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Kaum zu ertragen (2)

“Die traurigste Geschichte des Tages kommt aus Indien”, schrieb “Bild” am Samstag.

Es ging um ein neugeborenes Baby, das offenbar lebendig begraben wurde.

Mit einem rosa Tuch bedeckt, sollte das Mädchen sterben. Und obwohl es noch lebendig gefunden wurde, kam am Ende jede Hilfe zu spät …

Irgendjemand hat ein Foto von dem halb verscharrten Baby gemacht; der Kopf ist mit einem Tuch bedeckt, das Ärmchen blutverschmiert.

Es ist ein Foto, das kaum zu ertragen ist.

… schreibt die “Bild”-Zeitung.

Doch das hält sie — wie wir schon aus Erfahrung wissen — natürlich nicht davon ab, es trotzdem zu zeigen:Die traurigste Geschichte des Tages kommt aus Indien - Neugeborenes Mädchen lebendig begraben

(Unkenntlichmachungen von uns.)

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Alles nur Munchelei

Vor 150 Jahren wurde Edvard Munch geboren. Seine Heimatstadt Oslo ehrt ihn deshalb zurzeit mit einer großen Jubiläumsausstellung. Und die “Bild”-Zeitung ehrte ihn Anfang Juni mit ein paar klug klingenden Zeilen ihrer Adelfeder Alexander von Schönburg.

Und weil von Schönburg nicht nur Royal- und Promi-, sondern offenbar auch noch Kunstexperte ist, erklärt er uns darin mal genau, was es mit Munch und diesem Expressionistenzeugs eigentlich auf sich hat. Und warum er Munchs Gemälde “Der Schrei” sogar vor der Sintflut retten würde. Und dass es in Oslo nun “zwei Mega-Ausstellungen” zu Ehren des “große[n] Maler[s]” gibt.

Am Ende der kleinen Lehrstunde schüttelt er dann noch lässig ein paar spannende Fakten aus dem Ärmel, “Motto: ‘Munch zum Mitreden'”.

Da wäre zum Beispiel:

Edvard Munch (gesprochen “Munk”, † 1944) war der größte aller Expressionisten, weil er todunglücklich war. Genauer: manisch-depressiv.

Damit lässt sich beim nächsten Grillabend sicherlich Eindruck schinden. Mit der Information, dass Munch den “Schrei” gleich in vierfacher Ausführung gemalt hat, bestimmt auch. Vorsichtig aber sollten Sie sein, wenn Sie folgende Anekdote zum Besten geben wollen:

Die schönste Version (in Pastell) gehört dem New Yorker Milliardär Leon Black. Er hat sich überreden lassen, es für die Dauer der Ausstellung Oslo zu leihen. Er traut den Norwegern aber nicht, hat dem Bild zwei Leibwächter mitgeschickt.

Das klingt eigentlich zu gangsterfilmmäßig, um wahr zu sein. Und wie wir dank unseres Lesers Johannes H. wissen, hat diese Geschichte tatsächlich nicht viel mit der Wahrheit zu tun. Genauer: gar nichts.

Johannes H. ist beim Lesen des Artikels misstrauisch geworden, denn er hatte die Ausstellung in Oslo zuvor selbst besucht – der “Schrei” wurde zwar auch gezeigt, nicht aber die Pastell-Version von Leon Black. Er fragte also beim Osloer Munch-Museum nach, wie viel Wahres an der “Bild”-Geschichte dran sei. Man antwortete ihm:

Es gibt, das ist korrekt, vier gemalte Versionen von “Der Schrei” – zwei Pastelle und zwei Ölgemälde.

Zwei der Bilder (eine Pastell-, eine Öl-Version) seien im Besitz des Munch Museums in Oslo, die Nationalgalerie habe ein weiteres (Öl), und das Vierte gehöre Herrn Black (Pastell). Allerdings:

In der Jubiläumssausstellung zeigen wir im Munch Museum unsere Öl-Version […] und die Nationalgalerie hat ihre. Die Version von Herrn Black wird definitiv nicht gezeigt, und ich weiß nicht, auf welche Quellen oder Informationen die “Bild”-Zeitung ihren Artikel stützt.

Johannes H. fragte auch bei Herrn von Schönburg nach, wie es zu dieser Behauptung kommen konnte. Eine Antwort bekam er nicht.

Immerhin nimmt es das Museum mit Humor. Die erste Reaktion auf den “Bild”-Artikel lautete: “What a brilliant story!”

Mit Dank an Johannes H.

“Sehr zurückhaltende” Berichterstattung

Heute lassen wir mal die User von Bild.de zu Wort kommen. Ausnahmsweise sind wir nämlich ziemlich einer Meinung.

Das ist echt eine Sauerrei. Sogar für die BILD.

Da fragt man sich wirklich, auf welchem Niveau sich solch Schreiberlinge befinden? Schlimmer gehts nicht!

Muss man solche details veröffentlichen???schlimm genug für die angehörigen…….

Dieser Artikel hätte schon aus Anstand der Familie gegenüber NIE veröffentlicht werden dürfen. Liebe Bildredakteure, wie tief wollt Ihr eigendlich sinken…..

Völlig Krank das in einer Zeitung zu bringen . Versetzen sie sich mal in die Lage der Angehörigen .

Typisch BILD!!! WIR waren die ersten die darüber Berichteten,arme Angehörige

Ja Bild, andere bloß stellen, kommt ja ganz gut an……………

Auf diese detaillierte Info hätte ich verzichten können

Liebe Bild, zeigen Sie Anstand und Pietät !!!!!
Raus mit diesen Artikel!!!!

[…] diese Scheinheiligkeit ist unglaublich. Wieviel verdient denn ein Journalist für solche Enthüllungen? Ist es das wert?

Bild sudelt sich am Unglück anderer

Dafür müsste man euch fristlos kündigen, sowas der öffenlichkeit preis zugeben

Mir fehlen die Worte

Uns hat es auch die Sprache verschlagen, als wir den Artikel gelesen haben, auf den sich diese Kommentare beziehen. Erschienen ist er vor einem halben Jahr auf Bild.de und in der Dresdner Regionalausgabe der “Bild”-Zeitung:Nackter Mann saß tot im Auto - Keiner will sterben. Aber muss der Tod gerade in einer solchen unangenehmen Situation kommen, wie es [Vorname, abgekürzter Nachname] (68) passierte? - [Bildunterschrift:] [Automarke] auf dem Feld bei [Ort]. Hier fand gestern eine Anwohnerin den toten Mann in seinem Auto. Er verstarb schon am Abend zuvor.

Dort ging es um einen Mann, der mit heruntergelassener Hose tot in seinem Auto gefunden worden war. Im Text hieß es, der Gerichtsmediziner habe festgestellt, dass der Mann dabei war, “sexuelle Handlungen an sich selbst auszuüben”. Dabei soll er einen Herzinfarkt erlitten haben.

“Bild” nannte den Vornamen, sowie den abgekürzten Nachnamen des Mannes; zeigte auf zwei Fotos dessen Auto; beschrieb, in welchem Ort er gefunden wurde — und druckte zu allem Überfluss noch ein riesiges Foto, auf dem die Angehörigen zu sehen sind, während sie trauernd neben dem offenen Sarg knien.

Zumindest für Bekannte der Familie war also mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erkennen, um wen es sich bei dem Toten handeln musste. Auch die Angehörigen, deren Gesichter zwar verpixelt waren, mussten damit rechnen, von ihrem Umfeld identifiziert zu werden.

Die Intimsphäre des Mannes, seine Würde und Persönlichkeitsrechte und selbst die seiner Familie — all das schien bei “Bild” niemanden zu interessieren.

Wir haben uns deshalb beim Deutschen Presserat über diese Berichterstattung beschwert. Wie in so einem Fall üblich, bekam der Verlag die Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Doch die Verteidigung der Springer-Juristen war kaum weniger unverschämt als der Artikel selbst.

Die Berichterstattung verletze weder die Menschenwürde der Angehörigen noch die des Verstorbenen, argumentierte der Verlag, “da niemand identifizierbar werde”.

So würden keine Namensangaben der Angehörigen veröffentlicht. Sie seien zudem nur von sehr weit fotografiert worden, ihre Gesichter seien vollständig verpixelt worden. […] Der tatsächliche Wohnort sei bewusst nicht genannt worden.

Die Angaben zu dem Toten seien, so die Springer-Anwälte, “zurückhaltend” erfolgt. “Zurückhaltend” in dem Sinne, dass die Autoren nicht den vollen Nachnamen des Mannes genannt und kein Foto von ihm veröffentlicht haben. Die Abbildung des Autos rechtfertigen sie damit, dass es “ein Allerweltsauto ohne jedes besondere Merkmal” sei.

Und den Angehörigen wird das “Recht auf Privatheit” mit der abenteuerlichen Begründung abgesprochen, dass sie “mit der Art und Weise des Todes des Mannes […] nichts zu tun” hätten.

Die Anwälte betonten außerdem, die Umstände des Todes und der massive Einsatz von Rettungskräften hätten “in der Region Dresden für ein starkes öffentliches und mediales Interesse gesorgt”.

Insgesamt, so das Fazit der Juristen, sei die Berichterstattung angesichts der “außergewöhnlichen und feststehenden Umstände des Falles […] als sehr zurückhaltend zu bezeichnen”.

Das sah der Presserat anders.

Der Beschwerdeausschuss erkannte in dem Artikel eine Verletzung der Ziffer 8 des Pressekodex:

Die Mitglieder sind der Auffassung, dass sowohl der Tote als auch seine Angehörigen – zumindest für einen kleineren Kreis von Personen – identifizierbar werden.

Das liege vor allem an der Nennung seines Namens und der Abbildung des Autos.

Die Mitglieder erkannten jedoch kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit, mit dem diese Identifizierung zu rechtfertigen wäre. Sowohl das Persönlichkeitsrecht des Toten als auch das seiner Hinterbliebenen wird daher verletzt […].

Der Verstoß werde “noch deutlich durch die Umstände des Todes des Mannes verstärkt. Durch die Berichterstattung erfährt zumindest ein bestimmter Kreis von Personen, in welcher Situation er gestorben ist. Insbesondere für seine Hinterbliebenen entsteht somit eine äußerst unangenehme Situation, die durch eine vollständige Anonymisierung zu verhindern gewesen wäre.”

Der Presserat sprach deshalb eine “Missbilligung” aus, bei der es den “Bild”-Leuten allerdings frei gestellt ist, ob sie sie abdrucken – oder es einfach bleiben lassen.

Der Artikel beginnt übrigens mit einer bemerkenswerten Feststellung:

Er hätte ein würdevolleres Ende verdient.

Ja, “Bild”. Das hätte er.

Der “Junta-Kumpel” und andere Rügen

Die drei Beschwerdeausschüsse des Deutschen Presserates haben Anfang Juni getagt und anschließend sieben öffentliche Rügen, zehn Missbilligungen und 19 Hinweise ausgesprochen.

Eine der Rügen ging an die “taz”, die mit einem Kommentar zur Papstwahl nach Ansicht des Presserates zwar “keine religiösen Gefühle geschmäht”, aber “grob gegen das Sorgfaltsgebot verstoßen” hatte. In der Print-Ausgabe war der Text unter der Überschrift “Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab” erschienen. Die Bezeichnung als “Junta-Kumpel” stelle “eine nicht bewiesene Tatsachenbehauptung” dar und verletze den Papst in seiner Ehre, urteilte der Ausschuss. Scharfe Bewertungen wie “Alter Sack I. folgte auf Alter Sack II.” seien hingegen zwar provokativ und polemisch, aber vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Fast 50 Beschwerden waren zu dem “taz”-Kommentar von Deniz Yücel eingegangen.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Drei weitere Rügen sprach der Presserat für die Laufmagazine “Condition”, “Laufzeit” und “Running” aus, die auf ihren Titelseiten jeweils ein PR-Foto eines Sportartikelherstellers veröffentlicht hatten. Der Presserat sah darin Schleichwerbung und damit einen Verstoß gegen Richtlinie 7.2 des Pressekodex.

Ebenfalls gerügt wegen einer Verletzung der Ziffer 7 wurde die Zeitschrift “Kanzlei Life!”, die sich an Rechtsanwalts- und Notarkanzleien richtet. Die Zeitschrift hatte in mehreren Artikeln auf Produkte eines Softwareunternehmens hingewiesen, Konkurrenzprodukte aber nicht genannt. Die Publikation wird von einem Schwesterunternehmen dieses Softwareentwicklers herausgegeben und kostenlos an Kunden verteilt. Der Presserat beurteilte die Zeitschrift “als reine Werbepublikation”, was für den Leser allerdings nicht ersichtlich sei.

Bild.de erhielt eine Rüge für die Berichterstattung über ein Tötungsdelikt, bei dem der Hauptverdächtige als überführter “Killer” bezeichnet wurde. In den Artikeln wurde der Eindruck erweckt, als habe erwiesenermaßen ein Mord stattgefunden und der Mann sei der Täter. Beides stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aber nicht fest. Der Presserat erkannte darin einen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht (Ziffer 2) und einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Mannes und des Opfers (Ziffer 8), weil über beide identifizierend berichtet worden war.

Schließlich gab es noch eine Rüge für die Münchener “tz”, die – ebenfalls identifizierend – über einen Mann geschrieben hatte, dem die Entführung und Vergewaltigung Minderjähriger in Thailand vorgeworfen wird. Darin erkannte der Presserat zudem eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Ziffer 13).

Einen sogenannten Hinweis erteilte der Beschwerdeausschuss der Bremer “Bild”-Regionalausgabe sowie Bild.de, weil diese unter der Überschrift “Wir sind Bremens coolste Fahrschule” Schleichwerbung für eine, nun ja, Bremer Fahrschule gemacht hatten.

Keinen ethischen Verstoß stellte das Gremium hingegen bei zwei Beschwerden zur Berichterstattung über den Bombenanschlag in Boston fest. Bild.de hatte mehrere Fotos gezeigt, auf denen unter anderem verletzte Menschen zu sehen waren. “Die Fotos dokumentieren die schreckliche Realität dessen, was sich ereignet hat, überschreiten jedoch nicht die Grenze zur Sensationsberichterstattung” (Ziffer 11), so der Presserat. Ein grenzwertiges Foto, das einen verletzten Mann im Rollstuhl zeigte, “hatte die Zeitung kurz nach Erscheinen bereits wieder von sich aus aus dem Online-Angebot entfernt”.

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Irrer ist menschlich

Sie wollen auf die Schnelle eine Million Dollar verdienen? Gut. Dann brauchen Sie jetzt zwei Dinge: einen E-Mail-Account und Ihr Mathebuch aus der neunten Klasse.

Bereit? Na dann los:Wer ist der Irre, der für die Lösung dieser Mathe-Aufgabe 1 Mio $ zahlt? - Wenn Ax + By = Cz ist und A, B, C, x und z positive ganze Zahlen sind, dann haben A, B, und C einen gemeinsamen Faktor. Stimmt das? - Washington - Er heißt Andrew Bale, lebt in den USA und hat ein Vermögen von 8 Milliarden Dollar. Bale vergibt ein Preisgeld für die Lösung dieser mathematischen Vermutung, die er selbst eufgestellt hat. Wer das Ergebnis kennt, schickt eine Mail: bealprize@ams.org.

Das dürfte mit ein bisschen Grübelei auf jeden Fall machbar sein. Lassen Sie sich ruhig Zeit. Und wenn Sie so weit sind: Mail rausjagen, abwarten, Kontoauszug überprüfen. Vielleicht dauert’s ein paar Tage, aber schon bald werden Sie um eine Million Dollar reicher sein. Herzlichen Glückwunsch!

Kleiner Scherz. Ganz so einfach, wie “Bild” das alles schildert, ist es natürlich nicht.

Zunächst einmal: Der gute Mann heißt Beal, nicht Bale. Und er ist kein Irrer, sondern Unternehmer. 1997* veröffentlichte er die “Beal-Vermutung” und lobte einen Preis aus für denjenigen, der einen Beweis oder einen Gegenbeweis dafür liefern kann.

Im Original lautet die Vermutung so:

If Ax +By = Cz, where A, B, C, x, y and z are positive integers and x, y and z are all greater than 2, then A, B and C must have a common prime factor.

Dummerweise hat “Bild” die Aufgabe falsch abgeschrieben und aus A hoch x kurzerhand A mal x gemacht — was die Aufgabe dann doch ein wenig ändert. Außerdem vergisst das Blatt zu erwähnen, dass x, y und z größer als 2 sein müssen.

Und es reicht auch nicht, einfach nur eine Mail zu schreiben, wenn man glaubt, “das Ergebnis” gefunden zu haben. In der Regel muss ein Beweis zunächst in einer angesehenen Fachzeitschrift veröffentlicht werden, bevor sich das “Beal Prize Committee” der Sache annimmt.

Sie können das Mathebuch also wieder wegpacken.

Mit Dank an Torben Z., Markus W. und Martin B.

Nachtrag/*Korrektur, 16. Juni: Einige Leser haben uns darauf hingewiesen, dass “Bild” außerdem unterschlägt, dass es sich bei dem gemeinsamen Faktor um einen Primfaktor handeln muss. Die “Beal-Vermutung” wurde im Übrigen nicht im Jahr 1997 aufgestellt, sondern schon im Jahr 1993. Vier Jahre später wurde dann erstmals ein Preisgeld ausgelobt.

Quelle: “Bild”

Vor sechs Jahren drehte ein aus Halbwahrheiten, Spekulationen und Großbuchstaben zusammengeschustertes Geschichtenkonstrukt der “Bild”-Zeitung eine große Runde durch die Medienlandschaft. Damals ging es um das Video eines Fallschirmspringers, der “[Jürgen] Möllemanns Todessprung mit einer Kamera” gefilmt hatte.

“Bild” hatte auf der Titelseite groß verkündet:Möllemann - Todes-Video aufgetaucht!

Dabei war das Video in Wahrheit schon vier Jahre zuvor “aufgetaucht” — die Staatsanwaltschaft hatte es bereits kurz nach Möllemanns Tod im Jahr 2003 ausgewertet.

Doch viele andere Medien verbreiteten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Video und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter, obwohl viele von ihnen schon im Jahr 2003 selbst über das Video berichtet hatten.

Wir haben diesen Fall und sein juristisches Nachspiel (denn das Video war noch dazu geklaut) seinerzeit hier, hier und hier dokumentiert.

Leider haben die Medien seither nichts dazugelernt.

Am Mittwoch verkündete “Bild” groß auf der Titelseite:10 Jahre nach Todessprung - Möllemanns letzter Brief aufgetaucht

Dabei war der Brief in Wahrheit schon vor sechs Jahren “aufgetaucht” (wie wir am Mittwoch berichtet haben).

Doch viele andere Medien verbreiten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Brief und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter. Mal wieder.

Die dpa veröffentlichte Meldungen über den “jetzt bekanntgewordene[n] Brief”, “Spiegel Online” und Handelsblatt.com erzählen vom “bisher unbekannten Abschiedsbrief “, auch n-tv.de, T-Online.de, “RP Online”, Tagesspiegel.de, Welt.de, das “Hamburger Abendblatt” und viele andere zogen mit — in den meisten Fällen beriefen sie sich dabei allein auf den “Bild”-Artikel.

Nur wenige Medien haben sich die Mühe gemacht, selbst ein bisschen zu recherchieren. So wie (überraschenderweise) stern.de:

Tatsächlich hatte sich FDP-Politiker Kubicki schon vor über zwei Wochen mit der “Bunten” über den Tod seines Freundes, dieses Schreiben und die Übergabe vor zehn Jahren unterhalten. Auch in einer TV-Dokumentation aus dem Jahr 2007 (“Der Tag als Jürgen W. Möllemann in den Tod sprang”) hält Kubicki den Brief in die Kamera.

Es wäre auch für andere Journalisten kein Ding der Unmöglichkeit gewesen, das herauszufinden: Die “Süddeutsche Zeitung” hatte die Szene in einer TV-Kritik von 2007 explizit erwähnt: “Ziemlich am Ende des Films zitiert [Kubicki] aus einem Brief, den Möllemann ihm für den Fall der Fälle geschrieben hatte […]”.

Doch wenn das Leitschafmedium einmal losgetrampelt ist, lässt sich die Herde nicht mehr aufhalten. Inzwischen ist die Geschichte sogar schon in der Wikipedia gelandet:
Am 5. Juni 2013 wurde ein Brief bekannt, den Möllemann im April 2013 im Hamburger Hotel

Als Quelle aufgeführt ist: “Bild”.

Zu Gaffern gemacht

Nach all den schlimmen Hochwasser-Nachrichten der letzten Tage wollte “Bild” am Donnerstag auch mal eine positive Seite der “Jahrhundertflut” zeigen. Im Grunde ist es also eine ganz schöne Geschichte, die das Blatt da veröffentlicht hat:

SCHIPPEN, SCHLEPPEN, SCHRUBBEN - Tausende packen freiwillig bei der Jahrhundertflut an

Es ist eine Welle der Solidarität, Deutschland krempelt die Ärmel hoch! So schlimm die Jahrhundertflut über den Osten und Süden hereinbrach, so groß ist die Hilfsbereitschaft! Zehntausende Freiwillige schippen, schleppen, schrubben!

Doch die Skandal-Spürnasen von “Bild” haben selbst inmitten all der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe noch etwas gefunden, über das sie sich empören können:

Andere gaffen nur! - Gaffer betrachten das Hochwasser! Psychologe Thiel:

Oder nochmal in der Online-Variante:

Andere gaffen nur! - Gaffer betrachten das Hochwasser! Psychologe Thiel:

“Bild” schwingt also voller Entsetzen die Moralkeule — und haut sie, was der Leser dann allerdings nicht mehr mitbekommt, mit Schmackes ins Leere.

Denn im System des dpa-Bildfunks trägt das Foto folgende Beschreibung:

Sonniges Wetter in Düsseldorf
02.06.2013 16:45:19
Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um die 20 Grad sitzen am 02.06.2013 in Düsseldorf-Wittlaer (Nordrhein-Westfalen) Ausflügler auf Stühlen auf dem Rheindeich in einem Biergarten. Foto: Horst Ossinger/dpa

Das, was die “Gaffer” in den Gartenstühlen “betrachten”, sind also keine Katastrophenszenen – sondern Schiffe.

Mit Dank an Bernd W. und Mo.

Nachtrag, 10. Juni: “Bild” hat heute eine Berichtigung abgedruckt:

Berichtigung - In der Ausgabe vom 6. Juni berichteten wir mit einem Foto von Flut-Gaffern. Dabei ist uns ein bedauerlicher Fehler unterlaufen. Auf dem Foto sind keine Schaulustigen zu sehen, sondern Ausflügler am Rhein. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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“Bild” schlachtet alten Möllemann-Brief aus

Gestern titelte “Bild”:

10 Jahre nach Todessprung - Möllemanns letzter Brief aufgetaucht

Auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Freitod von FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann († 57) gibt ein bisher unbekannter Brief neue Rätsel auf.

Nun ja. “Aufgetaucht” ist der Brief streng genommen schon vor zehn Jahren. Denn Möllemann hatte ihn wenige Wochen vor seinem Tod an Parteifreund Wolfgang Kubicki gegeben.

Und die Zitate aus dem “bisher unbekannten” Brief, die “Bild” als neu verkaufte, sind der Öffentlichkeit größtenteils schon seit 2007 bekannt — Kubicki hatte damals in einer Dokumentation des Hessischen Rundfunks aus dem Brief vorgelesen.

Aber was das Ausschlachten von Möllemanns Tod angeht, sind solche Methoden für “Bild” ja nichts Neues mehr.

Mit Dank an Chris G., Insider, Boludo und Anonym.

Der öffentliche Tod einer “Nymphomanin”

Anfang Dezember 2012 wurde eine 47-jährige Frau tot in ihrem Bett aufgefunden. Die Frau war nicht das, was man gemeinhin als “prominent” bezeichnet, Hinweise auf Fremdverschulden gab es keine — dennoch berichteten “Bild” und Bild.de groß über den Fall:

Wie starb Nymphomanin ***?

Ein bisschen prominent war die Frau laut “Bild” nämlich schon:

Sonnenbrille, Kette, tiefes Dekolleté – und ein verruchtes Lächeln: Wir sehen […] († 47), die Frau, die im Frühjahr als “Nymphomanin von München” Schlagzeilen machte.

Damals schloss sie einen Discjockey (43) in ihrer Wohnung ein, wollte immer wieder Sex mit ihm – bis der Mann aus ihrem Bett auf den Balkon floh, die Polizei rief.

JETZT IST DIE FRAU TOT.

Ihr letzter Liebhaber (31, ein Nachbar) wachte am Freitag gegen 6.30 Uhr neben ihrem leblosen Körper auf.

Er versuchte noch Mund-zu-Mund-Beatmung, rief den Notarzt. Dieser konnte aber nichts mehr tun.

Fremdverschulden schließt die Polizei aus. Doch wie starb […]? Kann Dauer-Sex die Ursache sein?

Ein Leser sah in der Berichterstattung einen Verstoß gegen den Pressekodex, da sie massiv Opfer- und Persönlichkeitsrechte verletze, und beschwerte sich über Bild.de beim Deutschen Presserat. Es bestehe kein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung des Fotos der Frau.

Die Rechtsabteilung der BILD digital GmbH & Co. KG sah das wieder mal anders: Die Betroffene habe in den vergangenen Monaten häufig mit ihrer Nymphomanie für Aufstehen gesorgt und sei bundesweit Thema in den Medien gewesen. Sie sei erstmals aufgefallen, weil sie einen ihrer Liebhaber im April 2012 acht Mal zum Liebesakt getrieben habe, bis dieser auf den Balkon geflohen sei, um die Polizei zu rufen. Über den “ausgesprochen kuriosen Fall” hätten damals zahlreiche Medien berichtet, darunter auch “Bild”, die sich auf die entsprechende Pressemitteilung der Polizei bezogen habe. Obwohl die Redaktion auch damals im Besitz eines Fotos der Betroffenen gewesen sei, habe sie sich bewusst gegen eine Veröffentlichung dieses Fotos entschieden.

Das stimmt. Die Berichterstattung von “Bild” sah im April 2012 so aus:

Nymphomanin* lockte Discjockey in Sex-Falle

Die Zeitung hatte ihren Lesern damals sogar erklärt, was so eine “Nymphomanin” überhaupt ist:

* Bezeichnung für eine Frau mit übermäßigem Verlangen nach Geschlechtsverkehr

Danach habe sich noch ein weiterer Vorfall ereignet, über den wieder zahlreiche Medien aus der gesamten Republik berichtet hätten: Die Betroffene habe einen Mann eineinhalb Tage lang eingesperrt, ihm das Handy abgenommen und ihn zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Auch hier habe “Bild” wieder bewusst auf die Veröffentlichung des Fotos verzichtet.

Erst als die Betroffene in Folge ihres Rauschmittelkonsums gestorben sei, hätten “Bild” und Bild.de das Foto nach sorgsamer Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen und dem öffentlichen lnteresse veröffentlicht.

Die Rechtsabteilung baute sich zu diesem Zweck ein argumentatives Perpetuum Mobile: Zum Zeitpunkt ihres Todes sei die Betroffene nämlich bereits durch ihre monatelange exzessive Sexsucht in der Öffentlichkeit bekannt gewesen. Aufgrund der aufsehenerregenden Vorgeschichte habe ein hohes Interesse der Öffentlichkeit bestanden, zu erfahren, was aus der Betroffenen geworden sei.

Die Frau sei auf dem Foto* aufgrund einer Sonnenbrille nicht für Außenstehende erkennbar, ihr Name sei immer abgekürzt worden. Im Text habe die Redaktion nicht abwertend berichtet, weil Drogenkonsum und Sexsucht mit einer Krankheit zu tun haben könnten.

Vielleicht nicht “abwertend”, aber so:

In der Bar, so berichtet ein Bekannter, trinken die beiden ein paar Bier, zwei Wodka und etwas Wein. Auch “weißes Zeug” sollen sie geschnupft haben.

Dann nimmt […] den Heizungsmonteur mit nach Hause. Doch anders als sonst geht es nicht gleich zur Sache. Stattdessen sitzen die beiden zusammen und reden – und plötzlich schläft die Blondine ein.

Der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats sah in der Berichterstattung von Bild.de einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex.

Die Betroffene sei durch die Angaben zu ihrer Person und das Foto für einen großen Personenkreis erkennbar geworden. Für das Verständnis des Unfallgeschehens sei das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Über den Todesfall hätte daher nur in vollständig anonymisierter Form berichtet werden dürfen, da es sich weder um ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung gehandelt habe, noch besondere Begleitumstände vorgelegen hätten. Vielmehr habe die Redaktion über Ereignisse aus der lntimsphäre berichtet, deren Schutz von besonderer Bedeutung sei.

Einstimmig sprach der Ausschuss eine öffentliche Rüge aus und bat die Redaktion darum, die Rüge “zeitnah zu veröffentlichen und in dem Online-Beitrag eine Anonymisierung vorzunehmen”.

Bild.de kam dieser Bitte nach, wies auf die Rüge hin und ersetzte den Vor- und den abgekürzten Nachnamen der Verstorbenen an den meisten Stellen der Berichterstattung.

*) Übrigens haben auch die Münchener Boulevardzeitung “tz” und diverse ausländische Medien das Foto verwendet. Die “Daily Mail” gibt als Quelle “BILD-Zeitung/privat” an.
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“Endlösungs”-Parolen

Lange keinen Nazi-Skandal mehr gehabt?

“Bild” hat da was für Sie:

Blockupy wirbt mit NS-Ausdruck

Der “Skandal um Blockupy!” sieht dabei angeblich so aus:

Das linke Kapitalismus-Kritikbündnis bedient sich rechter “Endlösungs”-Parolen, nennt unseren Flughafen einen Ort der “Deportation”, wo Menschen nach “Nationalität und Verwertbarkeit sortiert” werden. Verkehrsminister Florian Rentsch ist entsetzt.

Sie wollen aufrütteln und sind dabei übers Ziel hinausgeschossen: Ja, am Flughafen werden viele illegal ins Land Eingereiste und eingeschleuste Wirtschaftsflüchtlinge von den Behörden wieder in ihre Heimatländer zurückgeflogen.

Doch Blockupy vergleicht das rechtsstaatliche Abschieben der Illegalen mit der Deportation von Millionen Juden durch die Nationalsozialisten in Konzentrationslager während des Holocausts.

Tatsächlich bezeichnet die Blockupy-Bewegung auf ihrer Website Frankfurt als “zentrale[n] Knotenpunkt des rassistischen Grenz- und Abschieberegimes der EU”, doch daran scheint sich “Bild” gar nicht zu stören.

Konkret geht es um ein Wort, das in der Aktionsbeschreibung selbst gar nicht vorkommt, sondern nur auf den Plakaten zu lesen ist:

Hessens Verkehrsminister Florian Rentsch (38, FDP), der auch Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist: “Man kann sich dafür nur schämen, dass der Begriff ‘Deportation’ so geschichtsvergessen verwendet wird. Dass sich die Linken der Ausdrucksweise des NS-Regimes bedienen, ist ein Skandal.”

Nun ist es nicht so, dass der Begriff “Deportation” ausschließlich von Vertretern des NS-Regimes und von Linken verwendet wird: Auch Medien wie die “Welt”, das “Handelsblatt” oder die DPA verwenden ihn synonym zu “Abschiebung”, was auch der Duden vorschlägt.

Zum anderen bedeutet “deportation” im Englischen schlicht “Abschiebung”, die auf dem Plakat enthaltene Formulierung “Blockupy deportation airport” könnte man also mit etwas weniger bösem Willen auch schlicht als international gehaltene Aufforderung verstehen, einen “Abschiebeflughafen” zu besetzen.

Wir haben deshalb beim Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung nachgefragt, ob Minister Florian Rentsch eigentlich um den Kontext gewusst habe, in dem das Wort “Deportation” bzw. “deportation” steht.

Die Antwort des Sprechers Marco Krause fiel wie folgt aus:

Die Verwendung des Wortes “Deportation” wird in diesem Kontext nicht weniger verantwortungslos dadurch, dass zwei englische Wörter auf dem Plakat stehen. Hier sollten offensichtlich Assoziationen geweckt werden, die entschieden zurückgewiesen werden müssen. Die Plakatmacher haben das sensible Wort offenbar bewusst gewählt, um einseitig Stimmung zu machen. Dies ist geschmacklos gegenüber den Opfern und geschichtsvergessen. Eine Entschuldigung und die Entfernung der Plakate ist das Mindeste, was von den Verantwortlichen verlangt werden kann.

Unsere Frage, ob sich Herr Rentsch vor dem Hintergrund, dass es hier offensichtlich um den englischen Begriff ging, erneut so äußern würde, erschien der Pressestelle als “Suggestivfrage”, schließlich sei es nicht offensichtlich, dass es hier um einen englischen Begriff ging. Herr Rentsch halte die Kritik zu dem Plakat aufrecht, denn das Plakat “spricht leider für sich und spielt mit dem Begriff ‘Deportation’ im Gesamtkontext völlig verantwortungslos”.

Die Verwendung des Begriffs “Deportation” in anderen Medien würde der Minister aber nicht kritisieren, weil diese Medien “anders als das Plakat den Begriff ‘Deportation’ im Gesamtkontext nicht verantwortungslos verwenden”.

Die Antwort des Pressesprechers schließt mit einem bemerkenswerten Satz:

Ich gehe davon aus, dass Sie diese Anfrage parallel an die BILD-Zeitung richten und stelle daher unsere Antworten auf Ihre Anfrage auch der BILD als Quelle des Artikels zur Verfügung.

Mit Dank an Marcus, Martin und Egal.

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