Archiv für Oktober 7th, 2015

Medien sprechen Reisewarnung für Ostdeutschland aus

Große Aufregung in der vergangenen Woche:

Die Regierung in Kanada hat eine Reisewarnung für Ostdeutschland herausgegeben. Darin ist die Rede von extremistischen Jugendbanden, die in Teilen Ostdeutschlands eine Bedrohung darstellten. Mitglieder solcher Gangs seien bekannt dafür, Personen wegen ihrer Rasse oder ihres ausländischen Aussehens zu belästigen oder direkt zu attackieren. Auch habe es schon Brandanschläge auf parkende Fahrzeuge gegeben.

Die „Warnung aus Kanada konkret für Ostdeutschland“ komme „nicht von ungefähr“, schreibt das „Handelsblatt“: “Die ausländerfeindliche Pegida-Bewegung verzeichnet in Dresden in Sachsen weiter Zulauf.”

Darauf habe die kanadische Regierung also reagiert. Und das schmeckt den hiesigen Politikern so gar nicht.

Die Sachsen-CDU reagiert empört auf die Reisewarnung. „Das entspricht nicht der Realität und ist extrem rufschädigend“, sagte der Generalsekretär der sächsischen CDU und Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Kretschmer, dem Handelsblatt. „Deutschland muss dieser Beurteilung entschieden entgegen treten.“

Bevor Deutschland damit loslegt, würden wir ihm raten, sich ein bisschen besser zu informieren als das “Handelsblatt” oder der Herr Generalsekretär. Die Geschichte stimmt nämlich gar nicht.

Kanada hat keine Reisewarnung für Deutschland herausgegeben. Es gelten nach wie vor die „normalen Sicherheitsvorkehrungen“, also die niedrigste Sicherheitsstufe.

Auf der Internetseite der kanadischen Regierung gibt es lediglich einige Sicherheitshinweise für Deutschland. Da wird zum Beispiel vor Taschendieben „an Bahnhöfen, auf Flughäfen und Weihnachtsmärkten“ gewarnt. Oder davor, dass Demonstrationen ohne Vorwarnung in Gewalt umschlagen könnten. Oder eben vor extremistischen Jugendgruppen, die besonders „in einigen kleineren Städten und in Teilen des früheren Ostdeutschlands“ eine Bedrohung seien.

Das „Handelsblatt“ verdreht diesen Vermerk zu einer „Reisewarnung für Ostdeutschland“. Und erweckt den Eindruck, als reagiere die kanadische Regierung damit auf „Pegida“ & Co. – aber auch das ist falsch. Die Hinweise stehen nicht erst seit Neuestem auf der kanadischen Seite (wie auch ein Blick in die Wayback-Machine verraten hätte), sondern seit zehn Jahren.

Was sich vor dem Hintergrund der Angriffe auf Flüchtlingsheime vor allem im Osten der Republik wie eine aktuelle Zustandsbeschreibung liest, stammt allerdings schon aus dem Jahr 2005.

schreibt „Zeit Online“, eines der wenigen Medien, die nicht einfach blind vom “Handelsblatt” abgeschrieben haben.

Nur ein Hinweis zu gestiegenen Flüchtlingszahlen in Europa sei am 28. September neu hinzugekommen, sagt die Sprecherin der kanadischen Botschaft in Berlin, Jennifer Broadbridge ZEIT ONLINE. Dadurch könne es zu Verspätungen an Grenzübergängen und Bahnhöfen kommen, steht in dem Absatz.

Anders gesagt: Das einzig Neue an den der Geschichte ist, dass die kanadische Regierung vor Verzögerungen im Zugverkehr warnt. Alles andere ist entweder falsch oder mindestens zehn Jahre alt.

Das muss jetzt nur noch jemand dem “Handelsblatt” erklären. Und der “Thüringer Allgemeinen”:

Und “Spiegel Online”:

Und stern.de:

Und der “tz”:

Und der “Huffington Post”:

Und den vielen, vielen anderen.

Immerhin: Es gibt noch eine Handvoll Journalisten, die erkannt haben, dass das alles Unsinn ist. Bernhard Honnigfort etwa schreibt auf der Onlineseite der „Frankfurter Rundschau“:

Tatsache ist, Kanada hat nicht vor Reisen nach Ostdeutschland gewarnt, sondern bittet seine Landsleute nur darum, aufzupassen und wachsam zu sein.

Und:

Natürlich ist das lange bekannt und der kanadische Warnhinweis ist nicht neu, sondern nur aktualisiert.

Natürlich. Und dass er das Märchen zuvor selbst ganz empört verbreitet hatte, sowohl in der “FR”

… als auch in der „Berliner Zeitung“

… im „Express“

… im „Berliner Kurier“

… und in der „Mopo“

… das erwähnt Honnigfort – natürlich – nicht.

Bei “Focus Online”, wo ebenfalls eindringlich über den Fall berichtet wird …

… haben sie sich nicht bloß auf die falschen Fakten der Kollegen verlassen, sondern selbst welche erfunden. Das Portal schreibt:

Auch vor in Brand gesteckten geparkten Autos wird gewarnt – das betreffe vor allem Berlin.

Berlin wird in den Hinweisen an keiner Stelle erwähnt.

So zieht die Geschichte munter ihre Kreise und wird mit jedem Mal ein bisschen weniger wahr.

Man will sich gar nicht vorstellen, was die kanadische Botschaft inzwischen denkt. Auf Anfrage gibt sie sich aber, klar: diplomatisch. Dem Evangelischen Pressedienst sagte die Sprecherin, man könne die ganze Aufregung zwar nicht nachvollziehen, jedoch würde die Ostdeutschland-Passage „angesichts der aktuellen Debatte” nun “geprüft und möglicherweise in den kommenden Tagen geändert“.

In den Sicherheitshinweisen schreibt die Regierung übrigens, dass man, wenn man in Deutschland unterwegs sei, „die lokalen Medien verfolgen“ solle. Auch ein Ratschlag, über den man mal nachdenken könnte.

Mit Dank an Holger S.

“Fan Run”, Kundendienst, Weihnachtsmärchen

1. Fans machen Stimmung gegen “Fan Run”
(sueddeutsche.de, Sebastian Krass)
Nach dem “Wir helfen”-Badge auf den Trikots der Bundesligisten steht in drei Tagen die nächste “Bild”-Aktion in Kooperation mit einem Fußballverein an: der “FC Bayern Fan Run”. Das Bayern-Blog “Miasanrot” hatte bereits im September über die Merkwürdigkeiten bei der Hilfsaktion berichtet, jetzt hat die “SZ” noch einmal bei der veranstaltenden Firma nachgehakt. Und festgestellt: Inzwischen haben sich in den Teilnahmebedingungen einige kritisierte Stellen geändert.

2. Die Sache mit der Berufsjugend
(blogs.taz.de, Daniél Kretschmar)
Menschen über 25 tun sich bisweilen schwer damit, diese Jugend zu verstehen. Wenn man wissen will, was sie denkt, fragt man gerne einen einzelnen Jugendlichen nach seiner Meinung – zu einer neuen Messaging-App (“Das wird das nächste große Ding!”), Facebook (“Facebook ist plötzlich uncool!”) oder einem neu gestarteten Medien-Angebot. Wenn das Testimonial, das sich zufällig im selben Alter befindet wie ein paar Millionen andere Lebewesen aus “der Zielgruppe”, dann mit deftigen Worten zum Verriss ansetzt, wird die Einzelmeinung zur Generalkritik erklärt und Verlagsmanager reiben sich die Hände, da die Konkurrenz offensichtlich immer noch nicht die Zauberformel für die allseits umgarnte Generation Y/Z/Hashtag gefunden hat. Da schreiben bei “Ze.tt” dann “peinlich bemühte Berufsjugendliche”, und aus “Bento” wird das “Portal für junge Babos”. Daniél Kretschmar wundert sich darüber.

3. Das Krone-Weihnachtsmärchen mit der gekündigten Pädagogin
(kobuk.at, Helge Fahrnberger)
Eine Boulevardzeitung behauptet irgendeinen Blödsinn, und ein Politiker argumentiert in einer TV-Talkrunde mit genau dieser falschen Story — das gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich. In der “Elefantenrunde” kurz vor der Wahl in Wien haben Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Manfred Juraczka (ÖVP) einen Bericht der “Kronen Zeitung” für ihre Zwecke eingesetzt: Eine Wiener Kindergärtnerin soll gefeuert worden sein, weil sie den Kindern Weihnachten nähergebracht hatte. “Kobuk”-Autor Helge Fahrnberger klärt auf, dass das Boulevardblatt ein völlig verzerrtes Bild der Geschichte gezeichnet hat.

4. Bauer-Verlag erleidet Niederlage: Gericht weist Klage gegen Pressegroßhandel ab
(blogs.faz.net, Jan Hauser)
Bislang verhandeln Verleger zentral mit dem Grosso-Verband, zu welchen Konditionen sie ihre Produkte an die Großhändler weitergeben. Der Bauer-Verlag wollte Einzelverhandlung durchsetzen, klagte und bekam in allen Vorinstanzen Recht. Doch der BGH sagt nun: “Das zentrale Verhandlungsmandat ist geeignet, einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien Pressevertrieb zu gewährleisten”.

5. „Wenn Kunden mit einem Anwalt drohen, wird das oft ziemlich witzig“
(basicthinking.de, Tobias Gillen)
Der “Kundendienst” wildert im Kommentarbereich großer Firmen auf Facebook und stiftet dort immer wieder Verwirrung bei den Kunden und sorgt ab und an auch für Verzweiflung unter den Social-Media-Mitarbeitern. Dahinter steckt ein 24 Jahre alter Student. Tobias Gillen hat ihn interviewt.

6. 10 ultimative Tipps für bessere Listen
(wuv.de, Peter Breuer)