Archiv für August 24th, 2016

Den Papageien zum Kolumnisten machen

Bei Wolfgang Bosbach und “Bild” ist es ein bisschen wie bei der Henne und dem Ei: Was war zuerst da? Der Quatsch, den Wolfgang Bosbach erzählt und den “Bild” dankbar aufgreift? Oder der Quatsch, den “Bild” verbreitet und den der CDU-Politiker in einem seiner vielen Talkshowauftritte und Interviews zitiert und weiterdreht?

So oder so — “Bild” und Bosbach sind ein starkes Team. Wenn der eine etwas von sich gibt, plappert es der andere gerne nach. Sie leben in Symbiose. Doch jetzt hat “einer der beliebtesten Politiker” (“Bild” meint damit Bosbach) angekündigt, dass er bei der Bundestagswahl 2017 nicht erneut kandidieren wird, aus politischen und privaten Gründen.

Gestern schaffte es lediglich eine kurze sachliche Meldung darüber auf die “Bild”-Titelseite (“Bosbach tritt nicht mehr an”). Dafür gab es heute aber eine umso größere Würdigung:

117 Zeilen Lobhudelei (“So einer wird im Bundestag fehlen”), einen Brief von Franz Josef Wagner (“Warum lieben wir diesen Menschen? Weil er die Wahrheit spricht!”) und obendrauf eine Urkunde mit “Bild”-Siegel:

Für seine besonderen Verdienste als Volksvertreter wird Wolfgang Bosbach ausgezeichnet,
– weil ihm in der Großen Koalition seine Überzeugungen wichtiger sind als Macht und Mehrheiten
– weil er im Bundestag und im Fernsehen so redet, dass ihn Millionen Menschen verstehen
– weil ihm die Wähler in seinem Wahlkreis 22 Jahre lang die Treue hielten
– weil er kein Querulant ist, sondern kritisch UND loyal zu seiner Partei steht
– weil er stets mit dem Florett für seine Meinung kämpft und auch über sich selber lachen kann

Na, da läuft es einem doch eiskalt den Rücken runter das geht doch runter wie Öl.

Der größte Coup der “Bild”-Zeitung aber ist: Die Redaktion hat Wolfgang Bosbach vom Fleck weg als Kolumnisten verpflichtet.

Dort hört er also auf. Aber bei BILD macht er weiter — ab 2017 mit einer wöchentlichen Kolumne. Klar, kantig, kenntnisreich und manchmal mit einem Augenzwinkern.

… und hin und wieder sicher auch genauso falsch wie Berichte der “Bild”-Medien. Denn bei Bosbachs eingangs erwähnter Nachplapperei von “Bild”-Geschichten kommt es immer mal wieder vor, dass er falsche Behauptungen übernimmt und – ganz der Kolumnist – zuspitzt.

Zwei Beispiele.

Im Dezember 2014, kurz vor Weihnachten, vermeldeten “Bild” und Bild.de ganz aufgeregt:

Laut “Bild” sollte der Grünen-Politiker Omid Nouripour gefordert haben, dass in Kirchen zu Weihnachten auch ein muslimisches Lied gesungen wird. Nur: Das hat er nie. Die Idee kam eigentlich von “Bild” selbst, und die Reporter riefen Nouripour an, um zu fragen, was er davon halte. Der Bundestagsabgeordnete war dagegen. Und wenn schon, dann sollte es einen Austausch geben: Im Gegenzug sollten auch christliche Lieder in Moscheen gesungen werden. Gefordert hatte Nouripour also nichts, sondern lediglich einen Gegenvorschlag gemacht.

Und Wolfgang Bosbach? Der schnappte sich die falsche “Bild”-Geschichte und ließ im Interview mit “Focus Online” ordentlich Dampf ab:

“Weihnachten ist kein Hochamt für Multikulti, sondern ein christliches Fest, bei dem traditionell nur christliche Weihnachtslieder gesungen werden. Dabei soll es bleiben”, sagte Wolfgang Bosbach am Montag zu FOCUS Online. “Mir ist auch nicht bekannt, dass in irgendeiner Moschee ‘Stille Nacht, heilige Nacht’ gesungen wird oder es entsprechende Pläne gibt”, fuhr der Innenpolitik-Experte der Union fort. “Bevor Herr Nouripour vorschlägt, dass der Muezzin zur Christmette ruft, hoffe ich sehr, dass es beim christlichen Glockenläuten bleibt.”

Der heutigen “Bild”-Würdigung zufolge ist Bosbach übrigens “nie polternd populistisch”. Joar.

Zweites Beispiel: In der Hochphase der “Bild”-Kampagne gegen die faulen Griechen verkalkulierte sich Dirk Hoeren, Chefverrechner des Hauses, mal wieder. Hoeren wollte zeigen, dass das Renteneintrittsalter in Griechenland viel niedriger sei als in Deutschland — 56 Jahre versus 64 Jahre. Und zog dafür eine völlig unpassende Statistik ran: Die zeigte nämlich nur das angepeilte Renteneinstiegsalter für den öffentlichen Dienst. Hoeren machte daraus das aktuelle Renteneinstiegsalter aller Griechen. Und langte dann auch beim Renteneinstiegsalter in Deutschland daneben. Kurz gesagt: Alles völlig falsch.

Und Wolfgang Bosbach? Der schnappte sich die falsche “Bild”-Geschichte und ließ bei seinem Auftritt bei “Günther Jauch” ordentlich Dampf ab:

Der Griechische Ministerpräsident hat jetzt angeboten, das reale Renteneintrittsalter in Griechenland, das bei uns bei fast 64 Jahren liegt, auf 56 Jahre anzuheben.

Bosbach hatte seinen TV-Auftritt drei Tage, nachdem Dirk Hoeren die Zahlen falsch ins Spiel gebracht hatte, und als schon längst klar war, dass da was nicht stimmt.

Nächstes Jahr wird Wolfgang Bosbach dann also “Bild”-Kolumnist. Das Ei wird zur Henne.

Es war nicht ihr Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandburkini

Die Fotos der vier französischen Polizisten, die am Strand von Nizza um eine am Boden sitzende Frau herumstehen, machten heute die Runde. Auf den Bildern ist zu sehen, wie sie die Frau auffordern, sich auszuziehen, weil sie gegen das inzwischen geltende Burkini-Verbot verstoße.

Die Szene ist so bizarr und grotesk und falsch, dass in den Sozialen Netzwerken direkt hitzige Debatten entstanden. Und auch viele Onlinemedien berichteten.

Unter anderem Bild.de

Gleich vier Polizisten umringten die junge Frau am Strand. Forderten sie auf, sich an Ort und Stelle umzuziehen. Denn: Die Strandbesucherin trug einen muslimischen Ganzkörperbadeanzug — und der ist in diesem Sommer in vielen französischen Urlaubsorten verboten!

… oder “Focus Online”

Bewaffnete Polizisten haben eine muslimische Frau in der südfranzösischen Stadt Nizza gezwungen, ihren Burkini auszuziehen.

… oder die “Deutsche Welle”

Zu erkennen sind demnach mindestens vier bewaffnete Polizisten, die an Nizzas berühmter “Promenade des Anglais” eine am Strand liegende Frau auf ihren Burkini ansprechen.

… oder die “Hamburger Morgenpost”:

In 15 französischen Städten sind inzwischen Burkas verboten — und dazu zählt auch die Schwimmversion, der Burkini. Das musste jetzt eine Muslima am eigenen Leib erfahren. Sie hatte eine unangenehme Begegnung mit Polizisten am Strand von Nizza.

Die “Mopo” hat extra auch noch ein Symbolfoto rausgekramt:

Das Problem an all diesen Berichten — und was die Szene noch bizarrer und grotesker und falscher macht: Die Frau trägt gar keinen Burkini. Und erst recht keine Burka oder einen Niqab oder sonst eine Vollverschleierung, die gegen irgendwas verstoßen soll. Sie trug nach eigener Aussage eine Leggins, eine Tunika und ein Kopftuch.

Dass es kein Ding der Unmöglichkeit war, das herauszufinden, beweist ein Artikel von sueddeutsche.de:

Die Frau liegt alleine inmitten leicht bekleideter Menschen auf dem steinigen Strand. Sie trägt schwarze Leggins, ein hellblaues Oberteil und ein Kopftuch. Die Schuhe hat sie ausgezogen, die Knie angezogen. Vielleicht schläft die Frau, vielleicht döst sie, vielleicht genießt sie einfach die Sonne an der französischen Mittelmeerküste, als sich vier Polizisten nähern, alles Männer.

Das hat irgendwann auch “Focus Online” verstanden und einen zweiten Beitrag zum Thema veröffentlicht:

Sie hat Leggings und ein langes türkisfarbenes Oberteil an. Um den Kopf hat sie ein Tuch gewickelt – einen Burkini trägt sie nicht.

Natürlich ist das mit den “neuen Details” Quatsch. Die Fotos hätte man sich auch vorher schon ordentlich anschauen und erkennen können, dass die Frau keinen Burkini trägt.

Mit Dank an @Alyama1!

Kinderlied, Symbolfotos, Lyrics

1. Warum macht Herr Enzinger das? Warum macht die „Krone“ das?
(diepresse.com, Sibylle Hamann)
Sibylle Hamann berichtet von einem Vorgang, der eigentlich ein Happy End verdient gehabt hätte: In der ersten Klasse einer Salzburger Volksschule gibt es ein neues Kind. Aref heißt es und es stammt aus Syrien. Die Lehrer thematisieren das im Unterricht und führen beim Schulschlussfest mit den Kindern einen syrischen Tanz und ein einstudiertes syrisches Lied auf. Alles klappt vorzüglich und und alle sind zufrieden, bis Politik und Presse davon Wind bekommen. Fremdenfeindliche Äußerungen und Artikel, die das Geschehen bösartig verdrehen, folgen. Schließlich fällt auch noch der entfesselte Online-Mob über die Salzburger Kinder und Lehrer her. Sibylle Hamann in ihrem Kommentar: “Rational verstehe ich, was FPÖ und „Kronen Zeitung“ antreibt: Wählerstimmen maximieren, Leserzahlen maximieren, Aufmerksamkeit maximieren, man hofft halt, dass das mit Hetze funktioniert, und häufig funktioniert es ja leider auch. Aber manchmal möchte ich in die Köpfe dieser Menschen hineinschauen, möchte wissen, wie sich das anfühlt: immer nur Böses zu sehen, selbst dort, wo gar nichts Böses ist. Immer wütend zu werden, wenn anderen etwas gelingt. Immer alles sofort kaputtschlagen, zündeln wollen, und sich erst freuen, wenn es rundherum brennt.”

2. Bildsprache der Verblödung
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
In den letzten Tagen beherrschten Bilder von Hamstern die Berichterstattung: Anlass: Die politische Diskussion über ein neues Zivilschutzprogramm. Bernd Ziesemer ist genervt von den ewig gleichen platten Fotos aus den Bilddatenbanken (“stock photos”) und spricht in seiner Kolumne von einer “Bildsprache der Verblödung”.

3. WikiLeaks bringt Unschuldige in Gefahr
(zeit.de, Patrick Beuth)
Die Enthüllungsplattform Wikileaks hätte zu ihren besten Zeiten die Mächtigen genervt und bloßgestellt, doch mittlerweile würden sich die Kollateralschäden summieren, so Patrick Beuth in der “Zeit”. Die Plattform habe zahlreiche medizinische Unterlagen von normalen Bürgern sowie private, finanzielle und andere Informationen Hunderter anderer veröffentlicht, heiße es in einem Bericht der Nachrichtenagentur “AP”. Zudem seien Hunderte der Dateien aus dem Türkei-Leak mit Malware verseucht. Wikileaks habe den AP-Bericht auf Twitter als “lächerlich” abgetan und auf Fragen der “Zeit” bislang nicht reagiert.

4. Schnapp den Teenie
(sueddeutsche.de, Sebastian Jannasch)
Den klassischen Medien laufen die jungen Leser davon. Also geht man dorthin, wo man die jungen Zielgruppe vermutet und das ist z.B. die quietschige Knips-App “Snapchat”, die in Deutschland 2,5 Millionen Nutzer haben soll. Doch lassen sich mit bunt verzierten Videoschnipseln wirklich Nachrichten vermitteln? Das ist nicht einfach. Außerdem fehlen Kontrolle und Monetarisierungsmöglichkeiten, so Sebastian Jannasch auf “sueddeutsche.de”. Zudem sei es möglich, dass die umworbenen Teenies eh bald weiterziehen: Instagram und Facebook würden versuchen, die jungen Nutzer mit neuen Funktionen zu sich rüberzulocken.

5. Geringe Hemmschwelle – “Vice” und die Drogen
(ndr.de, Sabine Schaper)
“Zapp” hat sich mit dem Lifestyle- und Jugendmagazin “Vice” beschäftigt. Dort würden regelmäßig Tipps für den Drogenkonsum erscheinen, von Mischkonsum-Rezepten bis hin zu Tricks für den Drogenschmuggel. Der Leiter des Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Eppendorf in Hamburg bezeichne derlei Artikel als einen “Schlag ins Gesicht” all derer, die täglich mühsam Suchtprävention betreiben: Eine seriöse Berichterstattung im Sinn von “Safer Use” habe nüchtern und sachlich zu sein. Ob und inwiefern das Angebot von “Vice” den Richtlinien des Jugendmedienschutzes entspricht, werde nun ein Prüfverfahren zeigen.

6. Songlyrics-Seiten im Web: Einmal Goldrausch und wieder zurück
(onlinemarketingrockstars.de, Roland Eisenbrand)
Spannender Hintergrundbericht, wie findige Website-Macher und teilweise blutjunge Kids seit Jahren Songtexte auf ihren Lyrics-Seiten ausbeuten.