Archiv für Juni 9th, 2015

Rügen-Drama! Helene Fischer und das Killer-Kommando

Vergangene Woche hat der Presserat neben der Germanwings-Berichterstattung auch die “regulären” Beschwerden bearbeitet und im Anschluss (zusätzlich zu den zwei Rügen, sechs Missbilligungen und neun Hinweisen zu Germanwings) sechs Rügen, 26 Missbilligungen und 27 Hinweise ausgesprochen.

Am fleißigsten unjournalistisch unterwegs waren mal wieder die “Bild”-Medien und die der Regenbogenpresse.

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Eine Rüge bekam Bild.de für die Veröffentlichung eines Notruf-Mitschnitts aus den USA, in dem eine schwer verletzte Frau berichtet, dass sie schwanger sei und ihr der Bauch aufgeschnitten wurde:

(Inzwischen offline.)

Der Beschwerdeausschuss bewertete die Veröffentlichung als unangemessen sensationell (Verstoß gegen Ziffer 11):

Der über fünf Minuten lange Mitschnitt ermöglichte es den Hörern, am Leiden der Frau teilzunehmen. Ein Begleittext mit einer journalistischen Einordnung des Falls fehlte. Da die Frau auch mit Bild gezeigt wurde und sie bei dem Notruf ihren Vornamen, ihr Alter und ihre Adresse nennt, lag zudem eine Verletzung des Schutzes ihrer Persönlichkeit vor.

Dass ein Begleittext fehlte, ist übrigens so nicht ganz richtig. Im Video-Bereich von Bild.de erschien das Video zwar ohne eigenen Text, geschrieben hat das Portal über den Fall aber an anderer Stelle. Und da umso ausführlicher:


Darüber hat sich aber niemand beim Presserat beschwert.

„Bild“ und Bild.de erhielten außerdem fünf Missbilligungen.

Auf Bild.de war ein Artikel über einen Mann erschienen, der angeblich heimlich ein Mädchen gefilmt hatte und von dessen Vater daraufhin zu Tode geprügelt wurde. Im Artikel wurden beide Männer unverpixelt gezeigt, worin der Presserat einen Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) erkannte.

Ebenfalls gegen Ziffer 8 verstieß nach Ansicht des Presserats dieser Artikel:

… weil Bild.de die Gesichter der Opfer unverpixelt gezeigt hatte.

Auch in diesem Fall …

… verzichtete Bild.de auf eine Anonymisierung des Opfers, allerdings ist wohl davon auszugehen, dass eine Erlaubnis der Eltern vorlag (sie haben sich auch selbst von „Bild“ fotografieren lassen).

Eine Erlaubnis für das Zeigen des Täters hatte Bild.de aber offensichtlich nicht; der Presserat sprach erneut eine Missbilligung wegen Verstoßes gegen Ziffer 8 aus.

Missbilligt wurde zudem dieser Beitrag:

Das Video wurde zwar von der Mutter selbst veröffentlicht, dennoch erkannte der Presserat einen Verstoß gegen Ziffer 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde).

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Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Eine weitere Rüge sprach der Presserat gegen die „Ludwigsburger Kreiszeitung“ aus. Das Blatt hatte eine Polizeimeldung über einen Trickdiebstahl veröffentlicht. Darin stand, dass die Verdächtigen „vermutlich Sinti oder Roma“ seien. Der Beschwerdeausschuss bewertete das als diskriminierend und als „einen schwerwiegenden Verstoß gegen Ziffer 12 in Verbindung mit Richtinie 12.1 des Pressekodex“, in der steht:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Dieser Bezug fehlte nach Ansicht des Presserats in diesem Fall.

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Ebenfalls gerügt wurde die „Märkische Allgemeine“. Die Zeitung hatte drei Beiträge veröffentlicht, in denen den Lesern jeweils ein bestimmtes Produkt vorgestellt wurde (Notizbuch, Haarpflegemittel, Raumspray), inklusive Produktfotos und Preisnennung. In einem Fall wurde der vorgestellte Artikel zudem als „Wundermittel“ bezeichnet. Der Beschwerdeausschuss sah durch diese Angaben die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 überschritten.

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Alle weiteren Rügen gingen diesmal wieder an die Regenbogenpresse.

Unter anderem an “Das neue Blatt“. Das Heft aus dem Bauer-Verlag hatte im vergangenen Jahr getitelt:

Die Geschichte ging so: Neulich ist mal eine Artistin im Düsseldorfer Varieté aus vier Metern Höhe gestürzt und hat sich verletzt. Helene Fischer macht bei ihrer Tour auch ein paar Kunststücke in luftiger Höhe. Ende.

Oder wie „Das neue Blatt“ zusammenfasst:

Sie will überraschen, das Publikum begeistern: Für ihre Fans gibt Helene Fischer alles! Dabei ist die Gefahr, sich zu verletzen oder dass Schlimmeres passiert, groß, wie ein schwerer Unfall zeigt. […] Ob Helene nach diesem Drama vernünftig wird?

Auch der Presserat wertete die Darstellung auf der Titelseite und in der Schlagzeile als „bewusst irreführend“ und als Verstoß gegen die Ziffern 1 (Wahrhaftigkeit) und 2 (Sorgfalt).

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Gleich zwei Rügen (ebenfalls wegen Verstößen gegen die Ziffern 1 und 2) kassierte der „Alles Gute Verlag“ — für einen identischen Artikel in zwei verschiedenen Heften. Beide hatten getitelt:


Diese Mehrfachverwurstung ist in der Regenbogenpresse übrigens üblich.

Die Informanten für die Story sind angeblich irgendwelche „Palastinsider“, die angeblich „von einer ausgewachsenen Depression“ bei Norwegens Prinzessin sprechen. Belege für eine tatsächliche Erkrankung liefern die Blätter nicht.

Das Foto auf dem Titel haben die Redaktionen noch dazu komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Ja, sie weint auf dem Foto, aber nicht wegen der angeblichen „Schock-Diagnose“, sondern weil sie um die 77 Opfer trauert, die bei den Anschlägen in Norwegen am 22. Juli 2011 ums Leben kamen. Darunter auch Mette-Marits Stiefbruder, der auf der Insel Utøya erschossen wurde.

Die Fotos wurden bei einer Trauerfeier aufgenommen und werde seitdem immer wieder von den Regenbogenredaktionen missbraucht, um ihre Lügengeschichten zu illustrieren.

Apropos. Die „Freizeit direkt“ aus dem Deltapark-Verlag sieht zurzeit so aus:

Und der “Alles Gute Verlag” hat seinen soeben doppelt gerügten Artikel einfach noch ein drittes Mal rausgejagt. Die aktuelle “Freizeit heute” sieht so aus:

Zu den Mitteilungen des Presserats

Verwirung bei den Hauptstadtjournalisten

Wenn die Autoren von Bild.de vom kollektiven “wir” sprechen, meinen sie meist nicht nur sich und ihren Sitznachbarn in der Redaktion, sondern eher ganz Deutschland oder im Zweifel gleich die ganze Menschheit.

Bei der heutigen Ausgabe der täglich traurigen “Zehn um zehn”-Liste dürfte das “wir” hingegen nur einen begrenzten Personenkreis umfassen:

Im zehnteiligen Quiz geht’s schon bei der ersten Frage gut los:

Nun ja, ganz so eindeutig ist es nicht. Bern ist zwar “Bundesstadt”, de jure gibt es aber keine schweizerische Hauptstadt.*

Nächste Frage:

Die Stadt Sidney gibt es zwar einmal in Kanada und mehrmals in den USA; in Australien gibt es aber nur die Stadt Sydney, die fälschlicherweise oft anstelle von Canberra als Hauptstadt genannt wird (immerhin diesen Bock hat Bild.de nicht geschossen).

Zwei Fragen weiter will Bild.de folgendes wissen:

Pretoria ist tatsächlich Südafrikas Hauptstadt. Aber nur eine von dreien: Die Regierung sitzt in Pretoria, das Parlament in Kapstadt und das Oberste Berufungsgericht in Bloemfontein.

Weiter:

“Neu Dehli” wird eigentlich “Neu-Delhi” geschrieben, aber gut. Vollends verstrickt sich die Redaktion im Hauptstadt-Wirrwarr bei Frage neun. Da macht sie das Emirat Schardscha (auf Englisch: “Sharjah”, auf Bild.de: “Scharjah”) zur Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate:

Richtig wäre Abu Dhabi.

Einige Bild.de-Leser haben die Schnitzer bereits bemerkt und in den Kommentaren bemängelt. Das “wir” bezieht sich in diesem Fall also tatsächlich nur auf die, die es geschrieben haben.

Mit Dank an Marvin!

*Korrektur, 18.15 Uhr: Statt “de jure” hatten wir zuerst “de facto” geschrieben. Sorry!

Schokoladen-Diät, Rabauken-Jäger, Hip-Hop-Journalismus

1. “Schlank durch Schokolade”
(arte.tv, Video, 52:22 Minuten)
Diana Löbl und Peter Onneken erfinden die Schokoladen-Diät “The Chocolate Transformation” und “führen eine wissenschaftlich begleitete Studie durch, die so absurd ist, dass man sie eigentlich nicht ernst nehmen dürfte”. Sie findet dann dennoch ihren Weg in die Medien (ab Minute 47).

2. “Der Schokoladenstudienreport – ein Schlappe für den Journalismus”
(scienceblogs.de/geograffitico, Jürgen Schönstein)
Jürgen Schönstein kritisiert die Darstellung der Autoren: “Kurz nach der 47. Minute erfahren wir dann, dass eine aufwändig vorbereitete Pressemitteilung an ‘hunderte Journalisten in ganz Deutschland’ geschickt wurde. Doch das waren nicht etwa WissenschaftsjournalistInnen, wie man bereits drei Minuten voher hören konnte – Zielgruppe waren ‘Beauty-Journalisten’, und wer immer damit gemeint sein könnte, ist vermutlich eher auf Schönheitstipps und Kosmetika spezialisiert. WissenschaftsredakteurInnen würde ich im Beauty-Ressort allerdings nicht unbedingt erwarten… Doch selbst dort ist man offenbar nicht so blöd gewesen: Hunderte erhielten die Nachricht, doch letztlich fielen offenbar nur fünf darauf rein: BILD, Cosmospolitan, RTL, Brigitte und FOCUS Online, hier fälschlich – Redaktion und Eigentümerstruktur sind völlig verschieden, nur die Marke ist ähnlich – als FOCUS präsentiert.”

3. “Rabauken – Jäger eine Beleidigung?”
(hoesmann.eu)
Geht die Verurteilung eines Journalisten zu einer Geldstrafe von 1000 Euro, weil er einen Jäger “Rabauken-Jäger” genannt hat, in Ordnung? Nein, findet die Kanzlei Hoesmann: “Die Kritik der Medien erfolgt daher aus unserer Sicht zurecht und wir hoffen, dass in einer etwaigen zweiten Instanz das Urteil wieder zu Gunsten der Meinungs- und Pressefreiheit aufgehoben wird.”

4. “Warum die große Disruption des Fernsehens gerade erst beginnt”
(t3n.de, Luca Caracciolo)
Luca Caracciolo schreibt über die Zukunft des Fernsehens: “Wenn Drehbücher nur auf Basis von Datenanalysen geschrieben werden, mutiert die schöne neue Fernseh-Welt in der Tat zu einem engstirnigen und opportunistischem Monster des immer Gleichen. Gelingt den großem Streaming-Plattformen hingegen die Balance zwischen Datenanalyse und künstlerischer Freiheit, stehen uns wahrlich großartige Zeiten bevor.”

5. “Hat der Beruf ‘Hip-Hop-Journalist’ Zukunft?”
(istdashiphopoderkanndasweg.wordpress.com)
Qualitäts- und Finanzierungsprobleme im Hip-Hop-Journalismus.

6. “Journalisten und Freigetränke”
(facebook.com/SPOXcom)