Schattenseiten der Liebe zwischen Frau und Frau

“Bild”, 22. März 1986:

Peep-Show! Lesbisch! Schüsse! Tot!
“Es ist ein Blick in eine andere Welt. In Hamburg-Altona erschoss Jutta K., 36, ihre lesbische Geliebte und Zuhälterin Marianne (‘Mandy’) A., 31. …”

“Bild”, 20. Oktober 1993:

Sex, Gier, Eifersucht. Lesbe fuhr 4 Frauen um
“Lesbische Frauen, lesbische Eifersucht. Die Schattenseite der Liebe zwischen Frau und Frau. …”

Bild.de, 19. November 2007:

Männer traurig: Schade um diese tolle Frau!

“Bild”-Zeitungs-Aursisse aus: Thomas Oliver Domzalski, “Vom Dackel der Schwiegermutter entmannt”, Eichborn-Verlag 2002 (Verpixelungen von uns). Gegen das Buch hat der Verlag Axel Springer eine einstweilige Verfügung erwirkt. Es ist aber noch in Antiquariaten erhältlich.

Mit Dank an Philipp H.!

Kurz korrigiert (443)

Debby Reuter ist neue Stadionsprecherin beim 1. FC Kaiserslautern — was den 1. FCK veranlasste, in einer Pressemeldung deutlich darauf hinzuweisen, dass Reuter die “einzige weibliche Stadionsprecherin” sei. Bei “Bild” wurde daraus heute diese Überschrift:

"Ich bin die erste Stadionsprecherin"

Das klingt nach einem historischen Moment. Ist es aber nicht. Vor Debby Reuter waren zumindest schon Katja Wunderlich (1. FC Nürnberg) und Steffi Renz (SSV Reutlingen) Stadionsprecherinnen. Deshalb hier ein Alternativvorschlag:

"Ich bin die dritte Stadionsprecherin"

Aber vielleicht wäre den Redakteuren von “Bild” ja womöglich noch eine bessere Überschrift für die einzige Stadionsprecherin Deutschlands eingefallen.

Mit Dank an Alexander W. und usdgzer für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 21.11.2007 (mit Dank an Klaus S.): Wie es aussieht, ist Debby Reuter, anders als der 1. FCK in seiner Pressemitteilung behauptet, nicht mal so richtig die einzige Stadionsprecherin in der Bundesliga. Im Millerntor-Stadion beim FC St. Pauli kommt offenbar Dagmar Grigoleit zumindest als Ersatzsprecherin zum Einsatz. Insofern ist unser Überschriften-Vorschlag noch schlechter als zunächst angenommen.

6 vor 9

Presseschau: Was geschrieben wird, weil Anne Will eine Frau liebt
(jetzt.sueddeutsche.de, Stefan Winter)
Passenderweise wurde an Altkanzler Kohl und Historiker Fritz Stern ein Preis für Verständigung und Toleranz verliehen, als Anne Will am Samstagabend der Bild am Sonntag sagte: “Ja, wir sind ein Paar.” Neben ihr im Jüdischen Museum in Berlin stand Miriam Meckel, Professorin für Medienrecht. Die beiden lösten, nun ja: Aufregung aus. 10 Beispiele.

Das Internet ist das Medium und die Botschaft
(faz.net, Matthias Rüb)
Amerikas Zeitungen geht es immer noch nicht besser. Die Auflage sinkt, aber inzwischen macht sich die Gewissheit breit, dass jeder kleine Erfolg im Internet hilft. So werden von den Online-Ausgaben neue junge Leser angezogen, für die sich die Werbewirtschaft besonders interessiert.

«Nur für Erwachsene»
(20min.ch, Marco Lüssi)
Mit Roger Schawinskis neuem Sender geht es vorwärts: Jetzt stehen das Logo und der Claim von Radio 1 fest. “Der Slogan wurde mir geschenkt”, sagt Roger Schawinski. Vom Original, dem gleichnamigen Radiosender in Berlin.

rotstiftblogger rides again.
(popkulturjunkie.de)
Scheißmontagmorgen, oder? Ihr da bei ?DWDL.de??

Und wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt plötzlich die “Aargauer Zeitung” daher
(blog.handelsblatt.de, Thomas Knüwer)
Wo findet man eine frisch gemachte, ansprechende und höchst moderne Tageszeitung? In äußersten Winkel der Schweiz. Thomas Knüwer vom Handelsblatt findet die Aargauer Zeitung “die optisch bestgemachte Zeitung, die ich im deutschsprachigen Raum kenne”.

Muss man als hippe Kolumnistin über Sex schreiben?
(das-subjektive.ch, Pascal Witzig)
Prüderie war einmal. Jetzt ist Versexualisierung angesagt. Jeder darf, soll und muss daran teilhaben. Darum geizen auch hippe Kolumnistinnen nicht mit Details über ihr Sexualleben. Was ihnen als hipp erscheint, ist alles andere als förderlich für die weibliche Emanzipation.

Gene und die falschen Männer machen lesbisch

Christine Baumanns ist Autorin der Bücher “Massagen für Liebende” und “Träume von Leidenschaft und Lust” sowie Diplompsychologin, Sexualtherapeutin und Genussforscherin. “Bild” nennt sie heute “Dipl.-Psychologin” bzw. schlicht “Expertin”.

Christine Baumanns hält Britney Spears für psychisch krank, wenn “Bild” sie danach fragt. Und Christine Baumanns hat nicht nur eine Antwort parat, wenn “Bild” von ihr wissen will, warum sich Sophia Loren “mit 71 noch so scharf fotografieren” lässt, “wie ehrlich” die Liebe von Gülcan Karahanci und Sebastian Kamps “wirklich” sei oder, ob es “noch normal” ist, wenn Meret Becker ihren Stiefvater auf den Mund küsst — nein, Christine Baumanns ist auch zur Stelle, wenn “Bild” im WM-Taumel bloß deliriert: “Wollen wir uns alle DUZEN?”

Und Baumanns’ Antworten sind immer toll:

“Bild”: Was macht den schmuddeligen Doherty bei Frauen bloß so attraktiv?
Christine Baumanns: Es ist die Faszination des Kaputten.

“Bild”: Kann das Video [von Tokio Hotel] labile Jugendliche möglicherweise zum Selbstmord verführen?
Christine Baumanns: Ich denke nicht.

“Bild”: Ist Tom Cruise etwa ein softes Mama-Söhnchen?
Christine Baumanns: Absolut nicht!

Zum Thema “Wie gut ist Ihre Ehe?” entwickelte Christine Baumanns “exklusiv für BILD” sogar den “großen BILD-Test” (Zitat: “Ihr(e) Partner(in) hat ziemlich an Gewicht zugelegt. Ihr Kommentar? a) “Schatz, ich mag dich, wie du bist.” b) “Wie wäre es mit einer Diät? Mir ist dein Aussehen nicht egal.” c) “Frust-Essen macht nicht gerade schön. Du könntest ein bisschen mehr auf dich achten.” Zitat Ende.)

Und heute beantwortet Christine Baumanns aus aktuellem Anlass exklusiv in “Bild” die Frage:

"Was ist bei lesbischer Liebe anders?"

“Bild” fragt zum Beispiel:

Wie wird eine Frau lesbisch – ist das angeboren oder sind die Männer schuld?

Und Christine Baumanns antwortet:

Bei manchen Lesben ist das ganz klar genetisch festgelegt. Sie verlieben sich von Anfang an immer nur in Frauen. Viel häufiger ist aber eine große Enttäuschung mit einem Mann der Auslöser. Die Frau wendet sich bewusst von den Männern ab und findet erfüllende Liebe bei einer Frau.

Zu Baumanns “Expertin erklärt”-Interview haben wir deshalb mal Renate Rampf, Sprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD), befragt.

Betr.: Anne Will und Miriam Meckel

Sehr geehrter Herr Diekmann,

wenn Sie darauf angesprochen werden, dass die von Ihnen verantwortete “Bild”-Zeitung die Privatsphäre von Prominenten nicht respektiert, antworten Sie, dass die Prominenten dafür selbst verantwortlich seien. Gegenüber der Schweizer Zeitung “Persönlich” (pdf) formulierten Sie es so:

Grundsätzlich ist das Privatleben tabu. Das gilt aber nicht für diejenigen, die mit ihrem Privatleben das Licht der Öffentlichkeit suchen.

Der “FAZ” sagten Sie:

Wer sein Privatleben privat lebt, bleibt privat. (…) Wer nicht selbst das Spiel eröffnet, muß auch nicht mitspielen.

Immer wieder greifen Sie auf eine Fahrstuhl-Metapher zurück:

Wer die Presse einlädt, wenn es im Fahrstuhl des Lebens nach oben geht, darf sie nicht aussperren, wenn er wieder nach unten fährt.

Gestern und heute haben “Bild” und “Bild am Sonntag” in größter Aufmachung darüber berichtet, dass die ARD-Moderatorin Anne Will am Rande einer Veranstaltung bestätigt habe, mit der Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel zusammen zu sein. “Ja, wir sind ein Paar”, habe Will gesagt und hinzugefügt: “Wir möchten unser Privatleben privat halten.”

Diesen Wunsch mochten Sie ihr offensichtlich nicht erfüllen. Denn Ihre Zeitung belässt es nicht dabei, über das Coming-Out der Moderatorin zu berichten, ihre Partnerin vorzustellen und über Kleidung, Schmuck, Sitzordnung, Menufolge und Stimmung bei der öffentlichen Veranstaltung zu berichten, zu der Will und Meckel gemeinsam gekommen waren. Sie informiert ihre Leser zugleich unter anderem auch über einen gemeinsamen Urlaub der beiden und nennt Details ihrer Freizeitgestaltung.

Offenkundig ist das Privatleben von Anne Will für die “Bild”-Zeitung also nicht mehr Tabu. Angenommen, Ihre öffentlichen Erklärungen über den sonst geltenden Respekt Ihrer Zeitung vor der Privatsphäre anderer Menschen seien nicht nur Lügen oder bestenfalls Selbstbetrug: Bedeutet die Tatsache, dass Frau Will und Frau Meckel auf Nachfrage einmal bestätigen, ein Paar zu sein, dass beide nun “das Spiel eröffnet” haben und in den “Bild”-Fahrstuhl eingestiegen sind? Glauben Sie, dass beide dadurch etwas Intimes enthüllt haben? Haben beide dadurch das sonst angeblich von Ihnen garantierte Recht verwirkt, ihr Privatleben privat zu halten? Müssen sie deswegen damit rechnen, dass “Bild”-Reporter sich auf die Suche nach früheren Partnern machen; dass “Bild”-Fotografen dokumentieren, wenn beide gemeinsam (oder gerade nicht gemeinsam) in den Urlaub fahren oder in einem Café sitzen; dass “Bild”-Artikel die Öffentlichkeit über Höhen und Tiefen in dieser Beziehung auf dem Laufenden halten?

Müssen Prominente, wenn sie nicht in Ihrer Zeitung lesen wollen, wo sie mit wem welchen Freizeitsport treiben, beispielsweise vollständig darauf verzichten, sich von ihren Partnern zu gesellschaftlichen Anlässen begleiten zu lassen? Oder dürfen sie sich von ihren Partnern begleiten lassen — aber nicht darüber reden?

Herr Diekmann, was kann ein Paar tun, um Ihnen keinen Vorwand dafür zu liefern, sein Privatleben als Verfügungsmasse Ihrer Zeitung zu betrachten?

Über Antworten würden wir uns freuen!

Mit freundlichen Grüßen
Ihre BILDblogger
 
 
Nachtrag, 28.11.2007: Von einem “Bild”-Sprecher erhielten wir folgende Antwort:

Sie schickten am 19.11. einen Brief an die Bild-Chefredaktion zum Thema Anne Will. Von unserer Seite gibt es dazu nur soviel zu sagen: Wir haben geschrieben, was an diesem Abend unserer BILD am SONNTAG-Reporterin gesagt wurde.

Wechselt Stefan Aust zu Axel Springer?

Die Frage “Was wird aus Spiegel-Chef Stefan Aust?” stellen sich derzeit sicher viele Menschen in der Medienbranche (wobei die Frage, wer Austs Nachfolger wird, für die meisten derzeit interessanter zu sein scheint). “Bild” fand vergangenen Sonnabend in ihrer Hamburger Ausgabe eine etwas eigenwillige Antwort:

"Was wird aus Spiegel-Chef Stefan Aust?"

Aha. Die Aussagekraft der Formulierung “hoch im Kurs” ist in diesem Zusammenhang ja eher begrenzt. Und ein Blick auf die Internetseite von Paddy Power hilft leider auch nicht wirklich weiter. Dort steht ein Wechsel Austs zum “Focus” nämlich mit einer Quote von 6 zu 1 weder so richtig hoch, noch besonders niedrig “im Kurs”:

"wird Chefredakteur bei Focus: 6-1"

Aber manchmal ist ja ohnehin interessanter, was nicht in “Bild” steht. So auch hier. Die Option, die bei den Buchmachern von Paddy Power wirklich favorisiert* wird, verschweigt “Bild” nämlich komplett:

"erhält einen Job bei Axel Springer: 2-1"

*) Auf Nachfrage bei Paddy Power teilte man uns mit, dass die Quoten seit Veröffentlichung der Wette am vergangenen Freitag unverändert sind. Was man übrigens auch in einer PR-Meldung vom selben Tag nachlesen kann.

Nur echt mit dem gelben Streifen

Möglich ist natürlich, dass sich über Musikvideos, die Bild.de auf der Startseite zeigt, automatisch diese gelbe “Exklusiv”-Schleife oben links legt. Und dass die Rubrik “Videopremiere” fest voreingestellt ist. Und dass das Redaktionssystem verhindert, dass ein Musikvideo veröffentlicht wird, solange in der Überschrift nicht mindestens zwei der drei Begriffe “brandneu”, “schon jetzt” oder “enthüllt” auftauchen.

Das wäre immerhin eine Erklärung, warum Bild.de gestern und heute auf der Startseite entsprechend die Tatsache bewarb, dass dort das Video von Kate & Ben “Ich lieb’ Dich immer noch so sehr” gezeigt wird, das zweieinhalb Wochen vorher, am Abend des 2. November, in der Sendung “Neu” auf Viva Premiere hatte, und bereits seit dem 3. November zum Beispiel auf MyVideo zu sehen ist.

6 vor 9

Digitale Demokratisierung des Wissens
(nzz.ch, hag.)
Wissensmanagement erfolgt im Internetzeitalter nicht mehr nur über traditionelle Schulungsprozesse und Lehrmittel. Vermehrt eröffnen Suchmaschinen den Zugang zu kostenlosen Bildungsinhalten. Der Trend provoziert Fragen zum Urheberrecht und kollidiert mit kommerziellen Geschäftsmodellen von Verlagen, Medienhäusern oder Bibliotheken.

Finn Canonica und Urs Leuthard im Gespräch
(drs.ch, mp3, 25:54 Minuten)
Der Chefredaktor des Magazins redet mit dem Leiter der Arena des Schweizer Fernsehens darüber, wie man den Redeschwall von Politikern stoppt und wie diese sich, weil sie alle den gleichen Kommunikationskurs gemacht haben, genormt verhalten.

Big G is watching you
(sonntagszeitung.ch, Michael Soukup)
Google sammelt fleissig persönliche Daten – besser als jeder Marktforscher und Geheimdienstler.

Der Einzug der grauen Mäuse
(sonntagsblick.ch, Karin El Mais und Simone Matthieu)
SF sehen – und vergessen. Die neuen Gesichter des Schweizer Fernsehens sind sympathisch, aber so durchschnittlich, dass sie keinem in Erinnerung bleiben. Die glamourösen TV-Stars werden rar in unserem Land. Weil sie in Pension gehen. Oder schlicht übergangen werden.

Wie ein Journalist Außenminister wurde
(stern.de, Rafal Wos)
So einen Außenminister hatten die Polen noch nie. Nach dem diplomatischen Krawallkurs der Kaczynski-Brüder soll nun Radoslaw “Radek” Sikorski Polen wieder auf den Europapfad bringen.

Beziehungskiller Handy
(sonntagonline.ch, Nicolas Gattlen)
Tag und Nacht erreichbar, die E-Mail-Flut nun auch auf dem Handy: Smartphones mögen für die Wirtschaft ein Segen sein – für das Privatleben sind sie ein Fluch, wie eine neue Studie der Universität St. Gallen belegt.

medienlese – der Wochenrückblick

Häschenwitze, Web2.0 Gral, Unschuld, Ho-Ho-Ho!

EILMELDUNG: Stefan Aust verläßt TITANIC” – titelte das Nachrichtenmagazin Titanic über den Abgang ihres Chefredakteurs. Als Nachfolger im Gespräch seien “Helmut Markwort (‘Die hundert besten Häschenwitze’) und Helmut Lotti (‘Es fährt ein Schiff nach nirgendwo’)”. Das ist natürlich Blödsinn, denn es waren die Gesellschafter des SPIEGEL-Verlags, die einvernehmlich auf Initiative der Mitarbeiter KG beschlossen, den Vertrag von Stefan Aust nicht zu verlängern. Über seine Zukunft werden derweil bereits Wetten abgeschlossen.

Nicht verwetten, aber ersteigern kann man eine Flasche Apollinaris-Wasser, an der Web-2.0-Mensch Tim O’Reilly an der Web-2.0-Expo in Berlin seine Lippen netzte. Aktuelles Gebot: 25,50 Euro.

NZZ-Chefredakor Markus Spillmann machte sich Gedanken, ob er in deutscher Sprache weiterhin Leser erreichen kann. In seiner eigenen Zeitung wurde er so zitiert, indirekt: “Man müsse sich ernsthaft Gedanken machen, wie man eine an sich qualitätsaffine Kundschaft, die nicht in Deutsch kommuniziere, erreichen könne.”

Read On…

Allgemein  

Das doppelte Lokchen

In weiten Teilen Deutschlands streikten gestern nicht nur die Lokführer, sondern man konnte auch den 29-jährigen Maik Richter auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung sehen, denn:

1. Lokführer gibt offen zu: Ich finde das Bahn-Chaos gut! / STREIK-LOKFÜHRER: "Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind!"

Millionen Pendler kommen zu spät oder gar nicht zur Arbeit! Tausende warten in der Kälte vergebens auf ihren Zug! Fabriken bleiben ohne Nachschub! Der größte Bahnstreik in der Geschichte legt das halbe Land lahm – und dieser Lokführer gibt offen zu: “Ich find das Chaos gut.”

(…) Richter sagt: “Die Leute sollen mal merken, wie wichtig unsere Arbeit ist, die auch gut bezahlt werden muss. Klar ist es nicht schön, am Bahnsteig zu warten, aber ich muss auch an meine Familie denken.” (…) Er sagt: “Auf dem Bahnhof werden wir jetzt beschimpft. Aber ich hab ein dickes Fell.”

Sagen wir’s so: Maik Richter wird nach der gestrigen “Bild”-Schlagzeile nicht weniger beschimpft worden sein. “Unter den Bundesbürgern stößt der Ausstand jetzt immer mehr auf Ablehnung”, schrieb “Bild”. Und die Nachrichtenagenturen berichteten: “Nach einer Forsa-Umfrage für die ‘Bild’-Zeitung hat eine Mehrheit von 51 Prozent der Bundesbürger kein Verständnis für den Streik.” Nun ja. Und obwohl die Sympathie für den Lokführer-Streik in der Bevölkerung im November doch laut n-tv nicht ab-, sondern sogar wieder zugenommen haben soll, dürfte so ein demonstratives Gutfinden des Bahn-Chaos auf der Titelseite von “Bild” für die Gewerkschaft wenig hilfreich sein.

Das Lokführer-Dementi

“Auch wir Lokführer haben Verständnis für die Verärgerung unserer Reisenden und
‘ICH FINDE DAS BAHNCHAOS NICHT GUT!!!’

Sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren,
mit großem Interesse habe ich soeben den Bericht über meine Person auf www.bild.de gelesen. Dabei musste ich leider feststellen, dass hier Zitate verwendet wurden, welche ich definitiv nicht gesagt habe.

‘Ich finde das Bahnchaos gut’ soll ich wörtlich gesagt haben und ‘Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind’. Dies sind Sätze, welche ich nie behauptet und auch in keinster Weise angedeutet habe. Ich habe Ihren Reportern gesagt, dass meine Kollegen und ich vollstes Verständnis für den Ärger unserer Kunden bzw. Reisenden haben. Weiterhin habe ich um Verständnis bei den Reisenden gebeten, da uns leider kein anderes Mittel bleibt, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen. (…)”

(Quelle: lokfuehrer-in-dortmund.de)

Dass sich Lokführer Maik Richter entschied, auf seiner Homepage ein deutliches Dementi der ihm von “Bild” und Bild.de zugeschriebenen Aussagen zu veröffentlichen (siehe Kasten), hat uns daher nicht wirklich überrascht.

Überrascht hat uns vielmehr die gestrige Titelgeschichte in der Leipziger “Bild”-Ausgabe:

1. Lokführer gibt offen zu: Ich finde das Bahn-Chaos gut! / STREIK-LOKFÜHRER: "Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind!"

Die Überschriften sind identisch, auch große Teile des Artikels — nur der zitierte und abgebildete “1. Lokführer” ist in Leipzig nicht der 29-jährige Maik Richter aus Dortmund, sondern der 36- bzw. 37-jährige Thorsten R.* aus Leipzig:

Millionen Pendler (…) in der Kälte (…) Fabriken (…)! Der größte Bahnstreik in der Geschichte legt das halbe Land lahm – und dieser Lokführer gibt offen zu: “Ich find das Chaos gut.”

(…) R. sagt: “Der Streik mit seiner Folge, Deutschland im Personen- wie im Güterverkehr lahmzulegen, ist das einzige Mittel um unsere Forderungen durchzusetzen. Das jetzige Chaos ist gut, weil es notwendig ist und unsere Forderungen unterstreicht. Die Leute müssen merken, wie wichtig wir sind.”

Ob der Leipziger R. ebenfalls behauptet, dies seien Sätze, welche er nie behauptet und auch in keinster Weise angedeutet habe, wissen wir (noch) nicht. Wir wissen nur, dass die trotzkistische Website WSWS.org von den Lokführer-Streiks in Berlin berichtete:

Insbesondere als ein Redakteur der “Bild”-Zeitung nach einem Interview fragte, fand sich niemand, der sich dazu bereit erklärte. Diesem “Lügenblatt” gebe man keine Interviews.

Mit Dank an die Hinweisgeber und an Kai L. für die “Bild”-Leipzig-Scans.

*) Name und Gesicht von uns unkenntlich gemacht.

Nachtrag, 20.11.2007: Inzwischen erreichte uns auch eine Stellungnahme des Leipziger Lokführers Thorsten R. (37), der ebenfalls darauf hinweist, dass seine Aussagen von der “Bild”-Zeitung “sinnentstellt und völlig aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt” worden seien. (Nicht “die Leute” sollten merken, wie wichtig die Lokführer seien, sondern “der Bahnvorstand”; und das Chaos finde er nicht “gut”, sondern “notwendig”.) Auf Nachfrage sagte uns R*, er habe mit dem “Bild”-Reporter, mit dem zunächst in den Streiklokalen in Halle und Leipzig niemand zu reden bereit gewesen sei, lange über den Alltag der Lokführer in der Güterverkehrssparte Railion gesprochen, nachdem ihm der “Bild”-Reporter zu verstehen gegeben habe, dass die “Bild”-Zeitung mit ihrer Berichterstattung “was für die Lokführer tun” wolle.

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