Archiv für August 1st, 2016

Kokain im alten Zopf

Man kann in diesen Tagen manchmal vergessen, dass eigentlich Sommerloch ist. Aber ab und zu will eben doch nicht so viel passieren, wie in Zeitungen und Online-Portale passen würde. Und dann brauchen die Redakteure schon etwas Glück, um auf einen handfesten Skandal zu stoßen.

Der Kölner “Express” hatte vergangene Woche dieses Glück:

Es war ein Test im Dienste der Wissenschaft: Die WDR-Wissenschaftssendung “Quarks & Co“ hatte die Promis Jean Pütz (79), Anna Schudt (42) und Roberto Blanco (79) zur Haaranalyse gebeten.

Doch mit diesem Ergebnis hatte niemand gerechnet: Bei zwei der Stars wurden Drogen nachgewiesen!

Klar, dass so ein Knaller groß auf die Titelseite gehört:

Im WDR hatten Forscher des “Rechtsmedizinischen Instituts” der Universität Köln die Haarproben der drei Promis untersucht, “und peng!”, bei Pütz entdeckten sie Kokain und Cannabis. Bei “Tatort”-Kommissarin Schudt immerhin Cannabis. Der “Express” spricht von einer “Überraschung”, von einem “Schock-Ergebnis in der Sendung”.

Die “Bild”-Medien zogen nach:

Ganz so spektakulär und neu, wie das nun alles klingt, ist die Geschichte dann aber doch nicht.

Erst einmal: Der Beitrag lief nicht bei “Quarks & Co.”, sondern vergangenen Dienstagabend in einer Ausgabe von “Quarks & Caspers”, moderiert von Ralph Caspers. In der Sendung ging es ausschließlich um Haare: Viel Amüsantes und Interessantes zum Thema (Blondsein ist ein Gendefekt! Holla!), allerdings war ein Teil von ihr eine Wiederholung vom vergangenen November — und zwar genau der Beitrag mit Jean Pütz und den anderen Prominenten, in dem es darum ging herauszufinden, was Wissenschaftler eigentlich anhand so einer Haaranalyse über einen Menschen aussagen können.

Wenn man aufpasst, erfährt man — neben der Info, dass Roberto Blanco seine Haare offenbar schwarz nachfärbt: Das Kokain und das Cannabis wurden in den Proben zwar nachgewiesen, “jedoch in so geringer Konzentration, dass klar ist: Die Drogen wurden nicht konsumiert”. Das Fazit des Beitrags lautet dann auch, “dass Drogen im Haar nicht bedeuten, dass der Haarträger sie nimmt.” Für ein positives Testergebnis kann es zum Beispiel schon reichen, dass man einmal jemandem, der Kokain genommen hat, die Hand gegeben hat.

Und so kommentiert das Team der Sendung den “Express”-Artikel bei Facebook: “Der nächste Drogenskandal? Eher nicht.” Für eine Skandalgeschichte auf der Titelseite des Kölner Boulevardblatts reicht es, auch mit neun Monaten Verspätung, aber noch allemal.

Mit Dank an Axel B. für den Hinweis!

Dirk Hoerens halbe Hartz-Wahrheit über Ausländer

Heute, auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung:

Wegen der starken Zuwanderung von Flüchtlingen steigt die Zahl der ausländischen Hartz-IV-Bezieher deutlich an. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) stammte nach jüngsten Daten jeder 4. Stütze-Empfänger (26 %) aus dem Ausland.

Insgesamt bezogen 1,541 Millionen Ausländer Hartz IV, 170 207 (12,4 %) mehr als ein Jahr zuvor. Die Zahl der deutschen Hartz-Empfänger sank dagegen um 239 995 (–5,2 %) auf 4,36 Millionen. Im Schnitt sind 7,7 % der Deutschen auf Hartz angewiesen, bei Ausländern sind es 18 %.

Die meisten ausländischen Stütze-Empfänger kommen aus der Türkei (295 260), Syrien (242 391) und Polen (92 506). Am stärksten gestiegen gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus Eritrea (+229,4 %) auf 16 764 und Syrien (+195,1 %).

Obwohl dieses “Die”-und-“wir”-Stück von Dirk Hoeren stammt, ist es für sich genommen erstmal richtig. Die Zahlen stimmen. Man kann sie in einer Statistik der “Bundesagentur für Arbeit” (PDF) nachlesen.

Ein anderer Aspekt aus derselben Veröffentlichung der Bundesagentur war Hoeren aber nicht mal einen Halbsatz wert: Dass auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer in Deutschland steigt. Im Mai 2016 — das sind die aktuellsten verfügbaren Zahlen — waren 3,119 Millionen Menschen aus dem Ausland hier sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind immerhin 312.996 mehr als ein Jahr zuvor, ein Plus von 11,2 Prozent.

Was in Hoerens Text ebenfalls nicht vorkommt: In der Statistik der “Bundesagentur für Arbeit” ist bei jedem Herkunftsland, das extra ausgewiesen wird (und das sind immerhin: Afghanistan, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Estland, Eritrea, Griechenland, Italien, Irak, Iran, Kosovo, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Nigeria, Pakistan, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, Serbien, Slowakei, Slowenien, Somalia, Spanien, Syrien, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine und Ungarn), ein positiver Zuwachs von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten vermerkt.

Anders gesagt: 2016 sind mehr Ausländer in Arbeit als ein Jahr zuvor, unabhängig davon, woher sie kommen.

Der Trick mit dem Weglassen der halben Wahrheit hat bei Dirk Hoeren übrigens System, im vergangenen Oktober hat er ihn schon einmal angewendet. Damals ging es um die “Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus Asyl-Ländern”. Das gleiche Schema: Hoeren schreibt über die steigenden Zahlen der sogenannten “Leistungsempfänger im SGB II” und erwähnt die steigende Zahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus “Asyl-Ländern” mit keinem Wort. Das kann man so machen — ist dann aber einseitig.

Bitte nicht falsch verstehen: Wenn die Zahl der ausländischen Hartz-IV-Empfänger steigt, dann kann und soll man darüber berichten. Wenn man dabei aber den anderen Teil der Geschichte weglässt und ein undifferenziertes Bild zeichnet, nützt das am Ende vor allem einer Gruppe — den Rechtspopulisten, die ihrer Gefolgschaft einen neuen Aufreger für den nächsten Stammtisch liefern können:

Täterbilder, Neonazi-Presseausweise, Netzreaktionen

1. „Das Internet kann nicht alles besser“
(faz.net, Harald Staun)
Nach dem Amoklauf in München entschloss sich die Berliner Boulevardzeitung “B.Z.”, nicht mit dem Bild des Täters aufzumachen, sondern titelte “Dein Foto kommt nicht auf unseren Titel!” Die “FAZ” hat mit “B.Z.”-Chefredakteur Peter Huth über Boulevardjournalismus in Zeiten von Terror und digitaler Panik gesprochen.

2. Falsche Journalisten
(br.de, Jonas Miller )
Von einer perfiden Methode der rechtsextremen Szene berichtet Jonas Miller. Neonazis würden sich Polizeibeamten gegenüber als Journalisten ausgeben, könnten so Absperrungen durchlaufen, Gegendemonstranten sowie Polizisten fotografieren und die Einsatztaktik der Polizei ausforschen. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beobachte dieses Vorgehen seit einigen Jahren. Abhilfe könnte ein bundeseinheitlicher Presseausweis schaffen, der von Verleger- und Journalistenverbänden gegen entsprechende Nachweise ausgestellt wird.

3. Abschaltung einer Welt
(taz.de, Clemens Setz)
Google hat den vielgelobten Blog “DC’s” des Schriftstellers Dennis Cooper gelöscht und dabei gleich auch noch dessen E-Mail-Adresse deaktiviert. Die Gründe dafür sind unbekannt. Der Konzern schweigt. Clemens Setz über den Vorgang: “Viele Künstler lieben die Cloud, und das zu Recht. Aber all das bedeutet nicht, dass sich das gigantische Datenwesen, das sich von unseren Erzeugnissen ernährt, auch in irgendeiner Weise für uns interessiert oder auf das Wohlergehen unserer Erzeugnisse achtet. Es kann sich ohne nachvollziehbare Motivation dazu entscheiden, unsere Kunst, unsere Welten und Museen, die wir mit seiner Hilfe errichtet haben, in einer Sekunde zu verschlucken und danach auf keine Anfragen mehr zu reagieren. Es besitzt das Recht der absoluten Gleichgültigkeit, der interesselosen Verwandlung seiner selbst in was immer es zu sein wünscht. Wir sind nur sein Rohstoff. Das kann uns ehren oder erniedrigen, man weiß es nie so genau.”

4. Vormoderner Bann
(carta.info, Franz Sommerfeld)
In Frankreich haben einzelne Medien wie “Le Monde” vor einigen Tagen angekündigt, keine Fotos oder Namen von terroristischen Tätern zu veröffentlichen. Doch die Vorstellung, Bilder oder Texte zu bannen, um eine Gesellschaft zu beruhigen, sei falsch, findet Franz Sommerfeld. “Medien haben ihr Publikationsverhalten natürlich verantwortlich zu gestalten, aber sie sind keine Lehranstalten oder Erzieher der Nation. Es wäre eine neue Variante des Betroffenheits-Kults, wenn die mögliche im Zweifel post-mortale Selbsterregung von Terroristen zur Zensur von Berichten führt.”

5. Wie sich Jugendliche im Netz informieren
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs & Jörg Wagner)
Junge Menschen informieren sich mehr denn je über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, WhatsApp und Co. Doch die Herausforderung, aus dem digitalen Sammelbecken, die richtigen und relevanten Informationen herauszufiltern ist immens. Daniel Bouhs und Jörg Wagner haben für den Deutschlandfunk versucht, sich dem Thema zu nähern und u.a. mit Christian Jakubetz gesprochen, einem erfahrenen Journalisten und Social-Media-Kenner. Jakubetz war in der Nacht des Amoklaufs selbst in die Berichterstattung involviert und musste auf das Netz als Informationsquelle zurückgreifen, doch “der Informationscocktail in den sozialen Netzwerken war kaum genießbar”.

6. Wie das Netz auf Anschläge reagiert
(br.de, Lisa Altmeier)
Lisa Altmeier hat für “Puls” die 12 Phasen im Netz nach einem Anschlag zusammengefasst. Sie reichen von “1. Entsetzen: OMG und WTF” bis zu “12. Zurück zur Normalität: “Wow, ein Turtok!”