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Von “Gipsy-Banden” und “Terror-Transen”

Vor einem halben Jahr wurde bei einer griechischen Roma-Familie ein blondes Mädchen entdeckt und von den Behörden in Obhut genommen. Schnell stand für viele Medien fest, dass das Kind entführt worden war und nun “aus den Fängen einer Roma-Bande befreit” wurde (Bild.de). Kurz darauf kehrte das Mädchen jedoch wieder zu seiner Familie zurück — der Verdacht der Kindesentführung hatte sich nämlich als unbegründet herausgestellt.

Genauso verhielt es sich in einem weiteren Fall, diesmal in Irland, der sich kurze Zeit später abspielte. Polizisten hatten auch dort ein blondes Kind aus einer Roma-Familie geholt, später belegte aber ein DNA-Test, dass es tatsächlich zur Familie gehörte.

Und obwohl der Verdacht schon ausgeräumt war, schrieb Bild.de:

[…] am Dienstag wurde ein Mädchen aus einer Siedlung nahe Dublin gerettet. Wie viele blonde und blauäugige Mädchen leben noch bei Roma-Familien in Europa – und warum?

Nach Ansicht des Presserats ist diese Bildunterschrift diskriminierend. Die Formulierung “gerettet” sowie die Suggestivfrage seien “dazu geeignet, Vorurteile gegen die Volksgruppe der Roma zu schüren” (Ziffer 12 des Pressekodex). Der Beschwerdeausschuss, der vergangene Woche getagt hat, sprach deshalb eine Rüge gegen das Portal aus.

Inzwischen hat Bild.de das Wort “gerettet” durch “geholt” ersetzt und unter der Bildunterschrift sogar die Rüge veröffentlicht. Am Titel der Klickstrecke hat sich aber nichts geändert — der lautet weiterhin: “Polizei rettet Mädchen vor Gipsy-Bande”.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Presserat kritisierte noch einen weiteren Bild.de-Artikel, darin ging es um einen Gerichtsprozess in Berlin. Die Überschrift lautete:

Stöckelte Terror-Transe einer Frau das Auge kaputt?

Insbesondere der Begriff “Terror-Transe” könne Vorurteile schüren und Transsexuelle herabwürdigen, befand der Ausschuss und sprach einen “Hinweis” gegen Bild.de aus.

Insgesamt verteilte der Presserat fünf Rügen, 14 Missbilligungen und 15 Hinweise.

Eine Rüge bekam der Online-Auftritt der niedersächsischen Zeitung “Die Harke”. Das Portal hatte ein Foto der Privatwohnung von Sebastian Edathy veröffentlicht, das ein Reporter während der polizeilichen Durchsuchung durch das Fenster geschossen hatte. Der Presserat wertete die Veröffentlichung als einen schweren Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit (Ziffer 8). Der private Wohnsitz genießt nach Richtlinie 8.8 des Pressekodex besonderen Schutz.

Eine weitere Rüge erging an FAZ.net, weil die Redaktion über eine mögliche psychische Erkrankung des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst spekuliert hatte. Der Bruder des Bischofs habe darüber angeblich mit “Vertrauten” gesprochen, schrieb FAZ.net. Eine Stellungnahme des Bischofs oder seines Bruders enthielt der Artikel aber nicht. Damit habe die Redaktion die Privatsphäre des Bischofs verletzt und gegen den Pressekodex verstoßen, befand der Presserat. Über Krankheiten dürfe nur mit Zustimmung der Betroffenen berichtet werden (Richtlinie 8.6). Der Artikel stand übrigens auch in der Print-Ausgabe der “FAZ”, aber über die hat sich offenbar niemand konkret beim Presserat beschwert.

Die “Dithmarsche Landeszeitung” wurde für die Veröffentlichung eines Leserbriefs gerügt, der unter anderem Antisemitismus und staatliche Euthanasie in der NS-Zeit relativiert hatte.

Die fünfte Rüge kassierte schließlich “Das goldene Blatt” aus dem Funke-Verlag. Die Redaktion hatte einen Artikel, der 2009 entstanden und in mehreren Zeitungen erschienen war, fast vier Jahre später einfach noch mal veröffentlicht — ohne Zustimmung der Betroffenen. Die Lebensumstände der Frau, um die es in dem Text geht (“‘Ich lebe im Wohnmobil'”), hatten sich in der Zwischenzeit aber grundlegend verändert. “Das goldene Blatt” habe damit gegen den Schutz der Persönlichkeit verstoßen, befand der Presserat: Vor einer neuen Veröffentlichung hätte die Redaktion die Fakten überprüfen und eine erneute Einwilligung der Frau einholen müssen.

Nicht geahndet wurde hingegen das “Titanic”-Cover zu Michael Schumacher. Das Satire-Magazin hatte getitelt:

Erstes Foto nach dem Unfall: So schlimm erwischte es Schumi

… und dazu ein Foto von Niki Lauda gezeigt.

Der Presserat bewertete das Cover als “eine kritische Auseinandersetzung mit dem Medienrummel um Michael Schumachers Gesundheitszustand und der Jagd der Reporter nach Fotos von dem Verunglückten” (BILDblog berichtete). Weil das Foto neutral sei und die Unfallverletzungen von Lauda nicht in den Mittelpunkt gestellt würden, sei es nicht herabwürdigend.

Eine Frage, Bild.de

Seit wann tragen “US-Kampfjets” eigentlich das Hoheitszeichen der polnischen Luftstreitkräfte?US-Kampfjets in Polen - Ein F-16-Kampfjet der US-Luftwaffe ist auf der Militärbasis in Lask im Zentrum Polens gelandet. Das Pentagon ließ zuletzt 12 Maschinen sowie 300 Soldaten im Rahmen einer Militärübung, wie es hieß, nach Polen verlegen

Vielleicht hat ja die dpa eine Idee. Immerhin hat sie das Foto heute in Umlauf gebracht — und dabei ebenfalls behauptet, es handele sich um einen “F-16 fighter” der “US Air Force”.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 17. März: Bild.de spricht jetzt nur noch von “Kampfjets”. Der Zusatz bezüglich der “US-Luftwaffe” wurde entfernt.

Klassiker des Beinahe-Journalismus

Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg schreibt, wurde am Dienstag die Route eines Flugzeugs von einer nordkoreanischen Rakete gekreuzt. Da war das Flugzeug allerdings noch sieben Minuten entfernt — bei einer Reisegeschwindigkeit von 700 km/h (mutmaßlich sogar mehr) also noch über 80 Kilometer.

Oder in den Worten von Bild.de (Sie ahnen es sicher schon):ZWISCHENFALL - Nordkorea-Rakete traf fast Passagier-Flugzeug - 220 Passagiere eines chinesischen Flugzeugs entgingen nur knapp einer Katastrophe. Eine von Kims Raketen hätte sie beinahe getroffen.Mit Dank an Karl K., Ronald und Fabian H.

Springer muss Schwerverbrecher recht geben

Ein Pärchen feiert Hochzeitstag.

Eigentlich keine der Geschichten, die die “Bild”-Zeitung groß auf Seite 3 erzählen würde, und wahrscheinlich hätte sie es auch in diesem Fall nicht getan, wenn es sich bei dem Pärchen nicht um Verbrecher, Verzeihung: um “Schwerst-Verbrecher” handeln würde. Und zwar um schwule Schwerst-Verbrecher.

Das klingt dann schon eher nach einer Story für “Bild”, dachte sich “Bild” und verfolgte das Paar während seiner Ausführung im vergangenen Dezember bei jedem Schritt:

Freigang unter Aufsicht von drei Gefängnis-Aufsehern - Hier feiern zwei Schwerst-Verbrecher ihren 1. Hochzeitstag

Das Paar hatte sich 2008 im Knast kennen- und lieben gelernt, lebt jetzt in zwei Nachbarzellen.​

Dabei waren die Voraussetzungen für die Ehe nicht gerade gut: Walter stach 1997 seinem Ex-Partner mit einem 14 Zentimeter langen Messer in den Rücken. Bernhard ermordete 1992 eine Frau beim Sex. 2010 entdeckten Justizbeamte zudem Tausende Kinderpornos in seiner Zelle.​

Aus Angst vor Übergriffen von Mitgefangenen hält die Justiz die ungewöhnliche und einmalige Liebesbeziehung geheim. Trotzdem erlaubte die Anstaltsleitung zum Hochzeitstag einen Doppel-Ausgang.​

BILD war dabei

Warum? Keine Ahnung. Vielleicht hatten die Reporter ja einen Fluchtversuch erwartet, eine Schießerei oder wenigstens eine Schwulenparty. Aber stattdessen taten die beiden Schwerst-Verbrecher — von “Bild” minutiös dokumentiert — Folgendes: Sie fuhren “mit der U-Bahn”, kauften in einem Supermarkt “Brot und Getränke”, gingen in ein “‘schwules Informations- und Beratungszentrum'”, tranken in einem indischen Restaurant “Mango-Lassi”, kauften bei Saturn “für knapp 60 Euro sieben DVDs” und mussten abends wieder ins Gefängnis.

Keine Flucht, keine Party — nicht mal Händchenhalten oder einen Kuss gab es in diesen “sechs Stunden Freiheit”, wie der Autor mit spürbarer Enttäuschung feststellt. Aber immerhin verriet “ein Justiz-Beamter” dann doch noch, dass sich die beiden “hin und wieder” “umarmen”.

Tja. Und wer das alles erfahren wollte, musste sich entweder die “Bild”-Zeitung kaufen oder einen “Bild Plus”-Zugang holen.

Wir erzählen das, weil die Geschichte nicht nur komplett sinnfrei ist, sondern zum Teil schlichtweg falsch. Einer der beiden Gefangenen ist gegen die Berichterstattung vorgegangen und hat Gegendarstellungen erwirkt, die gestern in der “Bild”-Zeitung und in der “B.Z.” (die ebenfalls berichtet hatte) erschienen sind:

Gegendarstellung - zu: "Hier feiern zwei Schwerst-Verbrecher ihren 1. Hochzeitstag" in Bild vom 28.12.2013, S. 3 - Sie schreiben: "2010 entdeckten Justizbeamte ... Tausende Kinderpornos in seiner Zelle". Dazu stelle ich fest: Bei mir wurde ein Datenträger beschlagnahmt, auf dem 31 kinderpornografische und 11 jugendpornografische Bilder gespeichert gewesen sein sollen. Von dem Vorwurf wurde ich freigesprochen, weilk ich von diesen Bildern nichts wusste. Sie schreiben im Zusammenhang mit meiner eingetragenen Lebenspartnerschaft: "Aus Angst vor Übergriffen hält die Justiz die... Liebesbeziehung geheim." Dazu stelle ich fest: Das ist falsch. Berlin, den 6. Januar 2014 - RA Eisenberg für "Bernhard P." - Bernhard P. hat recht.

Gegendarstellung - zu „Beim Inder gab’s Mango-Lassi, bei Saturn Gewalt DVDs“, “in BZ„ vom 28.12.2013, S. 12 Sie schreiben: „2010 entdeckten Justizbeamte … Tausende Kinderpornos in seiner Zelle“. Dazu stelle ich fest: Bei mir wurde ein Datenträger beschlagnahmt, auf dem 31 kinderpornographische und 11 jugendpornografische Bilder gespeichert gewesen sein sollen. Von dem Vorwurf wurde ich freigesprochen, weil ich von diesen Bildern nichts wusste. Sie schreiben im Zusammenhang mit meiner eingetragenen Lebenspartnerschaft: „Aus Angst vor Übergriffen hält die Justiz die… Liebesbeziehungen geheim.“ Dazu stelle ich fest: Das ist falsch. Berlin, den 6. Januar 2014 RA Eisenberg für „Bernhard P.“ Bernhard P. hat recht.

Der Anwalt des Mannes teilte uns auf Anfrage mit, dass er auch weiter juristisch gegen den Verlag vorgehen werde. Anfangen kann er dann mit Bild.de — dort ist der Artikel nach wie vor online.

Nachtrag/Korrektur, 12.40 Uhr: Bild.de hat den Artikel (offenbar schon vor Veröffentlichung unseres Eintrags) gelöscht.

Nachtrag, 7. März: … und jetzt auch die Gegendarstellung veröffentlicht.

Werben mit den Opfern

In der vergangenen Woche sind bei einem Wohnungsbrand in Mannheim drei kleine Kinder gestorben. Bundesweit wurde über den traurigen Fall berichtet, natürlich auch in “Bild”, blatthoch in der Bundesausgabe:

Reporterin Janine Wollbrett schildert, wie “qualvoll” die Kinder ums Leben gekommen sind, lässt Zeugen, Feuerwehr und Oberbürgermeister zu Wort kommen und spekuliert über die Brandursache. Im Grunde tut sie also das, was auch andere Medien tun — mit einem Schuss mehr Sensationsgeilheit, versteht sich, und mit der Besonderheit, dass auch die Namen der Opfer genannt werden, das ist für das Blatt ja üblich in solchen Fällen und macht “Bild” nun mal zu “Bild”.

Genau wie das, was ein paar Tage später passierte. Gestern nämlich erschien in der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de Folgendes:

Stolz präsentiert Janine Wollbrett “eines der letzten Fotos der 3 toten Kinder”, das sie offenbar im Verwandten- oder Freundeskreis der Familie aufgetrieben hat. “Witwenschütteln” hieß das früher mal, das Blatt selbst umschreibt es aber lieber so:

Jetzt sprach BILD erstmals mit der bulgarischen Familie über die Tragödie!

Mit wem genau sie gesprochen hat, verrät die Reporterin nicht. Zitiert werden lediglich “eine Verwandte” und “eine Freundin” — mit der Mutter aber, die “Bild” ebenfalls im Foto zeigt, hat sie sich offenbar nicht unterhalten. Wie auch? Sie “steht bis heute unter Schock”, wie “Bild” selbst schreibt, “muss starke Medikamente nehmen” und liegt vermutlich noch im Krankenhaus. Es ist also sehr fraglich, ob die Mutter ihr Einverständnis für die Veröffentlichung der Fotos gegeben hat. Es ist ja sogar fraglich, ob sie überhaupt davon wusste.

Dabei gibt es, gerade in solchen Fällen, strenge Regeln für Journalisten. Erst im vergangenen Jahr hat der Presserat Ziffer 8 des Pressekodex (“Schutz der Persönlichkeit”) überarbeitet, um die Opfer von Straftaten und Unglücken besser vor identifizierender Berichterstattung zu schützen. Es wurde sogar extra eine neue Richtlinie (8.3) hinzugefügt, in der die Journalisten darauf hingewiesen werden, “dass insbesondere bei der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle Kinder und Jugendliche in der Regel nicht identifizierbar sein sollen”.

Generell gilt:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Ob “Bild” in diesem Fall die Erlaubnis hatte, die Namen und Fotos zu veröffentlichen, wissen wir nicht. Wir gehen aber — schon allein aus Erfahrung — eher nicht davon aus.

Mit den Fotos lässt sich dann, wenn man genügend wenig Skrupel hat, sogar für den Verkauf des eigenen Blattes werben, nämlich so:

via @KaeptnEmo.

Zum Täter gemacht

In einem Dorf in Nordrhein-Westfalen ist vor zwei Wochen eine 61-jährige Frau getötet worden.

Für die Kölner “Bild”-Ausgabe stand der Täter schnell fest:Patensohn schlägt liebe Oma (†61) tot

(Die Gesichter und Namen haben wir unkenntlich gemacht.)

Selbst ein mögliches Motiv lieferte das Blatt:Sie soll ihn auf frischer Tat beim Klauen erwischt haben

Gegen den Patensohn war zwar tatsächlich ein Haftbefehl wegen Mordes erlassen worden; er selbst schwieg aber zunächst und wies die Vorwürfe dann zurück.

Jetzt stellte sich heraus: Er ist offenbar unschuldig. Vergangene Woche wurde nämlich ein anderer Mann verhaftet, der die Tat gestanden hat.

Der Patensohn ist inzwischen freigelassen worden. Bei Bild.de wird er — samt Foto, abgekürztem Namen und Motiv — aber immer noch als Täter präsentiert.

Mit Dank an Eva.

Nachtrag: “Bild” und Bild.de sind für die Berichterstattung vom Presserat gerügt worden.

Die Olympischen Ehe-Ringe

Die Reporter der “Bild”-Zeitung haben am Rande der Olympischen Spiele in der Bilddatenbank von “Getty Images” eine erstaunliche Entdeckung gemacht:

Bei einem Sport-Event in Nizhnekamsk (Tatarstan) hielt die Sportgymnastik-Olympiasiegerin (2 Mal Gold) am Wochenende stolz ihren Ehering in die Kameras. Putin trug gestern bei der Skilanglauf-Staffel der Herren auf der Ehrentribüne in Sotchi das gleiche Modell.​

Na sowas! Und wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass diese Dame laut “Bild” seit fünf Jahren “die angebliche Geliebte von Russlands Präsident” ist, stellt sich natürlich ruckzuck die Frage:Liebesgrüße aus Moskau - Hat Putin seine Olympia-Siegerin geheiratet?Das fragen sich — angestachelt von “Bild” — inzwischen auch einige andere Medien. Der Grund für die Spekulationen ist ein ganz bestimmtes Foto, das “Bild” als Beleg für die Theorie auch groß über dem Artikel abgedruckt hat:Bildunterschrift: "BLING! Wladimir Putin trägt in Sotchi Goldring" Kleiner Haken an der Geschichte: Das ist gar nicht Putins Ring. Das ist nicht mal seine Hand. Sie gehört dem Mann, der neben ihm sitzt. Putin selbst hat gar keinen Ring getragen.

Mit Dank an Philipp und **Kiki**

Nachtrag, 24. Februar: Bild.de hat das Foto gelöscht, den Rest des Artikels aber so gelassen.

Gema eben vor Gericht

Bild.de hat mal wieder einen “bizarren” Anlass gefunden, um auf der Gema rumzuhacken:

Bizarrer Streit um die Musikrechte bei den Maidan-Protesten in Kiew

Seit Tagen sperrt die “Gesellschaft für Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte” (Gema) die Übertragung der Web-Cams aus Kiew mit der App “EuroMaidan”.

Begründung: Es könnte Musik übertragen werden, für die Tantiemen fällig sind.

Das Portal hat sogar einen CDU-Politiker aufgetrieben, der sich nun über das Vorgehen empört und es “skandalös” findet, dass “unsere im Westen viel gepriesene Informationsfreiheit von einer Einrichtung wie der Gema massiv eingeschränkt wird.”

Die Gema weist die Vorwürfe allerdings zurück:

Eine Sprecherin zu BILD: “Uns ist es ein Anliegen, dass Sie und andere Bürger über aktuelle Ereignisse zu den politischen Protesten in der Ukraine informiert sind. Zum ‘Entsperren’ des Nachrichtenkanals wenden Sie sich bitte an den Plattformbetreiber YouTube.”

Der Autor ergänzt:

Youtube sitzt im kalifornischen San Bruno. Bis sich dort jemand der App annimmt, fällt auf “EuroMaidan” die Youtube-Klappe.

Und siehe da: Schuld ist doch nicht die Gema — sondern Youtube.

Trotzdem lautet die Überschrift:Bizarrer Musikrechte-Streit bei Ukraine-Demos - Gema schaltet auf dem Maidan die Kameras ab

Die Gema hat dazu jetzt eine Stellungnahme veröffentlicht:

Die Online-Ausgabe der Bild Zeitung bild.de berichtete heute, dass die GEMA Webcams auf dem Maidan Platz in Kiew, mit denen über die dortigen Demonstrationen berichtet wird, gesperrt habe. […] Diese Nachricht ist falsch.

Die  GEMA hat in keiner Weise veranlasst oder gefordert, dass die entsprechenden Live-Streams aus dem Netz genommen werden. Die Verwertungsgesellschaft hält es für abwegig und ausgeschlossen, dass bei der Übertragung von Demonstrationen in Kiew Rechte von ihren Mitgliedern verletzt werden können. Die Sperrung erfolgte durch YouTube selbst. Dabei wurde durch die Verwendung der bekannten “GEMA-Sperrtafel”, gegen die die GEMA bereits gerichtlich vor dem Landgericht München vorgeht, der unrichtige Eindruck vermittelt, die GEMA habe die Sperrung gefordert oder veranlasst. Auch bei “gewöhnlichen” Musikvideos, die bereits Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen sind, erfolgt die Sperrung durch YouTube selbst und nicht auf Veranlassung der GEMA.

Obwohl die GEMA bild.de vor der Berichterstattung schriftlich und mündlich auf diesen Sachverhalt hingewiesen hat, berichtete Bild falsch und unter Verletzung journalistischer Sorgfalts- und Berufspflichten. Die GEMA hat aus diesem Grund bereits rechtliche Schritte gegen die Berichterstattung eingeleitet.

Mit Dank an Nick M.

Nachtrag, 20. Februar: Bild.de hat den Artikel jetzt gelöscht. Derweil hat die Gema-Sprecherin in einem Interview mit taz.de noch mal ausführlich zu dem Fall Stellung genommen und bekräftigt, Bild.de auf Unterlassung und Richtigstellung zu verklagen.

Nachtrag, 28. Februar: In einer kürzlich veröffentlichten Gegendarstellung schreibt die Gema:

“Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Sperrung von Web-Cam-Übertragungen aus Kiew veranlasst.”

Und Bild.de muss zugeben:

Die GEMA hat recht.

Sag ja zur Recherche

Am Anfang des Videos geht eine junge Frau durch den Flur ihrer Schule. Traurige Klavierklänge untermalen die Szene. “Sie sagten, Heroin sei das beste High, das ich je hatte”, erzählt sie aus dem Off. Dann sieht man, wie sie zu Hause schreiend einen Fernseher an die Wand schmeißt, Regale umwirft, dann in der Stadt neue Drogen kauft, sich vor der Polizei versteckt und schließlich in den Armen ihrer Mutter zusammenbricht. “Erfahren Sie die Wahrheit über Heroin”, sagt sie am Ende in die Kamera, und eine Internetadresse wird eingeblendet.

Das Video ist ein Werbefilm für die Kampagne “Sag NEIN zu Drogen — Sag JA zum Leben”. Es ist vergangene Woche bei Bild.de erschienen, in einem Artikel über den steigenden Heroin-Konsum in den USA.

Auf den ersten Blick ist daran nichts auszusetzen, immerhin unterstützt Bild.de damit eine gemeinnützige Kampagne, die sich der Drogenaufklärung verschrieben hat.

So scheint es zumindest.

In Wahrheit steckt hinter der so gutmütig wirkenden Anti-Drogen-Organisation aber ein bisschen mehr. Sie gehört nämlich zu Scientology.

Schon vor einem Jahr warnte der Verfassungsschutz Baden-Württemberg davor, dass Scientology zunehmend versuche, über das Internet neue Mitglieder zu gewinnen. Rainhard Hoffmann vom Stuttgarter Landesamt für Verfassungsschutz sagte der dpa, in Deutschland könne man über 100 Webseiten Scientology oder nahestehenden Organisationen zurechnen. Über Nebenorganisationen wie “Jugend für Menschenrechte” oder “Sag NEIN zu Drogen — Sag JA zum Leben” versuche die Scientology-Organisation, junge Leute zu ködern.

Und Bild.de hat sie dabei unterstützt.

Ohne Absicht, vermutlich, denn normalerweise steht das Portal der Organisation eher kritisch gegenüber, bezeichnete sie unlängst als eine der “gefährlichsten Sekten der Welt”. Nichtsdestotrotz hätten die Bild.de-Leute wissen können, für wen sie da gerade Werbung machen. Denn erstens wird auf der Seite der Anti-Drogen-Kampagne (wenn auch etwas versteckt) auf die Verbindung zu Scientology hingewiesen. Zweitens steht es in der Wikipedia. Und drittens hat Bild.de vor einem Jahr selbst darüber berichtet:

“Soziale Netzwerke spielen [für Scientology] eine immer wichtigere Rolle, um Mitglieder zu gewinnen”, sagte [Rainhard Hoffmann vom Verfassungsschutz]. Über Nebenorganisationen wie “Jugend für Menschenrechte” oder “Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben” sollten junge Leute gebunden werden. “Das sind auf den ersten Blick harmlose Themen mit denen die jungen Menschen geködert werden. Da erwartet man auf den ersten Blick nichts schlimmes dahinter.” Die Werbung sei bewusst auf die junge Generation zugeschnitten, ohne dass einem zunächst bewusst werde, wer dahinter stecke.

Das alles hatten die Leute von Bild.de blöderweise schon wieder vergessen, als sie vergangene Woche das Video in den Artikel einbauten.

Und noch blödererweise haben sie auch bei den fünfzehn anderen Videos nicht mehr daran gedacht:

Screenshots: Bild.de

All diese Videos sind auf Bild.de erschienen, Rubrik “TOP-VIDEOS”. Am Ende jedes Clips erscheint die Internetadresse der Scientology-Organisation.

Wir haben beim Pressesprecher der Axel Springer AG nachgefragt, warum die Videos veröffentlicht wurden, obwohl sie bei Bild.de hätten wissen müssen, dass Scientology dahintersteckt. Wir haben auch gefragt, ob Bild.de Geld für die Videos gezahlt hat und wenn ja, an wen.

Antworten auf diese Fragen haben wir leider nicht bekommen. Aber immerhin hat sich der Sprecher im Namen der Redaktion “herzlich” bei uns für den Hinweis bedankt. Wie es zu der Einbindung kommen konnte, werde jetzt “redaktionsintern geprüft”. Kurz nach unserer Anfrage hat Bild.de sämtliche Videos gelöscht.

Mit Dank an Franzi, Lars und den anonymen Hinweisgeber.

APO außer sich

Die derzeitige Opposition ist der “Bild”-Zeitung ja bekanntlich viel zu schwach, zu links, zu klein und zu machtlos, und auf diesen “Linken-Fraktionschef, der einst SED-Mann war und beste Kontakte zur Stasi hatte”, will sie sich erst recht nicht verlassen. Deshalb hat das Blatt vor ein paar Wochen mit viel Tamtam die “Bild-APO” gegründet und versprochen, den Oppositionsposten fortan zu übernehmen:

BILD wird der neuen Regierung bei jeder Gelegenheit auf die Finger hauen! Hart. Schmerzvoll. Und ohne Gnade.

“Bei jeder Gelegenheit.” Gestern Abend zum Beispiel. Zuvor hatten nämlich das Magazin “Kontraste” und die “Süddeutsche Zeitung” berichtet, dass die Bundesregierung viel Geld in eine Kampagne investiere, die ein Rentenpaket bewirbt, das aber noch gar nicht beschlossen sei. Und so etwas lässt eine “Bild-APO” nicht kommentarlos auf sich sitzen.

Renten-Reformen - GroKo schaltet Mega-Kampagne für 1,15 Mrd. Euro! - Dabei hat der Bundestag noch nicht mal zugestimmt

Ja, Sie haben richtig gelesen: 1,15 Milliarden Euro! Die Bundesregierung kauft von dem Geld nämlich nicht nur Plakate, Online-Werbung, Anzeigen und eine eigene Website, sondern auch Kaviar und Austern, einen schicken Film von Steven Spielberg und eine mehrmonatige Kreuzfahrt für jeden beteiligten Minister.

Natürlich alles Quatsch. In Wahrheit kostet die Kampagne 1,15 Millionen. So steht es auch in den Berichten, aus denen Bild.de zitiert.

Gut, so ein Tippfehler kann ja jedem mal durchflutschen. Nur: In diesem Fall war es gar kein Tippfehler. Der Autor glaubte offenbar ernsthaft (!), die Bundesregierung würde über eine Milliarde (!) Euro für diese Werbekampagne ausgeben. Er konnte es zumindest nicht oft genug erwähnen:

Die GroKo schert sich nicht um die schwache Opposition – und gibt schon Milliarden für eine Kampagne aus, ohne dass der Bundestag die Reform überhaupt beschlossen hat!

Stolz [sic!] 1,15 Mrd. Euro soll die Werbe-Kampagne kosten.

Ein Sprecher des Ministeriums verteidigte die Milliarden-Ausgabe

Heute Morgen hat Bild.de aus “Milliarden” dann unauffällig überall “Millionen” gemacht.

So funktioniert die Oppositionsarbeit bei “Bild”: Erst wird draufgehauen. Hart. Schmerzvoll. Und ohne Gnade. Das Nachdenken kommt dann später irgendwann. Und wenn man einen Fehler macht, tut man so, als sei nichts gewesen.

Mit Dank an Alex, Philipp R., Veeck, Klaus, Christian V. und Maximilian P.

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