Longchamp, Winkler, Technologiekritik

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Illusion vom paid content”
(ndr.de, Video, 6:17 Minuten)
Ein kurzer Überblick über die bisherigen Bezahlangebote der Printverlage im Internet. Weiterhin unbeantwortet bleibt die Frage, für welche Form von Journalismus Leser bereit sind, online Geld auszugeben. Klar ist: “Die fetten Jahre sind vorbei.”

2. “Hau den Blocher”
(tagesanzeiger.ch, Simone Matthieu)
Das linksliberale Boulevardportal Tagesanzeiger.ch behandelt die (eigene) Verhaltensweise, Aussagen von Prominenten gegen die rechtskonservative Partei SVP und deren Aushängeschild Christoph Blocher aufzubauschen. Der “altbekannte PR-Trick” sei eine “Win-Win-Situation”: “Die Medien machen gute Quote und der Blocher-Verunglimpfer wird – egal wie unbekannt er ist und wie unbedeutend seine Aussagen sind – zum Mann der Stunde.”

3. “Wie ein 20-Jähriger einen Verlag demontiert”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz über den hyperlokalen Sportjournalismus von Michael Wagner, dem Macher von fussball-passau.de: “Jede Liga, jedes Spiel wird dort inzwischen ausführlich geschildert. Es gibt Spielerbörsen, Tabellen, Statistiken, kurzum: Wagner hat ein hyperlokales (Fußball-)Medium gemacht — und die User dort sind glücklich.”

4. “Falscher Prophet”
(blog.persoenlich.com, Stefan Bühler)
Stefan Bühler fordert wegen der “katastrophalen Fehlleistung” des Prognostikers Claude Longchamp bei der Vorhersage der Ergebnisse der Minarett-Initiative für das Schweizer Fernsehen Konsequenzen.

5. “Willi Winkler und der Mann der Tat”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel kritisiert einen Artikel von Willi Winkler in der “Süddeutschen Zeitung” über Dieter Kunzelmann: “Winklers Artikel repräsentiert eine Tendenz in der kulturellen, intellektuellen und auch politischen Linken in Deutschland – eine Tendenz zur Leugnung der Geschichte.”

6. “Standardsituationen der Technologiekritik”
(online-merkur.de, Kathrin Passig)
Kathrin Passig schreibt über den “öffentlich geäußerten Missmut über das Neue” und stellt einen stets wiederkehrenden Argumentationsverlauf fest. 1. Wofür soll das gut sein? 2. “Wer will denn so was?” 3. Das ist nur etwas für “zweifelhafte oder privilegierte Minderheiten”. 4. Das ist nur “eine Mode, die vielleicht wieder vorbeigeht”. 5. Das wird auch nichts ändern. 6. Es ist gut, aber nicht gut genug. 7. “Schwächere als ich können damit nicht umgehen!”. 8. So sollte man aber es nicht nutzen. 9. Es verändert unsere “Denk-, Schreib- und Lesetechniken zum Schlechteren”.

Wie man Minarette groß rausbringt

Nachdem die Schweizer in einer Volksabstimmung am Wochenende beschlossen haben, per Verfassung den Bau von Minaretten zu verbieten, wird auch in Deutschland wieder über das Verhältnis zum Islam und seinen Symbolen diskutiert.

Als Illustration des Konfliktes scheint sich vor allem ein Motiv anzubieten: Das Minarett der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim vor dem Turm der Liebfrauenkirche. Auf der Seite 2 der “Süddeutschen Zeitung” zum Beispiel sah das gestern so aus:

Die “Bild”-Zeitung nahm heute ein älteres Foto derselben Konstellation, das noch vor dem Neubau des Minaretts vor fünf Jahren entstanden ist:

Es ist das perfekte Symbol: Die katholische Kirche in einer mitteleuropäischen Großstadt, in den Schatten gestellt von der neugebauten Moschee gleich nebenan.

Man muss sich allerdings viel Mühe geben, um dieses Bild in der Realität nachvollziehen zu können. Denn der Turm der Liebfrauenkirche misst stattliche 74 Meter. Er ist ungefähr doppelt so hoch wie das Minarett. Diese Aufnahme lässt das zumindest erahnen.

Zur Bebilderung eines Konfliktes, der sich nicht zuletzt um Symbole dreht, wählen viele deutsche Medien also ein Foto, das die Größe des islamischen Bauwerkes in Deutschland grotesk verzerrt und nicht die Realität, sondern die Ängste vieler Menschen abbildet. Man muss keine böse Absicht unterstellen, um das bemerkenswert zu finden.

Mit Dank an Bernd O.!

Heckhoff, Regividerm, Schlagzeilen

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1. “Versteckspiel”
(berlinonline.de, Annika Joeres)
Die “Berliner Zeitung” versucht Licht in den Fall Michael Heckhoff zu bringen und glaubt, “entweder ein Polizeibeamter oder aber der Anwalt des Inhaftierten” habe “zwischen der Redaktion und Heckhoff vermittelt”. “Dass der inzwischen in einem Bochumer Sicherheitstrakt einsitzende Heckhoff persönlich mit dem Skandalblatt geredet hat, ist nahezu ausgeschlossen.”

2. “Bild Dir Deine Meinung im Knast”
(sueddeutsche.de, Christina Maria Berr)
Auch Sueddeutsche.de kann sich das kaum vorstellen: “Vermutlich wurden Teile des Vernehmungsprotokolls wiedergegeben.”

3. “Journalismus heute: knackiger Titel um jeden Preis?”
(marcelwidmer.ch)
Marcel Widmer beschäftigt sich mit einem “Stylecheck” des Schweizer Innenministers Didier Burkhalter auf Tagesanzeiger.ch mit dem Titel “Ohne Frisur, dafür mit vorbildlicher Kravatte”.

4. “Sollen freie Journalisten twittern? Zehn Antworten”
(medialdigital.de, Ulrike Langer)
Ulrike Langer antwortet dem Blogbeitrag des “DJV freienblog” von Anfang Woche: “Natürlich gibt es keine Garantie, dass Freie über das Twittern neue Auftraggeber finden (das kommt auch auf die Art des Twittern an), aber vor allem die Kombination von Bloggen und Twittern schafft Öffentlichkeit. Es macht freie Journalisten für potenzielle neue Kunden sichtbar und unkompliziert ansprechbar – ohne den Umweg über eine Redaktion.”

5. “Regividerm im Selbstversuch – ein Erfahrungsbericht”
(scienceblogs.de/frischer-wind)
“Ist etwas dran an dem Hype um das Neurodermitis-Wundermittel Regividerm? Meine Frau hat die Salbe vier Tage lang getestet und ihre (eher ernüchternden) Erfahrungen für den ‘Frischen Wind’ zusammengefasst.”

6. Interview mit Klaus Hillenbrand
(hausblog.taz.de, Luise Strothmann)
Der Chef vom Dienst der “taz” gibt Auskunft über Schlagzeilen auf der Titelseite. Für eine schämt er sich: “‘Badeunfall erweist sich als rassistischer Mord’. Da ist ein Kind in Sachsen ertrunken, und die Mutter – und eine Zeit lang auch die Polizei – glaubte, es sei von Neonazis ertränkt worden. Aber es stimmte nicht.”

tz  etc.

Peter Doherty singt Medien in Nazirausch

— Ein Gastbeitrag von Daniel Erk

Seit der britische Sänger und Gitarrist Peter Doherty mit Modell Kate Moss liiert war, ist er für die Boulevardpresse faktisch Freiwild. Wo immer der durchaus von Drogen- und Alkoholsucht geplagte Sänger der Babyshambles auftritt (oder eben nicht auftritt), reibt sich eine Boulevardjournalistin die Hände — denn so einfach kommt man selten an eine Geschichte, in deren Überschrift man ungestraft und ungeprüft von einem “Skandalrocker” wechselweise auch “Rüpelrocker” schwadronieren darf. Und wenn auf diesen ohnehin schon absurden Nährboden der Erregung noch ein wenig Nazismus fällt, dann macht die deutschsprachige Boulevardpresse offenbar gleich den Schampus auf und die Lexika zu. Anders lässt sich kaum erklären, welch einem skandalgetünchten Taumel der hiesige Gossenjournalismus in den letzten Tagen versank.

“Nazi-Hymne im BR-Funkhaus” fantasierte die Münchner Boulevardzeitung “tz”, um sich in ihrem Bericht in einen wahren Skandalrausch zu schreiben:

Noch mal grölt [Peter Doherty] “Deutschland, Deutschland über alles”. Diese erste Strophe des Deutschlandliedes war unter Hitler zur Nationalhymne gemacht worden. Diese Nazi-Hymne erklingt im Bayerischen Rundfunk!

Der schweizerische “Blick” will gar eine “Hymne an Hitler” vernommen haben.

Überall sonst tut man sich Doherty und Nationalsozialismusverdacht zum Trotz deutlich schwerer, das Wesen dieses Skandals zu erläutern: Die “Bild”-Zeitung konnte gerade noch einen “Eklat” ausmachen, ohne allerdings erklären zu können, worin dieser denn nun bestanden haben soll. Die Nachrichtenagentur dpa konnte sich gerade noch zur wenig skandalträchtig klingenden Schlagzeile “Doherty singt live im Radio Deutschlandlied” durchringen. Ähnlich vage vermeldete die Nachrichtenagentur AFP am Montag “Rocker Doherty stimmt bei Konzert erste Deutschlandlied-Strophe an”, liefert aber freundlicherweise in der Dachzeile einen Baukasten mit den Stichworten “D/Musik/Leute/Nationalsozialismus” — auf dass ich jede Redaktion ihren Skandal selber bastle.

Noch ahnungsloser als die deutschen Boulevardmedien erwiesen sich nur die Schreiber des britischen Popmagazins “NME”, die fantasierten:

Doherty’s performance at they [sic!] city’s On3 Festival was reportedly cut short when he began singing a right-wing version of the German national anthem “Das Deutschlandlied” that has been prohibited since the end of the Second World War.

(Dohertys Auftritt beim Münchner On3-Festival wurde laut Berichten verkürzt, als er anfing, eine rechte Version der deutschen Nationalhymne ‘Das Deutschlandlied’ zu singen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verboten ist.)

Was war passiert? Peter Doherty, der derzeit als Solokünstler durch Deutschland tourt, war als Überraschungsgast beim Münchener “On3”-Festival des gleichnamigen Jugendsenders des Bayerischen Rundfunks eingeladen worden. Wie nüchtern Doherty zu diesem Zeitpunkt gewesen sein mag, darüber kann nur spekuliert werden. Allerdings war er offenbar klar genug, um zu verstehen, dass ein Teil des Publikums — vor allem wohl die Fans der Deutschrockband Kettcar — seinen Auftritt nicht sonderlich goutierte, worauf sich eine Art Dialog entwickelte zwischen dem zeitweilig in Krefeld aufgewachsenen und also des Deutschen mächtigen Sänger (“Ich spreche Deutsch. Ich verstehe — ich bin kein Dummkopf”) und dem desinteressierten bis krakeelenden Publikum. In diese schon recht aufgebrachte Atmosphäre hinein, schrammelte Doherty die Akkorde der österreichischen Kaiserhymne und sang “Deutschland, Deutschland über alles. Das Publikum, zurecht empört und entnervt, begann zu buhen, so dass der Bayerische Rundfunk Dohertys Auftritt bald beendete.

Soweit, so banal. Ob der Fauxpas nun dem möglichen Delirium Dohertys, fehlender Sensibilität oder mangelndem Wissen zuzuordnen ist, darüber mag ja diskutiert werden. Dass es aber recht unwahrscheinlich ist, dass jemand wie Doherty, der die britische Anti-Rassismus-Initiative “Love Music, Hate Racism” unterstützt, mit nationalsozialistischem Gedanken- oder Kulturgut sympathisiert, das hätte man recherchieren können. Wenn man gewollt hätte.

Denn der Skandal liegt im Falle der ersten Strophe des Deutschlandliedes nicht im Gegenstand, sondern weitgehend im Auge der Betrachter. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der 1841 auf der damals britischen Insel Helgoland den Text des “Liedes der Deutschen” auf die Melodie der österreichischen Kaiserhymne schrieb, zu unterstellen, sein Lied sei “eine Hymne an Hitler” oder eine “Nazi-Hymne”, das trifft den Kern nicht. Mit gleichem Recht könnte man auch die Autobahnen als “Nazi-Straßen” oder “Wege für Hitler” bezeichnen. Zudem Hoffmanns “Lied der Deutschen” nicht von Hitler, sondern vom ersten demokratisch gewählten deutschen Kanzler Reichspräsidenten — dem SPD-Politiker Friedrich Ebert — zur Hymne gemacht worden war. Hätte Pete Doherty das Horst-Wessel-Lied angestimmt, ja, dann wären die Nazi-Hitler-Überschriften vielleicht gerechtfertigt gewesen. Hat er aber nicht.

So aber funktioniert die Dialektik der Aufregung: Weil sich das Große im Kleinen spiegelt und Mahner ein ständiges “Wehret den Anfängen” raunen, wird aus einer Mücke ein Tyrannosaurus Rex gemacht. Unter dem Banner von Wehrhaftigkeit und Aufklärung geistert dann der so schön gruselige Geist des Dritten Reiches durch die billigen Gazetten, selbst wenn er da so gar nichts zu suchen hat. Und ganz im Sinne der Aufmerksamkeit darf sich die Boulevardjournalistin zweimal freuen — einmal, wenn sie sich den Skandal herbeischwadroniert. Und einmal, wenn sich der Protagonist dann für den vermeintlichen Skandal entschuldigt. Und so geschah es, und sueddeutsche.de, “Focus Online”, “RP Online”, die “Welt”, die “tz” und all die anderen, sie hatten wieder eine Seite mit irgendeinem Unsinn gefüllt und zugleich das gute, aber unberechtigte Gefühl, etwas im Kampf gegen den Faschismus getan zu haben.

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Auspackhilfe für den Ausbrecher

Die Suche nach den beiden Schwerverbrechern, die am Donnerstag aus der Justizvollzugsanstalt Aachen ausgebrochen sind, hat in den letzten Tagen Polizei, Bevölkerung und vor allem Medien in Atem gehalten.

Noch bevor heute Morgen der zweite Ausbrecher gefasst werden konnte, machte “Bild” mit einer packenden Geschichte auf:

Der Ausbrecher packt aus! - Die Pistole kaufte ich im Knast - Ein Wärter gab mir den Schlüssel - Seinen Kollegen fesselten wir mit Handschellen

Drei Tage lang war er auf der Flucht, dann wurde Geiselgangster Michael Heckhoff (50) gefasst. Sein Komplize Peter Paul Michalski (46) ist weiter auf der Flucht. Zuletzt jagte ihn die Polizei in Gütersloh.

In BILD spricht Heckhoff über die unglaublichen Umstände seines Ausbruchs, erzählt, wie einfach Michalski und er entkommen konnten: “Die Waffe haben wir im Knast von einem Mitarbeiter gekauft!”

In einem fast ganzseitigen Artikel kommt Heckhoff ausführlichst in direkter Rede zu Wort, aber wie genau “Bild” an die Aussagen kam, lässt Autor Josef Ley offen.

Die Kölner Polizei reagierte auf die Veröffentlichung mit einer knappen Pressemitteilung:

Die Polizei hat den Text der BILD-Zeitung und das dort veröffentlichte Foto zur Kenntnis genommen. Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass in dem Artikel Informationen verarbeitet sind, die unbefugt an die BILD-Zeitung gelangten.

Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet.

Ermittelt wird nach unseren Information zunächst einmal gegen Unbekannt.

Auf einer Pressekonferenz am Nachmittag sagte der Robert Deller, Pressesprecher der Staatsanwaltschft Aachen, ein Interview von “Bild” mit der Polizei oder dem Verhafteten Michael Heckhoff habe es “definitiv nicht gegeben”. Genauer ging er auf den Vorfall nicht ein, sagte aber, dass die (teilweise sehr detaillierten) Angaben von Heckhoff in “Bild” “nicht zutreffend sein” dürften.

Ebenfalls zum Thema:

  • blogmedien.de mit einem etwas anderen Schwerpunkt und einer persönlichen Dimension.

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber.

Tages-Anzeiger, N24, Anklam

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1. “Dürfen Zeitungen von Bloggern klauen?”
(teczilla.de, Bernd Kling)
Tagesanzeiger.ch schreibt einen Artikel offensichtlich aufgrund eines Blogeintrags von Teczilla.de: “Die Übernahmen durch den Tages-Anzeiger aber sind nicht etwa als Zitate gekennzeichnet, sondern erscheinen als eigene Leistung. Wenigstens eine freundliche Verlinkung zurück zur offensichtlich benutzten Quelle? Fehlanzeige, der anonyme (Um-)Schreiber lässt es einfach als sein ‘Werk’ erscheinen.”

2. “Offener Brief an den Vorstandsvorsitzenden Thomas Ebeling”
(nachrichtensindwichtig.blogspot.com)
Journalisten des TV-Senders N24 wenden sich gegen die Pläne von ProSiebenSat.1-Chef Thomas Ebeling, das Nachrichtenangebot drastisch zu kürzen, weil Nachrichten “nicht unbedingt” allen Zuschauern wichtig seien: “Diese Auffassung lehnen wir entschieden ab. Wir fordern, dass die größte private TV-Sendergruppe in Deutschland auch weiterhin ihrer Informationspflicht im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages gerecht wird.”

3. “Sollten freie Journalisten auf Twitter aktiv werden?”
(frei.djv-online.de)
Ein frischer, allerdings von einer gewissen Twitter-Ängstlichkeit geprägter Beitrag im “DJV freienblog”. Freiberufler würden beim Twittern Gefahr laufen, “durch das offenherzige Freigeben der eigenen Bezugsquellen (die angezeigten Tweets, denen man folgt) wie auch der Abonnenten (derjenigen, die einem folgen) schnell kopierbar zu werden.”

4. “Ideologie statt Recherchen”
(nzz.ch, ras.)
Rainer Stadler glaubt, dass die Annahme der Volksinitiative “Gegen den Bau von Minaretten” teilweise den mehr ideologischen als genau recherchierenden Schweizer Medien geschuldet sei: “Die Medien schauten nicht so genau hin, weil sie annahmen, die Vernunft würde in dieser politischen Auseinandersetzung sowieso obsiegen.”

5. “Deutschland, entblättert”
(zeit.de, Anita Blasberg und Götz Hamann)
Journalismus unter Druck: “Etwas Grundlegendes geschieht, nicht nur in Anklam, sondern im ganzen Land. In bislang nicht gekanntem Umfang entlassen Zeitungsverlage ihre Leute, schließen ganze Redaktionen, lagern sie aus, ersetzen fest angestellte Redakteure durch billige Leihkräfte.”

6. “Information goes out to play”
(news.bbc.co.uk, David McCandless, englisch)
Man muss Statistiken nicht immer in Balken darstellen – hier ein paar Ideen, wie man das auch machen kann.

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Schleichwerbung, im Dutzend billiger

Auf der Internetseite der Axel Springer AG steht noch die veraltete Version der “journalistischen Leitlinien” des Medienhauses, in denen es hieß:

Die Journalisten bei Axel Springer stellen gemeinsam mit dem Verlag sicher, dass eine Trennung von Anzeigen und Redaktion gewahrt wird.

Der Satz ist inzwischen geändert worden in:

Für den Discounter Lidl (und Geld) tun wir alles.

Nein, nur ein Witz. Axel Springer muss seine Selbstdarstellung nicht der Realität anpassen, weil die “journalistischen Leitlinien” nie als journalistische Leitlinien gedacht waren. Und so kann die “Bild”-Zeitung auch in diesen Tagen ihren jahrelangen Schönfärbe- und Schleichwerbe-Kurs mit dem Unternehmen Lidl fortsetzen.

Am vergangenen Samstag meldete das Blatt an prominenter Stelle auf Seite 1:

Und berichtete ebenso im redaktionellen Teil auf Seite 13:

Oder um es mit Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, zu sagen:

“[Unsere journalistischen Leitlinien] sind ein Schutzwall für unabhängigen Journalismus. Wir haben sie in einer Zeit eingeführt, in der der kommerzielle Druck auf Redaktionen immer größer wird. Jeder wird natürlich beobachten, wie wir damit umgehen — das macht uns angreifbarer als diejenigen, die still ihre faulen Kompromisse machen.”

Von “still” kann bei “Bild” in der Tat keine Rede sein.

Sternestunden des Journalismus

Kennen Sie das “Burj al Arab” in Dubai?

Sicher kennen Sie:

Ein grosser Hafen, eine internationale Airline und das weltweit einzige Sieben-Sterne-Hotel Burj Al Arab waren Ausdruck der Vision und sind teilweise wirtschaftliche Erfolgsgeschichten.
(“NZZ am Sonntag”, 29. November 2009)

Binnen weniger Jahre mauserte sich die Berichterstattung über seine künstlichen Inseln, die glitzernden Hochhaustürme (darunter selbstverständlich das demnächst höchste Gebäude der Welt) und natürlich ganz besonders das welterste “Sieben-Stern-Hotel” zu so etwas wie einem eigenständigen journalistischen Topos.
(“Kurier”, 28. November 2009)

[A]n Dubais Topstrand also, nicht viel mehr als einen Wasserpistolen-pumpstoß entfernt vom bisherigen Wahrzeichen des Emirats, dem weißen, segelförmigen Siebensternehotel Burj al Arab, das gerade zehn Jahre alt geworden und schon ein Mythos ist und höher aus dem Wasser ragt, als es der Eiffelturm tun würde.
(“Die Presse”, 27. November 2009)

Pünktlich zur Jahrtausendwende wurde in Dubai mit dem “Burj al Arab” das erste Sieben-Sterne-Hotel der Welt eröffnet;
(“Süddeutsche Zeitung”, 14. Oktober 2009)

Das Fotoprojekt von Lamya Gargash dokumentiert die Ein-Sterne-Hotels eines Landes, das vor allem für das Burj al Arab bekannt ist: das einzige Sieben-Sterne-Hotel der Welt.
(“Spiegel Online”, 15. Juni 2009)

Im berühmten 7-Sterne-Hotel Burj al Arab gab es am Montagabend einen Empfang für die deutschen Gäste. Vielleicht trösten Glanz und Pracht des Bauwerks ein wenig über die Strapazen der Reise hinweg.
(stern.de, 2. Juni 2009)

Jetzt ist es raus: Der 96 m hohe gläserne Hotelturm im Palais Quartier wird ein Juwel. Gepachtet und gemanagt von der Luxushotelgruppe Jumeirah. Die betreibt auch das Burj Al Arab in Frankfurts Partnerstadt Dubai, das einzige 7-Sterne-Hotel der Welt.
(“Bild”, 30. April 2009)

Aber wissen Sie auch, wie viele Sterne das “Burj al Arab” in Dubai hat?

Der General Manager verrät es Ihnen gerne in einem Werbetext, den die Deutsche Presseagentur anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Hotels verbreitet hat (und unter anderem bei n-tv.de, “RP Online”, “Welt Online” und Sueddeutsche.de veröffentlicht wurde):

“Das Hotel hat einen eigenen Mythos. Wir haben nie behauptet, dass wir ein Sieben-Sterne Hotel sind. Das hat man uns nachgesagt”, erzählt Heinrich Morio, der General Manager des “Burj Al Arab”.

Nun könnte man natürlich sagen, dass so ein bisschen Understatement den ganzen Luxus des Hotels noch mal ein bisschen mehr strahlen lässt. Andererseits gibt es aber tatsächlich ein “weltweit einziges” und “welterstes” Sieben-Sterne-Hotel.

Das Schweizer Zertifizierungsunternehmen SGS hat im März 2007 eine neue Klasse eingeführt und die “Town House Galleria” in Mailand im darauf folgenden Dezember mit sieben Sternen ausgezeichnet.

Zumindest bei “Spiegel Online” und Bild.de hätte man das wissen können — zumal man dort bereits im Oktober 2008 berichtete, dass sich “mehr und mehr Luxushotels” mit sieben Sternen schmückten.

Damals schrieb Bild.de übrigens:

Weltweit gibt es offiziell nur einen bis fünf Sterne.

Diese Aussage ist weder falsch noch richtig, denn “weltweit” gibt es gar keine weder eine zentrale Sternvergabestelle noch einheitliche Qualitätskriterien. Letzteres hat die Welt der Hotels mit der des Journalismus gemein.

Mit Dank an Mario Z.!

PR, Tagesschau, Greenpeace

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1. “Die PR-Branche und ihre Tricks”
(ndr.de, Video, 8:32 Minuten)
Wie Bürgerinitiativen von Politikern initiiert und von PR-Büros organisiert werden, wie die PR-Beauftragte der Deutschen Bahn in Foren als Kommentatoren aktiv sind und wie Ursula von der Leyen einen Preis für PR-Leistungen kriegte.

2. “Zehn Jahre sind genug!”
(georgholzer.at)
“Dies hier ist ein öffentliches Posting, in dem ich von ALLEN Presseverteilern dieser Welt gelöscht werden will. Ein Link zu diesem Blogpost geht als Auto-Reply an alle, die mir künftig Presseaussendungen zukommen lassen.”

3. “Tagesschau: So macht man Politik mit Schaubildern”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Robin Meyer-Lucht vergleicht von der ARD-Tagesschau gezeigte Grafiken zum Fall Brender und sieht darin “eine deutlich geschönte Darstellung der Verhältnisse im ZDF-Verwaltungsrat”.

4. “Greenpeace jetzt für Gentechnik?”
(blogs.taz.de/saveourseeds)
Der taz-Blogger saveourseeds kauft sich aufgrund der Pressemitteilung “Neuer Greenpeace-Chef kündigt Strategiewechsel an” den “Spiegel”, sieht das dann aber aufgrund des konkreten Interviews nicht bestätigt – “von Strategiewechsel (ausser dass er jetzt öfter mal hungerstreiken will) ist wenig zu erkennen”.

5. “Der Glückliche”
(faz.net, Michael Hanfeld)
Michael Hanfeld glaubt, dass “Bild”-Chef Kai Diekmann mit seinem Blog “Ihr alle seid ‘Bild'” aufzeigen will – und damit auch teilweise Erfolg hat, zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit der “taz”: “Die Posse mag noch so peinlich scheinen, sie erschüttert die linke ‘taz’ in ihren Grundfesten. So humorlos, dumm und selbstgefällig erschien sie lange nicht. Den ‘taz’lern hätte Böses vielleicht schwanen sollen, als ihr Intimfeind Diekmann im Mai Anteile der Genossenschaft kaufte.”

6. “Themenpark: Meinungsmacher”
(dctp.tv, Videos)
Stefan Niggemeier, Sascha Lobo, Markus Beckedahl, Johnny Häusler und Jakob Augstein im Gespräch.

Die Rückkehr der “naturgeilen Nymphen”

Über drei Jahre ist es her, dass Christian Bommarius in der “Berliner Zeitung” mit der “Bild”-Zeitung abrechnete. In der Rezension einer anderen Abrechnung mit der “Bild”-Zeitung schrieb er:

Kein deutsches Medium versteht sich besser auf das Geschäft mit der Lüge, der Heuchelei, dem Rufmord und der Zuhälterei mittels “Bumskontakten” als die Bild-Zeitung. Der Blick des Voyeurs ist ihre Perspektive, die Umwidmung der Welt zur Jauchegrube ihr heiligstes Anliegen. (…) Kein Tag vergeht, an dem nicht ein Politiker, eingebettet zwischen “naturgeilen Nymphen” und “megaheißen Citymäusen”, eine Position einnimmt, allen voran Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Spätestens seit Papst Johannes Paul II. aus den Händen des “Bild”-Herausgebers und Chefredakteurs Kai Diekmann die “Volksbibel” empfing, ist auch der Pakt zwischen Hochaltar und Rinnstein besiegelt.

Kai Diekmann ist ein nachtragender Mensch, und als der Künstler Peter Lenk dem bigotten Tun des “Bild”-Chefredakteurs jetzt mit einem Relief am Redaktionsgebäude der “taz” ein Denkmal setzte, nutzte Diekmann die Gelegenheit, es Bommarius heimzuzahlen. Er münzte die Darstellung seiner eigenen Person auf den Kritiker, zeigte ein Foto von ihm und beschrieb ihn in seinem Blog so:

Christian Bommarius, Sexperte der Berliner Zeitung, der sich so gerne in einschlägigen Kleinanzeigen (“naturgeile Nymphen”, “megaheiße Citymäuse”) vertieft.

Laut einem Bericht der “Süddeutschen Zeitung” hat Bommarius beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen das unter Diekmanns Namen geführte Blog der Axel Springer AG erwirkt. Der dortige Eintrag ist entsprechend geändert. Auch zahlreiche weitere Behauptungen und Schmähungen haben die Gegner, an denen sich Diekmann in seinem Blog abarbeitet, ihm inzwischen erfolgreich untersagt.

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