asylbewerber registrieren, der womöglich wenige Wochen später in Paris mordete. Einer der Attentäter vom 13. November. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat dies nach Informationen der „Welt“ ermittelt. Deutsche Ermittler gehen dem Verdacht in der bayerischen Aufnahmestation für Flüchtlinge nach. Noch werde überprüft, ob es sich um eine Verwechslung handelt. Dies sei noch nicht abschließend geklärt, heißt es aus Sicherheitskreisen.

(Hervorhebung von uns.)

Und schließlich musste das Blatt einräumen:

Die “Welt” hatte ursprünglich berichtet, einer der Pariser Attentäter, der mutmaßlich mit einem gefälschten syrischen Pass gereist war, habe sich in Feldkirchen bei München als Flüchtling registrieren lassen. Dies soll allerdings nach bisherigem Ermittlungsstand nicht der Fall sein. Weiter ist unklar, ob die Terroristen von Paris durch Deutschland reisten.

Da hatte die Falschmeldung aber schon längst die Runde gemacht (auch dank der Agentur AFP, die sie etwa eine halbe Stunde lang verbreitet hatte, bevor sie sie zurückzog) — und den Rechtspopulisten und Ausländerfeinden mal wieder eine wunderbare Steilvorlage geboten:



Übrigens hatte auch der Münchner “Merkur” geschrieben, dass einer der Paris-Attentäter möglicherweise als Flüchtling in Bayern registriert worden sei. Quelle dafür war Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU), der dem “Merkur” erzählt hatte, es spräche “im Moment sehr viel dafür”. Kurz darauf ruderte der Innenminister aber wieder zurück:

Nach derzeitiger Erkenntnislage hat sich der Verdacht, einer der Paris-Attentäter sei zuvor in Bayern als Flüchtling registriert worden, doch nicht bestätigt. “Es handelt sich offensichtlich nicht um den entsprechenden Menschen”, sagte der Sprecher des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU), Oliver Platzer, am Dienstagabend der Nachrichtenagentur AFP. Ein Flüchtling mit selbem Namen wie einer der Attentäter sei in Feldkirchen registriert worden. Die französischen Behörden hätten den Flüchtling vor Ort angetroffen und mit ihm gesprochen.

Auch die dpa schreibt:

Oliver Platzer [der Sprecher des bayerischen Innenministers] sagte nun: «Es handelt sich nicht um den gestorbenen Attentäter.» Das habe sich bei einer Überprüfung herausgestellt.

Damit gibt es nicht nur “keinen Beleg” für die Geschichte der “Welt” (so ja der neueste Stand bei der “Welt”) — es spricht auch alles dagegen.

Aber wenigstens in der „Welt“-Chefetage sieht man die Sache nicht so eng:

Siehe auch:

Nachtrag, 26. November: Unsere Leser Alex B. und Benedikt H. sowie der “Merkur” haben noch einen weiteren Fehler in der “Welt”-Geschichte entdeckt:

Der in Bayern registrierte Flüchtling lebt, Sicherheitskräfte haben ihn besucht. Er wurde auch nicht, wie von der Zeitung Welt beharrlich verbreitet, in Feldkirchen bei München, sondern in Feldkirchen bei Straubing registriert – aus außerbayerischer Sicht schien das alles recht nahe beieinander zu liegen. In der Realität hat das niederbayerische Feldkirchen aber eine sehr große Unterkunft, das oberbayerische nur eine sehr kleine, in der auch keine syrischen Flüchtlinge registriert wurden.

n24.de  

Über tote Flüchtlinge lachen mit N24

Am Wochenende berichtete N24 auf seiner Onlineseite:

Wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen haben in Südschweden in der Nacht zum Freitag einige Menschen unter freiem Himmel übernachten müssen. Im südschwedischen Malmö liegen die Temperaturen nachts derzeit knapp über dem Gefrierpunkt.

Zuvor hatte die Ausländerbehörde mitgeteilt, dass das Land nicht mehr allen Asylbewerbern ein Dach über dem Kopf anbieten könne.

Und wie reagierten die Leser auf diese Nachricht?

(“belustigt”, “inspiriert”, “überrascht”, “informiert”, “egal”, “erschreckt”, “traurig”, “verärgert”)

Eine ähnliche Emotions-Funktion (“Lachen”, “Weinen”, “Wut”, “Staunen”, “Wow”) gab es bis vor Kurzem auch bei den Springer-Kollegen von Bild.de. Der Unterschied: Die Leser von N24 lachen (im Gegensatz zu denen von Bild.de) nicht über alles. Wenn Menschen Deutsche zu Schaden kommen, reagieren sie sogar meist “erschreckt” oder “traurig”. Wenn jedoch Flüchtlinge die Leidtragenden sind, kommt Freude auf:




































Der Presserat hat sich in seiner letzten Sitzung mit diesem Emotions-Tool beschäftigt. Im konkreten Fall ging es nicht um N24, sondern um Bild.de, und zwar um einen Artikel mit der Überschrift “Schläger attackieren homosexuellen Politiker” (224-mal “Lachen”). Es schade dem Ansehen der Presse, so der Presserat, “wenn ein Medium bei einem Beitrag, der sich mit einer Gewalttat gegen einen Menschen beschäftigt, den Usern die Möglichkeit eröffnet, den Artikel mit einer Emotion wie ‘Lachen’ zu bewerten”. Darum sprach der Presserat einen folgenlosen “Hinweis” gegen Bild.de aus; inzwischen gibt es die Funktion dort nicht mehr.

Bei N24 muss man fairerweise dazusagen: Nicht bei allen Artikeln über Flüchtlinge reagieren die Leser mehrheitlich belustigt.


Mit Dank an Thomas O.!

Nachtrag, 25. November: N24 hat die Funktion jetzt komplett von der Seite entfernt. Übrigens kam die hohe “belustigt”-Zahl im ersten Screenshot (“In Schweden schlafen Flüchtlinge nun in der Kälte”) vor allem dadurch zustande, weil auf der Plattform “pr0gramm” jemand auf die Voting-Funktion hingewiesen hatte.

Reporter in Haft, Zahlen übers Netz, gemeine Fragen

1. Militärermittlungen gegen Investigativjournalist
(reporter-ohne-grenzen.de)
Hossam Bahgat ist vermutlich der bekannteste Investigativjournalist Ägyptens, einer der wenigen Reporter des Landes, die nicht vor Kritik an Präsident Abdel Fattah al-Sisi und dessen Regierung zurückschrecken. Jetzt sitzt Bahgat in Untersuchungshaft. Grund dürfte ein Bericht über “die Hintergründe eines Militärurteils gegen 26 Armeeoffiziere wegen Umsturzplänen” sein. “Reporter ohne Grenzen” verurteilt die Verhaftung Bahgats und gibt einen Überblick über weitere inhaftierte ägyptische Journalisten. Dazu auch: Sueddeutsche.de über Bahgats Fall.

2. Flüchtlingsforschung gegen Mythen
(fluechtlingsforschung.net)
Der ehemalige BND-Chef August Hanning fordert die Beschränkung des Familiennachzugs und die sofortige Schließung der Grenzen, Angela Merkel sagt, dass “wir bei den Abschiebungen noch nicht gut genug sind”, und Joachim Herrmann zweifelt, “ob sich der deutsche Sozialstaat die jetzige Großzügigkeit noch leisten kann”. Was sagen eigentlich Wissenschaftler zu solchen populistischen Parolen, die meist über die Medien verbreitet werden? Sechs Forderungen und Behauptungen im Faktencheck.

3. Hat Frankfurt wirklich ein Problem mit sogenannter “Ausländerkriminalität”?
(vice.com, Ben Kilb)
Natürlich gebe es kriminelle Ausländer in Frankfurt, doch 1.) sinke die Zahl der jugendlichen Intensivtäter mit Migrationshintergrund und 2.) gebe es derzeit offensichtlich deutlich mehr Gewalt gegen Ausländer, schreibt Ben Kilb. Ein Kriminologe bestätigt ihm, dass eine unausgewogene Presseberichterstattung zur Kriminalität existiere, zum Nachteil von Menschen mit Migrationshintergrund. So zeige sich: “Die Stadtpolitik hat Probleme mit der Wohnungsnot, fehlenden Hortplätzen, maroden Schulen und seit Jüngstem mit der Unterbringung von Flüchtlingen, nicht wirklich mit ‘Ausländerkriminalität’.”

4. Hashtags, Unique User und Suchtrends: schlaue Zahlen übers Netz
(torial.com, Stefan Mey)
Agof und IVW, Unique User und Visits, Similar Web und Google Trends, 10000 Flies und die Deutschen Blogcharts. Bei all diesen Abkürzungen und Rankings kann man schon mal den Überblick verlieren. Stefan Mey erklärt, wer da eigentlich was misst — und wie aussagekräftig diese Zahlen sind.

5. We need a Data Journalism Archive. Before it becomes just another 404 error.
(vox.com, Simon Rogers)
Obwohl so viele Daten wie nie im Internet zur Verfügung stehen, befürchtet Simon Rogers ein dunkles Zeitalter des Datenjournalismus. Denn: Kaum jemand archiviere ordentlich, dadurch verschwänden eigentlich ambitionierte Web-Projekte oder seien eingefroren. Rogers stellt einige vor und fordert ein Datenarchiv. “Before we forget everything we know.”

6. Man kann gemeine Fragen auch mit einem Lächeln stellen.
(planet-interview.de, Adrian Arab)
Lutz van der Horst jagt als Außenreporter der “heute show” von Parteitag zu Parteitag und bekommt auf seine satirischen Fragen oft entlarvende Antworten. Mit Adrian Arab spricht er über all seine Stationen und Rollen: von Jimmy Breuer über den “TV Total”-Blasehase bis zum Einsatz fürs ZDF.

Wie falsche Bilder von Flüchtlingen entstehen

Es ist nicht unwichtig, welche Bilder man im Kopf hat, wenn man über Flüchtlinge redet.

Wenn “Spiegel Online”-Kolumnist Jan Fleischhauer über Flüchtlinge redet, hat er zwei Bilder im Kopf, aber wenn es nach ihm geht, passt nur eins davon zur Realität.

Da wäre zum einen das hier, das er auf der Facebook-Seite der Grünen-Politikern Katrin Göring-Eckardt gefunden hat:

“Es ist das, was man ein herziges Bild nennt”, schreibt Fleischhauer. “Wer keine Seele aus Stein hat, der möchte das Kind an die Hand nehmen und an einen sicheren Ort bringen.”

Und dann das andere Bild, auf der Titelseite der “FAZ” vom 30. September:

“Man sah darauf Neuangekommene, die auf ihre Registrierung als Asylbewerber warteten”, schreibt Fleischhauer. “Ein Kollege, mit dem ich telefonierte, fragte mich, ob ich bemerkt habe, dass es sich von vielen Flüchtlingsfotos unterscheide. Er hatte recht: Es gab darauf weder Kinder noch Frauen. Man sah ausschließlich Männer, die sich an weißen Sperrgittern gelehnt die Zeit vertrieben.”

Und das, findet Fleischhauer, treffe die “Migrationswirklichkeit” “leider” viel besser als das herzige Kinder-Bild:

Wer wie Katrin Göring-Eckardt vor allem schutzbedürftige Kinder sieht, hält jeden für einen Unmenschen, der laut über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit nachdenkt. Was die Migrationswirklichkeit angeht, sprechen die Fakten leider gegen die Fraktionsvorsitzende der Grünen und für die “FAZ”: Rund 70 Prozent derjenigen, die zu uns kommen, sind allein reisende, junge Männer.

Es ist also klar, welches Bild Fleischhauer in die Köpfe seiner Leser bringen will:

Fleischhauer schreibt:

Bislang spielt sich die Krise abseits der Innenstädte ab, wo die Leute, die in der Flüchtlingsdebatte den Ton angeben, gerne wohnen. Wer durch die Einkaufszonen von Hamburg oder München schlendert, würde nie auf die Idee kommen, dass man in vielen Kommunen nicht mehr weiß, wie man der Lage Herr werden soll. Aber dieser Zustand des seligen Nebeneinanders kann sich schnell ändern. Der Soziologe Armin Nassehi, der übrigens ein Befürworter von mehr Zuwanderung ist, spricht von einer “Maskulinisierung” des öffentlichen Raums, auf die man sich beizeiten einstellen sollte.

Man wird sehen, wie das aufgeklärte Deutschland reagiert, wenn das neue Eckensteher-Milieu die inneren Großstädte erreicht. Für die #Aufschrei-Welt, in der schon ein zu offensiver Blick auf Po oder Busen einen sexuellen Übergriff markiert, verheißt das Wort “Maskulinisierung” jedenfalls nichts Gutes.

Für Fleischhauer offenkundig auch nicht. 70 Prozent junges, männliches “Eckensteher-Milieu”, du liebe Zeit!

Woher er diese Zahl hat, verrät er allerdings nicht.

Vielleicht von Boris Palmer. Der Grünen-Politiker hatte nicht nur die gleiche Zahl, sondern vermutlich auch ähnliche Bilder im Kopf wie Fleischhauer, als er Ende September in der “taz” über Flüchtlinge sprach:

“Derzeit sind über 70 Prozent der Flüchtlinge junge Männer, die ganz andere Vorstellungen von der Rolle der Frauen, der Religion, Meinungsfreiheit, Homosexualität oder Umweltschutz in der Gesellschaft haben als wir Grüne. Machen wir uns nichts vor: Die Aufgabe ist riesig.”

Seit Palmer und Fleischhauer geistern die Behauptungen immer wieder durch die Medien. Vor drei Wochen zum Beispiel in einem Interview der “Welt”:

Die Welt: Über 70 Prozent der Flüchtlinge sind allein reisende junge Männer. Der Soziologe Armin Nassehi warnt schon vor einer Maskulinisierung des öffentlichen Raums. Was heißt das im Alltag?

Oder in der “Huffington Post”:

Und über noch etwas sollten sich die Politik und die Deutschen keine Illusionen machen: Rund 70 Prozent der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Junge Männer – egal welcher Herkunft und welches Glaubens – sind besonders anfällig dafür, Gewalttaten zu begehen.

Auch Leser machen sich die Behauptungen zu eigen:

Wie stellen sich unsere Politiker künftig diese Gesellschaft eigentlich vor, wenn mehr als 70 Prozent der Asylanwärter und Flüchtlinge junge Männer sind, die andere Vorstellungen haben von Religion, Meinungsfreiheit, Toleranz, vom Rollenverständnis Mann/Frau, für die in ihrer bisherigen Lebenswirklichkeit christliche Werte und Demokratie bislang Fremdworte waren (…)?

Ganz besondere Aufmerksamkeit erregen die Aussagen aber bei jenen, die von den Medien sonst eigentlich nicht so viel halten und von den Flüchtlingen erst recht nicht:

Auch in rechtspopulistischen Zeitungen, auf ausländerfeindlichen Hetzseiten und in Naziforen werden die Aussagen dankbar aufgegriffen.

Quellen (außer Fleischhauer oder Palmer) oder Belege für diese Behauptung finden sich nirgends.

Wir haben uns daher mal vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die aktuellsten Daten über das Alter und Geschlecht von Asylbewerbern besorgt. So sehen sie (für die von Januar 2015 bis einschließlich September 2015 gestellten Anträge) aus:

Altersgruppe männlich weiblich
bis unter 16 43.482 36.743
16 bis unter 18 9.706 2.948
18 bis unter 25 56.539 14.743
25 bis unter 30 34.517 11.685
30 bis unter 35 23.075 9.858
35 bis unter 40 15.213 7.549
40 bis unter 45 10.058 5.003
45 bis unter 50 6.263 3.336
50 bis unter 55 3.513 2.213
55 bis unter 60 1.870 1.521
60 bis unter 65 965 839
65 und älter 834 967
unbekannt 2 1
Gesamt 206.037 97.406

Der Anteil der jungen Männer — sagen wir mal: 18 bis 35 Jahre — an der Gesamtzahl der Flüchtlinge beträgt demnach nicht 70, sondern 38 Prozent. Selbst wenn man “junge Männer” als 16 bis 40 Jahre definiert, kommt man nur auf 46 Prozent.

Es stimmt, dass überwiegend männliche Flüchtlinge in Deutschland Asyl suchen (rund 70 Prozent). Doch fast die Hälfte davon ist entweder minderjährig oder älter als 35.

Viele “besorgte” Bürger und Medien stellen insbesondere die jungen, allein reisenden Männer unter den Flüchtlingen als Gefahr dar. Behauptungen wie die von Fleischhauer und Palmer erleichtern ihnen die Panikmache, denn wenn sogar die Gutmenschenmedien 70 Prozent Eckensteher-Flüchtlinge ausmachen, ist die endgültige Schändung des Abendlandes ja praktisch nicht mehr aufzuhalten.

Den Hetzern kommt dabei auch zugute, dass durch die Betonung des (falschen) “junge Männer”-Anteils ein anderer Ausschnitt der (tatsächlichen) Migrationswirklichkeit verzerrt wird: der Anteil der Kinder.

70 Prozent der Flüchtlinge sind junge, alleinstehende Männer – es gibt kaum Kinder.

Aber gerade sie tauchen in den Pressebildern auf. Die Medien informieren nicht mehr, es wird mit Gefühlen manipuliert: Die großen Augen eines verlorenen Kindes können selbst ein Herz aus Stein erweichen. Viele im Land wollen helfen, weil sie den Ernst der Lage vollkommen falsch einschätzen und die Krise noch nicht in den Innenstädten angekommen ist.

So schreibt es ein Autor des “Kopp”-Verlags. Die Rechnung ist ja auch nicht allzu schwer: Wenn schon 70 Prozent der Flüchtlinge junge Männer sind, kommen noch alte Männer dazu, dann junge Frauen, alte Frauen — da muss die Zahl der Kinder ja gering sein.

In Wahrheit aber ist fast jeder dritte Flüchtling minderjährig, jeder vierte ist jünger als 16. Allein in diesem Jahr haben laut BAMF bis Ende September fast 7.500 unbegleitete und 85.000 begleitete Minderjährige Asylanträge gestellt.

Keine Frage: Wer nur schutzbedürftige Kinder sieht, verkennt die Realität. Wer 70 Prozent junge Männer und kaum Kinder sieht, verkennt sie aber auch.

Die Statistiken für 2014 sehen übrigens ähnlich aus (und sind für jeden einsehbar, sogar für Journalisten und Politiker). Anteil der jungen Männer: 37 Prozent. Anteil der Kinder unter 16: 28 Prozent.

Ob die jungen Männer allesamt alleine reisen und oft an Ecken stehen, welches Verständnis sie von der Rolle der Frau, von Religion, Meinungsfreiheit, Homosexualität und Umweltschutz haben, ist den Statistiken übrigens nicht zu entnehmen.

Bei diesem Teufel-an-die-Wand-Malen nach Zahlen fällt auch unter den Tisch, warum vor allem junge Männer nach Europa flüchten. Dafür gibt es viele Gründe, die zum Beispiel die „Süddeutsche Zeitung“ vor Kurzem genauer betrachtet hat:

„In vielen Familien, die in Gefahr geraten, reichen die Ressourcen einfach nicht aus, um mehr als einem Mitglied die Flucht nach Europa zu finanzieren”, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Aus verschiedenen Gründen würden dann eher die jungen Männer als Frauen oder Ältere und Kinder auf den Weg geschickt.

So sind Männer etwa in der Regel körperlich stärker und – je nach Herkunft – häufig besser ausgebildet als Frauen. Deshalb gelten ihre Chancen als größer, eine gefährliche Reise zu überleben und am Zielort Arbeit zu finden. Häufig stellen sie aus traditionellen Vorstellungen heraus den Haupternährer – und stehen damit in der Verantwortung, für die Familie zu sorgen.

Auch die Gefahr, als Kämpfer zwangsverpflichtet zu werden, motiviert laut Experten viele Männer zur Flucht:

“Männer wollen so vermutlich einer direkten Beteiligung am Kampfgeschehen entgehen”, sagte Pro-Asyl-Chef Günter Burkhardt SPIEGEL ONLINE. Die Gefahr, getötet oder zwangsrekrutiert zu werden, sei für sie etwa im Bürgerkriegsland Syrien sehr hoch.

Darüber hinaus „kümmern sich in vielen Fällen Frauen um den Nachwuchs und bleiben aus diesem Grund eher in den Herkunftsländern zurück“, erklärt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Für Frauen komme in manchen Gebieten zudem das Risiko hinzu, auf der Flucht verschleppt und vergewaltigt zu werden, so Pro Asyl.

Es ist also, wie die “Süddeutsche” feststellt, …

nicht überraschend, dass sich – unabhängig vom konkreten Anlass der Flucht – eher Männer auf die gefährliche Reise machen, während die Familien in der Hoffnung zurückbleiben, dass sie später über eine Familienzusammenführung ohne Risiko nachreisen können – oder aus der Ferne vom Mann versorgt werden.

All das spielt bei Fleischhauer, Palmer, den Rechtspopulisten und Nazis keine Rolle. Sie stürzen sich auf die eine Zahl, die eine falsche Zahl, und erzeugen damit ein verzerrtes und unvollständiges Bild, das seit Wochen weitergetragen und verfestigt wird.

Und dann war da noch Kai Gniffke, der Chefredakteur von “ARD Aktuell”. Der “Focus” schrieb vor zwei Wochen:

Die „Tagesschau“ und die „Tagesthemen“ zeige nicht immer ein richtiges Bild der nach Deutschland drängenden Flüchtlingen. Das hat „ARD aktuell”-Chefredakteur Kai Gniffke jetzt eingeräumt.

Vor Branchenexperten in Hamburg sagte Gniffke: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“.

Also:

„Wir müssen sensibel sein, damit die Bildauswahl nicht allzu sehr auf Kinder fokussiert wird“, kündigt der Chefredakteur gegenüber FOCUS an.

Die, die sonst nur Lügen in der Presse sehen, glaubten diese Nachrichten ausnahmsweise sofort und verkündeten triumphierend:



Der “Focus”-Artikel mit den Aussagen Gniffkes dient den Verschwörungstheoretikern und Rechtspopulisten sogar als Beleg dafür, dass “der Begriff ‘Lügenpresse’ absolut richtig!!” sei. Die Argumentation:

Wenn also diese Berichterstattung über die Flüchtlinge ansich „getürkt“ ist, dann sind es andere Themen aus der Flüchtlingskrise ebenso. Der mediale Modder fängt an zu stinken!

Zu offensichtlich wurde in den Medien gelogen, das „saubere Bild“ konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden. Jeder wusste, dass sie lügen und somit ist der Begriff „Lügenpresse“ absolut richtig!!

(gefunden auf einer Seite, auf der man “Weltnetz” statt “Internet” sagt.)

Bloß ist das zentrale Zitat von Gniffke …

… völliger Unsinn. Wir haben ihn gefragt, wie er auf die Zahl kommt. Seine Antwort: Dieses “angebliche Focus-Zitat ist komplett falsch”.

Es gibt allerdings einen Mitschnitt seiner Aussagen (ab 47:30), und der zeigt: Der “Focus” hat Gniffke weitgehend korrekt zitiert. Er sagte:

Immer, wenn wir Flüchtlinge zeigen und wenn die dann als Beispiel vorkommen, dann sind das Familien. Meistens: Frauen, Kinder… Tatsächlich ist es aber so: 80 Prozent der Flüchtlinge sind kräftig gebaute, junge Männer. Die da überwiegend auch alleine kommen. Wie gesagt: Die Berichterstattung sieht aber irgendwie sehr familiär aus. Nun kennt jeder Journalist das: Och, nee, das ist viel schöner, auch als Kameramotiv, als Bildmotiv – da nimmste kleine Kinder, ist total nett. Aber es verbiegt ein bisschen tatsächlich die Realität.

Seine Aussage ging noch weiter:

Deshalb haben wir dann auch gesagt: Wir machen jetzt mal ein Soziogramm, und zwar in der Hauptausgabe, 20 Uhr: Wer sind das? Wo kommen die her? Hmm, fast die Hälfte kommt aus Ländern, wo wir sagen: Uiuiui, da eine politische Verfolgung nachzuweisen, wird schwer, zumal wenn es sich noch um EU-Beitrittskandidaten handelt. Das müssen wir den Leuten mal sagen. Wir müssen denen sagen: Das sind junge Männer. Wir haben denen gesagt: Was haben die für einen Bildungsgrad? Und und und. Aus welchen Zusammenhängen kommen die.
Nee, ich glaube nicht, dass wir da blinde Flecken haben. Und, wirklich, gegen das Extremistische hilft dann auch tatsächlich nur informieren, Fakten liefern und widerlegen – sonst wüsste ich keinen Weg.

Wir auch nicht.

Mit Dank an Martin.

Nachtrag, 5. November: Einige Leser haben uns darauf hingewiesen, dass ja nicht alle Flüchtlinge einen Asylantrag stellen, die Gesamtzahl der Flüchtlinge in Deutschland also höher sei als die vom BAMF registrierten 300.000. Daran besteht auch kein Zweifel.

Das Bundesinnenministerium teilte im August mit, es rechne damit, …

dass in diesem Jahr bis zu 800.000 Asylbewerber bzw. Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden.

Womöglich wird die Zahl aber noch deutlich höher sein. In einem Interview sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor zwei Wochen:

Schweriner Volkszeitung: Die Prognose, dass in diesem Jahr 800 000 Flüchtlinge und Asylbewerber ist nicht mehr zu halten, oder?

De Maizière: Ich werde keine neuen Zahlen nennen. Jedenfalls nicht in den nächsten Wochen. Jede neue, womöglich höhere Prognose würde von den Schleppern missbraucht. Als die Bundesregierung die Prognose auf 800 000 für dieses Jahr erhöht hatte, kam in Afghanistan das Gerücht auf, wir würden 800 000 afghanische Flüchtlinge zu uns einladen.

Gehen wir also mal großzügig von 1,5 Millionen in Deutschland ankommenden Flüchtlingen im Jahr 2015 aus. Dann müssten unter den 1,2 Millionen Flüchtlingen, die in den BAMF-Zahlen nicht erfasst sind, 936.000 junge Männer sein, um sagen zu können: 70 Prozent aller erfassten und nicht-erfassten 1,5 Millionen Flüchtlinge sind junge Männer.

Der Anteil der jungen Männer an den 1,2 Millionen nicht-erfassten Flüchtlingen müsste also 78 Prozent betragen – ein mehr als doppelt so großer Anteil wie unter denen, die laut BAMF in diesem Jahr einen Asylantrag gestellt haben. Und ebenfalls doppelt so groß wie unter denen, die im vergangenen Jahr einen Antrag gestellt haben. Und doppelt so groß wie unter denen, die 2014 europaweit Asylanträge gestellt haben. Wir sehen keinen Grund, warum das so sein sollte.

Nachtrag, 11. November: Boris Palmer hat uns kurz nach Erscheinen unseres Eintrags eine Mail geschickt, die wir mit seinem Einverständnis hier veröffentlichen:

Ich schätze die Arbeit von bildblog sehr. Daher freue ich mich, dass Sie der Frage nachgehen, wer die Flüchtlinge sind und meine Aussage, 70% der Flüchtlinge seien junge Männer, kritisch hinterfragen.

Vorneweg: Es ist desaströs , dass wir keine Ahnung haben, was nun eigentlich stimmt. Die Statistik des Bamf sagt nichts mehr aus, weil sie nur noch einen kleinen Teil der Flüchtlinge erfasst – im Oktober weniger als ein Fünftel. Für die öffentliche Debatte ist es extrem wichtig, dass möglichst bald präzise Zahlen zu Zahl, Herkunft, Alter, Geschlecht, Bildung und Qualifikation der Flüchtlinge erhoben werden. Sonst kann man nicht vernünftig diskutieren, wie wir als Gesellschaft auf die Herausforderung reagieren, die Einwanderung in diesem Maßstab darstellt.

Ich habe im September in der taz darauf aufmerksam gemacht, dass ein Großteil der Flüchtlinge junge Männer sind – bis dahin in der öffentlichen Debatte wenig beachtet – und dabei die Zahl 70% genannt. In einem mündlichen Interview. Meine Quelle war keine offizielle Statistik, sondern mündliche Informationen von Verantwortlichen in der Flüchtlingsverwaltung und der Augenschein in Erstaufnahmeeinrichtungen und Unterkünften. Die Zahl habe ich nie als exakten Wert begriffen.

Anders als Sie in bildblog schreiben, ist die Größenordnung aber durchaus plausibel. Die Statistik des Bamf, die Sie heranziehen, enthält noch einen großen Anteil von Asylbewerbern aus dem Balkan. Denn in der ersten Jahreshälfte kamen mit Abstand die meisten Asylbewerber aus den Balkanstaaten. In dieser Gruppe sind in der Tat sehr viele Kinder und der Frauen. Die Reise ist eben nicht so weit und gefährlich wie von Syrien oder Afghanistan. Da diese Menschen so gut wie alle keinen Asylanspruch haben und das Land verlassen müssen, sind sie für die Frage nach Integrationserfordernissen, um die es im Kontext meines Interviews in der taz ging, nicht entscheidend.

Betrachtet man die Zahlen ohne die Flüchtlinge vom Balkan, liegt sogar die Zahl des Bamf schon bei etwa 50% junger Männer. Da man sicher annehmen kann, dass eine Familie sich viel schwerer tun wird, allein und unregistriert in Deutschland Fuß zu fassen, als ein junger Mann, ist es auch plausibel, den Anteil der nicht Registrierten in dieser Personengruppe noch höher anzusetzen. Mit dieser Hypothese lässt sich der Eindruck aus den Erstunterkünften, dass weit überwiegend junge Männer Asyl suchen, gut bestätigen.

Entscheidend ist für mich allerdings, dass es auf die exakte Zahl nicht ankommt. Die Aussage, dass sehr viele junge Männer alleine zu uns kommen und dies entweder ein großes soziales Problem für diese Männer oder Familiennachzug in siebenstelliger Höhe bedeutet, ist richtig. Und darauf kommt es in der Debatte an. Denn zumindest in dieser Hinsicht hat Jan Fleischhauer schon einen Punkt getroffen: Über sehr lange Zeit wurde die Berichterstattung über Flüchtlinge von Kinderbildern dominiert. Das weckt Emotionen und ist an sich nicht zu beanstanden. Für die Debatte müssen aber die Fakten benannt werden.

Ich finde alles gut, was diese Debatte sachlich voranbringt. Daher besten Dank für Ihren Beitrag

Es müssten „die Fakten benannt werden“, schreibt Palmer. Also gut.

Sein Hauptgegenargument sind die Flüchtlinge vom Balkan. Er schreibt:

Betrachtet man die Zahlen ohne die Flüchtlinge vom Balkan, liegt sogar die Zahl des Bamf schon bei etwa 50% junger Männer.

Das wollten wir überprüfen und haben das BAMF gebeten, uns die Zahlen aufgeschlüsselt nach Alter, Geschlecht und Herkunftsländern zuzuschicken. Antwort:

(…) leider haben wir keine Altersgruppen nach Herkunftsländern. Ich kann Ihnen also leider nicht weiterhelfen.

Wo also hat Palmer die BAMF-Zahl her, wenn nicht mal das BAMF sie hat? Wir haben ihn gefragt. Geantwortet hat er nicht. Sie dürfte also ebenfalls erfunden eine Schätzung sein.

Gestern hat Palmer übrigens einen Gastbeitrag für die „FAZ“ geschrieben, in dem er unter anderem – das BAMF kritisiert:

Fortsetzung: hier.

Der “Bild”-Mann und wir Brandstifter

In der vergangenen Woche konnte man bei Twitter mal wieder viel lernen über die “Bild”-Zeitung, ihren Online-Chef und vor allem über dessen beeindruckende Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen.

Los ging es mit diesem Tweet von uns:

Zwei Tage kam keine Antwort – am vergangenen Sonntag dann reagierte “Bild”-Online-Chef Julian Reichelt:

Aber erstmal genug über uns. Reden wir über Julian Reichelt.

Der Bild.de-Chef gefällt sich in der Rolle des mutigen Aufklärers, in der des Enthüllers unbequemer Wahrheiten. Doch Kritik an sich selbst und seinem Medium kann oder will Julian Reichelt in den meisten Fällen einfach nicht ertragen, geschweige denn verstehen.

Bei Kleinigkeiten gibt er sich zwar hin und wieder einsichtig, aber wenn es um Grundsätzliches geht und vor allem um die “Bild”-Berichterstattung über Flüchtlinge, den IS oder Edward Snowden, ist man, sobald man eine andere Meinung vertritt als Reichelt, für ihn automatisch ein anti-freiheitlicher Ideologe mit verbohrten Betonkopf-Argumenten.

Statt sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen, weicht Julian Reichelt dann allen Fragen aus, und jede Kritik an den Methoden von “Bild” ist sofort ein

Als wir kritisierten, dass “Bild” jahrelang Angst und Misstrauen gegenüber Ausländern geschürt hat, reagierte Reichelt mit einem langen Kommentar, in dem er mit keinem Wort auf unsere tatsächliche Kritik einging. Er schrieb, wir hätten ihn “als Flüchtlingshasser verleumdet” und erklärte detailliert, wie er und seine Kollegen sich persönlich für Flüchtlinge einsetzen würden. Sollten wir “Schreibtisch-Ideologen” vom BILDblog uns “auf ähnliche Weise engagiert haben”, schrieb er, würde er “das gern hören”.

Als wir darüber schrieben, dass “Bild” in der Berichterstattung über einen Prozess gegen zwei IS-Rückkehrer die Anweisung des Gerichts, die Angeklagten nicht zu zeigen, missachtet hatte, schrieb Reichelt, wir hätten “Mitgefühl für Mörderbanden, die Journalisten den Kopf abschneiden” und würden uns “als Schutzmacht von ISIS-Anhängern” positionieren.

Nun also die Unterstellung, BILDblog wolle “Bild” verboten sehen. Wir wissen selbst nicht, wie er darauf kommt (zur Erinnerung: Ausgangspunkt war unsere Kritik an Schlagzeilen wie “Jetzt kommen die Afghanen”), darum noch mal:

Kurzer Einwurf von Lukas Heinser (BILDblog-Chefredakteur 2010-2014):

Jedenfalls:

Danach war erstmal Ruhe, und kurz waren wir so naiv anzunehmen, Reichelt hätte es tatsächlich eingesehen.

Am nächsten Tag aber:

Die Fotos wurden getwittert, nachdem wir dazu aufgerufen hatten, die ungefragt an alle Haushalte zugestellte Gratis-“Bild” zu zerknüllen und in die Mülltonne zu schmeißen. Ein paar Leute hatten andere Ideen und steckten ihre Ausgabe ins Klo oder ließen ihre Haustiere ihr Geschäft darauf machen oder verbrannten sie. Solche Fotos haben wir ignoriert und bewusst nicht in die #BILDindieTonne-Sammlung aufgenommen, weil wir sie natürlich für überzogen und unangebracht halten. Nicht ohne Grund haben wir zum Zerknüllen und nicht zum Verbrennen aufgerufen.

Doch Julian Reichelt dienen diese Fotos anderer jetzt als Beleg für unsere nordkoreanischen Verbotsphantasien.

Am Dienstag ging’s weiter:

Mittwoch:

Donnerstag:

Bei solchen “Diskussionen” wirkt Julian Reichelt, als würde er in einer eigenen Welt leben, in der er die Dinge anders wahrnimmt oder wahrnehmen will. Wer die „Bild“-Zeitung für ihre Berichterstattung über Terroristen kritisiert, muss ein Sympathisant von Terroristen sein. Wer kritisiert, dass “Bild” Angst vor Flüchtlingen schürt, soll doch bitteschön mal erzählen, was er persönlich Gutes für Flüchtlinge tut. Wir haben nie das Verbot von “Bild” gefordert, aber Reichelt behauptet es einfach und vergleicht uns mit “Pegida”. Und wenn er dafür keinen Beweis findet, dann sucht er sich vier Bilder von brennenden “Bild”-Zeitungen raus und wirft uns damit diktatorische Zensurphantasien vor.

Natürlich können die Leute von “Bild” widersprechen, wenn wir ihre Arbeit kritisieren, aber Kritiker derart zu diffamieren und ihnen Dinge zu unterstellen, sagt viel aus über Julian Reichelts Verständnis von Meinungsfreiheit.

Siehe auch (aus unserem Julian-Reichelt-Twitter-Perlen-Archiv):

Nachtrag, 2. November:

Lobschummelei bei Bild.de

Bei Bild.de platzen sie gerade fast vor Stolz:

Günter Wallraff hat dem “SZ Magazin” für die aktuelle Ausgabe ein großes Interview gegeben (kostenpflichtig). Darin erzählt der Investigativjournalist nicht nur, dass er geplant hatte, sich für einen ehemaligen US-Soldaten als “IS”-Geisel eintauschen zu lassen, sondern auch über sein Verhältnis zur “Bild”-Zeitung.

Er habe neulich per Zufall “den Artikel eines jungen Kollegen entdeckt”, der ihm gefallen habe, sagt Wallraff im Laufe des Gesprächs. Es geht um einen Text von “Bild”-Reporter Daniel Cremer, der unter falschem Namen an einem sogenannten “Entschwulungskurs” in den USA teilgenommen und darüber berichtet hat.

Wallraffs Aussage zitiert Bild.de so:

Jubel in der Redaktion:

Großes Lob von Günter Wallraff (73) — für BILD!

Das Problem dabei: Bild.de hat einen nicht ganz unwesentlichen Teil von Wallraffs Aussage weggelassen (von uns gefettet):

Der hätte eine reißerische Kolportage daraus machen können, aber seine Reportage war einfühlsam und überzeugend, und er hat die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen respektiert, was ansonsten ja nicht gerade Bild-typisch ist. Diese Selbsterfahrung hätte genauso in der Zeit oder der Süddeutschen erscheinen können. Ich bin immer wieder froh, wenn ich in meiner Grundhaltung irritiert werde.

Auch vor und nach dieser Stelle singt “Bild”-Kritiker Wallraff kein Loblied auf das Boulevardblatt. Mit freundlicher Genehmigung des “SZ Magazins” zitieren wir hier (ganz ohne Kürzungen) die Passagen, in denen sich Günter Wallraff über die “Bild”-Zeitung äußerst:

Sie klingen andererseits immer wieder so versöhnlich. Gibt es jetzt bald Frieden mit dem Springer-Verlag?
Nachdem ich die Bild-Zeitung mit einem gemeingefährlichen Triebtäter verglichen hatte, rief mich deren Chefredakteur Kai Diekmann an und rechtfertigte sich, dass Bild nicht mehr so sei wie damals, als ich den Aufmacher veröffentlichte. Ich hatte den Eindruck, der will etwas ändern. Vielleicht ist aus dem Boulevard-Heroin inzwischen Methadon geworden. Früher war das Blatt ja mit Hetze gegen Ausländer, Linke und Minderheiten jeder Art durchtränkt. Seitdem gab es gab Wellenbewegungen, gelegentlich waren da Chefredakteure, die etwas weniger sensationsgierig, politisch etwas weniger rechts ausgerichtet waren. Dann produzierte Bild etwas weniger Hass, etwas weniger Frauenverachtung, etwas weniger Minderheitenhetze und dergleichen. Die Bild ist heute vorsichtiger geworden, das liegt sicher auch am Zeitgeist, der vulgären Sexismus oder dumpfen Rassismus nicht besonders mag.

Wie finden Sie die Berichterstattung der Bild-Zeitung über Griechenland?
Das war systematische Hetze mit Schlagzeilen wie: “Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen und die Akropolis gleich mit!” Ich kaufe die Bild ja nicht, aber in Zügen oder Restaurants liegt sie manchmal rum. Da habe ich neulich zu meiner Überraschung den Artikel eines jungen Kollegen entdeckt. Der Autor bekennt sich als schwul und hat sich in den USA undercover in eine dieser obskuren Selbsthilfegruppen begeben, die Homosexualität “heilen” wollen.

Jetzt beschäftigt sogar die Bild-Zeitung Wallraff-Schüler?
Der hätte eine reißerische Kolportage daraus machen können, aber seine Reportage war einfühlsam und überzeugend, und er hat die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen respektiert, was ansonsten ja nicht gerade Bild-typisch ist. Diese Selbsterfahrung hätte genauso in der Zeit oder der Süddeutschen erscheinen können. Ich bin immer wieder froh, wenn ich in meiner Grundhaltung irritiert werde. Ich brauche Irritationen.

Die Wandlungsfähigkeit des Bild-Chefs Kai Diekmann dürfte Ihnen doch gefallen. Der tritt mal mit, mal ohne Bart auf, mal im Anzug und mal im Kapuzenpulli.
Die Auflage von Bild ist den letzten Jahren gewaltig eingebrochen. Vielleicht ist seine äußerliche Verwandlung ja Ausdruck für den Versuch einer Neuorientierung. Ich habe Bild schon vor einiger Zeit zum Ansporn attestiert: Es gibt sehr wohl eine Sorte von Triebtätern, die noch therapierbar ist. Das müssen sie aber erst unter Beweis stellen.

Nachtrag, 20.23 Uhr: Bild.de gibt das Zitat jetzt doch vollständig wieder und schreibt unter dem Artikel:

*Das Zitat wurde nachträglich ergänzt, nachdem es in einer vorherigen Version nicht vollständig wiedergegeben war.

Wer Hass sät

“Bild” hat also beschlossen, noch ein wenig im Mittelalter zu verweilen.

So viel offener Hass war noch nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten. (…) BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger!


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

So präsentiert “Bild” heute knapp 40 Kommentare von Facebook (ganz prangermäßig natürlich samt Fotos und Namen der Verfasser). Zum Beispiel von Marco W.:

Verpisst euch aus Deutschland

Oder von Waldemar B.:

An die Wand,mit dem Dreckspack.

Oder von von Silvio B.:

Sind wir nicht alle ein bisschen Nazi

Dazu erklärte “Bild”-Chef Kai Diekmann heute:

Man kriegt Angst, wenn man sich dieser Tage die Nachrichten anschaut. Eine Politikerin, die sich für Flüchtlinge einsetzt in Köln, wird einfach abgestochen, niedergestochen. Da gibt es Demonstrationen, da laufen Leute rum mit selbstgebastelten Galgen, an denen Politiker hängen. Und das alles hat angefangen mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien. Und da gilt einfach, wir sehen es jetzt: Wer Hass sät, der wird Gewalt ernten. Das können wir nicht zulassen, da müssen wir „Halt, Stopp!“ rufen. Da wird ein Klima erzeugt, was wir nicht wollen. Und deshalb ist es richtig, diese Leute, die glauben, hier mit ihrem Gesicht diesen Hass, diesen Rassismus verbreiten zu müssen – die müssen wir an den Pranger stellen.

Die eigentliche Frage lässt er allerdings unbeantwortet: Warum „Bild“ die Hetzer an den Pranger stellt. Was soll das bewirken? Dass die 40 Abgebildeten jetzt stellvertretend für all die Dumpfnasen sozial geächtet, von ihrer Familie verstoßen und von ihrem Boss gefeuert werden? Oder dass sich die rechtschaffenden Leser dazu aufgefordert fühlen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen?

Der Medienanwalt Christian Solmecke hat die Aktion heute stark kritisiert. In einer Pressemitteilung schreibt er, „Bild“ hätte die Fotos und Nachnamen verpixeln müssen:

Unabhängig davon welche Straftat möglicherweise durch ein Bürger begangen wurde, gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Dieses Prinzip gehört zu den fundamentalen Grundlagen unseres Rechtsstaates und wird durch einen solchen undifferenzierten Internetpranger mit Füßen getreten. Hinzukommt, dass die Verfolgung von Straftaten ausschließlich den zuständigen Behörden zukommt. Wer die Namen potentieller Straftäter veröffentlicht, verurteilt diese, bevor die Strafverfolgungsbehörden überhaupt Ermittlungen aufgenommen haben. Dies widerspricht unserem Rechtssystem und greift tief in die Grundrechte der einzeln aufgeführten Personen ein.

Gerade diejenigen, „die zwar moralisch verwerfliche Kommentare von sich geben, jedoch die Grenze der Strafbarkeit noch nicht erreichen“, würden „besonders stark in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt“, schreibt Solmecke. Das Gleiche gelte für jene, die einen ähnlichen Namen tragen „und durch die Berichterstattung nun mit rechtswidrigen Äußerungen in Verbindung gebracht werden“.

Beim Presserat sind schon die ersten Beschwerden eingegangen, was in den Springer-Chefetagen freilich nur für eines sorgte:

Aber zurück zu den Hetzern, also denen bei Facebook.

Angefangen habe alles „mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien“, sagt Kai Diekmann. Aber das ist nicht ganz richtig.

Ab ins Arbeitslager, und die Alte gleich mit !!!

Garnicht erst reinlassen diesen Abshaum
raus aus der EU und die Grenzen wieder dicht !!!

Die Familie sofort abschieben, meine Steuern sind mir zu Schade für solche Menschen, der wird sonst sein Leben lang auf Kosten der anderen leben. Kein Wunder, wenn die Deutschen immer mehr nach rechts rucken, so kann es nicht weitergehn!!!

Diese Hass-Botschaften sind nicht bei Facebook oder Twitter veröffentlicht worden, sondern in der Kommentarspalte von Bild.de. Und sie waren auch nicht der Anfang, sondern eine Reaktion – auf diesen Artikel:

Dass die beiden in Wirklichkeit Deutsche sind, haben die „Bild“-Medien damals natürlich verschwiegen. Dort war nur von „Roma“ die Rede.

Und dieses Pack füttert der Steuerzahler durch, sofort dort hin wo sie hin gehören.
Sehe es auch so, dass später nur krumme Dinger gedreht werden. Haben doch genug von den Romas in Deutschland Der größte Teil ist wie die oben genannte Sippe. Ein Kind nach dem anderen kriegen. Geld kassieren und nicht arbeiten.

Viele solcher Hass-Posts kamen nicht aus dem Nichts. Sie kamen, weil „Bild“ sie provoziert hat.

Das ist unser D E U T S C H L A N D!!!
Wir, das Volk sollte mitbestimmen dürfen, wen wir hier reinlassen oder nicht!
Ich möchte nicht, mit einer S&W Cal .357 schlafen, bzw. jeden Tag draussen rum laufen müssen,
aus Angst wegen ein paar Cent ausgeraubt zu werden!
Aber, ich denke, das ist so gewollt mit der Unterwanderung anderer Völker in Deutschland.
Siehe I. und II.WK!

Ich bin nur noch traurig. Haben diese Richter keine Verantwortung oder Gespür für das deutsche Volk.
Wer hier schreib es gibt keine Menschen erster od. zweiter Klasse gibt, hat eigentlich recht. Mitlerweile komme ich mir, als hier geborener,also echter Inländer, schon vor wie in der dritten Klasse.

[…] jetzt müssen wir noch Rumänen und Bulgaren, die arbeitsscheu sind unterstützen. Für einen Normalverdiener mit Kindern ist es doch jetzt schonj uninteressant in die Arbeit zu gehen. […] Aber für Asylanten und sonstige haben wir scheinbar genug Geld. Armes Deutschland.

Diese Kommentare sind erschienen, weil „Bild“ geschrieben hatte:


Dabei war das nur ein winziger Teil der Wahrheit. Das Urteil bezog sich nämlich nicht nur auf Rumänen und Bulgaren, sondern auf alle EU-Bürger, die in Deutschland leben und keinen Job finden, völlig unabhängig davon, aus welchem EU-Land sie kommen.

Nächstes Beispiel.

Solche Dreckspatzen sollte man verrecken lassen!!!!!!!

Großes Schiff. Care-Paket für die Reise, Bundeswehr“reisebegleiter“ mit genügend Waffen im Anschlag und gute Heimreise. Ganz einfach.
Wer tatsächlich vor Krieg und Tot fliehen MÜSSTE, benimmt sich nicht so , sondern würde vor Dankbarkeit den ganzen Tag arbeiten und fleißig deutsch lernen, um sich möglichst schnell in die Kultur und Gesellschaft einzubringen und anzupassen…!

Gleich eine Injektion aufziehen mit Fentanyl und Dormicum dazu noch ein bißchen Lidocain und fertig..

All das sind Reaktionen auf den „Bild“-Artikel, in dem behauptet wird, Rettungssanitäter in Bautzen müssten jetzt Schutzwesten tragen – „aus Angst vor Attacken im Asyl-Hotel“. Was überhaupt nicht stimmt.

Nächstes Beispiel.

Der deutsche Steuerzahler blecht dafür, dass brutale Ausländer in Deutschland sicher leben können, muss aber damit rechnen, von ihnen verprügelt zu werden!

Ah, nee. Das stammt von „Bild“ selbst.

Diese hier aber …

bekomme ein immer größeren Hass auf den rückständigen sch**** Islam, und das ist auch gut so. Lange lebe PEGIDA. Und Gauck, du Urmel aus dem Eis, gehe dahin wo die Baumwollpflücker leben….over and out.

WIE BESCHEUERT UND VERRÄTERISCH GEBEN SICH DIESE ISLAM-ARSCHKRIECHER NOCH BEI DER ABSCHAFFUNG UNSERER KULTUR UND UNSERER WERTE?!

Und genau darum bin ich dabei, genau darum werde ich im Neuen Jahr weiter argumentieren, mich streiten, mit linkem PACK anlegen, demonstrieren, zum N.A.S.I gemacht, und ich werde es aushalten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und der Gemeinde noch ein schönes Weihnachtsfest !

… sind ebenfalls Reaktionen auf einen zurechtgebogenen „Bild“-Artikel, in dem das Blatt behauptete, Politiker würden „fordern“, dass im christlichen Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder gesungen werden.

Eine Idee, die in Wahrheit von „Bild“ kam, nicht von den Politikern.

Es gibt unzählige solcher Beispiele: Islam-Rabatt, Weihnachtsmarktverbot, Sonne-Mond-und-Sterne-Fest, Schnitzelkrieg, Moslem-Feiertag, Sarrazin, Ehrenmorde, Roma, Griechen, kriminelle Ausländer und so weiter und so weiter. Seit Jahren verschweigen die „Bild“-Medien bei diesen Themen entscheidende Tatsachen, sie verdrehen die Fakten zu knalligen Schlagzeilen, sie tricksen und lügen, sie heizen die Stimmung an, sie säen den Hass, über den sie sich heute empören.

Oder anders:

Mit Dank auch an Saskia K., Geesje R., Thomas R., Christian B. und bluspot.

Siehe auch:

Wie „Bild“ Ausländerfeindlichkeit fördert
Wie „Bild“ den Hass gegen Flüchtlinge schürt
„BILD lässt Vorurteile wachsen“

Medien sprechen Reisewarnung für Ostdeutschland aus

Große Aufregung in der vergangenen Woche:

Die Regierung in Kanada hat eine Reisewarnung für Ostdeutschland herausgegeben. Darin ist die Rede von extremistischen Jugendbanden, die in Teilen Ostdeutschlands eine Bedrohung darstellten. Mitglieder solcher Gangs seien bekannt dafür, Personen wegen ihrer Rasse oder ihres ausländischen Aussehens zu belästigen oder direkt zu attackieren. Auch habe es schon Brandanschläge auf parkende Fahrzeuge gegeben.

Die „Warnung aus Kanada konkret für Ostdeutschland“ komme „nicht von ungefähr“, schreibt das „Handelsblatt“: “Die ausländerfeindliche Pegida-Bewegung verzeichnet in Dresden in Sachsen weiter Zulauf.”

Darauf habe die kanadische Regierung also reagiert. Und das schmeckt den hiesigen Politikern so gar nicht.

Die Sachsen-CDU reagiert empört auf die Reisewarnung. „Das entspricht nicht der Realität und ist extrem rufschädigend“, sagte der Generalsekretär der sächsischen CDU und Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Kretschmer, dem Handelsblatt. „Deutschland muss dieser Beurteilung entschieden entgegen treten.“

Bevor Deutschland damit loslegt, würden wir ihm raten, sich ein bisschen besser zu informieren als das “Handelsblatt” oder der Herr Generalsekretär. Die Geschichte stimmt nämlich gar nicht.

Kanada hat keine Reisewarnung für Deutschland herausgegeben. Es gelten nach wie vor die „normalen Sicherheitsvorkehrungen“, also die niedrigste Sicherheitsstufe.

Auf der Internetseite der kanadischen Regierung gibt es lediglich einige Sicherheitshinweise für Deutschland. Da wird zum Beispiel vor Taschendieben „an Bahnhöfen, auf Flughäfen und Weihnachtsmärkten“ gewarnt. Oder davor, dass Demonstrationen ohne Vorwarnung in Gewalt umschlagen könnten. Oder eben vor extremistischen Jugendgruppen, die besonders „in einigen kleineren Städten und in Teilen des früheren Ostdeutschlands“ eine Bedrohung seien.

Das „Handelsblatt“ verdreht diesen Vermerk zu einer „Reisewarnung für Ostdeutschland“. Und erweckt den Eindruck, als reagiere die kanadische Regierung damit auf „Pegida“ & Co. – aber auch das ist falsch. Die Hinweise stehen nicht erst seit Neuestem auf der kanadischen Seite (wie auch ein Blick in die Wayback-Machine verraten hätte), sondern seit zehn Jahren.

Was sich vor dem Hintergrund der Angriffe auf Flüchtlingsheime vor allem im Osten der Republik wie eine aktuelle Zustandsbeschreibung liest, stammt allerdings schon aus dem Jahr 2005.

schreibt „Zeit Online“, eines der wenigen Medien, die nicht einfach blind vom “Handelsblatt” abgeschrieben haben.

Nur ein Hinweis zu gestiegenen Flüchtlingszahlen in Europa sei am 28. September neu hinzugekommen, sagt die Sprecherin der kanadischen Botschaft in Berlin, Jennifer Broadbridge ZEIT ONLINE. Dadurch könne es zu Verspätungen an Grenzübergängen und Bahnhöfen kommen, steht in dem Absatz.

Anders gesagt: Das einzig Neue an den der Geschichte ist, dass die kanadische Regierung vor Verzögerungen im Zugverkehr warnt. Alles andere ist entweder falsch oder mindestens zehn Jahre alt.

Das muss jetzt nur noch jemand dem “Handelsblatt” erklären. Und der “Thüringer Allgemeinen”:

Und “Spiegel Online”:

Und stern.de:

Und der “tz”:

Und der “Huffington Post”:

Und den vielen, vielen anderen.

Immerhin: Es gibt noch eine Handvoll Journalisten, die erkannt haben, dass das alles Unsinn ist. Bernhard Honnigfort etwa schreibt auf der Onlineseite der „Frankfurter Rundschau“:

Tatsache ist, Kanada hat nicht vor Reisen nach Ostdeutschland gewarnt, sondern bittet seine Landsleute nur darum, aufzupassen und wachsam zu sein.

Und:

Natürlich ist das lange bekannt und der kanadische Warnhinweis ist nicht neu, sondern nur aktualisiert.

Natürlich. Und dass er das Märchen zuvor selbst ganz empört verbreitet hatte, sowohl in der “FR”

… als auch in der „Berliner Zeitung“

… im „Express“

… im „Berliner Kurier“

… und in der „Mopo“

… das erwähnt Honnigfort – natürlich – nicht.

Bei “Focus Online”, wo ebenfalls eindringlich über den Fall berichtet wird …

… haben sie sich nicht bloß auf die falschen Fakten der Kollegen verlassen, sondern selbst welche erfunden. Das Portal schreibt:

Auch vor in Brand gesteckten geparkten Autos wird gewarnt – das betreffe vor allem Berlin.

Berlin wird in den Hinweisen an keiner Stelle erwähnt.

So zieht die Geschichte munter ihre Kreise und wird mit jedem Mal ein bisschen weniger wahr.

Man will sich gar nicht vorstellen, was die kanadische Botschaft inzwischen denkt. Auf Anfrage gibt sie sich aber, klar: diplomatisch. Dem Evangelischen Pressedienst sagte die Sprecherin, man könne die ganze Aufregung zwar nicht nachvollziehen, jedoch würde die Ostdeutschland-Passage „angesichts der aktuellen Debatte” nun “geprüft und möglicherweise in den kommenden Tagen geändert“.

In den Sicherheitshinweisen schreibt die Regierung übrigens, dass man, wenn man in Deutschland unterwegs sei, „die lokalen Medien verfolgen“ solle. Auch ein Ratschlag, über den man mal nachdenken könnte.

Mit Dank an Holger S.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein

Auf die Frage, wie man Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen kann, hat Kai Diekmann eine ziemlich klare Antwort: Man schließt sich der “Bild”-Kampagne “Wir helfen” an. Derjenige, der das nicht tut, kann im Diekmann’schen Umkehrschluss nur gegen Flüchtlinge sein:

Hintergrund ist der kommende Spieltag in der ersten und zweiten Fußballbundesliga. Normalerweise laufen die 36 Profiklubs mit einem Hermes-Werbeaufnäher auf dem Trikotärmel auf. Dieses Wochenende wird stattdessen das “Wir helfen”-Logo der “Bild” hundertfach zu sehen sein. Für diesen werbetechnischen Coup beweihräuchern sich Diekmann und seine Mitarbeiter fleißig selbst, Hermes-Chef Hanjo Schneider bekam heute als Lohn den Titel “Gewinner des Tages” in der “Bild”-Zeitung verliehen.

Nur der FC St. Pauli, als Zweitligist ebenfalls betroffen von der Hermes-“Bild”-Bundesliga-Kooperation, will bei dem ganzen Bohei laut Bild.de nicht mitmachen.

Auf dieser Verweigerung basiert nun offenbar Kai Diekmanns steile Twitterthese, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”. Gerade dem Kiezklub aus Hamburg vorzuwerfen, sie würden Flüchtlinge nicht willkommen heißen, ist selbst für Diekmannverhältnisse ausgesprochen dreist.

Fans des FC St. Pauli standen schon mit “Refugees welcome”-Aufnähern und -Transparenten im Stadion, als “Bild” und Bild.de noch gegen Ausländer und Asylbewerber zündelten. Und auch der Verein ist aktiv. Nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Das Freundschaftsspiel vor rund einer Woche gegen den BVB stand unter dem Motto “Refugees welcome”, der Verein lud dazu 1000 Flüchtlinge ins Millerntor ein; und vor der Zweitligapartie am Montag sammelte der Klub Hygieneartikel für Geflüchtete. Über das Engagement hat vor Kurzem erst die “New York Times” berichtet.

Für Kai Diekmann reicht das alles anscheinend nicht. Solidarität mit Flüchtlingen bedeutet für ihn, sich seinem Blatt zu beugen.

Mit Dank an all die Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:50 Uhr: Inzwischen hat sich auch der FC St. Pauli geäußert. Man wundere sich, “dass das vertrauliche Schreiben an die Bild-Zeitung von dieser genutzt wurde, die Absage des FC St. Pauli negativ in der Öffentlichkeit darzustellen.” Der kaufmännische Geschäftsleiter Andreas Rettig zu den Vorwürfen der “Bild”:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. Unser Testspiel gegen Borussia Dortmund, das private Engagement unserer Spieler sowie verschiedenste Aktionen unserer Fans und Abteilungen für die Flüchtlinge in Hamburg sind Beleg dafür. Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen. Hierüber haben wir vorab alle Beteiligten informiert. Der FC St. Pauli steht für eine Willkommenskultur und wir handeln damit auf eine Art und Weise, die unseren Club schon seit Jahrzehnten ausmacht. Wir leisten ganz praktische und direkte Hilfe dort, wo sie gebraucht wird.

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