Archiv für August 3rd, 2015

Im “Burger-Talk” mit dem “Bild”-Reporter

Ralf Schuler ist Leiter des Parlamentsbüros der „Bild“-Zeitung.

Und hier sehen wir ihn bei der Recherche:

Der Chef von McDonald's Deutschland Holger Beeck (l.) beim Burger-Talk mit BILD-Reporter Ralf Schuler (r.) [Auf dem Foto sitzen die beiden nebeneinander, schauen in die Kamera und halten einen Burger in der Hand]

Bei der Gelegenheit hätte Schuler den McDonald’s-Mann natürlich gleich mal kritisch ausquetschen können. Er hätte fragen können, warum die Fast-Food-Kette zurzeit massiv Kunden verliert und enorme Umsatzeinbußen verzeichnet. Oder warum McDonald’s hierzulande bei der Digitalisierung dermaßen hinterhinkt. Aber: nö.

Stattdessen fragt er:

Bietet McDonald’s vor allem billiges Essen?

Antwort: “Zu uns können Leute mit jedem Geldbeutel kommen und beste Burger zum besten Preis bekommen.”

Oder:

Was werden wir in zehn Jahren essen? Algen, Insekten oder Bio-Gemüse?

“Wenn es eine nahr- und schmackhafte, vor allem aber akzeptierte Nahrung aus neuen Rohstoffen gibt, werden wir uns dem nicht verschließen.”

Oder:

Sie bieten ab 13. August einen Veggie Burger (mit) Quinoa an. Ist Fleisch ein Auslaufmodell?

“Unsere Salate und Pommes frittes sind schon jetzt sogar vegan. Den neuen Clubhouse Veggie Burger haben wir zusammen mit Vegetariern und Flexitariern entwickelt. Ich bin gespannt, wie er ankommt.”

Und so ist es nicht Ralf Schuler, der die Gelegenheit nutzt, sondern der McDonald’s-Chef. Um schön ein bisschen Werbung zu machen, für sein Unternehmen und den neuen Burger, der bald kommen soll und dem Bild.de sogar noch ein eigenes Video gewidmet hat (“So wird der neue Veggi-Burger gemacht!”). Highlights:

[Der McDonald's-Chef nimmt von einer Mitarbeiterin einen Burger entgegen]
[Er beißt hinein, während die Mitarbeiterin im Hintergrund erwartungsvoll lächelt]
[Er schließt genüsslich die Augen, während er den Burger kaut]
[Er schaut entzückt in die Kamera, weil ihm der Burger natürlich superduper gut schmeckt]
[Das BILD-Logo]

Das kommt McDonald’s in diesen Krisenzeiten natürlich sehr gelegen: Gleich zweimal dicke Werbung auf Bild.de. Einmal im Anzeigenbereich – einmal im redaktionellen.

[Der Artikel bei Bild.de; daneben eine Anzeige von McDonald's]

“Bild” pfeift aufs Gericht – und zeigt das Gesicht

Heute hat vor dem Oberlandesgericht in Celle der Prozess gegen zwei mutmaßliche „IS“-Rückkehrer begonnen. „Mitgliedschaft in terroristischer Vereinigung und Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat“ lautet der Vorwurf, entsprechend groß ist das Interesse der Medien.

In einer Anordnung hatte das Gericht zuvor festgelegt, dass die Angeklagten nur verpixelt gezeigt werden dürfen. Die dpa hat sich daran gehalten und die Fotos nur mit Unkenntlichmachung veröffentlicht.

„Bild“ — n a t ü r l i c h — nicht.

Inzwischen hat Bild.de das Foto ausgetauscht — und zeigt jetzt eins, auf dem der Mann noch besser zu erkennen ist.

(Der Vollständigkeit halber: Unkenntlichmachungen von uns.)

Nun könnte man argumentieren, dass sich der Angeklagte vor etwas mehr als zwei Wochen ja auch von der “Süddeutschen Zeitung” und dem NDR hat fotografieren und filmen lassen. Die Leute von “Bild” aber begründen die Missachtung der gerichtlichen Anordnung so:

Die blutigen Bilder seiner Kämpfer präsentiert ISIS regelmäßig im Internet, prahlt damit, rekrutiert neue Mitglieder. Doch stehen zwei dieser Kämpfer in Deutschland vor Gericht, sollen sie plötzlich unkenntlich gemacht werden? Da macht BILD nicht mit.

Mit Dank auch an Wolfram S., @RamisOrlu, Sebastian R., Bernhard W., Heinz B., Christian M. und Daniel!

Nachtrag, 16.55 Uhr: Inzwischen haben wir auch die sitzungspolizeiliche Anordnung des Gerichts gefunden (PDF). Darin steht:

Bei den Filmaufnahmen ist sicherzustellen, dass das Gesicht der Angeklagten vor der Veröffentlichung und vor einer Weitergabe der Aufzeichnungen an Fernsehveranstalter oder andere Medien durch ein technisches Verfahren anonymisiert wird und nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich ist.

Das habe der Senat aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes entschieden, erklärte uns die Gerichtssprecherin, und dabei sei ihm durchaus bewusst gewesen, dass einer der Angeklagten bereits im Fernsehen zu sehen gewesen sei.

Und was hält das Gericht von der Veröffentlichung? Die Gerichtssprecherin: “Die Anordnung ist seit Wochen für jeden zugänglich. Mit der Veröffentlichung wurden die Auflagen nicht eingehalten.”

Auf die Frage, ob “Bild” nun mit Konsequenzen rechnen muss, verwies die Sprecherin auf einen weiteren Punkt in der Anordnung, in der es heißt:

Kommen akkreditierte Pressemitarbeiter den Aufforderungen nicht nach, so können ihre Presse- und Medienunternehmen die Akkreditierung verlieren. Darüber entscheidet der Vorsitzende.

Nachtrag, 18:40 Uhr. “Bild” ist nun tatsächlich vom Prozess ausgeschlossen worden. Das hat der Vorsitzende Richter entschieden, wie uns die Gerichtssprecherin bestätigte.

Nachtrag, 4. August: In der heutigen Ausgabe nennt “Bild” die Sache einen “Eklat vor Gericht”, und Bild.de-Chef Julian Reichelt beklagt sich erwartungsgemäß über den …

Nun will das Gericht die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten schützen. Die Medien sollen diese Männer, die sich der schlimmsten Terrororganisation der Welt angeschlossen haben, nur gepixelt zeigen.

BILD hat sich dieser Anordnung widersetzt – und wurde deswegen vom Prozess ausgeschlossen. Mit Verlaub, Herr Richter Meier, damit schützen Sie die Falschen.

Wenn ISIS seine blutrünstigen Taten verübt, posieren die Täter mit abgeschlagenen Köpfen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Wenn die Terroristen sich aber vor einem deutschen Gericht für ihre Taten verantworten sollen, dürfen sie plötzlich nicht mehr erkannt werden? Das ist absurd!

BILD wird sich gegen diese Entscheidung wehren. Sie ist ein Angriff auf die Pressefreiheit!

Landesverrat, wundersamer Wagner, Rechts gegen Rechts

1. Verdacht des Landesverrat: Der Pressespiegel
(netzpolitik.org, Eric Beltermann)
Bei all den (medialen) Entwicklungen rund um den Vorwurf des Landesverrats gegen netzpolitik.org kann man schnell den Überblick verlieren. Eric Beltermann hat einen Pressespiegel zusammengestellt, der ständig aktualisiert wird. Eine “Chronik der Netzpolitik-Affäre” liefert John F. Nebel. Und das Rechercheteam um Hans Leyendecker und Georg Mascolo rekonstruiert, wer auf offizieller Ebene momentan alles nichts von den Ermittlungen gegen Markus Beckedahl und Andre Meister gewusst haben will, sehr wohl aber etwas gewusst haben dürfte. Rechtsanwalt Markus Kompa vermutet indes ganz andere Gründe für die Anzeige durch den Verfassungschutz.

2. Kurze Geschichte eines Unworts: Asylkritiker
(sprachlog.de, Anatol Stefanowitsch)
Bereits letzte Woche gab es eine Reihe von Texten, die vor verharmlosenden oder hetzenden Begriffen wie “Asylgegner”, “Asylanten”, “Wirtschaftsflüchtlinge” oder “Flüchtlingsstrom” warnten (6 vor 9 von Donnerstag: erster Link). Jetzt erklärt Anatol Stefanowitsch den Bedeutungswandel des Wortes “Asylkritiker”: Mitunter stand der Ausdruck auch für eine ablehnende Haltung gegenüber der restriktiven deutschen Gesetzgebung, meinte also eher “Asylpolitik-Kritik”. Erst in den letzten Jahren entdeckten rechte Parteien und Bewegungen den Begriff für sich und verwendeten ihn als Euphemismus für ausländerfeindliche Hetze — eine Deutung, die Medien und Politik oft einfach übernahmen.

3. Flüchtlinge aus der DDR: Zeltstadtbilder
(zebrabutter.net, Kathi Flau)
Bei Facebook tauchen derzeit Fotos von Zeltstädten auf, darauf zu sehen: DDR-Bürger, die in die Bundesrepublik flüchten wollen. Die Posts seien mit der Frage versehen, “ob Dresden, Freital und andere Hochburgen des Flüchtlingshasses die damalige Solidarität vergessen hätten”, schreibt Kathi Flau:

Die Bilder der Zeltstädte von 1989 und 2015, nebeneinander gestellt, suggerieren: Die sich links willkommen heißen lassen, das sind dieselben, die rechts rechts sind.

Doch das sei ein Trugschluss: “Wer damals in einer Zeltstadt aufgenommen worden ist, der schlägt heute nicht vor, die Zeltstadt von Dresden anzuzünden.”

4. “Klar ist das trivial“
(taz.de, Anne Fromm)
Vor einem Jahr startete Buzzfeed in Deutschland. Jetzt blickt die Chefredakteurin Juliane Leopold zurück und zieht eine ehrliche Bilanz: “Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich schon völlig zufrieden mit unserer Leistung bin.” Gleichzeitig verteidigt sie Buzzfeed gegen die oft vorgebrachte Kritik, das Portal biete Unterhaltung statt Journalismus und nimmt das Native-Advertising-Modell in Schutz: Mit optisch nicht vom Rest der Zeitung unterscheidbaren Verlagsbeilagen habe sie größere Probleme

5. Die wundersame Welt des Franz Josef Wagner
(sueddeutsche.de, Jana Stegemann)
Nach Wagners umstrittenen Kolumne über (Nicht-)Mütter hat Springers “Welt” den “Bild”-Chefkolumnisten vergangene Woche zum Interview gebeten. Jana Stegemann hat sich die (erwartungsgemäß wieder ziemlich bekloppten) Aussagen genauer angeschaut. Auch stern.de muss nach Lektüre des Interviews feststellen: “Es geht immer noch schlimmer”.

6. Rechts gegen Rechts in Bad Nenndorf (Der Film)
(youtube.com, Video, 4 min.)
Vorgestern sind Neonazis in einem “Trauermarsch” durch das niedersächsische Bad Nenndorf gezogen. Ähnlich wie im vergangenen Jahr in Wunsiedel wurde der Aufmarsch der Rechtsradikalen aber zum unfreiwilligen Spendenlauf: Für jede Minute unerwünschter Aufenthaltszeit in Bad Nenndorf spendeten Bürger und Unternehmen zehn Euro für die Entfernung von rechtsextremen Tattoos. Einen Bericht gibt’s auch im Störungsmelder-Blog von “Zeit Online”.