Archiv für November 30th, 2015

Gegen Recht und Ordner

In Deggendorf steht seit heute eine 47-jährige Frau vor Gericht, weil sie ihren Mann wenige Monate nach der Hochzeit erstochen haben soll. Viele Medien berichten über den Prozess. Bebildert sind die Artikel in den meisten Fällen so:


(br.de)


(welt.de)


(pnp.de)

Voll gemein mit diesem Aktenordner. Da hat man ja kaum eine Chance, die Persönlichkeitsrechte der Frau zu verletzen!

Doch zum Glück war “Bild”-Reporter Jörg Völkerling zur richtigen Zeit in der richtigen Position:

(Unkenntlichmachung von uns.)

Mit Dank an Boris R.

Nachtrag, 1. Dezember: In der Print-Ausgabe hat “Bild” der Frau einen schwarzen Augenbalken spendiert.

Nachtrag, 4. Dezember: … und online ist sie nun doch verpixelt.

n24.de  

Mehr Fiction als Science

Bei N24 finden sie diese “Aufnahmen aus dem Weltall”, die die Nasa veröffentlicht haben soll, wohl so “spektakulär”, dass sie auf der Startseite aktuell gleich zweimal auf ihren Artikel verlinken:

Also, draufgeklickt — und schon erzählt einem der Sprecher:

Diese spektaklären Weltraumaufnahmen der Nasa zeigen ein äußerst seltenes Phänomen. Zu sehen ist zunächst ein sogenanntes Schwarzes Loch. Wie ein Phantom schwebt es durchs All. Plötzlich taucht ein sonnenähnlicher Stern auf. Er wird vom Schwarzen Loch angezogen. Bei diesem Schauspiel herschen enorme …

… und so weiter.

Erstmal: Das 1:02-Minuten-Video hat das “Goddard Space Flight Center” der Nasa (GSFC) bereits vor über einem Monat bei Youtube hochgeladen. Vor allem aber trifft es der Sprecher schon ganz gut mit dem “Schauspiel”, von dem er spricht. Denn bei diesem Schwarzes-Loch-Stern-Krimi handelt es sich keineswegs um “Aufnahmen aus dem Weltall”, sondern um Aufnahmen aus einem Computer. Es ist eine Animation.

Oder wie das GSFC selbst schreibt:

This artist’s rendering illustrates new findings about a star shredded by a black hole.

Das ist offenbar auch einigen Lesern aufgefallen. Allerdings:

Da scheint ein Schwarzes Loch durch den N24-Kommentarbereich gezogen zu sein.

Mit Dank an Markus K.!

Nachtrag, 1. Dezember: Inzwischen schreibt N24 nur noch, dass es sich um “Aufnahmen” handele (statt “Aufnahmen aus dem Weltall”). Und auch der Sprecher des Videos redet nun von einer “Animation der Nasa”.

“Bild” und die gefühlte Wahrheit über Mats Hummels

Der “Kicker” hat heute ein großes Interview mit BVB-Fußballer Mats Hummels veröffentlicht. Darin findet sich auch folgende Passage:

Kicker: Sie sollen aus Ärger über interne Meinungsverschiedenheiten gesagt haben: „Ich bin mit der Borussia nicht verheiratet.“

Hummels: Das ist eine Geschichte, die mir wirklich am Herzen liegt! Diesen Satz habe ich im Leben noch NIE benutzt! Und ich habe ganz ehrlich ein Problem damit, dass so etwas einfach erfunden wird und jeder vom anderen abschreibt. Es ist traurig, dass das heute so funktioniert und zur gefühlten Wahrheit wird.

Und wer hat’s erfunden? Genau:

[Hummels’] Verhältnis zu Trainer Thomas Tuchel (42) ist nicht (immer) das Beste. Nach dem Last-Minute-Ausgleich gegen Darmstadt (2:2/7. Spieltag) hatte Hummels gewütet: „Das ist keine Verteidigung.“

Danach musste er sich wegen seiner Kollegen-Schelte deutliche Worte von Tuchel anhören.

Hummels soll sich angeblich nicht gerade einsichtig gezeigt haben und gekontert haben: „Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet!“

Erschienen vor fünf Tagen auf Bild.de und in der Ruhrgebiets-Ausgabe der „Bild“-Zeitung – und von dort herumgereicht in der Fußballmedienwelt:

Hummels soll sich aber angeblich nicht gerade einsichtig gezeigt und laut Bild gekontert haben: “Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet!”

(fussballnews.de)

(…) soll der Nationalspieler demnach entgegnet haben: „Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet.

(transfermarkt.de)

“Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet”, soll Hummels geäußert haben.

(news.de)

Die BILD berichtet, dass eine Trennung möglich sei. Interpretieren tut sie das aus dem angeblichen Satz: “Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet”, den Hummels seinem Coach Tuchel gegenüber gesagt haben soll.

(spox.com)

Darauf solll [sic] dieser erwidert haben: “Ich bin nicht mit dem BVB verheiratet.”

(sport1.de)

Die “Bild”-Zeitung berichtet auf ihrer Online-Seite heute auch über das „Kicker“-Interview. Die Stelle mit dem erfundenen Satz erwähnt sie dabei natürlich nicht.

Fiktive Todesanzeige, “Ein Herz für Kinder”, Zschäpes Brüste

1. Morddrohung gegen Störungsmelder-Autor
(blog.zeit.de, Johannes Radke)
“Es dauert nicht mehr lange, dann haben deine Denunzierungen ein Ende!” Diese fiktive Todesanzeige wurde dem “Störungsmelder”-Autor Jonas Miller und weiteren Engagierten zugeschickt. Sie wollen sich von der Morddrohung nicht einschüchtern lassen und werden “auch weiterhin die rechtsextreme Szene kontinuierlich kritisch (…) beleuchten”.

2. “Von der Polizei wünsche ich mir ein höheres Maß an Sensibilität”
(daniel-bouhs.de, Audio, 17:47 Minuten)
Das Foto vom “Pegida”-Galgen für Sigmar Gabriel und Angela Merkel machte im Oktober die große Medienrunde. Nadine Lindner hat’s veröffentlicht, als sie einmal mehr als Korrespondentin fürs “Deutschlandradio” den Aufmarsch in Dresden besucht hatte. Mit Daniel Bouhs spricht sie über “tätliche Übergriffe auf Journalisten”, den Schutz durch die Polizei und die Auswirkungen ihres Galgen-Fotos. Zum Thema: Matthias Meisner mit “Es gibt No-go-Areas für Journalisten”.

3. Verschlusssache Transparenz
(derpodcast.de, Martin Kissel)
Am kommenden Samstag steigt im ZDF wieder die große “Ein Herz für Kinder”-Spendengala. Normalerweise verlange der Sender “bei Spendenaufrufen von all seinen Partnern ein Spendensiegel”, schreibt Martin Kissel, nicht so bei der “Bild”-Hilfsorganisation. “Dabei gäbe es Fragen genug.” Dazu aus unserem Archiv: Ein Herz für Schmutzkampagnen.

4. Imitation ist kein Erfolgsrezept: Warum WDR #3sechzig gescheitert ist
(netz-lloyd.de, Julius Endert)
Das Youtube-Projekt “#3sechzig” wird vom WDR eingestellt. “Netz-Lloyd” fragt sich, warum — und stellt fest: Nachmachen ist keine Erfolgsgarantie. “Die Zielgruppe will keine Moderatoren, die so tun als seinen sie YouTuber.” Trotzdem sei es für traditionelle Medien wichtig, sich auf der Videoplattform weiter auszuprobieren. Damit bestätigt er im Wesentlichen die Kritik, die Stefan Niggemeier gleich zu Beginn von “#3sechszig” bloggte. “Broadmark” sieht und zeigt die Absetzungsgründe in Zahlen zu ausbleibender Reichweite und fehlender Resonanz.

5. Wer klickt Zschäpes Brüste?
(katapult-magazin.de, Benjamin Fredrich)
Das “Katapult”-Magazin habe es sich “zum Ziel gesetzt, Sozialwissenschaft populär aufzubereiten”. Schon die Überschrift macht klar: Die Popularität kam bei diesem Clickbaiting-Experiment nicht zu kurz. Die Frage: “Inwieweit unterscheiden sich die mäßigen Ergebnisse der Wissenschaftsartikel von jener Veröffentlichung, die auf niedere Instinkte abzielte?” Die Antwort: “Fünf. Der Zschäpe-Artikel wurde pro Einblendung auf Facebook etwa fünfmal häufiger geklickt als ein herkömmlicher Beitrag.”

6. Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Mit den Opfern
(titanic-magazin.de, Stefan Gärtner)
Stefan Gärtner liest den “Stern”, der “mehr als 50 Seiten” zu den Attentaten in Paris verspricht. Nur so viel: Das, was “die Illustriertenpresse” da veranstaltet, gefällt ihm nicht besonders gut.