Archiv für Dezember 15th, 2016

“Merry Christmas” über Aleppo

So sieht die heutige Titelseite des “Tagesspiegel” aus:

Die Redaktion hat sich dazu entschlossen, auf der ersten und auf den drei folgenden Seiten große Fotos aus Syrien zu drucken, die das schreckliche Leid der Menschen dort zeigen. Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff schreibt dazu:

Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Darum zeigen wir heute viele Bilder: Damit sie uns sagen, was in Syrien geschieht. Wir hören davon, wir berichten darüber, so gut es geht, so gut wir können, wir kommentieren, was sein sollte — aber nichts ist authentischer als die Authentizität des Augenblicks.

Und, gerichtet an seine Leser:

Sie mögen einwenden, dass wir auf eine andere, durchdachte, reflektierte, intellektualisierte Ebene heben sollten, was dort, in Syrien, in Aleppo geschieht. Und Sie hätten recht mit dem Einwand. Aber das haben wir getan, Mal um Mal. Das werden wir auch weiter tun, vermutlich noch viele Male. Weil die Tragödie, steht zu befürchten, mit dem Fall von Aleppo nicht enden wird. Heute aber unterbrechen wir den Fluss der Nachrichten und Analysen, der Worte, der vielen tausend. Wir zeigen Bilder. Und das, was Menschen, die in diesen Bildern wohnten, der Welt geschrieben haben.

Casdorff beendet seinen Text mit dem Satz: “Wir hoffen, Sie verstehen. Die Bilder. Und uns.”

Es klingt nach einer Rechtfertigung, die eigentlich gar nicht nötig ist. Die Entscheidung der “Tagesspiegel”-Redaktion ist völlig legitim und in unseren Augen eine gute. Genauso gut finden wir beispielsweise auch, dass Bild.de heute morgen die Startseite für eine Stunde komplett der grausamen Situation in Aleppo gewidmet hat. Mediale Aufmerksamkeit für die Menschen in Aleppo und Kritik an den Gräueltaten des Assad-Regimes sind notwendig.

Was so gar keine glückliche Entscheidung des “Tagesspiegel” war: Eine — vermutlich schon länger geplante — Werbeaktion für heute nicht abzusagen. Denn so sieht die “Tagesspiegel”-Titelseite aus, wenn man sie in Berlin am Kiosk kauft:


Einem leidenden Jungen aus Aleppo einen dicken Aufkleber ins Gesicht zu pappen, der frohe Weihnachten wünscht und “15% Rabatt auf Schmuck und Uhren” im Onlineshop eines edlen Juweliers verspricht, ist so grotesk, dass es fast schon wieder ein treffender Kommentar zur aktuellen Lage in dieser Welt und zum Desinteresse vieler Menschen an der Situation in Syrien sein könnte. Leider ist es aber nur eine völlig deplatzierte Werbung.

Mit Dank an Joachim P. für den Hinweis!

Nachtrag, 16:59 Uhr: Der “Tagesspiegel” hatte sich heute morgen für den Fauxpas entschuldigt:

Mit Dank an @levinuzz für den Hinweis!

Nachtrag, 16. Dezember: Auf der Titelseite der heutigen Ausgabe hat sich die “Tagesspiegel”-Redaktion für die “Kombination von Titelbild und Werbung” entschuldigt:

Fehlierer des Tages

Hier im BILDblog schauen wir uns die kleinen Dämlichkeiten und das große Schlimme in deutschsprachigen Medien an. Wenn zum Beispiel Persönlichkeitsrechte verletzt werden, schreiben wir darüber. Oder wenn eine Zeitung eine Kampagne gegen eine ganze Nation fährt. Oder wenn sie schlicht faktisch falsch berichtet. Sowas halt.

Über Rechtschreibfehler bloggen wir in der Regel nicht. Kann ja mal passieren (und passiert uns auch immer wieder). Nur wenn wir sie besonders amüsant finden, greifen wir Verschreiber auf, dann aber meist auch nur in unserem Twitter-Kanal oder auf unserer Facebook-Seite.

“Bild” und Bild.de sind da deutlich gnadenloser. Einmal aus Versehen ein “e” zu viel getwittert — und schon ist man auf der “Bild”-Titelseite “Verlierer” des Tages und muss die Häme der “Bild”-Rechtschreibprofis über sich ergehen lassen:

Volker Herres hat inzwischen auf seinen, nun ja, “Fehler” reagiert:

“Gewinner” des Tages ist heute übrigens George Michael mit seinem “Wham!”-Song “Last Christmas”. Muss man auch erstmal drauf kommen.

Nachtrag, 13:41 Uhr: Weil manche Leser sich über das “Twietter” im “Bild”-“Verlierer”-Text wundern: Wir sind uns ziemlich sicher, dass das Absicht ist und witzig sein soll. Gleiches gilt für “Programmdierektor” und “krigeste”. So viele Rechtschreibfehler auf so wenigen Zeilen bekommt nicht mal “Bild” aus Versehen hin.

Massenüberwachung, Wikipedia-Zwist, Bunte-Lügenfresse

1. Fake News: “Wir brauchen eine akzeptierte Wissensbasis”
(ndr.de, Ulrich Kühn)
Werden “Fake News”, erfundene Nachrichten, die demokratische Auseinandersetzung fundamental verändern? Darüber spricht “NDR-Kultur”-Redakteur Ulrich Kühn mit dem Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger. Dieser ist skeptisch, was Softwarelösungen zur Bekämpfung von Fake-News anbelangt: “Mir fehlt im Moment noch der Nachweis dafür, dass man das durch eine Software schaffen kann, was Journalisten mit viel Aufwand schaffen sollen: Fakten zu überprüfen. Wenn man das künftig einer Software überlässt, besteht die Gefahr, dass es tatsächlich Filterprozesse gibt, die wir gar nicht mehr durchschauen können und dass wir bestimmte Informationen gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich glaube, es bedarf nach wie vor der menschlichen Prüfung von Informationen.”

2. Massenüberwachung Journalistenorganisation verklagt BND
(berliner-zeitung.de, Melanie Reinsch)
Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird derzeit verhandelt, ob der BND massenhaft deutsche Bürger überwachen darf. Initiiert wurde die Klage vom Berliner Rechtsanwalt Niko Härting und der Journalistenorganisation “Reporter ohne Grenzen” (ROG), die in der Überwachung des E-Mail-Verkehrs und der Erfassung von Verbindungsdaten durch den BND einen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 GG) sehen. Die Kläger stützen sich auf neues Beweismaterial: Ein vor zwei Wochen geleaktes Rechtsgutachten des BND, das die Arbeitsweise einer “Verkehrsanalysesystems” beschreibt. Zunächst wird das Gericht klären, ob es die Klage als zulässig befindet.

3. Streit in Wikipedia-Community: AfD-Funktionär „Magister“ ins höchste Schiedsgericht gewählt
(meedia.de, Marvin Oppong)
In der deutschen Wikipedia-Community ist ein Streit um eine Personalie entbrannt: Ein AfD-Funktionär habe sich in das höchste Entscheidungsgremium der Online-Enzyklopädie wählen lassen. Darauf seien drei Mitglieder des Schiedsgerichts gleichzeitig zurückgetreten.

4. Wann ist eine Nachricht für uns eine Nachricht?
(blog.zeit.de, Till Schwarze)
Die “Zeit” hat vor wenigen Tagen ihr “Glashaus-Blog” gestartet mit Hintergrundberichten über die journalistische Arbeit in der “Zeit”-Redaktion”. Im aktuellen Beitrag von “Zeit Online” Chef vom Dienst Till Schwarze geht es um die nicht immer einfache Entscheidungsfindung, wann eine Nachricht berichtenswert sei.

5. Der Klimawandel in GIFs
(de.ejo-online.eu, Mike S. Schäfer)
Wie berichten Medien über Umweltthemen? Sozialwissenschaftler aus fünf Ländern haben erstmals eine systematische Analyse der Umwelt-Berichterstattung neuer “Online-Only-Medien” aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien vorgelegt und deren Berichterstattung mit der von etablierten Massenmedien verglichen. Konkret ging es um die Berichterstattung über die jüngste Weltklimakonferenz, bei der ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll beschlossen wurde. In einer Zeit, in der Umwelt- und Wissenschaftsressorts in vielen Medien verkleinert oder gestrichen werden würden, wirke sich die Berichterstattung der Onlinemedien förderlich auf die öffentliche Debatte aus.

6. Lügenfresse: Gesichtsreporter decken auf!
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Wenn Computerprogramme aus Textbausteinen und Daten vollautomatisch Meldungen generieren, spricht man von “Roboterjournalismus”. Die maschinell erzeugten Nachrichten kommen zum Zug, wenn es um Meldungen rund um Börse, Wetter und Sport geht. Stefan Niggemeier hat nun herausgefunden, dass auch die Online-Redaktion der “Bunte” von Robotern beherrscht wird.