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Zitieren und verklagen mit Jörg Kachelmann

Es gibt Worte, die sind klein und unscheinbar, haben aber eine erhebliche Auswirkung auf die Bedeutung des Satzes, in dem sie stehen. Zahlreiche Väter wären ohne “wenn” längst Millionäre, die Welt wäre eine andere ohne “nicht”.

Auch das Wort “auch” kann einen entscheidenden Unterschied bedeuten:

Das ist etwas, was ich niemandem wünschen möchte, niemandem auf der Welt, was dieser Mensch mir auch angetan hat.

sagt etwas ganz anderes aus als

Das ist etwas, was ich niemandem wünschen möchte, niemandem auf der Welt, was dieser Mensch mir angetan hat.

Der obere Satz drückt aus, dass der Sprecher die gemachte Erfahrung niemandem wünscht — was auch immer ein Mensch ihm angetan haben könnte. Er wünscht die Erfahrung nicht mal seinem ärgsten Feind, wie man so schön sagt.

Der untere Satz drückt aus, dass der Sprecher niemandem die Erfahrung dessen wünscht, was ihm eine dritte Person (“dieser Mensch”) angetan hat.

Der obere Satz ist ein Zitat des Fernsehmoderators Jörg Kachelmann, der Untere der Versuch von FAZ.net, Kachelmann zu zitieren.

FAZ.net befindet sich damit ganz in der Nähe von Bild.de, die vergangene Woche bereits an dem Zitat gescheitert waren (BILDblog berichtete).

Unterdessen hat die Axel Springer AG bestätigt, dass Jörg Kachelmann sie (genauer: “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de) auf mehr als 2 Millionen Euro verklagt hat. Kachelmanns Strafverteidiger Reinhard Birkenstock spricht im “Spiegel” von 2,25 Millionen Euro Schmerzensgeldforderungen und begründet diese wie folgt:

Es geht um zahlreiche Persönlichkeitsverletzungen, die begangen wurden, darunter Fotos, die Kachelmann beim Hofgang zeigen. Dies wurde bereits in einer früheren Entscheidung gerichtlich untersagt. Die Verletzung der Persönlichkeitsrechte Kachelmanns sind beispiellos in der deutschen Pressegeschichte.

(Link von uns)

Die Axel Springer AG hat Kachelmanns Forderungen laut handelsblatt.com als “durchsichtige Aktion” zurückgewiesen. Gleichzeitig stehen vermutlich auch weiteren Verlagen (“mit Ausnahme des ‘Spiegels'”, so handelsblatt.com) Klagen ins Haus. Heißer Kandidat für hohe Forderungen: Der “Focus”. Das Blatt, das in der Vergangenheit bereits ausführlich aus den Ermittlungsakten zitiert und dafür eine Einstweilige Verfügung kassiert hatte (BILDblog berichtete), plaudert in seiner aktuellen Titelstory weitere Details aus und arbeitet sich dabei auch an den angeblichen sexuellen Vorlieben des Moderators ab. Letzteres tat auch der “Stern” am vergangenen Donnerstag.

Mit Dank auch an Jens Sch.

Bild, Stern  etc.

Können Journalisten noch lesen & schreiben?

Die deutsche Ausgabe der Kulturzeitschrift “Lettre International” hatte in den vergangenen Wochen soviel Aufmerksamkeit wie selten — dank eines Interviews mit Thilo Sarrazin, das zum Skandal wurde. Viele Reaktionen der Medien auf die Veröffentlichung legen für Chefredakteur Frank Berberich den Schluss nahe: “Die Alphabetisierung von Journalisten nimmt rapide ab”.

In einem Interview mit dem Online-Medienmagazin “V.i.S.d.P.” klagt er über “Dilettantismus, politisch-korrekte Phrasen, Irreführung, große Parolen” und kritisiert die Verlogenheit von “Bild”:

Die Sensationalisierung und Skandalisierung wurde vor allem von Medien inszeniert, die damit Geld verdienen wollten. (…) BILD hat die Stadt tagelang mit Sarrazin-Titeln zugepflastert und das Thema dramatisiert und hochgeputscht. An einem Tag behauptete die Schlagzeile “Sarrazin beleidigt die Berliner” am anderen “die Türken”, und am dritten wurde gefragt: “Hat Sarrazin doch Recht?” (…)

BILD ONLINE hat das Interview eingescannt und ohne unsere Einwilligung komplett veröffentlicht und erst nach einer einstweiligen Verfügung wieder aus dem Netz genommen. (…)

Wenn BILD ein so großes Interesse am Thema hatte – warum war man nicht originell genug und hat es selbst bearbeitet? Die Möglichkeiten dazu hätte sie doch. Man muss Leuten wie Diekmann auch mal unter die Nase halten: Sie geben sich als Anstandsdamen, wenn es passt, und wenn nicht, gehen sie auf Beutezug in fremden Revieren. Abgesehen davon ist es eine groteske Heuchelei, Sarrazin Rassismus vorzuwerfen und diese üblen “Beleidigungen” gleichzeitig soweit wie möglich zu verbreiten, indem man sie unter Verletzung des Urheberrechts auf die eigene Homepage stellt, um deren “traffic” zu erhöhen.

Stern  etc.

Die Opferfotos und die rechtsfreien Zonen

Zum Beispiel war unter den deutschen Passagieren, die in der vergangenen Woche mit einem Airbus im Atlantik abgestürzt sind, auch ein Assistenzarzt der Uniklinik Heidelberg. Das war für die Medien praktisch, denn die Klinik hat eine Homepage, auf der auch Fotos der Mitarbeiter stehen, da mussten sich die Journalisten nur bedienen und hatten sofort ein Bild, mit dem sie ihre Berichte illustrieren konnten.

Nein, sagt die Kliniksprecherin auf Anfrage von BILDblog, genehmigt habe das Krankenhaus die Verwendung seines Fotos nicht. Es habe niemand überhaupt eine Genehmigung erfragt.

* * *

Sechs große Hamburger Verlage haben in der vergangenen Woche die Bundesregierung aufgefordert, das Urheberrecht im Internet zu verschärfen. “Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben”, erklärten die Verlage von “Bild”, “Spiegel”, “Zeit”, “InTouch”, “Für Sie” und “Stern”. “Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.”

* * *

Der “Stern” weigert sich im Zusammenhang mit dem Amoklauf von Winnenden konsequent, Fragen nach der Herkunft der von ihm gezeigten Privatfotos der Opfer zu beantworten. In seiner aktuellen Ausgabe zeigt er fast jedes der über 100 Opfer des Flugzeugabsturzes im Bild. Bei den meisten fehlt der sonst übliche Hinweis auf die Quelle.

Auf eine Anfrage von BILDblog bei den Redaktionsleitern von stern.de, Frank Thomsen und Ralf Klassen, ob sie für eine ähnlich angelegte stern.de-Bildergalerie Einwilligungen der Urheber oder Angehörigen eingeholt haben, antworteten sie: nicht. 

Stern  

Verwechslung mit einem Amokläufer

Die “Bild”-Zeitung, das Pro-Sieben-Magazin “taff” und die “Welt am Sonntag” waren nicht die einzigen, die im Bilderrausch nach dem Amoklauf von Winnenden Fotos von Unschuldigen zeigten und behaupteten, es handle sich um den Täter Tim K.

Am Tag der Tat hatte stern.de noch die atemlos bloggenden und twitternden Amateure im Netz, den “Pöbel”, dafür verantwortlich gemacht, dass Unbeteiligte mit dem Amokläufer verwechselt wurden. Die Profis vom “Stern” dagegen schafften es, noch eine Woche später ein Foto zu veröffentlichen, das ihnen nun folgende Gegendarstellung einbrachte:

Gegendarstellung. In der Ausgabe des stern Nr. 13 vom 19. März 2009 wurde auf Seite 37 rechts oben ein Foto, welches u. a. mich zeigt, mit der Bildunterschrift "Der Sieger: Tim wird 2005 Bezirksjugendmeister im Tischtennis" veröffentlicht. Hierzu stelle ich fest: Das Bild zeigt mich und nicht Tim K[...]. Erdmannhausen, den 23. März 2009 Marius Jenner. Marius Jenner hat recht. Wir bedauern das Versehen. Die Redaktion

Immerhin scheint das im selben “Stern”-Artikel abgebildete “Freundschaftsbuch einer Klassenkameradin”, in das Tim K. als Neunjähriger schrieb, dass seine Lieblingsfarbe “blau” sei, und in dem er sein Leibgericht mit “Kroketen” angab, authentisch gewesen zu sein. Das ist doch was.

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