Archiv für Bild.de

Sehen alle gleich aus (14)

Der Trikottausch nach einem Fußballspiel ist so sicher wie das Amen in der Kir … ach, lassen wir die Floskeln. Manche Fußballer tauschen inzwischen sogar schon in der Halbzeitpause das erste Mal das Jersey mit einem gegnerischen Spieler. Das gibt zwar auch mal Ärger, ist aber letztendlich total schlau — wie und wo kommt man sonst so günstig an neue Klamotten?

Gestern Abend, beim Europa-League-Rückspiel zwischen dem FC Schalke 04 und PAOK Saloniki (Endergebnis: 1:1), hat Bild.de einen ganz neuen Trend entdeckt: den Trikottausch vor dem Anpfiff. Zumindest lässt die Bildunterschrift zu diesem Foto diesen Schluss zu:


(“Überrascht! Nastasic (2.v.l.) befördert den von Koulouris (M.) nur leicht berührten Ball unhaltbar für Torwart Fährmann (l.) zum 1:1 ins eigene Tor”)

Schalkes Torwart Ralf Fährmann “(l.)” hat offenbar bereits vor Spielbeginn von seinem Gegenüber Panagiotis Glykos ein komplettes PAOK-Outfit überreicht bekommen und dieses auch direkt angezogen: Trikot, Hose, Stutzen. Selbst die Kapitänsbinde hat Glykos ihm überlassen.

Und auch die anderen Spieler auf dem Foto sehen gar nicht so aus wie sonst: Matija Nastasic “(2.v.l.)”, der gestern in der 25. Minute ein Eigentor schoss, sieht aus wie Alessandro Schöpf, der gestern in der 23. Minute ins richtige Tor traf. Und Efthimios Koulouris “(M.)” trägt statt seiner üblichen Trikotnummer 20 auf einmal die 27, mit der eigentlich Ioannis Mystakidis aufläuft.

Entweder waren die Fußballprofis gestern in Gelsenkirchen schon in vorkarnevalistischer Stimmung und haben sich wild verkleidet. Oder Bild.de hat bei der Auswahl und/oder der Beschriftung des Fotos einiges durcheinandergebracht. Unsere Erfahrung sagt uns: Die Fußballer sind nicht schuld.

Mit Dank an Andreas W. für den Hinweis!

Von Bild.de lernen, heißt auf Satire reinfallen lernen

Als am vergangenen Samstag der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in Oberhausen auftrat, und viele Türken in die dortige Arena zum Zujubeln kamen, boten sich für Bild.de ein paar tolle Motive, die man bestens für einen Artikel verwenden konnte. Dieses hier zum Beispiel:

Das Foto vom Fähnchen fanden sie bei Bild.de wohl so gut, dass sie es gleich noch mal verwendet haben, für einen Zusammenschnitt des Talkformats “Die richtigen Fragen” zum Yildirim-Auftritt. Im Vorschaubild des Videos ist wieder der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu sehen und dazu die “klare Botschaft” “Von Erdogan lernen heißt siegen lernen.”:

Wir haben auch eine richtige Frage, liebes Bild.de-Team: Habt Ihr morgen Abend um 22:50 Uhr schon was vor? Wenn nicht: Schaut doch mal in die “NDR”-Satiresendung “extra 3” rein.

Da wird es zum Beispiel das Thema “Von Erdogan lernen, heißt siegen lernen” geben, präsentiert von Tobi Schlegl, der am vergangenen Samstag offenbar in Oberhausen war:

Seht Ihr, liebe Bild.de-Bildexperten, auf dem getwitterten Foto auch die kleine Fahne, die da noch halb zu erkennen ist? Kommt uns irgendwie bekannt vor.

Mit Dank an @Polles1895 für den Hinweis!

Julian Reichelts Fehler zwischen Anspruch und Wirklichkeit

“Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben. Es ist aber nicht so, dass ich mich über Entschuldigungen freue, gar nicht. Ich glaube aber, dass sie ein wichtiger Teil der journalistischen Aufrichtigkeit und Ausdruck unserer proaktiven Kommunikation sind.”

Julian Reichelt hat am Donnerstag eine neue Imagekampagne gestartet, für sich, für “Bild”. In einem Interview mit dem “Tagesspiegel” sprach der Leiter von Bild.de, der seit Anfang Februar auch Vorsitzender aller “Bild”-Chefredaktionen ist, übers Fehlermachen und übers Entschuldigen. Das falle ihm eben “grundsätzlich leicht”, so wie im Januar, als “Bild” und Bild.de behaupteten, Sigmar Gabriel werde SPD-Kanzlerkandidat. Als dann rauskam, dass es Martin Schulz wird, entschuldigten sich die “Bild”-Medien und Julian Reichelt für ihren Fehler. Genauso vor vier Tagen, nachdem klar war, dass es den “Sex-Mob” mit lauter Flüchtlingen, der laut “Bild” an Silvester durch Frankfurt “tobte”, nie gab.

Ein möglicher Claim für Reichelts Imagekampagne steht ebenfalls im Interview mit dem “Tagesspiegel”:

“Ehrlichstes Medium: Das ist kein Versprechen, das ist der Anspruch an mich.”

Jeder, der daran zweifelt, dass die “Bild”-Redaktionen vorzügliche Arbeit abliefern, könne laut Reichelt seit 40 Jahren nicht mehr überprüft haben, ob das überhaupt stimmt:

Na ja, “Bild” galt und gilt jetzt nicht in allen Bereichen und bei allen Geschichten als das ehrlichste Medium Deutschlands.

Der überwiegende, der überragende Teil dieser Vorbehalte ist über 40 Jahre alt. Viele, die diese Vorbehalte vor sich hertragen und aktiv verbreiten, haben ihr Weltbild vor 40 Jahren das letzte Mal bei “Bild” überprüft und geschaut, mit welchem Aufwand wir unsere Inhalte recherchieren.

Hier beim BILDblog überprüfen wir unsere Vorbehalte jeden Tag aufs Neue. Und andauernd finden wir bei “Bild” und Bild.de Artikel, die faktisch falsch sind, in denen Persönlichkeits- oder Urheberrechte oder beides verletzt werden, in denen “Bild” auf die Menschenwürde pfeift, in denen das Blatt gegen einzelne Gruppen hetzt oder Material für Hetze liefert.

Uns geht es dabei nicht darum, dass irgendjemand um Entschuldigung bitten soll. Es würde schon längst genügen, wenn ein grundlegendes Interesse darin bestünde, Fehler transparent zu korrigieren — gern ohne großes Pardon.

Ob bei “Bild” und Bild.de dieses Interesse besteht? Ob das Reagieren auf Fehler so “grundsätzlich leicht” fällt, wie Julian Reichelt einen gern glauben machen möchte? Und vor allem auch dann, wenn es nicht die spektakulären Fehler sind wie ein falscher Kanzlerkandidat oder ein herbei fantasierter “Sex-Mob”? Da haben wir größere Zweifel.

Wir haben mal unser Archiv durchwühlt und geschaut, ob die “Bild”-Redaktionen im vergangenen Jahr reagiert haben, wenn wir auf Fehler in ihrer Berichterstattung hingewiesen haben. All die Fälle, in denen wir beispielsweise kritisiert haben, dass “Bild” Persönlichkeitsrechte verletzt, haben wir ausgeklammert. Es ging uns nur um klare Fehler.

Hier eine Auswahl, in chronologischer Reihenfolge:


Die Ruhrgebiet-Ausgabe der “Bild”-Zeitung und Bild.de berichteten am 8. März 2016, dass dem “Wendler-Gitarristen” bei einem Unfall drei Finger abgerissen wurden. Noch am selben Tag schrieb der “Wendler-Gitarrist” auf seiner Facebook-Seite, dass das nicht stimmt.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Bild.de berichtete am 16. April 2016, dass ein “Schädlingsbekämpfer” aus London “Super-Ratten” gefangen habe, “rund 60 Zentimeter lang, etwa so groß wie Katzen.” Dazu seien sie möglicherweise noch Kannibalen. Das Foto, das der “Schädlingsbekämpfer” auf seiner Facebook-Seite gepostet hatte, stammte allerdings gar nicht von ihm, sondern von “National Geographic”. Und es zeigte auch keine “Super-Ratten” aus London, sondern Nutrias aus den USA. Und das Foto war bereits drei Jahre alt, als die Bild.de-Redaktion ihre Geschichte veröffentlichte.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Bild.de berichtete am 26. Juli 2016 über eine Studie des “GfK Vereins”, bei der das Ergebnis unter anderem sein soll, dass die “Angst vor Zuwanderung” gewachsen sei. Das stimmt allerdings gar nicht: Schaut man sich die “GfK”-Umfrage mal genauer an, sieht man, dass nicht nach der “Angst” gefragt wurde, sondern neutral danach, was die “am dringendsten zu lösenden Aufgaben im Land” ist. Außerdem bringt Bild.de das Ergebnis auf falsche Weise mit damals aktuellen Terroranschlägen in Verbindung.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Ebenfalls am 26. Juli 2016 behaupteten “Bild” und Bild.de, dass das Regierungspräsidium Stuttgart “ein Navi-Verbot” für die Autobahn 8 bei Leonberg verhängt habe. Dabei handelte es sich lediglich um ein Hinweisschild, das die Autofahrer sensibilisieren sollte.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Am 24. August 2016 berichtete Bild.de über eine “Burkini-Razzia am Strand von Nizza” und zeigte dabei ein Foto mit mehreren Polizisten, die eine Frau auffordern, ihre Klamotten auszuziehen. Die Frau trug nach eigener Aussage aber gar keinen Burkini, sondern eine Leggins, eine Tunika und ein Kopftuch.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite, das Foto ist kommentarlos verschwunden.

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In einem Artikel vom 12. September behauptet Bild.de, dass die Asche des verstorbenen David Bowie bei einer Zeremonie beim Festival “Burning Man” verstreut worden sei. David Bowies Sohn, die offizielle David-Bowie-Facebookseite und ein Sprecher der Verwaltung des David-Bowie-Nachlasses sagten nach der internationalen Berichterstattung über die angebliche Ascheverstreuung, dass das alles Blödsinn sei.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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“Bild” und Bild.de verkündeten am 6. Oktober 2016, dass Frank-Walter Steinmeier nicht als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl aufgestellt werde. Steinmeier ist am vergangenem Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt worden. Außerdem steht in dem Artikel der “Bild”-Medien: “In der SPD heißt es zudem: Wenn Merkel ‘eine einigermaßen akzeptable Frau’ als überhaupt erste Anwärterin fürs Schloss Bellevue präsentiere, könnten zumindest die GenossINNEN kaum Nein sagen.” Dabei gab es mit Luc Jochimsen und Gesine Schwan, Dagmar Schipanski und Uta Ranke-Heinemann, Hildegard Hamm-Brücher und Luise Rinser sowie Annemarie Renger bereits zahlreiche Frauen, die bei der Wahl angetreten sind. Dazu kommt noch Marie-Elisabeth Lüders, die zwar nie offiziell angetreten war, bei der Bundespräsidentenwahl 1954 allerdings eine Stimme bekam.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Gabor Steingart veröffentlichte am 10. Oktober 2016 Passagen aus seinem neuen Buch in “Bild” und bei Bild.de. Er schimpft darin über das “Europa der Selbstbediener”, was man angeblich auch an einem Supermarkt sehen könne: “Den EU-Parlamentariern in Straßburg steht im Inneren des Parlamentskomplexes ein nur für sie und ihre Mitarbeiter zugänglicher Supermarkt zur Verfügung”. Bloß: Diesen Supermarkt gibt es nicht.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Am 26. Oktober 2016, als der “Horror-Clown”-Hype in vollem Gange war, berichtete Bild.de über einen aktuellen “Horror-Clown”-Auftritt in einer “McDonald’s”-Filiale in Bocholt: “Die Mitarbeiter verstecken sich hinter dem Tresen, etwa 15 Leute laufen in Panik aus dem Laden.” Das Video, auf dem der Artikel beruht, war schon damals zwei Jahre alt. Und weder zeigt es 15 Leute, die “in Panik aus dem Laden” laufen, noch sind Mitarbeiter zu sehen, die “sich hinter dem Tresen” verstecken. Stattdessen hört man ziemlich viel Gekicher und Gelächter.

Der Artikel ist ohne jeglichen Hinweis von der Seite verschwunden.

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Die “Bild”-Medien schrieben am 23. November 2016, dass die Botschaft der Volksrepublik China “chinesische Frauen vor dem Sex-Täter von Bochum” warne, und dass das chinesische Generalkonsulat in Düsseldorf eine “Reisewarnung” ausgesprochen habe. Hintergrund ist eine Vergewaltigung einer chinesischen Studentin nahe des Uni-Geländes in Bochum. Es stimmt zwar, dass es einen “konsularischen Hinweis” gegeben hat, dieser sei allerdings nicht mit einer Reisewarnung zu vergleichen, so eine Sprecherin der chinesischen Botschaft.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Das ungarische Model Barbara Palvin hat für ein Magazin die berühmte Bein-Überschlag-Szene von Sharon Stone im Film “Basic Instinct” nachgestellt. Und das, so Bild.de am 10. Dezember 2016, “stilecht ohne Höschen”. Auf ihrem Instagram-Account hat Palvin allerdings extra geschrieben: “FYI i am wearing underwear 😉”.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

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Weil an einer türkisch-deutschen Schule in Istanbul zeitweise ein “Weihnachtsverbot” galt, schaute “Bild” am 19. Dezember 2016, wo in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die Redaktion präsentierte sieben Beispiele. Sechs davon waren falsch.

Wir haben keine Korrektur dieser Fehler in “Bild” gefunden.

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Bild.de schrieb am 29. Januar 2017, dass der britische Leichtathlet Mo Farah in einem Facebook-Post Donald Trump angegriffen und dabei geschrieben habe, dass der US-Präsident ihn “zu einem Alien gemacht” habe. Tatsächlich reagierte Farah mit einem Beitrag in dem Sozialen Netzwerk auf Trumps Einreiseverbot für Muslime. Farah wurde in Somalia geboren (später stellte sich allerdings raus, dass das Einreiseverbot für ihn nicht galt). In seinem Facebook-Post schrieb er: “On 27th January, President Donald Trump seems to have made me an alien.” Dieses “alien” heißt im Englischen in der Regel so viel wie “Ausländer” oder “Fremder” oder “Fremdling”. Und nicht “Alien”.

Der Artikel steht bei Bild.de unverändert auf der Seite.

(Noch einmal: All diese Beispiele stammen nicht von 1977, sondern nur aus den vergangenen zwölf Monaten (wobei wir im Sommer eine zweimonatige Pause beim BILDblog eingelegt hatten). Daneben wird es in dieser Zeit noch zahlreiche weitere Fehler in “Bild” und bei Bild.de gegebene haben. Wir können hier allerdings nur über jene schreiben, die wir selber mitbekommen, oder auf die uns unsere Leser hinweisen.

Stefan Niggemeier hat drüben bei “Übermedien” weitere “Bild”-Beispiele “für grob irreführende Berichterstattung” aus den vergangenen Jahren gesammelt.)

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Ganz am Ende seines Interviews mit dem “Tagesspiegel” sagt Julian Reichelt noch:

Werden Sie Ihre Entschuldigungen auf eine pro Tag oder eine pro Monat deckeln? Es geht ja streng Richtung Ehrentitel “Chef-Entschuldiger des Axel-Springer-Verlags”.

Den Titel will ich ganz sicher nicht. Ich will nicht die Entschuldigungen deckeln, sondern die Fehler. Aber wo Entschuldigungen notwendig sind, werden wir sie aussprechen.

Das liest sich erstmal wie ein Versprechen für die Zukunft. Sollte es auch schon im vergangenen Jahr gegolten haben, hat Julian Reichelt sich nicht dran gehalten.

Franz Josef Wagner und der ausgefranste Barte des Propheten

Anfangs war es noch die Faszination für den Menschen Martin Schulz, die “Bild”-Briefchef Franz Josef Wagner inspirierte. Dieser Lebensweg! Am 26. Januar, also zwei Tage nachdem bekannt wurde, dass nicht Sigmar Gabriel, sondern Martin Schulz die SPD im Bundestagswahlkampf führen wird, schrieb Wagner:

Lieber Martin Schulz,

Sie sind ein Kanzlerkandidat wie aus einem Roman. Ich hätte gerne die Filmrechte. Da ist ein Junge, der nur Fußball im Kopf hat. Er ist mit der B-Jugend Vizemeister geworden. Fußballprofi wollte der Junge werden. Eine schwere Verletzung beendete seinen Traum.

Im Gesicht des Kanzlerkandidaten Schulz sieht man nicht die Narben – aber wie verheilt sind die Wunden in seiner Seele? Er ist Schulabbrecher, er ist ein Junge ohne Zukunft. Er beginnt zu trinken, sich die Welt schönzutrinken. Gerichtsvollzieher stehen vor seiner Tür. Er denkt an Selbstmord. Er ist ein Gespenst aus Alkohol und Trübsinn.

Wie man aus all dieser Scheiße rauskommt, davon handelt der Roman. Wie man die Kurve kriegt. Wie man wieder ein Bürger wird. Das ist der Roman des Martin Schulz.

Herzlichst,
F. J. Wagner

Aus dieser Faszination für seinen Romanhelden wurde schnell mehr. Wagner verliebte sich “quasi”. Den Brief, den er am 6. Februar in “Bild” veröffentlichte, adressierte er nicht an Martin Schulz, sondern an “Umfrage-König Schulz”:

Lieber Umfrage-König Schulz,

es scheint, als wären alle blindverbliebt in Sie. Blindverliebt ist die schönste Liebe. Es ist das Verliebtsein.

Da ist jemand, der seine Fehler nicht vertuscht. Schulabbrecher, Alkoholiker. Da ist jemand, der nicht mit Schummel-Doktor-Titeln Karriere macht.

Wir sind verliebt in einen Guttenberg von unten.

Ich mag Schulz, wie er redet. Er entzückt, bezaubert SPD-Wähler.

Ich bin quasi verliebt in ihn. Er verspricht mir so viel, aber ich weiß nicht, was.

Verliebte weinen viele Tränen.

Herzlichst,
F. J. Wagner

Einige Tränen und neun Tage später ist die Romanze allerdings schon wieder zu Ende. Franz Josef Wagner ist nicht mehr “blindverliebt”, plötzlich kann er wieder sehen. Und was er da sieht, lässt ihn erschrecken: einen Bart! Ja, doch, Martin Schulz trägt einen Bart. Wobei, nein, eigentlich ist das nicht mal ein Bart, das ist ein “Spinnennetz”, “ein ausgefranster Teppich”. Wagner schreibt heute:

Lieber Martin Schulz,

der Wert eines Menschen hängt nicht von Äußerlichkeiten ab. Aber bitte, rasieren Sie sich! Ein Kanzlerkandidat sollte nicht so ein Spinnennetz vor seinem Gesicht haben.

Sie wollen das Gesicht Deutschlands werden, mit diesem ausgefransten Teppich im Gesicht.

Warum rasieren Sie sich nicht?

Weil Sie keine Zeit haben? Weil alles wichtiger ist als rasieren? Oder weil Sie mit Ihren 61 Jahren noch immer ein Revoluzzer sein wollen?

Ihr Bart irritiert mich. Ich weiß nicht, was er bedeuten soll.

Eine anständige Rasur dauert zehn Minuten. Man seift sein Gesicht ein, bis die Barthaare weich werden.

Und dann schneidet man von unten nach oben.

Und dann hat man ein glattes Gesicht.

Das glatte Gesicht von Martin Schulz will ich sehen.

Herzlichst,
F. J. Wagner

Dass Franz Josef Wagner mal findet, dass die Fußballer des FC Bayern München in der Kabine auf Deutsch über Goethe und Schiller sprechen sollten, und später schreibt, dass nun wirklich nicht wichtig sei, dass die Fußballer des FC Bayern München in der Kabine auf Deutsch über Goethe und Schiller sprechen, ist typisch für den “Bild”-Kolumnisten. Genauso, dass er das “Dschungelcamp” mal für genau das Richtige und mal für genau das Falsche in Zeiten des Terrors hält.

Meist liegen einige Jahre zwischen widersprüchlichen Wagner-Briefen. Dass er sich dieses Mal innerhalb weniger Wochen erst in einen Menschen verliebt, und seine Gefühle dann mangels Rasur erkalten — das ist selbst für Franz Josef Wagner ein besonderes Dramolett.

Mit Dank an @Thomann_J und @Thosch73 für die Hinweise!

“Bild” füttert rechte Hetzer mit “Sex-Mob”-Gerücht

Aktuell verspricht ein Medium nach dem anderen, etwas gegen “Fake News” machen zu wollen, erst gestern kündigte das “ZDF” den Start eines “crossmedialen Faktencheck-Projekts” an. Und tatsächlich könnten Medien eine wichtige Rolle spielen beim Versuch, rumgereichte Falschmeldungen in den Griff zu bekommen. Sie können bei dem Thema aber auch eine schreckliche Rolle spielen, so wie “Bild” vor etwas mehr als einer Woche:

Der Artikel erschien auch bei Bild.de, als kostenpflichtiger “Bild plus”-Beitrag:

So viel schon mal an dieser Stelle: Diesen “Sex-Mob” dürfte es, so der aktuelle Kenntnisstand, nie gegeben haben. Er könnte die Erfindung einer einzelnen Person oder einer kleinen Gruppe sein, gut möglich, dass sie damit Stimmung gegen Flüchtlinge machen wollte. Die “Bild”-Medien haben die Geschichte jedenfalls dankbar aufgegriffen, haben sie verbreitet, ohne sie ausreichend zu überprüfen, haben sie selber sogar noch zugespitzt und sie haben mit ihrer Reichweite aus ihr eine Story gemacht, die von Rechten und Nochrechteren in Sozialen Netzwerken rumgereicht wurde, die von anderen Medien aufgegriffen wurde, die es sogar bis nach Großbritannien und zu “Breitbart” schaffte.

Doch dazu später mehr. Fangen wir vorne an.

Am 6. Februar schreibt die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung riesengroß:

Eines der “OPFER”, das “IHR SCHWEIGEN” bricht, ist die 27-jährige Irina A. Sie erzählt “Bild”-Reporter Stefan Schlagenhaufer von ihren angeblichen Erlebnissen an Silvester:

Sie schwiegen einen Monat lang, wollten die Vorfälle vergessen — doch jetzt platzt es aus den Opfern heraus: In der Silvesternacht kam es in der Frankfurter Restaurant- und Delikatess-Meile “Freßgass'” zu massiven sexuellen Übergriffen.

“Ich kann froh sein, dass ich eine Strumpfhose anhatte”, erzählt Irina A. (27), die Silvester in der City feierte. “Sie fassten mir unter den Rock, zwischen die Beine, an meine Brüste, überall hin. Mir und meinen Freundinnen. Immer mehr dieser Typen kamen. Ihre Hände waren überall.”

“Diese Typen” seien Araber gewesen, so Jan Mai, ein bekannter Frankfurter Gastronom, der auch die Bar betreibt, in der Irina A. Silvester gefeiert haben soll, und der nach eigener Angabe gegen 1 Uhr in seinen Laden kam:

“First-In”-Chef Jan Mai (49): “Als ich rein kam, war der ganze Laden voll mit einer Gruppe von rund 50 Arabern. Sie sprachen kein Deutsch, tranken den Gästen die Getränke weg, tanzten sie an. Die Frauen baten mich um Hilfe, weil sie angegrabscht werden. Die Stimmung kippte komplett.”

Einen Absatz später wird “Bild” noch konkreter — Nordafrikaner seien es gewesen:

Mai holt Personal aus seinem Restaurant um die Ecke. Ein marokkanischer Angestellter versucht, mit den Nordafrikanern zu sprechen: “Die waren hochaggressiv, es gab Geschrei, Handgemenge.”

Um 3 Uhr sei es dann noch einmal richtig losgegangen, erzählt Jan Mai “Bild”-Reporter Schlagenhaufer. Und der erzählt es seinen Lesern weiter:

Um 3 Uhr der nächste Höhepunkt. Mai: “Zwischenzeitlich drangen die Männer ins ‘Garibaldi’ und andere Läden ein — mit Pyrotechnik. Ich war gerade im ‘Gibson’, als ich angerufen wurde: ‘Wir haben wieder Probleme mit Massen an Flüchtlingen’. Ich rannte mit drei Türstehern auf die Freßgass’.”

Inzwischen also schon “Massen an Flüchtlingen.”

Irgendwann war die Silvesternacht auch rum. Und es passierte einige Wochen erstmal nichts, weil keiner der Beteiligten sich zu den vermeintlichen Vorfällen äußerte. Dann meldeten sich aber Jan Mai und Irina A., die Hauptzeugen in Stefan Schlagenhaufers Text. Dazu kommen zwei Angestellte von Mai. Und es gebe laut “Bild” noch “Informationen”, die alles unterstützen:

Nach BILD-Informationen waren 900 größtenteils betrunkene Flüchtlinge mit dem Zug aus Mittelhessen nach Frankfurt gekommen. Als sie nicht in die Sicherheitszone am Mainufer kamen, zogen sie weiter — in die Freßgass’.

“900 größtenteils betrunkene Flüchtlinge”. Meldungen von “massiven sexuellen Übergriffen”. Fertig ist für “Bild” die “Sex-Mob”-Geschichte. Auf seiner Facebook-Seite hatte Mai recht früh nach Erscheinen der Schlagzeile geschrieben: “Ich habe selbst nie von einem Sex Mob auf der gesamten Fressgass berichtet, sondern von sexuellen Belästigungen, Schlägereien und Diebstahl in meinem Lokal gesprochen.”

Dann ging es allerdings erst richtig los. Andere Medien berichteten. Das “Sat.1 Frühstücksfernsehen” griff das Thema einen Tag später auf und besuchte Irina A. und Jan Mai in Frankfurt. Titel des Beitrags: “Wieder sexuelle Übergriffe an Silvester!”

Mai erzählt in dem Video, es seinen “massiv Syrer hier drin” gewesen, die “Mädels belästigt haben, angefasst haben, sich an die Tische gesetzt haben, einfach mitgetrunken haben, sind ohne Jacke reingekommen, mit Jacke rausgelaufen, Jacken dann draußen versteckt, wieder reingekommen, haben wieder Jacken mitgenommen.”

Irina A. sagt, sie könne aus Angst abends immer noch nicht nach Hause laufen.

Die rechte “Junge Freiheit” berichtete mit Bezug auf den “Bild”-Artikel:

Die “Epoch Times” machte aus dem “Sex-Mob” von “Bild” “Sex-Attacken und Randale”:

Selbst in Großbritannien brachten Redaktionen Artikel über die angeblichen Vorkommnisse in der Frankfurter “Freßgass'”. express.co.uk zum Beispiel:

Und die UK-Ausgabe von “Breitbart”:

In den Sozialen Netzwerken haben rechte Gruppierungen und Hetzer die “Bild”-Geschichte zigmal geteilt. Bei Facebook beispielsweise einzelne “AfD”-Verbände, die “Junge Alternative”, Bürgerprotest-Gruppen, “Einzelfall”-Sammler, das ganze Spektrum:







Und auch bei Twitter drehte der Artikel dank Rechtspopulisten und eines “Bild”-Redakteurs eine ordentliche Runde:



In der Zwischenzeit legte die Frankfurter “Bild”-Redaktion noch einmal mit einem Artikel nach: “ein Sex-Mob tobte Sil­ves­ter in der Freß­gass’. Opfer schilderten ex­klu­siv in BILD FRANK­FURT die trau­ma­ti­sie­ren­de Nacht.” Das Blatt lässt einige Lokalpolitiker Stellung beziehen:

Zum Beispiel Chris­toph Schmitt, den si­cher­heits­po­li­ti­schen Spre­cher der CDU:

“Es darf nicht sein, dass Frauen sich so was gefallen lassen müssen. Wenn Schattenseiten der Flüchtlingspolitik Männer-Massen sind, die die Stadt unsicher machen, dann brauchen wir mehr Polizei auf den Straßen, mobile Videoüberwachung.”

Oder den unabhängigen Oberbürgermeisterkandidaten, Volker Stein:

“Während man um den Eisernen Steg ein hohes Aufgebot von Polizei verzeichnen konnte, wurde der Rest der Innenstadt den randalierenden Halbstarken überlassen. Wer sich in seinem Gastland so verhält, wie es die Berichte belegen, hat keinen Anspruch auf unsere Gastfreundschaft und sein Asylrecht verwirkt!”

“Männer-Massen”, “die die Stadt unsicher machen”. “Randalierende Halbstarke”. “Asylrecht verwirkt”. Und das alles, als noch überhaupt nichts belegt oder geklärt war, und die Polizei noch ermittelte.

Erste Zweifel, ob sich die Silvesternacht in der “Freßgass'” tatsächlich so abgespielt hat, wie von Irina A. und Jan Mai geschildert, kamen bereits am 7. Februar auf. Sebastian Eder schrieb bei FAZ.net über den “Sex-Mob, den keiner gesehen hat”. Eder hatte bei der Polizei angerufen und gefragt, ob Anzeigen zu der Nacht vorliegen, doch da gab es keine. Er wunderte sich, dass keine Videos oder Fotos von den Vorfällen in den Sozialen Netzwerken zu finden waren. Und er fragte bei anderen Gastronomen nach, ob sie an Silvester ähnliches beobachtet haben, wie ihr Kollege Jan Mai in seinem “First In”. Hat aber keiner.

Außerdem hat sich Sebastian Eder mal das Facebook-Profil von Mai angeschaut:

Weil das Thema so brisant ist, muss man auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen der “Bild”-Zeitung hinterfragen. Auf seiner privaten Facebook-Seite zeigte der “First In”-Chef bereits Sympathien für die AfD und schrieb zu Bildern “Herrenrunde und die Deutschen in Überzahl”. Außerdem teilte er im Dezember ein Video unter der Überschrift: “Merkel muss weg”. In dem Film marschiert der “Nationale Widerstand” durch Berlin, ruft “Lügenpresse” und “Hurensöhne”. In den Kommentaren steht auch mal “Deutschland, Deutschland über alles”. Veröffentlicht hat den Film Ignaz Bearth, ein Schweizer Politiker, der mal Mitglied einer rechtsextremen Partei und Sprecher von Pegida-Schweiz war.

Auf Eders Anfrage, ob er Sympathien für Rechte habe, antwortete Mai, dass das Unsinn sei, “aber ich bin mit der Einwanderungspolitik von Merkel nicht einverstanden und hoffe, dass der Erfolg der AfD dazu führt, dass die CDU das merkt.”

Einen weiteren Zeugen, den Jan Mai ihm nannte, rief Eder ebenfalls an. Der Mann, genauso wie Mai Gastronom auf der “Freßgass'”, berichtete von einer Massenschlägerei, er selbst habe eine Flasche über den Kopf bekommen. “Die Polizei hat die Identität eines Verdächtigen mittlerweile ermittelt: Es ist ein Georgier. Der andere Verdächtige, gegen den wegen einer Gewalttat auf der Freßgass an Silvester ermittelt wird, ist laut Polizei ein Deutscher”, schreibt Sebastian Eder.

Und auch die “Frankfurter Neue Presse” war recht schnell misstrauisch. Boris Tomic kommentierte dort, auch bereits am 7. Februar:

Die Berichte eines stadtbekannten Restaurantbetreibers über marodierende Banden arabischer Herkunft auf der Freßgass’ entbehren der Glaubwürdigkeit.

Der Titel vom Tomic’ Kommentar: “Fake-News gibt es wohl nicht nur im Internet”.

In “Bild” oder bei Bild.de ist von all diesen Zweifel in den vergangenen Tagen nichts zu lesen.

Am vergangenen Donnerstag fragten wir beim Polizeipräsidium Frankfurt nach, ob inzwischen Anzeigen eingetroffen sind. Ein Sprecher sagte uns, dass nichts vorliege. “FAZ”-Redakteur Sebastian Eder fragte gestern auch noch mal nach — noch immer lag keine einzige Anzeige vor.

Gestern Abend dann die große Wende bei Bild.de:

Die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtet heute ebenfalls, allerdings bedeutend kleiner als noch bei der Ursprungsgeschichte:

Das Blatt fragt, ob Jan Mai “alle belogen” habe. Zeugen seien im Verhör zurückgerudert — “es habe sich um eine normale Schlägerei gehandelt und nicht um sexuelle Übergriffe.” Die Polizei ermittle nun “wegen Vortäuschung einer Straftat” gegen den “Promi-Wirt”, so die “Bild”-Medien. Lediglich in einem Absatz schreiben sie, dass Mai den ganzen Mist bei ihnen behauptet hat. Ihre eigene Rolle — das Übernehmen eines Gerüchts, die “Sex-Mob”-Zuspitzung, das Nachlegen mit den Politiker-Statements — erwähnen sie nicht.

Die “Frankfurter Neue Presse” schreibt auch über die neuesten Entwicklungen:

Nach Informationen, die unserer Zeitung am Montagabend per Mail zugespielt wurden, konnten die Behauptungen von Mai und seiner Kollegin “nicht mal im Ansatz” verifiziert werden. Irina A., die behauptete, man habe ihr unter den Rock, zwischen die Beine und an die Brüste gefasst, soll über Silvester nicht einmal in Frankfurt, sondern in Belgrad gewesen sein. Die Polizei habe ihre Flugtickets sichergestellt und suche seit Tagen nach ihr, um sie zu vernehmen, heißt es in der Mail an unsere Zeitung. Auch zu all diesen Ausführungen sagte der Polizeisprecher auf Nachfrage, dass er “nicht widersprechen” könne.

Vermutlich werden die Versuche, das wirkliche Geschehen in der “Freßgass'” nachzuzeichnen, nicht annähernd so viele Leute erreichen wie die hysterischen “Sex-Mob”-Schlagzeilen von “Bild” und Bild.de.

Hätten die “Bild”-Medien von Anfang an sauberer recherchiert, nicht direkt alles geglaubt und verbreitet, was ihnen erzählt wird, hätte das alles vermieden werden können. So, mit all der Folgeberichterstattung und den geteilten Artikeln und Kommentaren in den Sozialen Netzwerken, ist die falsche Nachricht vom “Sex-Mob” in der Frankfurter Silvesternacht kaum noch einzufangen.

Mit Dank an Stefan K., Andreas L., Andrea, @BKD_Schu und @zukunftsheld für die Hinweise!

Nachtrag, 14:13 Uhr: Bild.de entschuldigt sich auf der Startseite für die falsche Berichterstattung:

Das Portal schreibt:

Die BILD-Redaktion entschuldigt sich ausdrücklich für die nicht wahrheitsgemäße Berichterstattung und die erhobenen Anschuldigungen gegen die Betroffenen. Diese Berichterstattung entspricht in keiner Weise den journalistischen Standards von BILD.

BILD wird intern klären, wie es dazu kommen konnte.

Wenn die Redaktion es mit dieser Ankündigung ernst meint, sollte sie auch klären, wie die “Sex-Mob”-Überschrift entstand. Denn der inzwischen beschuldigte Gastronom Jan Mai bestritt sehr früh, je von einem “Sex-Mob” gesprochen zu haben. In der gerade veröffentlichten Entschuldigung von Bild.de steht allerdings:

Die Zeugen (u.a. eine Kellnerin, ein Frankfurter Gastronom und zwei seiner Angestellten) berichteten gegenüber BILD von massiven mobartigen Übergriffen durch angetrunkene Ausländer.

Mit Dank an Mind und Mario für die Hinweise!

Nachtrag, 16. Februar: Bereits gestern veröffentlichte auch die Frankfurt-Redaktion der “Bild”-Zeitung eine “Entschuldigung in eigener Sache”:

Der Text ist identisch mit der “Entschuldigung in eigener Sache”, die Bild.de am Dienstag veröffentlicht hat.

Keine Recherche für die Tonne

Manchmal reicht eine E-Mail, an die man irgendwie gekommen ist, und schon hat man seine Story. Da braucht’s dann nicht mal mehr Recherche. Der Inhalt der Mail ist so “bizarr”, dass man einfach nur in die Tasten hämmern muss — und schwups steht der Artikel:

Bei diesen “Kloregeln” geht es genau genommen um die Ausstattung der Männertoiletten. Autorin Karina Mößbauer schreibt:

Das Verteidigungsministerium fand es nötig, diese Frage detailliert zu klären: Was genau gehört auf eine Herren-Toilette der Bundeswehr?

Die Antwort lautete unter anderem, dass auch Hygienebehälter auf Männertoiletten gehören. Nicht nur, aber auch deswegen schickte das Verteidigungsministerium, so Mößbauer, bereits im November “Anweisungen zur ‘Ausstattung von Herren-Toiletten’ an die Außenstellen der Bundeswehr”:

Tatsächlich habe es vermehrt “Anfragen bezüglich der Art und Weise der Ausstattung” gegeben. Offenbar wurden ausgerechnet Hygienebehälter nachgefragt, wie man sie von der Damentoilette kennt …

Die “Bild”-Bundestags-Korrespondentin findet das ziemlich “irre” …

Irre, mit was Behörden sich manchmal befassen.

… und “bizarr”:

Bizarr: Empfohlen werden ähnliche Systeme wie die auf den Damen-Toiletten, konkret auch die “Bereitstellung von Hygienebeuteln” und “Anbringung von Halterungen für Hygienebeutel”.

Und warum das Ganze? Das kann Karina Mößbauer auch nicht klären. Der Grund dafür steht ja aber auch nicht in der E-Mail, auf die sie sich beruft. Und selber herausfinden? Neee …

Zu welchem Zweck genau die Hygienebeutel und eigenen Entsorgungsbehälter auf Herrentoiletten nötig sind, lässt die E-Mail des Verteidigungsministeriums übrigens offen …

Weil uns diese “irre”, “bizarre” Geschichte nicht losgelassen hat, haben wir unsere besten Rechercheure beauftragt. Und die sind auf die geniale Idee gekommen, bei Google mal nach “Hygienebehälter Herrentoilette” zu suchen. Siehe da, gleich der erste Treffer: die “Initiative für Hygienebehälter in Herrentoiletten” des Bundesverbands Prostatakrebs Selbsthilfe e.V.

Diese Initiative will Männern, die an Harninkontinenz leiden, den Alltag erleichtern. Das diese häufig Einlagen tragen müssen, die sie diskret und sauber entsorgen können sollen, fordert die Initiative die Bereitstellung von Hygienebehältern auf Männertoiletten.

Auf Nachfrage bestätigte uns das Verteidigungsministerium, dass der Grund für die Vorgabe mit den Hygienebehältern bei der Bundeswehr das Thema “Harninkontinenz bei Männern” sei. Eine Sprecherin des Ministerium verwies auf die “Technischen Regeln für Arbeitsstätten Sanitärräume ASR A4.1”. Unter Punkt “5.4 Ausstattung” steht:

In von Männern genutzten Toilettenräumen ist mindestens ein Hygienebehälter mit Deckel in einer gekennzeichneten Toilettenzelle bereitzustellen.

Diese Regeln, die Karina Mößbauer so “bizarr” findet, gelten nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für alle anderen Arbeitgeber in Deutschland, zum Beispiel “Siemens”, “Audi”, “Lidl” oder “Axel Springer”.

Mit Dank an Dennis S. für den Hinweis!

Verlierer über Verlierer

Es kommt ja nicht so häufig vor, dass wir mit “Bild” und Bild.de ausdrücklich einer Meinung sind. Aber in diesem Fall von heute können wir nur zustimmen: “Peinliche Foto-Panne”.

Alec Baldwin in seiner “Saturday Night Live”-Rolle als Donald Trump für den echten Donald Trump zu halten, wäre so, als würde man Susanne Pätzold in ihrer “Switch reloaded”-Rolle als Inka Bause für die echte Inka Bause halten:

Oder als würde man Martina Hill in ihrer “Switch reloaded”-Rolle als Bill Kaulitz für den echten Bill Kaulitz halten:

Oder als würde man Max Giermann, Michael Müller & Peter Nottmeier, Susanne Pätzold und Michael Kessler in iherer “Switch reloaded”-Rolle als “The Voice of Germany”-Jury für die echte “The Voice of Germany”-Jury halten:

Oder als würde man Susanne Pätzold in ihrer “Switch reloaded”-Rolle als Antonia Rados für die echte Antonia Rados halten.

Was “Bild” wohl dazu meint?

Mit Dank an @dieterjosef für den Hinweis!

Basic Recherche

Seien Sie mal ganz leise.

Hören Sie das? Dieses erregte Atmen? Das kommt aus dem Großraumbüro von Bild.de. Und Grund dafür ist das hier:

Das ist aber auch spannend:

Es gibt dutzende unbeantworte (sic) Fragen über die berühmtesten Filme der Geschichte. Doch diese eine toppt sie alle:

Zeigte uns Sharon Stone (58) in “Basic Instinct” ihre Vagina?

Der Knaller: Sie bekommen heute die Antwort!

Aber bevor der Knaller losgeht, und wir die Antwort bekommen, erinnern sich die Bild.de-Mitarbeiter lieber noch mal:

Wir erinnern uns. Es war das Jahr 1992, als wir gespannt mit unseren Lieben vor den Kino-Leinwänden saßen, auf Spannung und ein wenig Erotik hofften …

Doch dann saß sie da. Sharon Stone. In Weiß. Voller Unschuld.

Dann der Schocker: Sie öffnet die Beine. Und wir bekommen den Mund nicht mehr zu.

WAR SIE WIRKLICH UNTEN OHNE?

Bei so einer Frage kann schon mal die Feststelltaste klemmen.

JETZT ABER RAUS MIT DER SPRACHE: “WAR SIE WIRKLICH UNTEN OHNE”?

In einem Interview mit dem “Playboy” hat Regisseur Paul Verhoeven (78) endlich diese Frage ein für allemal beantwortet: “Ja, man sieht die Vagina von Sharon Stone.”

Oder noch einmal für die ganz langsamen Bild.de-Leser:

Kein Vagina-Double, kein hautfarbener Slip. Alles Natur.

Erleichterung im Axel-Springer-Hochhaus:

Dann wäre das endlich geklärt …

“Endlich”? In welchem Sinne “endlich”? In dem Sinne, dass bereits vor 17 Jahren feststand, dass es sich um eine “notorious pantiless scene” handelt? Oder in dem Sinne, dass selbst im “Wikipedia”-Eintrag zu “Basic Instinct” schon länger steht, dass jene Szene des Films “großen Bekanntheitsgrad” erlangt habe, “in der Stone während eines Verhörs die Beine übereinander schlägt und, weil sie nichts unter ihrem Kleid trägt, dem Zuschauer für einen Sekundenbruchteil den Blick auf ihre Vulva freigibt.” Oder in dem Sinne, dass Regisseur Paul Verhoeven bereits vor einigen Jahren erzählt hat, wie die Unten-ohne-Szene gedreht wurde?

Bei Bild.de waren sie über die Entdeckung der seit vielen Jahren feststehenden Antwort jedenfalls so begeistert, dass sie gleich noch einen Artikel daraus gemacht haben:


(Das süße kleine Herz stammt von Bild.de.)

Eine wichtige Frage der Kino-Geschichte wurde jetzt gelöst: Zeigte Sharon Stone wirklich ihre Vagina in “Basic Instinct”? JA.

Joar, “jetzt”, gut.

Andere Boulevard-Portale haben übrigens ebenfalls ganz aufgeregt über die Uralt-Enthüllung berichtet. Gala.de zum Beispiel:

Seit Jahren rätseln die Fans: Zeigt Sharon Stone bei “Basic Instinct” wirklich alles? Jetzt sorgt Regisseur Paul Verhoeven für Klarheit.

Oder Express.de:

Es ist die “Wembley-Diskussion” der Filmgeschichte. Jetzt gibt’s Aufklärung…

Und mit einer ganz besonderen Überschrift auch die “tz”:

Sieht man sie nun oder sieht man sie nicht? Paul Verhoeven ist die Spekulationen um die wohl berühmteste erotische Szene der Hollywoodgeschichte leid.

Mit Dank an den Hinweisgeber!

Flugs kopiert

Joar, Mensch, das ist ja mal gar nicht schlecht, dass das “Abendblatt” dabei war, “als die finnische Fluggesellschaft ‘Finnair’ als erste Fluggesellschaft den Airbus A350 übernahm.” Glückwunsch!

Warum das überhaupt bemerkenswert ist? Weil dieser Screenshot nicht von abendblatt.de stammt, sondern von Bild.de:

Das Portal berichtet heute über einen “SONDERFLUG DES LUFT-GIGANTEN”, denn der “Mega-Airbus besucht Hamburg”:

Der neue Lufthansa-Airbus A350-900, das weltweit modernste Langstreckenflugzeug, besuchte am Donnerstag-Vormittag mit einem Sonderflug die Hansestadt.

Wie da nun die frohe “Abendblatt”-Kunde reingerutscht ist? Vermutlich hat irgendein Bild.de-Mitarbeiter beim Text-Klauen nicht aufgepasst und beim Copyandpasten eben auch die Passage mit “Finnair” übernommen. Auf abendblatt.de steht nämlich ebenfalls (Link mit Bezahlschranke):

Für die Lufthansa sei der Neuzugang eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres. Die A350-900 für 293 Passagiere sei das modernste und umweltfreundlichste Langsteckenflugzeug. Es verbrauche 25 Prozent weniger Treibstoff und sei beim Start wesentlich leiser als vergleichbare Flugzeugtypen.

Das Abendblatt war dabei, als die finnische Fluggesellschaft Finnair als erste Fluggesellschaft den Airbus A350 übernahm.

Die Bild.de-Redaktion mopst also einfach zwei Absätze beim “Abendblatt”, inklusive Rechtschreibfehler (“Langsteckenflugzeug”), und vergisst, die Spur zu verwischen. Wir wollen an dieser Stelle nur noch mal daran erinnern: Bild.de geht derzeit mit einer wettbewerbs- und urheberrechtlichen Klage gegen “Focus Online” vor, weil man sich nicht länger bieten lassen wolle, dass das “Burda”-Portal “systematisch exklusive Bezahl-Inhalte von BILDplus abschreibt”. Nun ist das Ausmaß, mit dem “Focus Online” sich bei “Bild plus” bedient, sicher noch mal ein anderes. Aber auch bei den zwei “Abendblatt”-Absätzen handelt es sich um Bezahl-Inhalte. Und abschreiben bleibt abschreiben.

Nachdem ein Twitter-User auf den Textdiebstahl hingewiesen hat, hat Bild.de die Passagen gelöscht.

Mit Dank an @DonTimoteoHH für Hinweis und Screenshot!

Julian Reichelt will den “Spiegel” nicht als Quelle nennen

Anfang Januar jubelte die “Bild”-Redaktion auf ihrer Titelseite:

Ein ziemlich enges Rennen zwischen “Bild” und dem “Spiegel”, 1253 Zitate versus 1252 Zitate. Dass Redaktionen und Journalisten sich freuen, wenn Kollegen ihre “exklusiven Nachrichten, Berichte, Interviews etc.” übernehmen und — mit Nennung des Mediums, das das Exklusivmaterial veröffentlicht hat — über das gleiche Thema berichten, kann man gut verstehen.

Der “Spiegel” hat in seiner aktuellen Ausgabe unter anderem so ein Thema. Es geht um Fußballstar David Beckham:

Der Artikel gehört zur Reihe “Football Leaks”, die der “Spiegel” im vergangenen Jahr gestartet hat. Die gleichnamige Enthüllungsplattform hatte der Redaktion zahlreiche Verträge, E-Mails, Informationen aus der Fußballbranche zugespielt. Gemeinsam mit anderen Redaktionen der “European Investigative Collaborations” hat ein “Spiegel”-Team dieses ganze Material ausgewertet; nun veröffentlicht das Magazin peu à peu neue Enthüllungen.

Die Geschichte über David Beckham basiert auf Millionen E-Mails, die Hacker gestohlen haben. Sie zeigen, dass der frühere Mittelfeldspieler ganz heiß darauf war, von der Queen zum Ritter geschlagen zu werden. Und dass er ganz jähzornig und ausfallend wurde, als das nicht geklappt hat. Außerdem lassen die Mails daran zweifeln, dass Beckham sich völlig uneigennützig für “Unicef” engagiert. Vielmehr scheint dieses Engagement ein wichtiger Baustein seiner Selbstvermarktung und der wertvollen Marke “David Beckham” zu sein.

Gestern berichtete dann auch Bild.de über die Beckham-Mails:

Die “Spiegel”-Autoren Peter Ahrens, Rafael Buschmann, Jürgen Dahlkamp, Christoph Henrichs und Jörg Schmitt hätten sich sicher gefreut, wenn Bild.de ihr Magazin als Quelle genannt hätte. Stattdessen bezieht sich das Portal aber auf das britische Knallblatt “The Sun”:

In einer seiner E-Mails schrieb er dazu laut “The Sun”

“Bis es keine Ritterschaft ist, fuck off”, schrieb er laut der Zeitung “The Sun”.

In den Texten von “Spiegel”, Bild.de und “The Sun” geht es um die gleichen Aspekte zum gleichen Thema mit den gleichen Zitaten.

Einer der “Spiegel”-Autoren, Jörg Schmitt, wandte sich heute per Twitter an “Bild” und Julian Reichelt, der seit einigen Tagen nicht mehr nur Bild.de-Chefredakteur ist, sondern auch Vorsitzender der Chefredakteure der “Bild”-Gruppe:

Reichelt hatte darauf gleich so viel zu erwidern, dass er drei Tweets benötigte:

Nun hat niemand behauptet, dass “The Sun” den “Spiegel” “beklaut” hätte. Und auch die Mitarbeiter der “Sun” selbst tun wahrlich nicht so, als würde die gesamte Beckham-Story von ihnen stammen (auch wenn — und darauf bezieht sich Reichelt — das Boulevardblatt auf seiner Titelseite ein “EXCLUSIVE” gedruckt hat). Ganz im Gegenteil: “The Sun” nennt im Artikel sauber den “Spiegel” als Quelle. Das hätte auch Julian Reichelt rausfinden können, wenn er vor dem Drauflostwittern den “Sun”-Text gelesen hätte, den seine eigene Redaktion gleich zweimal verlinkt hat. Dort steht:

Und auch in all ihren anderen Artikeln zu den Beckham-E-Mails gibt “The Sun” den “Spiegel” als Quelle an. Hier zum Beispiel:

Oder hier:

Oder hier:


Oder hier:

Oder hier:

Oder auch hier:

Darauf, dass “The Sun” den “Spiegel” ordentlich zitiert hat, machte auch “Spiegel”-Redakteur Rafael Buschmann Julian Reichelt aufmerksam:

Doch den interessierte das nicht sonderlich. Stattdessen warf er seine erste Nebelkerze, den ReicheltDauerbrenner Edward Snowden:

Was jetzt genau Edward Snowden mit David Beckham zu tun hat, ist nicht ganz klar. Und seit wann der Geschmack entscheidet, von wem eine Geschichte stammt, auch nicht. Aber mit solchen Details hält sich Julian Reichelt auch nicht lange auf. Stattdessen gleich die nächste Nebelkerze:

Rafael Buschmann versucht es dann noch einmal sachlich und weist Julian Reichelt auf einen faktischen Fehler im Bild.de-Artikel hin. Dort steht nämlich, dass die Website “Football Leaks” die E-Mails von David Beckham veröffentlicht habe — was nicht stimmt. “Football Leaks” hat sie weitergeleitet, verschiedene Medien haben daraus dann Artikel gemacht:

Gebracht hat all das nichts. In dem Bild.de-Artikel wird der “Spiegel” weiterhin mit keinem Wort erwähnt.

Vor knapp drei Wochen, als bekannt wurde, dass “Bild” wegen “Inhalte-Diebstahls” gegen “Focus Online” klagt, sagte Julian Reichelt:

“Für uns geht es hier um das Wertvollste, was wir als journalistische Marke haben: unsere mit eigenen Ressourcen recherchierten Inhalte.”

Dass andere Redaktionen für ihre “mit eigenen Ressourcen recherchierten Inhalte” gerne den Credit bekommen würden — dafür hat Julian Reichelt dann aber kein Verständnis.

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