Archiv für Mai 25th, 2017

Drei heiße Tipps fürs Sommerloch

Es beginnt immer damit, dass irgendjemand aus der Redaktion an einem Montagmorgen feststellt: Gar nicht so viel los heute. Vier Kollegen im Urlaub. Um 10 Uhr keine Pressekonferenz. Und anscheinend auch sonst keine Termine. Dann schauen sich die Redakteure den Kalender noch einmal ganz genau an und sehen, dass sich daran auch in den darauf folgenden Tagen nichts ändern wird. Zwei Stunden später versiegt überraschend der E-Mail-Fluss. Aber daran, dass die Penis-Verlängerungsangebote auch weiterhin im Minutentakt eintrudeln, ist zu erkennen, dass es an der Technik wohl nicht liegen wird. Und so wird langsam allen klar: Das muss das Sommerloch sein.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Das Sommerloch öffnet sich in jedem Jahr ungefähr zur gleichen Zeit, kommt aber trotzdem immer unerwartet. Kein Redakteur hat je damit gerechnet. Daher ist auch noch nie etwas vorbereitet worden. Es müssen schnelle Lösungen her.

Vor allem Lokalredaktionen haben das Glück, sich in diesem frühen Stadium noch ein paar Tage mit Umfragen über Wasser halten zu können. Freie Mitarbeiter schwärmen in die Fußgängerzonen aus, um dort Menschen, die für einen kurzen Moment unachtsam sind, um ihren Content zu erleichtern:

“Was ist Ihre Lieblings-Eissorte?”

“An welchem Ort genießen Sie die Sonne?”

“Wohin geht’s dieses Jahr in den Urlaub?”

Viele Leser warten schon seit Monaten darauf, dass diese Fragen endlich beantwortet werden. Die Redakteure wissen das natürlich und räumen den Umfragen entsprechend viel Platz ein. Aber nach ein paar Tagen geht auch dieser Vorrat zur Neige. Und dann bleibt nur noch eine allerletzte thematische Reserve: getürmte Tiere im Tümpel.

Sobald die Nachricht die Runde macht, dass wieder irgendein Viech ausgebüxt ist, sprechen sie in den Redaktionen die ersten Gebete, es möge bitte so lange wie möglich verschollen bleiben, damit sein Verschwinden auch in den nächsten Tagen noch Anlass für Berichte über die Suchaktionen, das weitere Vorgehen und Spekulationen liefert. Meistens wird es dann aber doch schnell wiedergefunden.

Das stellt die Redaktion vor größere Probleme, denn wie soll es weitergehen — ganz ohne Inhalte? Das rettende Ufer des Ferienendes ist noch nicht mal in Sichtweite. Es herrscht Ratlosigkeit. Die Redaktion stürzt in eine tiefe Krise. Und da kommen wir ins Spiel.

Hier wären drei praktische Tricks, die in Not geratenen Redaktionen garantiert helfen, das Sommerloch zu überwinden …

1. Die Ausschluss-Frage
Schauen Sie doch mal nach, ob im Postfach noch zwei Polizei-Meldungen liegen. Irgendwas aus den vergangenen Tagen. Der Handtaschen-Raub in der Innenstadt, der angefahrene Hund an der Gartenstraße. So was in der Art. Sie wissen schon. Haben Sie was gefunden? Gut. Dann rufen Sie doch mal die Polizei-Pressestelle an und fragen:

“Können Sie ausschließen, dass es zwischen den Taten einen Zusammenhang gibt?”

Können sie nicht? Aha. Das ist ja interessant. Vielleicht können die Polizisten sogar nicht einmal ausschließen, dass dieser Täter auch für den umgeworfenen Grabstein auf dem Friedhof neulich verantwortlich war und für den Sparkassen-Überfall am vergangenen Dienstag? Finden Sie nicht, dass Ihre Leser das wissen sollten? Schreiben Sie es auf — am besten so, wie der Polizei-Pressesprecher es Ihnen gesagt hat.








Und wo Sie den Mann schon mal dran haben: Fragen sie doch mal, ob die Polizei ausschließen kann, dass der Taschendieb neulich im Stadtpark ein Triebtäter war. Kann die Polizeistelle auch nicht ausschließen? Oha. Das ist dann ja vielleicht sogar was für die Seite eins.

2. Die Metamorphosen-Meldung
Sie finden gar keine Polizei-Meldungen in Ihrem Postfach? Kein Problem. Auch für den Fall hätten wir was. Haben wir hier im vergangenen Jahr schon erwähnt. Ist aber immer noch aktuell. Die Ausschnitte hier sind erst ein paar Tage alt.








Und warum soll das Format nicht auch in anderen Ressorts funktionieren?

Vielleicht haben Sie noch Fotos, die den Stadtpark im Winter zeigen. Vielleicht finden Sie sogar noch welche aus dem Herbst. Machen Sie eine Serie draus. So sieht der Stadtpark doch jetzt nicht mehr aus, oder?

Oder machen Sie einen Screenshot von Ihrer Nachrichten-Website. Mit jeder neuen Meldung in ihrem Angebot wird der historische Screenshot zu wertvollem Content.

Ach, und fragen Sie die Kollegen aus dem Sport. Suchen Sie sich die Tabelle der Fußball-Landesliga raus, am besten die von vor drei Wochen. Da hat sich doch kurz vor Saison-Ende noch einiges getan, oder? Sehen Sie. Die Leute lesen so was.

Und wenn die Kollegen aus dem Sport gerade im Urlaub sind, auch nicht schlimm. Fotografieren Sie einen Politiker, geben Sie ihm einen Kamm in die Hand, und danach fotografieren Sie ihn noch mal. Das geht ganz schnell. Und das funktioniert auch im überregionalen Politik-Teil.

Sagen Sie das am besten auch den Kollegen aus den anderen Ressorts. Die freuen sich. Bei denen ist über die Sommermonate ja auch nicht viel los.

3. Spekulative Hard Facts
Die Metamorphosen-Meldung gefällt Ihnen auch nicht so gut? Dann hätten wir noch einen dritten Vorschlag. Der ist garantiert was für Sie. Gibt es nicht noch irgendeine Meldung, die Sie wirklich gerne bringen würden? Denken Sie mal nach. Diese Brücke, die schon so lange gesperrt ist, die müsste doch langsam mal wieder freigegeben werden. Oder diese Straße. Irgendwie hat man auch den Eindruck, dass das Freibad demnächst für länger schließen könnte. Oder? Und in Richtung der Straßenbahn-Haltestelle hat’s doch gestern Abend so einen lauten Knall gegeben. Klang das nicht ein bisschen wie ein Pistolenschuss? Finden Sie auch? Will aber keiner bestätigen? Egal. Schreiben Sie’s einfach. Die anderen machen’s ja auch. 




“Das habe ich aber nicht gesagt”

Die Fußballer des SC Freiburg haben am letzten Bundesligaspieltag zwar 1:4 gegen den FC Bayern München verloren, insgesamt haben sie aber eine ziemlich gute Saison gespielt. In der Abschlusstabelle stehen die Freiburger auf Rang 7 und können noch, vorausgesetzt Borussia Dortmund gewinnt am Samstag den DFB-Pokal, auf die Qualifikation für die Europa League hoffen.

Bild.de schrieb am späten Dienstagabend, dass Freiburgs Trainer Christian Streich eine noch viel bessere Platzierung voraussah:

Im Artikel bezieht sich die Redaktion auf eine Aussage des Freiburger Stürmers Nils Petersen, die er ihr im Interview gegeben haben soll:

Freiburg Siebter — zum Saisonstart undenkbar. Aber nicht für Christian Streich (51)! Der Trainer sah Europa voraus!

Nils Petersen (28): “Am ersten Spieltag haben wir in Berlin in der Nachspielzeit verloren. Eine Woche später hat der Trainer eine Ansprache gehalten.”

Petersen: “Der Trainer hat gesagt, dass wir unter den ersten Drei landen. Wenn wir gut spielen. Jeder hat gedacht: Oh, mutige Ansage.”

Gestern hat sich Petersen auf seiner Facebook-Seite zum Bild.de-Artikel geäußert:

Facebook-Post von Nils Petersen - Guten Morgen. Ich möchte kurz was richtigstellen. In der Bild-Zeitung von heute werde ich wie folgt zitiert: Der Trainer hat gesagt, dass wir unter den ersten Drei landen. Wenn wir gut spielen. Jeder hat gedacht: Oh, mutige Ansage. Das habe ich aber nicht gesagt. Richtig ist: Der Trainer hat gesagt, dass wir im oberen Drittel landen. Das Missverständnis wollte ich kurz ausräumen. Euch allen einen entspannten Tag.

Auch Frank Schneider, stellvertretender Sportchef bei “Bild Süd”, hat Petersens Post entdeckt. Er kommentierte:

Guten Morgen von BILD. Nils Petersen hat Recht. Wir haben eben das Band nochmal abgehört. Unser Fehler, wird online sofort korrigiert. Sorry dafür! Ein Orakel bleibt der Trainer mit seiner Aussage aber natürlich trotzdem…Gruß, Frank Schneider

Und tatsächlich: Der Bild.de-Artikel wurde — still und heimlich und ohne jeglichen Hinweis — korrigiert.

Mit Dank an @fuszball für den Hinweis!

Nachtrag, 26. Mai: Ein Leser wies darauf hin, dass das obere Drittel der Bundesliga, in der 18 Mannschaften spielen, die Plätze 1 bis 6 umfasst. Der SC Freiburg wurde 7. und landete somit nicht im oberen Drittel.

Da Bild.de die Orakelhaftigkeit von Christian Streich auf die Teilnahme in einem europäischen Wettbewerb bezogen hat (was für die Freiburger ja noch möglich ist), haben wir die Diskrepanz zwischen Platz 7 und dem obersten Drittel in diesem Blogpost nicht weiter thematisiert.

Mit Dank an Hendrik U. für den Hinweis!