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Wie “Bild” den Hass gegen Flüchtlinge schürt

Es sind ungewohnte Töne von Julian Reichelt. In letzter Zeit macht sich der „Bild“-Online-Chef immer wieder für Flüchtlinge stark, er erklärt:

Oder:

Auch sonst geben sich „Bild“-Medien sichtlich Mühe, dem lauter werdenden Fremdenhass im Land etwas entgegenzustellen; sie wettern gegen die „Pegida-Idioten“, versuchen sich an entlarvenden Faktenchecks, erzählen rührende Positiv-Geschichten, machen auf das Leid der Geflüchteten aufmerksam und kritisieren das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“.

Dagegen ist auch erstmal nichts zu sagen. Bloß wäre dieses Engagement viel glaubwürdiger und vor allem: wirksamer, wenn „Bild“ nicht gleichzeitig an vielen Stellen genau diesen Hass, die Feindbilder und die Ressentiments gegen Flüchtlinge befeuern würde.

Sie erinnern sich vielleicht an den Artikel, den die Dresdner „Bild“-Ausgabe vor gut einem Jahr veröffentlicht hat:

Obwohl schnell klar war, dass die Schutzwesten nicht aus Angst vor den Flüchtlingen angeschafft wurden, sondern zum generellen Schutz der Rettungskräfte, und obwohl auch „Bild“ weiß, dass es in Wahrheit keine Vier-Sterne-Luxusbude mehr ist, sondern ein ausrangiertes Hotel ohne jeden Schnickschnack, und obwohl der Artikel mit diesen falschen Behauptungen nachweislich die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizt, ist er immer noch online.

Wenn den „Bild“-Leuten und vor allem ihrem Online-Chef so viel daran gelegen ist, den Flüchtlingen zu helfen, warum korrigieren oder löschen sie den Artikel nicht einfach?

Und generell die ganzen Geschichten, die von den „Bild“-Medien in die Welt gelogen wurden und heute genau jenen als Argumentationshilfe dienen, die gegen die „Überfremdung“ unseres Landes zu Felde ziehen.

Also wenn es in diesem Land jemanden gibt, der das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“ beherrscht, dann ist das die “Bild”-Zeitung.

Ein anderes Beispiel. Anfang vergangener Woche erschien in „Bild“ Hamburg und bei Bild.de ein Artikel über den Hamburger Verkehrsbund (HVV):

Aus Angst vor „schlechter Presse“ hat der HVV hat seine Fahrkartenkontrolleure angewiesen, bei Flüchtlingen, die ohne Ticket angetroffen werden, ein Auge zuzudrücken.

Das geht aus einem internen Schreiben des Unternehmens hervor, das BILD vorliegt. Wörtlich heißt es darin: Bei „Asylsuchenden“ müsse man „viel „Augenmaß walten lassen“, da viele von Ihnen „Opfer von professionellen Fahrkartenfälschern“ würden oder „nachvollziehbar kaum Kenntnisse“ von der HVV-Tarifstruktur hätten.

Dann, wie üblich, ein schockierter Politiker:

Das will CDU-Verkehrsexperte Dennis Thering (31) so nicht stehen lassen: „Die ,Augen-zu-Anweisung‘ muss zurückgenommen werden. Es gibt in Hamburg die Möglichkeit, eine vergünstigte HVV-Zeitkarte zu erwerben, explizit auch für Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.“

Und der Artikel schließt mit der Bemerkung:

In der Tat erhält jeder neu ankommende Flüchtling 149 Euro Taschengeld pro Monat. Davon sind nach Angaben der Sozialbehörde 25,15 Euro für Fahrkarten im Nahverkehr vorgesehen.

Die haben also — in der Tat — genug Geld, die Flüchtlinge. Und dann kommt der HVV auf die Idee, sie alle schwarzfahren zu lassen, damit es keine negativen Artikel gibt? Und der arme Deutsche muss wieder blechen?

Soweit — und so verzerrt — die Version der „Bild“-Zeitung.

Was das Blatt nämlich nicht erwähnt: Es sind nicht nur Flüchtlinge, bei denen der HVV „ein Auge zudrückt“, sondern alle Leute, die aufgrund von Sprachproblemen oder aus anderen guten Gründen versehentlich ein ungültiges Ticket dabeihaben.

„Egal ob Hamburger oder Flüchtling oder Tourist“, erklärte uns der HVV-Sprecher auf Nachfrage, “da machen wir keinerlei Unterschied”. Wer zum Beispiel glaubhaft versichern könne, dass er Opfer von Fälschern wurde oder sich beim Fahrkartenkauf vertan hat, dürfe mit der Kulanz der Kontrolleure rechnen, das gelte für alle und sei schon immer so gewesen.

Mit dem internen Schreiben (hier im Wortlaut) habe der HVV lediglich der aktuell hohen Zahl von Flüchtlingen Rechnung tragen und die Mitarbeiter daran erinnern wollen, dass bei den Kontrollen Fingerspitzengefühl gefragt sei. Es sei auch nicht aus Angst vor schlechter Presse verschickt worden, sondern „aus Überzeugung“. Der HVV-Sprecher:

Ich kenne den Kollegen, der das Schreiben verschickt hat. Der hat vor Kurzem miterlebt, wie verängstigt einige Flüchtlinge waren, als sie, umringt von Uniformierten, am Bahnsteig kontrolliert wurden, da dachte er sich einfach: „Da muss man was tun“ und hat dann das Schreiben verschickt, um die Kollegen für die spezielle Situation zu sensibilisieren.

Das alles hätte der „Bild“-Reporter auch erfahren, wenn er beim HVV nachgefragt hätte. Aber das hat er laut HVV nicht.

So reißt “Bild” das Dokument aus dem Zusammenhang und erweckt den Eindruck, die Flüchtlinge bekämen eine ungerechtfertigte Extrawurst.

Die Reaktionen auf den Artikel sehen übrigens so aus:















Das ist nur eine winzige Auswahl. Auf der Facebookseite der Hamburger “Bild” stehen noch über 900 weitere Kommentare, viele davon gehen in die gleiche Richtung. In den Sozialen Medien, in Foren und in analogen Diskussionen ist die “Nachricht”, dass “die Flüchtlinge jetzt sogar offiziell schwarzfahren dürfen”, zu einem weiteren Scheinargument geworden, mit dem der Hass genährt wird.

Auch der HVV habe aufgrund der Berichterstattung Dutzende Hassbriefe und -mails bekommen, sagte uns sein Sprecher, die meisten davon seien „offen rassistisch“.

Die Hütte brennt, “Bild” schüttet Benzin nach, und Julian Reichelt steht davor und tut so, als wolle er löschen.

Mit Dank an Lars W.

Siehe auch: Schlechte Presse, Lügenpresse und der HVV (“Eimsbütteler Nachrichten”)

Nachtrag, 17. August: Julian Reichelt hat auf unsere Kritik reagiert. Nur verstanden hat er sie nicht.

Exklusiv: “Bild” versteht Regierungspapier falsch

Ach, wie müssen sie sich gefreut haben in der „Bild“-Redaktion, als sie heute „exklusiv“ verkünden konnten:

Vor Verhandlung der Euro-Finanzminister um drittes Hilfspaket - Bundesregierung lehnt Griechen-Rettungsprogramm ab

Im Text schrieben die Griechenland-Chefhetzer Paul Ronzheimer und Dirk Hoeren:

Die Bundesregierung hält die Vereinbarung von Geldgebern und griechischer Regierung über ein drittes Rettungspaket für nicht ausreichend.

Nach BILD-Informationen aus EU-Kreisen sieht Berlin vor allem bei der Beteiligung des Internationalen Währungsfonds, der Schuldentragfähigkeit und den Privatisierungen noch offene Fragen.

„Bild“ berief sich dabei auf ein Papier, das auch den Springer-Kollegen der „Welt“ vorlag – und die interessanterweise zu einem ganz anderen Urteil kamen:

Das sah Ronzheimer natürlich anders:

Nun …

… anderthalb Stunden später schrieb die Nachrichtenagentur Reuters, das Wirtschaftsministerium sei „verwundert über den Bericht über eine angebliche Stellungnahme der Bundesregierung“. Das Ministerium beurteile „den Verhandlungsstand positiv“, und eine „abgestimmte Position der Bundesregierung gebe es noch nicht“. Auch das Finanzministerium erklärte, es habe zwar „Fragen formuliert“, diese seien aber „Teil des Prüfprozesses, der noch nicht abgeschlossen ist“. Kurzum:

Die Darstellung, die Bundesregierung lehne das Rettungsprogramm ab, sei falsch.

Spätestens da mussten sie das auch in der „Bild“-Redaktion einsehen. Inzwischen sieht die Überschrift des Artikels so aus:

Euro-Finanzminister wollen am Freitag abstimmen - Zoff zwischen Schäuble und Gabriel um 3. Griechen-Hilfspaket

Auch der Text wurde an einigen Stellen still und leise geändert. Unter anderem heißt es jetzt:

Die Darstellung, die Bundesregierung lehne das Rettungsprogramm ab, sei falsch, heißt es aus dem Finanzministerium.

Woher diese Darstellung kam, verraten Ronzheimer und Hoeren selbstverständlich nicht.

Multipler Drei-Minuten-Journalismus

In drei Minuten schafft man ja so einiges. Fünflinge gebären zum Beispiel. Sich einen lässigen Knoten mit zwei eingeflochtenen Zöpfen in die Haare basteln. Den Verstand verlieren. Oder aber: richtig guten Sex haben.

In der Sex-Kürze liegt die Würze – das ist das Ergebnis einer aktuellen US-Umfrage. Demnach sind drei bis dreizehn Minuten Sex völlig ausreichend und befriedigend.

Tatsächlich sind Forscher der Pennsylvania State University gezielt der Frage nachgegangen, wie lange Sex dauern sollte, damit er gut ist. Dafür befragten sie 50 Mitglieder der “Society for Sex Therapy and Research” – genauer: “psychologists, physicians, social workers, marriage/family therapists and nurses” –, von denen 44 Auskunft gaben. Ergebnis:

The average therapists’ responses defined the ranges of intercourse activity times: “adequate,” from three to seven minutes; “desirable,” from seven to 13 minutes; “too short” from one to two minutes; and “too long” from 10 to 30 minutes.

Sie sehen: Für guten Sex braucht man nur drei Minuten. Na gut, mindestens drei.

Höchstens drei braucht man dagegen, um festzustellen, dass die Aussagekraft dieser “Studie” doch arg zu wünschen übrig lässt. Die Aussagen von 44 Ärzten und Krankenschwestern als Maßstab für die Sex-Vorlieben der Menschheit? Nun ja.

Noch viel weniger als drei Minuten bedarf es allerdings, um herauszufinden, dass diese ganze Sache schon über sieben Jahre alt ist.

Trotzdem taucht sie seit ihrer Veröffentlichung (meist pünktlich zum Sommerlochanfang) immer wieder als Nachricht in den deutschen Medien auf.

Der oben zitierte Bild.de-Artikel stammt aus November 2009. Da war die “aktuelle US-Umfrage”, von der die Rede ist, immerhin schon anderthalb Jahre alt, was im Artikel freilich nicht erwähnt wird.

Noch ein Jahr später, im Juni 2010, entdeckte die “Daily Mail” die Geschichte

… woraufhin auch die deutschsprachigen Medien wieder aufsprangen. Zunächst Ende Juni in Österreich:

(oe24.at)

(krone.at)

Dann, Anfang Juli 2010, bei “T-Online” (obwohl das Portal schon zwei Jahre zuvor über die “neue Studie” berichtet hatte):

Und im Oktober 2010 bei RTL.de:

Auch in diesem Jahr — sieben Jahre nach Erscheinen der Studie — haben die Journalisten sie wieder für sich entdeckt. Im Mai schrieb die „Huffington Post“:

Die Autorin verlinkt sogar auf die Studie, tut aber trotzdem so (oder geht tatsächlich davon aus), als wäre das alles neu.

Die eifrigsten Sexartikelwiederverwurster sind aber selbstverständlich die Medien des Axel-Springer-Verlags.

Als die Studie herauskam, berichtete zunächst welt.de:

2009 folgte der Bild.de-Artikel, den wir oben zitiert haben:

Im Mai 2014 dann die „B.Z.“:

Bild.de im Juni 2014

… sowie im September 2014

… und irgendwann zwischendurch noch mal als Meldung im “Newsticker”:

Vor zwei Wochen dann wieder die „B.Z.“:

Und am vergangenen Sonntag wieder Bild.de:

Dass die Studie nur von sehr bedingter Aussagekraft und noch dazu uralt ist, schreiben sie nicht, aber darauf kann man ja auch nicht kommen, wenn man immer nur stumpf voneinander abschreibt.

Also, liebe Recyclingredakteure: Wenn Ihnen diese Story im nächsten Sommer wieder vor die Flinte läuft (und das wird sie ganz bestimmt), nutzen Sie die Zeit, die Sie fürs Copy-und-Pasten brauchen würden, doch lieber für was Sinnvolles. In drei Minuten schafft man ja so einiges.

Mit Dank an Fred R.

Wie man den Werther-Effekt ignoriert

Bei der Berichterstattung über Suizide sollten Journalisten sehr behutsam vorgehen. Seit Jahrzehnten ist erwiesen, dass die Selbstmordrate steigt, wenn zuvor intensiv über einen Suizid berichtet wurde (“Werther-Effekt”).

Um die Gefahr von Nachahmungstaten zu vermeiden, empfehlen Psychologen den Medien:

  • Sie sollten jede Bewertung von Suiziden als heroisch, romantisch oder tragisch vermeiden, um möglichen Nachahmern keine post-mortalen Gratifikationen in Form von Anerkennung, Verehrung oder Mitleid in Aussicht zu stellen.
  • Sie sollten weder den Namen der Suizidenten noch sein Alter und sein Geschlecht angeben, um eine Zielgruppen-Identifizierung auszuschließen.
  • Sie sollten die Suizidmethode und – besonders bei spektakulären Fällen – den Ort des Suizides nicht erwähnen, um die konkrete Imitation unmöglich zu machen.
  • Sie sollten vor allem keine Informationen über die Motivation, die äußeren und inneren Ursachen des Suizides andeuten, um so jede Identifikations-Möglichkeit und Motivations-Brücke mit den entsprechenden Lebensumständen und Problemen des Suizidenten zu vermeiden.
  • Anders gesagt: Sie sollten nicht so berichten, wie es die „Bild“-Medien in dieser Woche tun.

    In dem Fall geht es geht um einen sogenannten erweiterten Suizid, bei dem ein Mann seine beiden Kinder und sich selbst getötet hat.

    Gestern platzierte “Bild” den Fall prominent auf Seite 3 der Bundesausgabe, zeigte groß den Tatort (darum verzichten wir auf einen Ausriss des Artikels), nannte die Suizidmethode, das Alter des Mannes sowie mögliche Motive und zitierte einen Polizeisprecher mit den Worten, der Fall gehe „selbst bei erfahrenen Ermittlern“ „unter die Haut“.

    Den Spekulationen über die Ursachen widmete Bild.de sogar eigene Artikel, heute zum Beispiel den hier:

    Und weil ein Mensch, der so schlimme Dinge tut, in den “Bild”-Medien automatisch sämtliche Rechte verliert, zeigen sie heute auch ein Foto von seinem Haus — und natürlich sein Gesicht:

    Auch den genauen Tatort erwähnen und zeigen die „Bild“-Medien immer wieder. Eines der Fotos taucht dabei in jedem Online-Artikel auf, die Quelle lautet:

    Das ist glatt gelogen. Es sei denn „BILD FRANKFURT“ hat das gleiche Foto vor neun Jahren unter einem anderen Namen bei Wikipedia hochgeladen.

    Dagegen scheint uns die Quellenangabe unter dem Porträtfoto des Mannes ein wenig ehrlicher:

    Inzwischen hat Bild.de diese Angabe gelöscht.

    Mit Dank an Boris R., Niko, Sebastian R., Robert G., Diana G. und anonym.

    Siehe auch: Wenn Schlagzeilen Menschenleben kosten (Interview mit Prof. Dr. Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Archivlink)

Polizei? Da könnte ja jeder bitten!

Seit knapp eineinhalb Wochen sucht die Polizei Niedersachsen nach einer Familie aus Drage. Mutter, Vater und Tochter waren spurlos verschwunden, die Polizei startete eine öffentliche Fahndung. Dafür hat sie Scans der drei Passfotos auf die eigene Internet- und auf eine Facebook-Fahndungsseite gestellt. Zahlreiche Medien haben die Fotos in der aktuellen Berichterstattung verwendet — macht ja auch Sinn bei einer öffentlichen Fahndung.

Inzwischen haben die Beamten die Leiche des Familienvaters gefunden. Die dazugehörige Pressemitteilung endet mit diesem Absatz:

Medienhinweis: Die Öffentlichkeitsfahndung nach dem 41-jährigen Marco S. ist somit beendet. Es wird darum gebeten, die Fotos aus der Berichterstattung zu nehmen.

Den Hinweis hat die zuständige Polizeiinspektion Harburg spätabends am vergangenen Freitag veröffentlicht.

Und so sieht die Berichterstattung von “Bild”, Bild.de und “Bild am Sonntag” seitdem aus:

Bild.de, 1. August:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)
“Bild am Sonntag”, 2. August:

Bild.de, 2. August:

“Bild”, 3. August:

“Bild”, 4. August:

Nun kann es eine etwas aufwendigere Sache sein, schon publizierte Online-Artikel zu durchkämmen und einzelne Fotos per Hand rauszulöschen. Aber all die aufgeführten Berichte sind eben erst nach der Bitte der Polizei erschienen.

Jan Krüger, Sprecher der Polizeiinspektion Harburg, sagte uns, dass eine Missachtung des Medienhinweises keine rechtlichen Schritte von Seiten der Polizei nach sich ziehe. Familienangehörige müssten sich dagegen wehren und das Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Vaters durchsetzen.

Krüger und sein Team hätten das Foto direkt nach der Identifizierung der Leiche aus dem Internet genommen, online fänden sich nur noch die Bilder der Mutter und der Tochter, nach denen weiterhin gesucht wird. Bei den Medien könne man nur darauf hoffen, dass sie der Bitte nachkommen.

Allerdings haben wir das Gefühl, dass diese Hoffnung bei den Leuten von “Bild” vergebens ist.

Mit Dank an @macerarius.

Im “Burger-Talk” mit dem “Bild”-Reporter

Ralf Schuler ist Leiter des Parlamentsbüros der „Bild“-Zeitung.

Und hier sehen wir ihn bei der Recherche:

Der Chef von McDonald's Deutschland Holger Beeck (l.) beim Burger-Talk mit BILD-Reporter Ralf Schuler (r.) [Auf dem Foto sitzen die beiden nebeneinander, schauen in die Kamera und halten einen Burger in der Hand]

Bei der Gelegenheit hätte Schuler den McDonald’s-Mann natürlich gleich mal kritisch ausquetschen können. Er hätte fragen können, warum die Fast-Food-Kette zurzeit massiv Kunden verliert und enorme Umsatzeinbußen verzeichnet. Oder warum McDonald’s hierzulande bei der Digitalisierung dermaßen hinterhinkt. Aber: nö.

Stattdessen fragt er:

Bietet McDonald’s vor allem billiges Essen?

Antwort: “Zu uns können Leute mit jedem Geldbeutel kommen und beste Burger zum besten Preis bekommen.”

Oder:

Was werden wir in zehn Jahren essen? Algen, Insekten oder Bio-Gemüse?

“Wenn es eine nahr- und schmackhafte, vor allem aber akzeptierte Nahrung aus neuen Rohstoffen gibt, werden wir uns dem nicht verschließen.”

Oder:

Sie bieten ab 13. August einen Veggie Burger (mit) Quinoa an. Ist Fleisch ein Auslaufmodell?

“Unsere Salate und Pommes frittes sind schon jetzt sogar vegan. Den neuen Clubhouse Veggie Burger haben wir zusammen mit Vegetariern und Flexitariern entwickelt. Ich bin gespannt, wie er ankommt.”

Und so ist es nicht Ralf Schuler, der die Gelegenheit nutzt, sondern der McDonald’s-Chef. Um schön ein bisschen Werbung zu machen, für sein Unternehmen und den neuen Burger, der bald kommen soll und dem Bild.de sogar noch ein eigenes Video gewidmet hat (“So wird der neue Veggi-Burger gemacht!”). Highlights:

[Der McDonald's-Chef nimmt von einer Mitarbeiterin einen Burger entgegen]
[Er beißt hinein, während die Mitarbeiterin im Hintergrund erwartungsvoll lächelt]
[Er schließt genüsslich die Augen, während er den Burger kaut]
[Er schaut entzückt in die Kamera, weil ihm der Burger natürlich superduper gut schmeckt]
[Das BILD-Logo]

Das kommt McDonald’s in diesen Krisenzeiten natürlich sehr gelegen: Gleich zweimal dicke Werbung auf Bild.de. Einmal im Anzeigenbereich – einmal im redaktionellen.

[Der Artikel bei Bild.de; daneben eine Anzeige von McDonald's]

“Bild” pfeift aufs Gericht – und zeigt das Gesicht

Heute hat vor dem Oberlandesgericht in Celle der Prozess gegen zwei mutmaßliche „IS“-Rückkehrer begonnen. „Mitgliedschaft in terroristischer Vereinigung und Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat“ lautet der Vorwurf, entsprechend groß ist das Interesse der Medien.

In einer Anordnung hatte das Gericht zuvor festgelegt, dass die Angeklagten nur verpixelt gezeigt werden dürfen. Die dpa hat sich daran gehalten und die Fotos nur mit Unkenntlichmachung veröffentlicht.

„Bild“ — n a t ü r l i c h — nicht.

Inzwischen hat Bild.de das Foto ausgetauscht — und zeigt jetzt eins, auf dem der Mann noch besser zu erkennen ist.

(Der Vollständigkeit halber: Unkenntlichmachungen von uns.)

Nun könnte man argumentieren, dass sich der Angeklagte vor etwas mehr als zwei Wochen ja auch von der “Süddeutschen Zeitung” und dem NDR hat fotografieren und filmen lassen. Die Leute von “Bild” aber begründen die Missachtung der gerichtlichen Anordnung so:

Die blutigen Bilder seiner Kämpfer präsentiert ISIS regelmäßig im Internet, prahlt damit, rekrutiert neue Mitglieder. Doch stehen zwei dieser Kämpfer in Deutschland vor Gericht, sollen sie plötzlich unkenntlich gemacht werden? Da macht BILD nicht mit.

Mit Dank auch an Wolfram S., @RamisOrlu, Sebastian R., Bernhard W., Heinz B., Christian M. und Daniel!

Nachtrag, 16.55 Uhr: Inzwischen haben wir auch die sitzungspolizeiliche Anordnung des Gerichts gefunden (PDF). Darin steht:

Bei den Filmaufnahmen ist sicherzustellen, dass das Gesicht der Angeklagten vor der Veröffentlichung und vor einer Weitergabe der Aufzeichnungen an Fernsehveranstalter oder andere Medien durch ein technisches Verfahren anonymisiert wird und nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich ist.

Das habe der Senat aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes entschieden, erklärte uns die Gerichtssprecherin, und dabei sei ihm durchaus bewusst gewesen, dass einer der Angeklagten bereits im Fernsehen zu sehen gewesen sei.

Und was hält das Gericht von der Veröffentlichung? Die Gerichtssprecherin: “Die Anordnung ist seit Wochen für jeden zugänglich. Mit der Veröffentlichung wurden die Auflagen nicht eingehalten.”

Auf die Frage, ob “Bild” nun mit Konsequenzen rechnen muss, verwies die Sprecherin auf einen weiteren Punkt in der Anordnung, in der es heißt:

Kommen akkreditierte Pressemitarbeiter den Aufforderungen nicht nach, so können ihre Presse- und Medienunternehmen die Akkreditierung verlieren. Darüber entscheidet der Vorsitzende.

Nachtrag, 18:40 Uhr. “Bild” ist nun tatsächlich vom Prozess ausgeschlossen worden. Das hat der Vorsitzende Richter entschieden, wie uns die Gerichtssprecherin bestätigte.

Nachtrag, 4. August: In der heutigen Ausgabe nennt “Bild” die Sache einen “Eklat vor Gericht”, und Bild.de-Chef Julian Reichelt beklagt sich erwartungsgemäß über den …

Nun will das Gericht die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten schützen. Die Medien sollen diese Männer, die sich der schlimmsten Terrororganisation der Welt angeschlossen haben, nur gepixelt zeigen.

BILD hat sich dieser Anordnung widersetzt – und wurde deswegen vom Prozess ausgeschlossen. Mit Verlaub, Herr Richter Meier, damit schützen Sie die Falschen.

Wenn ISIS seine blutrünstigen Taten verübt, posieren die Täter mit abgeschlagenen Köpfen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Wenn die Terroristen sich aber vor einem deutschen Gericht für ihre Taten verantworten sollen, dürfen sie plötzlich nicht mehr erkannt werden? Das ist absurd!

BILD wird sich gegen diese Entscheidung wehren. Sie ist ein Angriff auf die Pressefreiheit!

Im Kleinermachen ist “Bild” ganz groß

Momentan ist in den großen europäischen Fußballligen Sommerpause, die Mannschaften bereiten sich in Trainingslagern und Testspielen auf die kommende Saison vor. Und vor allem ist Transferzeit! Das bedeutet für die Medien: wilde Wechselgerüchte, angebliche Transfer-Hämmer und reichlich Möglichkeiten für falsche Berichte.

Gestern schrieb die “Bild”-Zeitung:

Und bei Bild.de hieß es entsprechend:

Es geht um Stürmer Mario Gomez, der bisher beim italienischen Erstligisten AC Florenz spielte, und um den Verein, für den er in der anstehenden Saison auflaufen wird: Beşiktaş Istanbul. Dass Gomez nach Istanbul geht, galt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als sicher, in der Hinsicht konnte “Bild” also nichts mehr verbocken. In allen anderen Hinsichten haben es die Sportexperten aber problemlos hinbekommen.

Es fängt schon an mit der Grafik zur Ablösesumme:

Dazu heißt es:

Gestern in Florenz die abschließenden Verhandlungen mit seinem Ex-Klub Fiorentina (kassiert rund 6 Mio Ablöse), heute Vormittag die Unterschrift und der Flug in die Türkei.

Das Problem dabei: Der AC Florenz hat Mario Gomez nicht nach Istanbul verkauft, sondern nur ausgeliehen. Daher ist es uns auch ein Rätsel, wie die Autoren Kai Psotta und Phillip Arens auf die “6 Mio Ablöse” kommen. Aber vielleicht ist “Bild”-Mann Arens einfach nicht nur gut im Trauernde-Menschen-nicht-in-Ruhe-lassen, sondern auch im Zahlenausdenken.

Ebenfalls falsch ist das Gehalt von Gomez in Istanbul, das die Autoren nennen:

Jetzt wollte ihn Florenz loswerden. Auch, weil sich sein Gehalt von geschätzten 4 Mio Euro netto pro Jahr auf rund 5 Mio erhöht hätte (Vertrag bis 2017). In Istanbul soll er laut italienischen Medien rund 5,5 Mio netto kassieren. Finanziell geht es nicht abwärts …

Und ob es das geht. Mario Gomez wird im kommenden Jahr 3,5 Millionen Euro verdienen. Die Aussage im Teaser, dass sein Gehalt “immer größer” werde, ist also falsch.

Überhaupt: Woran “Bild” und Bild.de den “Gomez-Absturz” erkennen wollen, verraten sie nicht. Es scheint aber mit den Vereinen zu tun zu haben, bei denen der Stürmer bisher gespielt hat beziehungsweise nun spielt — und die “immer kleiner” werden sollen.

Nun ist es nicht ganz einfach, den AC Florenz mit Beşiktaş Istanbul zu vergleichen, also einen Erstligisten aus Italien mit einem aus der Türkei. Aber gut, versuchen wir’s. Nur: Was heißt “kleiner” bei Fußballvereinen?

Für Kai Psotta und Phillip Arens ist es offenbar ein Kriterium, in welchem europäischen Wettbewerb beide Klubs in der nächsten Saison antreten werden:

Gomez in Istanbul. Europa League statt Königsklasse.

Stimmt, Beşiktaş wird in der Europa League spielen. Allerdings hat sich der AC Florenz in der vergangenen Saison auch nicht für die “Königsklasse” Champions League qualifiziert, sondern ebenfalls nur für die Europa League. In Hinblick auf den europäischen Wettberwerb hat der Wechsel nach Istanbul für Mario Gomez also keine Veränderung bewirkt.

Andere Vergleiche, mit denen sich die “Absturz”-These überprüfen ließe, nennen die beiden Autoren nicht. Daher hier mal ein paar Vorschläge:

Facebook-Fans
Beşiktaş Istanbul hat bei Facebook etwa 5,5 Millionen Anhänger und damit mehr als dreimal so viele wie der AC Florenz.

Stadiongröße
Noch in diesem Jahr wird Beşiktaş in die Vodafone Arena einziehen. Nach der Fertigstellung wird das Stadion 41.903 Plätze haben. Bis das soweit ist, tritt das Team im Atatürk Olimpiyat Stadı mit 76.092 Plätzen an.

Im Stadio Artemio Franchi in Florenz kommen 47.282 Fans unter.

Titelsammlung
Beşiktaş gewann bisher 13 Mal den Meistertitel in der türkischen Süper Lig. Dazu kommen neun Pokalsiege und acht Superpokalsiege.

Der AC Florenz wurde in seiner Vereinsgeschichte zweimal italienischer Meister, sechsmal Pokalsieger und einmal Superpokalsieger. Dazu kommen ein Sieg im Europapokal der Pokalsieger und einer beim Mitropacup.

Marktwert des Kaders
Laut dem Onlineportal transfermarkt.de (das auch zum Axel-Springer-Verlag gehört) beläuft sich der Gesamtmarktwert des Profiteams von Beşiktaş Istanbul auf 126,5 Millionen Euro, der des AC Florenz auf 108,78 Millionen Euro. Solche Marktwerte sind durchaus mit Vorsicht zu genießen. Aber auch sie sprechen nicht für die “Absturz”-Überschrift von “Bild” und Bild.de.

In der Online-Version des Textes ist die Passage zum Gehalt von Mario Gomez inzwischen übrigens geändert (“In Istanbul verdient er laut Klub-Info 3,5 Mio.”), genauso die Aussagen zur Ablösesumme (“Am Donnerstagmorgen gab Besiktas die Verpflichtung offiziell bekannt: Zunächst leihen die Türken Gomez nur aus, besitzen aber eine Kaufoption.”). Das Teaserbild hat die Redaktion ebenfalls aktualisiert:

In der “Bild”-Zeitung von heute geht es auch noch einmal um Gomez’ Türkei-Wechsel:

Kein Wort davon, dass im Sportteil vom Tag davor von einer Ablösesumme die Rede war. Aber was interessiert schon der Fehler von gestern? Gerade in der aufregenden Transferzeit.

Die Unfuglotsen von Bild.de lassen es wieder beinahe krachen

Puh, da hätte es beinahe mal wieder geknallt, also in der Fantasie der Bild.de-Redakteure.

Ein Amateurfilmer hatte ein, nun ja, Manöver von zwei Passagiermaschinen auf dem Flughafen in Birmingham aufgenommen und das Video bei Youtube hochgeladen. Bild.de hat die Aufnahmen zweimal hintereinandergeschnitten (weil die 21 Sekunden sonst nicht für den Sprechertext gereicht hätten) und ein kleines Drama daraus gestrickt:

Aber wie so oft im Beinahe-Journalismus hat Bild.de eine ganz eigene Interpretation des Beinahe-Geschehens.

Der erste Komplettquatsch steckt in der Behauptung “Zwei auf einer Landebahn”. Bild.de glaubt, dass beide Flugzeuge landen. Aber das stimmt nicht: Das hintere Flugzeug landet, das vorder startet. Der Flughafen in Birmingham hat nur einen “Runway” in Betrieb, der sowohl für Starts als auch für Landungen genutzt wird.

Der Sprecher im Bild.de-Video sagt über den Piloten der vorderen Maschine:

Weil hinter ihm ein Airbus A320 landen will, startet er kurzerhand durch. Mit seinem bedachten Handeln verhindert er vielleicht ein Unglück.

Um herauszufinden, dass er nicht durchstartet, sondern lediglich startet, hätte ein Blick in die Beschreibung des Originalvideos gereicht:

Landing Airbus A320 and Embraer 195 taking off at BHX showing that pilots and controllers sometimes don’t have very long to make decisions.

Und auch die angeblich gerade noch so verhinderte Kollision auf der Start- und Landebahn ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Gedankenspiel von Bild.de. Zunächst dürfte die Perspektive der Videoaufnahme — wahrscheinlich von einem relativ weit entfernten Punkt mit einem Teleobjektiv gefilmt — die Situation verzerren und den Abstand der Flugzeuge deutlich geringer erscheinen lassen.

Ein Fluglotse, der an einem deutschen Verkehrsflughafen arbeitet, erklärte uns, dass das Bildmaterial einen Vorgang zeige, “der völlig legal und sicher ist und in dieser Form mehrere hundert Mal täglich allein in Deutschland vorkommt”:

Vorne startet ein Flugzeug, kurz danach setzt dahinter ein landendes Flugzeug auf. Hat das vorausfliegende Flugzeug dabei das Pistenende noch nicht überflogen, spricht man von “Reduced Runway Separation”, also reduzierter Pistenstaffelung.

Um ihre Beinahe-Crash-These zu untermauern, hat sich die Bild.de-Videoredaktion noch einen Beleg ausgedacht. Der Sprecher sagt:

Der Tower hatte den Piloten zuvor mit einem Close Call vor der anderen Maschine gewarnt.

Einen “Close Call” gibt es in der Fluglosten-Sprache nicht. Der Ausdruck bedeutet “Beinaheunfall” oder “knappe Sache” — und steht einzig als Titel über dem Youtube-Video des Amateurfilmers.

Mit Dank an Christian G.!

Trauerspiel

Die Bundesligafußballer von Bayer Leverkusen stecken momentan mitten in der Saisonvorbereitung. Vergangene Woche musste Abwehrspieler Ömer Toprak im Trainingslager eine Einheit aus persönlichen Gründen abbrechen: Er soll vor dem Training erfahren haben, dass ein Familienmitglied gestorben ist.

Ein gefundenes Fressen für “Bild” und Bild.de:

Eine bewegende Szene im Bundesliga-Alltag. Gestern um 10.03 Uhr beim Leverkusen-Training in Zell am See in Österreich.

Abwehr-Boss Ömer Toprak (26) bricht die Kraft-Übungen ab, weint plötzlich hemmungslos. Trainer Roger Schmidt (48) reagiert, nimmt seinen Spieler in den Arm und führt ihn in die Kabine.

Und “Bild”-Reporter Phillip Arens hält voll drauf:


(Veröffentlicht wurde das Foto — natürlich vollständig — in riesiger Größe bei Bild.de und etwas kleiner in “Bild”.)

Doch beim Fernfotografieren beließ es Arens nicht und quetschte anschließend noch Trainer Roger Schmidt aus:

Schmidt sichtlich bewegt zu BILD: “Es ist eine private Angelegenheit, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.”

Das sahen der “Bild”-Mann und seine Redaktion etwas anders:

Mit Dank an Sabine K.

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