Archiv für September 15th, 2016

Diagnose: eine ernst zu nehmenden Computerspiel-Werbesucht

Heute waren es bisher zwei Artikel. Am Dienstag ebenfalls zwei. Am Montag drei. Alle drehen sich um das gleiche Thema: die Fußballsimulation “FIFA 17”. Und alle sind auf der Sport-Website spox.com erschienen. Die Seite berichtet recht häufig über das Spiel. Sehr häufig. Also — sehr, sehr häufig. Allein in den vergangenen 30 Tagen sind auf der Seite 21 Artikel zu “FIFA 17” erschienen, dazu noch viele kurze Meldungen im sogenannten “Fußball-Tag”-Ticker. Man kann sagen: Das Thema beschäftigt die Redaktion.

In zwei Wochen kommt “FIFA 17” auf den Markt. Für die Spieleentwickler von “EA Sports” geht es dabei um viel Geld. Den Vorgänger — “FIFA 16” — konnte die Firma allein im ersten Monat nach Erscheinen 500.000 Mal verkaufen. Dass “FIFA 17” mindestens genauso erfolgreich wird, dafür gibt auch spox.com alles.

Jedes noch so kleine Fitzelchen zu “FIFA 17” ist dem Portal einen Text wert. Ein belgischer Profifußballer ist mit seinen Passfähigkeiten in dem Spiel nicht einverstanden? spox.com jagt einen Artikel raus. “EA Sports” gibt die virtuellen Stärken der Spieler des FC Bayern München bekannt? spox.com jagt einen Artikel raus. Die stärksten Dribbler, die versteckten Talente, “Die besten Spieler der Serie A”, “Die besten Spieler der Ligue 1”, “Die besten Spieler der Primera Division”, “Die besten Spieler der Premier League”, “Die besten Spieler der Bundesliga”. spox.com berichtet über alles:


Die Artikel sind häufig als klickgenerierende Bildergalerien angelegt — ist billig gemacht und bringt irre Zugriffszahlen. Um beispielsweise zu erfahren, dass Manuel Neuer in “FIFA 17” der stärkste Spieler beim FC Bayern München ist, muss sich die interessierte Leserschaft durch eine 27-Seiten-Galerie wühlen.

Natürlich ist es völlig legitim, dass eine Sport-Website über eine der beliebtesten Sportsimulationen berichtet, und das auch ausführlich. Aber dann doch nicht als massive Werbekampagne, die wie ganz normale Berichterstattung daherkommt.

Mit Dank an Florian G. für den Hinweis!

“Adblock Plus”, “Bild”-Pranger, Portugal-Spanien-Mär

1. USA haben Tempolimit, Europa bekommt Leistungsschutzrecht
(golem.de, Friedhelm Greis)
Die EU-Kommission hat den Entwurf für eine neue Urheberrechtslinie vorgestellt — darunter das umstrittene Leistungsschutzrecht (LSR), das bei vielen Politikern, Branchenverbänden, Urheberrechtsexperten und sogar etlichen Medien (deren Leistung es eigentlich schützen soll) in etwa so beliebt ist, wie das Wort kurz ist. Nicht einmal Kommissionsvizepräsident Andrus Ansip scheint überzeugt (“Wird diese neue Regel den Verlagen und Journalisten helfen? Schauen wir mal”), lediglich die Verlegerverbände freuen sich über einen “historischen Schritt”. Die “SZ” beantwortet die wichtigsten Fragen zum LSR, “Netzpolitik” hat (vernichtende) Reaktionen gesammelt, “Zeit Online” und “Spiegel Online” kommentieren (ausgesprochen skeptisch), und auch DJV und “iRights.info” sehen in der Urheberrechtsreform einen Schritt in die falsche Richtung.

2. Adblock Plus & die Werbung — Das wahre Gesicht der Eyeo GmbH
(mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
“Personal Vendetta Rant incoming in 3, 2, 1…” So leitet Sascha Pallenberg seinen Text ein — und er hält, was er verspricht. Es folgt eine Abrechnung mit der dubiosen “Eyeo GmbH”, Betreiber des Werbeblockers “Adblock Plus”. Pallenberg liegt seit mehr als zwei Jahren im Clinch mit dem Unternehmen und insbesondere mit dessen Gründer Till Faida. Hier erklärt er nochmal die Hintergründe seiner Abneigung und nimmt die jüngste Ankündigung von “Eyeo”, künftig selbst Werbung ausspielen zu wollen, zum Anlass für eine hoffnungsvolle Prognose: “Man muss kein Prophet sein um behaupten zu koennen, dass wir gerade den Anfang vom Ende der Eyeo GmbH erleben und das ist verdammt gut so.” Dazu passt auch der Tipp von “Watson”: “Adblock Plus im Shitstorm — darum solltest du den Werbeblocker SOFORT deinstallieren”.

3. Die Mär, wie Portugal und Spanien vom “guten Weg” abkamen
(uebermedien.de, Paulo Pena)
Der Spanien-Korrespondent der “Süddeutschen Zeitung” ist der Meinung, dass Portugals und Spaniens Reformen von dem “guten Weg” abgekommen seien, auf dem sich die Länder befunden hätten. Paula Pena fragt sich, “wie eine der einflussreichsten deutschen Zeitungen in einem Stück über die Wirtschaftssituation in Portugal und Spanien so viele falsche Tatsachenbehauptungen unterbringen kann”.

4. Wirkung des “Bild-Prangers” auf Facebook-Hetzer
(de.ejo-online.eu, Anna Carina Zappe)
Im Oktober 2015 veröffentlichte die “Bild”-Zeitung Screenshots fremdenfeindlicher Hasskommentare von Facebook-Nutzern mit deren vollständigen Namen und Profilbildern. Jetzt haben Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität München untersucht, inwieweit diese (vom OLG München als persönlichkeitsrechts-verletzend eingestufte) Praxis das Postingverhalten der Facebook-Nutzer beeinflusst hat. Demnach sei die öffentliche Bloßstellung “kein angemessenes Mittel, um Hasskommentaren entgegenzuarbeiten und so die öffentliche Meinung über Flüchtlinge zu verbessern”. Im Gegenteil: Zumindest kurzfristig habe sich die Zahl fremdenfeindlicher Kommentare sogar erhöht.

5. VG Wort: Noch keine Einigung über Rückforderung an Verlage
(irights.info, Henry Steinhau)
Am Wochenende konnten sich die Mitglieder der VG Wort nicht darauf einigen, wie mit den anstehenden Nachzahlungen für Autoren umgegangen werden soll. Insgesamt geht es dabei wohl um knapp 100 Millionen Euro. Henry Steinhau fasst die (sehr gemischten) Reaktionen auf die Ergebnisse der Mitgliederversammlung zusammen und gibt eine eigene Einschätzung ab.

6. Wir hatten eine gute Zeit
(zeit.de, Magnus Klaue)
Der Kulturphilosoph Byung-Chul Han schreibt über Buddhismus und Globalisierung, Aufmerksamkeit und Pornografie, Burn-out und Entschleunigung, Schwarmintelligenz und Flüchtlingskrise. Was dabei niemals fehlen darf: ein ordentlicher Schuss Kulturpessimismus. Das deutsche Feuilleton liebt ihn dafür — Magnus Klaue eher weniger. Zumindest nimmt er Han nicht allzu ernst und nähert sich seiner Schreib- und Denkweise in sieben Lektionen an.