Sarrazin, Schwalbenschwänze, Abmahnungen

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bekenntnis zu Sarrazin”
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Michael Spreng hätte, anders als “Bild” und “Spiegel”, das derzeit in vielen Medien verhandelte Buch “Deutschland schafft sich ab” von Thilo Sarrazin nicht vorabgedruckt. “Ohne die beiden spektakulären Vorabdrucke wäre der Aufmerksamkeitspegel nicht über Normalmaß gestiegen: Sarrazins Buch wäre ohne sie nicht über den Zweispalter im Politikteil oder im Feuilleton hinausgekommen, Sarazin hätte sein Buch nicht vor 250, sondern vor maximal 50 Journalisten vorgestellt, er wäre nicht die Spitzenmeldung aller TV-Nachrichten geworden.”

2. “Keine Sympathien für ein Leistungsschutzrecht”
(nzz.ch, ras.)
Die “NZZ” zählt fünf Gründe gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger auf: Die Urheberrechte sind bereits geschützt, niemand ist gezwungen, Inhalte kostenlos anzubieten, niemand muss sich von Suchmaschinen finden lassen, der freie Fluss des digitalen Markts kann nicht verboten werden, das Gesetz wäre als Gebührenerhebungssystem ein “grenzüberschreitendes bürokratisches Monster”.

3. “Abmahnungen gegen Blogs”
(spiegel.de, Frank Patalong)
Frank Patalong stellt die Firma Righthaven LLC vor: “Das Unternehmen wurde gegründet, um Blogs gezielt wegen der Verletzung von Coyprights zu verklagen.”

4. “Kleine Formate ganz groß”
(journalist.de, Videos)
Christian Bartels und Svenja Siegert stellen gelungene Web-Experimente von Journalisten vor.

5. “Off topic? Die siamesischen Falter”
(ag-athe.at)
Ein Artikel in der “Kronen Zeitung” über Schwalbenschwänze erheitert derzeit Biologen.

6. “Kleider machen heute”
(juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier analysiert die Bekleidung von Moderatorinnen bei ARD und ZDF.

Tolle Reise auf tollem Schiff

Es war eine “tolle Fahrt in einem Doppelstockbus”, bevor die Reporterin das Schiff bestieg. Dort ist dann alles “supertoll, weil alles leuchtet und glänzt und die Treppenstufen mit Glitzersteinen verziert sind”. Der Balkon in der Kabine war “toll”, die Büffets “sehr lecker”, der Kellner “sehr lustig” und die Shows im Bord-Theater “toll”.

Klar, dass ihr Fazit über die Mittelmeer-Kreuzfahrt mit der “MSC Fantasia” da lautet:

Ich fand die Reise mit diesem großen Schiff toll, vor allem, weil ich so gerne auf das Meer schaue.

Was die Reisereportage im “Münchner Merkur” von dem Lobhudel-Journalismus unterscheidet, den man sonst im Bezug auf Kreuzfahrten leider schon fast gewohnt ist, ist die Autorin: Heidi ist erst elf Jahre alt und als “Kinderreporterin” im Einsatz.

Oder wie es der “Merkur” ausdrückt:

Immer, wenn Ferien sind, schicken wir die Kinderreporter los, damit sie uns von den Reisezielen dieser Welt berichten. In diesem Jahr geht es um Kreuzfahrten.

Weil wir wissen wollten, was das bedeutet, haben wir beim “Münchner Merkur” nachgefragt. Die Redaktion erklärt uns, dass im Frühjahr Reisen ausgelobt würden, “für die sich die Kinder ganz offiziell bewerben können.”

Aus allen Bewerbungen wählt ein Team aus Redakteuren die jeweiligen Reporter nach Eignung und Fähigkeit aus. Die Reisen werden natürlich, das ist auch bei professionellen und hauptberuflichen Reisereportern meistens der Fall, von Veranstaltern unterstützt, was der Objektivität der Berichterstattung allerdings nicht im Wege steht. Von den Kindern (sie sind in keinem Fall mit einem Redaktionsmitglied verwandt oder sonstwie verbunden) wird keine positive Berichterstattung erwartet.

Man kann es einem elfjährigen Mädchen nicht übel nehmen, dass sie von einer Kreuzfahrt (mutmaßlich ihrer ersten) begeistert ist und letztlich alles – mit Ausnahme von Neapel (dreckig) und Landausflügen (teuer) – “toll” findet. Aber wenn der “Merkur” ihren euphorischen Text über die “MSC Fantasia” abdruckt und im Internet gleich die Website verlinkt, auf der man die Reise buchen kann, ist das vermutlich effektiver als jede offizielle Anzeige, die die Reederei hätte schalten können.

Mit Dank an Hans P.

Der Täter ist immer ein Schüler

Ereignisse, die gerade im Moment stattfinden, sind nicht immer leicht zu durchblicken. Gerade Amokläufe haben die Tendenz, wegen ihrer willkürlichen, oft extremen Gewalt zumindest anfangs sehr unübersichtlich zu sein. Idealerweise hat der Schutz der Bevölkerung, die Entwaffnung des Täters und die Versorgung von Verletzten auch Vorrang vor einer korrekten, detaillierten Berichterstattung der Situation.

Als es gestern in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zu einer Schießerei kam, war längere Zeit unklar, was überhaupt los war. Die Deutsche Presseagentur (dpa) vermeldete um 14.22 Uhr:

Die Tageszeitung “SME” berichtete auf ihrer Internetseite, der Täter sei ein 15-jähriger Drogensüchtiger. Er habe sich anschließend selbst getötet.

Um 15.27 Uhr hieß es plötzlich:

Der etwa 50 Jahre alte Mann habe mit einer Maschinenpistole und zwei Gewehren in einer Wohnung zunächst fünf Menschen erschossen und dann auf dem Weg nach draußen einen weiteren Mann.

In diesem Chaos kann man es den Machern von Bild.de kaum übel nehmen, dass auf ihrer Startseite zu diesem Zeitpunkt folgender Teaser zu sehen war:

Schüler (15) feuert mit MP um sich: 6 Tote

Der dazugehörige Artikel wurde im Laufe des Tages mehrfach überarbeitet und an den aktuellen Erkenntnisstand angepasst. Allerdings nicht vollständig.

Und so heißt es auch heute noch in der Bildergalerie unter dem Foto des 50-jährigen Täters:

Schüler ballert um sich: 6 Tote in Bratislava

Mit Dank an Paul Z., Klaus H. und den anderen Hinweisgeber.

Sarrazin, RTL-Videotext, Jessen

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1. “Sarrazin führt Deutschland vor”
(konjovic.de, Georg Konjovic)
“Es steht 5:0 für Thilo Sarrazin im Spiel ‘Provokanter Autor’ versus ‘Hysterie-süchtige Republik’.”

2. “Sarrazin und die Medien: Pure Heuchelei”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Für Robin Meyer-Lucht hatte die “Huldigung in Blitzlichtgewittern” anlässlich der Pressekonferenz zur Buchvorstellung von Thilo Sarrazin etwas Bedrückendes. Der Journalismus renne “sklavisch der Gier des Publikums nach”, denn Sarrazin sei “aus dem Stoff gemacht, der Auflage bringt”, ein “Auflagen- und Aufmerksamkeitsgoldstück”. Siehe dazu auch “Ein Abgrund an Journalismus-Verrat” (blog-cj.de, Christian Jakubetz).

3. “Reisebetrug über RTL-Videotext”
(ndr.de, Video, 7:20 Minuten)
Eine auf RTL Videotext geschaltete Werbeanzeige für Urlaubsreisen stellt sich als betrügerisches Angebot heraus.

4. “Vom Mordopfer ein falsches Bild machen”
(derstandard.at, Harald Fidler)
“Krone”, “Österreich” und “Kurier” veröffentlichen ein Bild einer ermordeten Frau, das unter ihrem Namen bei Facebook zu finden war. “Ob es tatsächlich die Seite des Opfers war, oder, wofür es Hinweise gibt, einer Frau gleichen Namens gehört, war Sonntag nicht zu eruieren.”

5. “Die häufigsten Fehler der taz-Autoren”
(blogs.taz.de/hausblog, Matthias Fink)
“Der häufigste Fehler ist aber sicher das Auseinanderschreiben von allem und jedem. Selbst wer weiß, dass die reine Getrenntschreibung nicht das Wahre ist, setzt oft nur einen Bindestrich, wobei ‘Heinrich Heine-Straße’ mit ‘Heinrich-Heine Straße’ konkurriert.”

6. “Sag beim Abschied leise Servus!”
(zeit.de, Jens Jessen)
“Zeit”-Feuilletonchef Jens Jessen mahnt zur Zurückhaltung beim Ausstand nach dem Praktikum. “Als ich zum Ende meiner Hospitanz bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mehrere Bleche Pflaumenkuchen servierte, wurde dieser zwar gerne gegessen – aber vielleicht auch zu gerne, denn der Feuilletonchef verabschiedete mich mit den Worten, dies sei der beste Artikel, den ich bisher abgeliefert hätte.”

In 80 Fehlern um die Welt (1-3)

Seit dem Siegeszug des Internets ist die Welt ja angeblich kleiner geworden — übersichtlicher aber offenbar nicht, wie drei aktuelle Geographie-Fehler verschiedenster Medien beweisen:

Bild.de:

Stürmer Dimitar Rangelov (27) steht zwar im 18-er Aufgebot, doch auch seine Tage in Dortmund sind gezählt. BILD erfuhr: Dem Rumänien wurde ebenfalls vom BVB nahe gelegt, sich ausleihen zu lassen. Angeblich soll Freiburg Interesse haben…

Mal davon ab, dass Dimitar Rangelov natürlich nicht ganz “Rumänien” ist, ist er auch nicht Rumäne, sondern Bulgare.

* * *

“Kölner Stadtanzeiger”:

Slowenien

Das mit “Slowenien” beschriftete Land ist die Slowakei — und in deren Hauptstadt Bratislava fand auch der besagte Amoklauf statt.

* * *

tagesschau.de:

Im westafrikanischen Benin wurden Tausende Menschen finanziell ruiniert, weil sie einem windigen Finanzunternehmen Glauben schenkten. (…) In der Hauptstadt Cotonou spielen sich seit Tagen ergreifende Szenen ab.

Die Hauptstadt Benins heißt Porto Novo, Cotonou ist der Regierungssitz.

Mit Dank an Jan Sch., Simon B., Sebastian und Gregor K.

Nachtrag, 16.24 Uhr: Bei ksta.de heißt die Slowakei jetzt auch “Slowakei”.

2. Nachtrag, 21.01 Uhr: In der Zwischenzeit hat auch tagesschau.de Cotonou zum Regierungssitz ernannt.

Schlechte Luft

Eine Woche, nachdem der “Spiegel” einen Vorabdruck des neuen Buchs von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin veröffentlicht hatte (“Bild” hatte im Laufe der Woche das gleiche getan), wurde das Buch heute endlich offiziell vorgestellt — begleitet von Livetickern auf “Spiegel Online” und Bild.de.

Auch sonst geben sich die Medien viel Mühe, die von ihnen selbst entfachte Kontroverse um den früheren Berliner Finanzsenator umfangreich auszuschlachten abzudecken: “Spiegel Online” hat da zum Beispiel eine Bildergalerie vorbereitet, die die Proteste gegen Sarrazin bei dessen Buchpräsentation zeigt.

Demonstrant in Berlin: Begleitet von einem Polizeiaufgebot machten einige Bürger ihrem Ärger Luft.

stand da erst, dann:

Demonstrant in Berlin: Begleitet von einem Polizeiaufgebot machten die Bürger ihrem Ärger Luft. Unterstützt wurde die Veranstaltung von Politikern der SPD, der Grünen, der Linken sowie Gewerkschaftsvertretern.

Das wäre gar nicht weiter erwähnenswert — wenn, ja wenn das dazugehörige Foto nicht etwas ganz anderes zeigte:

Danke Thilo! www.pi-news.net

Nicht nur, dass der Demonstrant sich offensichtlich bei Sarrazin bedankt — er hat auch gleich noch die Webadresse der islamophoben Hassseite “Politically Incorrect” auf sein Schild gekritzelt.

Inzwischen hat “Spiegel Online” offenbar bemerkt, was für Inhalte da (wieder mal) unbesehen in eine Bildergalerie gerutscht waren, und hat das Foto durch ein ganz anderes ersetzt.

Mit Dank an Tobias B. und Reemt R.

Wörterbuch Deutsch/”Österreich”isch

Die Sängerin Nadja Benaissa ist in der vergangenen Woche vom Amtsgericht Darmstadt zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und 300 Stunden Sozialarbeit verurteilt worden, weil sie einen früheren Partner mit dem HI-Virus infiziert hatte.

Oder wie es die österreichische Boulevardzeitung “Österreich” am Freitag auf ihrer Titelseite ausdrückte:

No-Angels-Sängerin Nadja: Freispruch für den Aids-Engel

Mit Dank an Gerhard A.

Finanzjournalismus, Groschenromane, Mathias

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1. “Bilanzen, Blödsinn und Bernanke”
(markusgaertner.com)
Wie gehen Finanzjournalisten mit Zahlen um, fragt sich Markus Gärtner: “Wir lassen uns von Ämtern, Investmentbanken und Lobbyorganisationen wie Verbänden mieses Zahlenmaterial andrehen und nehmen es für bare Münze. Wir haben auch keine Zeit, tiefer in dicken Quartals- und Jahresberichten zu graben. Das habe ich erst richtig gemerkt, als ich anfing diesen Blog aufzubauen und Themen zu recherchieren, für die Zeitungen keine Zeit haben.”

2. Interview mit Gisela Friedrichsen
(tagesspiegel.de, Thomas Eckert und Joachim Huber)
“Spiegel”-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen wird gefragt, ob sie bereits in der Rolle der “Kachelmann-Expertin” sei: “Plappern Sie doch nicht so dummes Zeug nach! Sie beleidigen mich! Im Fernsehen gibt es nur ‘Experten’: Adelsexperten, Terrorismusexperten, Geheimdienstexperten, Gesundheitsexperten, Asienexperten etc. Dass ich nicht lache: Kachelmann-Expertin! Ich kenne diesen Herrn nicht. Ich werde den Prozess gegen ihn beobachten, wie ich tausend andere Prozesse auch beobachtet habe. Über den Fall habe ich bisher einen einzigen kurzen Kommentar geschrieben …”

3. “Für wie blind hält Sky eigentlich den Zuschauer?”
(sportmedienblog.de)
Das Sportmedienblog stellt fest, dass die Bundesligakonferenz “- anders als beworben – gar nicht vollständig in nativem HD ausgestrahlt” wird.

4. “Mächtige Burschen, raue Gesellen”
(sueddeutsche.de, Katharina Riehl)
Katharina Riehl besucht einen Schreiber von Groschenromanen: “Die Welt von Dieter Walter ist eine Wohnung am Stadtrand von Augsburg. Ein kleines Wohnzimmer mit freundlichen Stofftieren, an der Tür hängt ein rotes Stoffherz mit der Aufschrift ‘Ich liebe dich’, an den Wänden Fotos von ihm und seiner philippinischen Ehefrau.”

5. “Probieren statt kopieren”
(fr-online.de, Peer Schader)
Peer Schader porträtiert die Firma Brainpool aus Köln, die hinter Sendungen wie “TV Total”, “Unser Star für Oslo” und “Ladykracher” oder Serien wie “Pastewka” oder “Stromberg” steht.

6. “Mathias”
(shripsinn.blogspot.com)
Shrip entdeckt in der “taz” einen Mathias.

Journalisten im Drogerierausch

Über “Spiegel Online” heißt es häufig, Fehler würden dort schnell und transparent korrigiert.

Schnell ging es offenbar wirklich, den Fehler im Vorspann dieses Artikels zu korrigieren:

Schlecker bleibt unter Druck. 150.000 Datensätze von Online-Kunden der Drogeriekette konnten im Internet abgerufen werden. Die Sicherheitslücke ist zwar inzwischen geschlossen. Doch nun ist öffentlich, dass neben der Allianz und dem Finanzministerium auch der SPD-Vorstand dort einkauft.

Der letzte Satz war, höflich ausgedrückt, Unfug — und deshalb auch nach wenigen Stunden wieder gelöscht.

Richtig ist, was im Artikel steht:

Der für die Panne verantwortliche Online-Dienstleister der Drogeriekette hatte dem Bericht zufolge auch das Finanzministerium, den Versicherungskonzern Allianz, das Bundesverwaltungsgericht und den SPD-Parteivorstand als Kunden.

So steht es auch in dem Artikel in “Bild”, auf den sich “Spiegel Online” beruft:

Brisant: Der Online-Dienstleister, bei dem die Schlecker-Daten ungesichert liegen, berät auch Bundesministerien, das Bundesverwaltungsgericht, die Allianz und den SPD-Parteivorstand.

Transparent wurde da allerdings (mal wieder) nichts korrigiert: Der irreführende Satz wurde einfach aus dem Vorspann getilgt und gut war’s.

Anderseits ist das immerhin mehr, als beim wortgleichen Artikel auf manager-magazin.de geschehen ist, wo es immer noch heißt:

Schlecker: Auch die SPD und die Allianz kaufen bei Schlecker ein. Schlecker bleibt unter Druck. 150.000 Datensätze von Online-Kunden der Drogeriekette konnten im Internet abgerufen werden. Die Sicherheitslücke ist zwar inzwischen geschlossen. Doch nun ist öffentlich, dass neben der Allianz und dem Finanzministerium auch der SPD-Vorstand dort einkauft.

Mit Dank an Peter A., Alexander S., Markus E. und André H.

Nachtrag, 28. August: Das “Hamburger Abendblatt” schreibt heute in seiner Printausgabe:

Laut “Bild”-Zeitung umfassten die Datensätze Vor- und Nachnamen, Adresse, Geschlecht, E-Mail-Adresse und Kunden-Profil sowie 7,1 Millionen E-Mail-Adressen von Newsletter-Kunden der Drogeriefirma. Zu den Kunden gehörten demnach das Finanzministerium, die Allianz, das Bundesverwaltungsgericht und der SPD-Parteivorstand.

Und tagesschau.de berichtete schon gestern:

Zwar sei der Fehler inzwischen behoben, sagte ein Sprecher des Unternehmens. Bekannt ist aber nun, wer alles bei Schlecker einkauft. Zum Beispiel das Finanzministerium.

Mit Dank an Jürgen K. und Tobias P.

2. Nachtrag, 29. August: Und der Deutschlandfunk meldete gestern:

Zu den Online-Kunden sollen unter anderem das Finanzministerium, das Bundesverwaltungsgericht und der SPD-Parteivorstand gehören.

Mutti, ich bin im Buch!

Vermutlich sind letztlich Bastian Sick und die Süddeutsche Verlagsgesellschaft schuld. Schließlich war es vor einigen Jahren die Idee des SZ-Verlags gewesen, das Verlagsbudget mit der 100-teiligen “Süddeutsche Zeitung Bibliothek” aufzustocken. Und schließlich war es Bastian Sick gewesen, der Autor der oberlehrerhaften “Spiegel Online”-Kolumne zu sprachlichen und grammatikalischen Schludrigkeiten, der die Sammlung, Ordnung und Kommentierung von Leserzuschriften zur Marktreife geführt hatte. Man muss dem Respekt zollen: Den Lesern ihre eigenen Einsendungen kostenpflichtig anzudrehen, das muss man ja auch erst einmal schaffen.

Aber wie dem auch sein mag, die Verknüpfung und Perfektion beider Ideen darf sich “Spiegel Online” auf die Fahnen schreiben.

Wer nämlich beispielsweise in dieser Woche den Beitrag “Schräge Schilder – Vorsicht, Laternenmast von achtern” auf “Spiegel Online” las, der bekam als Dienstleistung am Leser sogleich eine freundliche Serviceleistung des Spiegel Verlages mitgeliefert — in Form eines kleinen Kastens, der nicht nur auf das Buch “Schräge Schilder” in der Edition “Spiegel Online” verweist, sondern auch einen ganz besonders freundlichen Link direkt zum Spiegel-Shop beinhaltete:

Spiegel-Online-Buchtipp: Schräge Schilder

Weil man aber so einen kleinen Kasten schnell mal übersieht, waren die Damen und Herren bei “Spiegel Online” so nett und haben auch in der Bildergalerie zum zugehörigen Text einen dezenten Hinweis auf das bestimmt sehr lustige Buch versteckt:

Mehr als 150 der schrägsten aller Schilder — Im Spiegel Shop und im Handel erhältlich

Dieses Prinzip ist bei “Spiegel Online” weder ein Einzelfall noch neu. Im Spiegel-Shop finden sich insgesamt immerhin 18 Titel, die Inhalte von “Spiegel Online” in Buchform zusammenfassen und die entsprechend bequem direkt auf der Plattform selbst beworben werden können – und da sind drei “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod”-Spiele sowie die zehn Hörbücher mit “Spiegel Online”-Inhalten noch nicht einmal eingerechnet.

Bereits im April wurde beispielsweise auf ähnliche Weise das ebenfalls “bequem im Spiegel-Shop” zu bestellende Buch “Sorry, wir haben die Landebahn verfehlt” angepriesen. Ein Buch, das nach Angaben von “Spiegel Online” “die lustigsten Flugzeug-Erlebnisse von Spiegel Online-Lesern” versammelt.

Eine erkennbare Unterscheidung zwischen Werbung und redaktionellem Beitrag war auch damals nicht auszumachen. Auf der Startseite wurde das “Thema” selbst angekündigt, samt einer redaktioneller “Themenseite”, die überraschenderweise den selben Titel wie das Buch trug:

Kurioses aus dem Cockpit: "Ihr Ankunft-Gate ist auch Ihr Absturz-Gate". In der Luft sind Pilotenversprecher manchmal gar nicht lustig. Aber nach der Landung... - ein SPIEGEL-ONLINE-Buch über kuriose Cockpit-Ansagen provozierte Leser zur Dokumentation neuer Höhenflüge. Wie würde es Ihnen gehen, wenn Sie hören: "Liebe Fluggäste, gerade kam es zum Totalabsturz"?

Auf der Beitragsseite selbst war dann ein freundlicher Hinweis auf das Buch zu sehen, der direktemang zum Spiegel-Shop führte:

Die lustigsten Flugzeug-Erlebnisse von SPIEGEL-ONLINE-Lesern - jetzt auch als Buch und Hörbuch!

Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis im Spiegel-Shop auch die schlauesten Kommentare zu allen Themen der “Spiegel Online”-Foren zum Kauf angeboten werden werden. Aber keine Sorge, Sie werden davon erfahren — die kritischen Reporter von “Spiegel Online” werden mit Sicherheit eine Themenseite anlegen und ausführlich berichten. Wie das gute Journalisten eben tun.

Mit Dank auch an Kristian S.

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