Archiv für September 16th, 2016

Die Rügen-Könige aus dem Axel-Springer-Hochhaus

Im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin klirren gerade die Champagnergläser. Julian Reichelt dreht an seinem Arbeitsrechner Queens “We Are The Champions” noch ein Stück lauter, Freddie Mercurys Stimme knarzt aus den kleinen Lautsprecherboxen. Die Mitarbeiter von “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de sind zusammengekommen. Sie liegen sich in den Armen und pusten Luftschlangen durch den großen Newsroom. Denn die große “Bild”-Familie hat es mal wieder geschafft: Sie sind die Nummer eins, unangefochten in ganz Deutschland, ein weiterer Grund, mächtig stolz auf sich zu sein. Alle drei Rügen, die der Deutsche Presserat in seiner letzten Sitzung verteilt hat, gehen an “Bild”-Medien.

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Jeweils eine Rüge bekamen “Bild am Sonntag” und Bild.de für ihre Berichterstattung über das Attentat vor und im Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Konkret geht es um das Zeigen von Fotos der teilweise noch minderjährigen Opfer:


Der Presserat schreibt dazu:

Der Ausschuss kritisierte, dass beide Veröffentlichungen Fotos zeigten, die ohne Einwilligung der Hinterbliebenen veröffentlicht worden waren. Einige Opfer waren minderjährig. Es handelt sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen Richtlinie 8.2. des Kodex, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist. Die Hinterbliebenen der Verstorbenen sollten nicht unvermittelt mit Fotos ihrer toten Angehörigen konfrontiert werden. “Nicht alles, was in sozialen Netzwerken verfügbar ist, darf auch ohne Einschränkung veröffentlicht werden. Die eigene Darstellung, z. B. in einem Facebook-Profil, bedeutet nicht zwingend eine Medienöffentlichkeit”, sagte die Vorsitzende des Ausschusses 2, Katrin Saft.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Dass die “Bild”-Medien dazu diametral entgegengesetzte Ansichten haben, kann man täglich in den vielen “Bild”-Regionalausgabe und bei Bild.de beobachten.

Der Presserat beschäftigte sich übrigens auch mit Beschwerden zur Berichterstattung über den Täter von München. Im Veröffentlichen der Fotos, die ihn zeigen, und Nennen seines Namens sah das Gremium allerdings keinen Verstoß gegen den Pressekodex:

Die Tat in München hatte ein großes öffentliches Interesse ausgelöst und Fragen nach dem Motiv und nach den Hintergründen der Tat aufgeworfen. Das öffentliche Interesse am Täter ist höher zu bewerten als der Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Kodex, die Darstellung war presseethisch akzeptabel, urteilte der Beschwerdeausschuss.

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Die dritte Rüge ging an Julian Reichelts Bild.de, womit er “Bild”-interner Rügen-König wurde. Sein Portal berichtete im Mai über einen Messerangriff in einem Dortmunder Kaufhaus. Bild.de zeigte ein Video, in dem das Opfer neben einer Blutlache auf dem Bauch lag, das Messer steckte noch in seinem Rücken:

Der Beitrag unter der Überschrift “Brutale Messerattacke auf Video aufgenommen” zeigt den Handymitschnitt eines Passanten, auf dem das Opfer zu sehen ist, wie es mit einem Messer im Rücken blutend auf dem Boden liegt. Diese Passage wurde sogar mehrfach wiederholt. Im Hintergrund sind die Schreie einer Frau zu hören. Die Berichterstattung hält der Beschwerdeausschuss für eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt.

Bei all der Schrecklichkeit dieses Artikels: Immerhin ist der Kopf des Opfers bei Bild.de verpixelt. Die Ruhrgebiets-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtete in dem Fall noch rücksichtsloser, ohne Unkenntlichmachung, dafür aber mit einer Großaufnahme des im Rücken steckenden Messers (Bildunterschrift: “Am Messergriff hängt noch die Diebstahlsicherung”):

Folgen hatte dieser Voyeurismus für die Redaktion allerdings keine. Eine Sprecherin des Presserats sagte uns, dass gegen den Printartikel keine Beschwerde eingegangen sei. Und dann wird der Presserat auch nicht aktiv.

  • Neben den drei Rügen verteilte der Presserat noch zwölf Missbilligungen und 32 Hinweise an verschiedene Medien.

18-Jährige-vs.-Eltern-Hoax, Opfer von der AfD, Mimimi-Männer

1. Verklagt 18-Jährige wirklich die Eltern wegen Facebookfotos?
(morgenpost.de, Lars Wienand)
Weltweit berichten Medien über eine 18-jährige Österreicherin, die ihre Eltern angeblich verklagt, weil diese Kinderfotos von ihr auf Facebook gepostet hätten. Alle berufen sich auf einen Bericht der Zeitschrift “Die ganze Woche”. Lars Wienand hat nicht nur abgeschrieben, sondern recherchiert — das Ergebnis: “Die im Artikel zitierte Anwaltskanzlei weiß über den Fall nichts, die mutmaßlich zuständige Gerichtssprecherin kennt ihn nicht — und die Redaktion des Blattes tut nichts, um Widersprüche zu erklären.”

2. AfD-Spitzenmann Leif-Erik Holm: Die Mär vom selbsternannten Opfer aus dem Nordosten
(kress.de, Armin Fuhrer)
Leif-Erik Holm, designierter Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, war früher Radiomoderator und wurde wegen seines politischen Engagements entlassen. So stellt er es jedenfalls selbst dar. Sein ehemaliger Chef, der Geschäftsführer des Radiosenders “Antenne MV”, erzählt eine andere Version der Geschichte: “‘Holm selbst hat ganz freiwillig gekündigt, als er begann, für die Berliner AfD-Landesvorsitzende Beatrix von Storch zu arbeiten.'” Der Sender habe zum damaligen Zeitpunkt gar keine Veranlassung zu einem solchen Schritt gehabt — “denn wir haben überhaupt nicht gewusst, dass Holm sich parteipolitisch engagierte.”

3. Analyse des EuGH-Urteils zur Störerhaftung: Steinzeit in Luxemburg
(heise.de, Ulf Buermeyer)
Der Europäische Gerichtshof hat sich damit beschäftigt, inwieweit WLAN-Betreiber für Urheberrechtsverstößte haften müssen. Richter Ulf Buermeyer hält das Urteil für gefährlich: “Wenn in Zukunft nach einem ersten vermeintlichen Verstoß gegen das Urheberrecht aus einem WLAN heraus dessen Betreiber vor Gericht gezerrt werden könnte und auch noch die Kosten für dieses Verfahren tragen müsste, dann dürfte es in Deutschland zu einem echten WLAN-Sterben kommen.” Auch Volker Tripp von der “Digitalen Gesellschaft” sieht “WLAN-Betreiber jetzt mit einem Bündel neuer Unsicherheiten und Fragen konfrontiert”.

4. Olympia? “Nicht zu jedem Preis”
(taz.de, Anne Fromm und Jürn Kruse)
ARD-Chefin Karola Wille spricht im Interview mit der “taz” über Horst Seehofers Fusions-Pläne für die Öffentlich-Rechtlichen (sie ist skeptisch), transparente Intendantengehälter (Wille selbst verdient 275.000 Euro pro Jahr), die umstrittenen Honorare von Fußballexperten wie Mehmet Scholl (“Die Gremien als Vertreter der Gesellschaft bekommen die Informationen. Alles weitere untersucht gerade Herr Kirchhof.”) und die Übertragungsrechte für die Winterspiele 2018 in Pyeongchang (“nicht zu jedem Preis”).

5. Hör auf zu heulen, Mann!
(jetzt.de, Quentin Lichtblau)
In neuen Männer-Magazinen beklagen sich Männer über das harte Los des Lebens als Mann. Quentin Lichtblau wundert sich: “Ich bin doch eigentlich genau der, von dem ihr da sprecht: Ein weißer, deutscher Hetero-Mann, mittelalt, Akademiker. Penisträger hat mich noch niemand genannt, mit Eseln und Frauen habe ich äußerst selten nennenswerte Probleme. […] Dank meiner halben Stelle kann ich jederzeit in den Urlaub fahren — mal abgesehen vom Geldmangel, für den die Emanzipation weiß Gott nichts kann. Was läuft da bei euch anders? Was hat euch bloß so ruiniert?”

6. IKEA und das Ekel-Badezimmer
(prinzessinnenreporter.de, Bernhard Torsch)
In der “Zeit” hat Kersten Augustin dem “Ikea”-Chef einen Brief geschrieben und sich über den “Ikea”-Katalog beklagt. Bei den “Prinzesinnenreportern” schreibt Bernhard Torsch einen Brief an Kersten Augustin und antwortet ihm. Das ist ein bisschen böse, aber auch relativ lustig.