Archiv für März 31st, 2015

Quelle: Pizzabäcker

Die „Spurensuche“ läuft auf Hochtouren: Dutzende, vielleicht Hunderte Journalisten durchforsten gerade das private Umfeld von Andreas L., dem Co-Piloten, der unter Verdacht steht, die Germanwings-Maschine 4U9525 absichtlich zum Absturz gebracht zu haben, und versuchen vor allem, mit Menschen zu sprechen, die (fast) mal was ihm zu tun hatten.

Als erfahrene Katastrophenjournalisten sind die Leute von „Bild“ im Auftreiben solcher Zitategeber natürlich besonders talentiert, darum konnte die „Bild“-Zeitung zum Beispiel schon diesen Mann hier präsentieren:

Und diesen:

Und sie veröffentlichte ein Interview mit Frank Woiton, einem weiteren Piloten, der in den sozialen Netzwerken von einigen als Held gefeiert wird, weil er, als er zwei Tage nach dem Unglück freiwillig als Pilot einsprang, alle Passagiere vor dem Flug persönlich begrüßte und in einer Ansage versprach, dass er alles dafür tun werde, sie sicher ans Ziel zu bringen, und dass auch er eine Familie habe, die er abends wieder in die Arme schließen wolle. Ein Fluggast hatte sich via Facebook bei dem Piloten bedankt, darum wurde er ein bisschen berühmt und von “Bild” interviewt. Das Interview trägt die Überschrift:

Hö?

Dachte sich vermutlich auch Frank Woiton, der noch in der Nacht bei Facebook schrieb:

Derweil versuchen viele Journalisten fiebrig, auch mit Verwandten, Freunden und Kollegen des Co-Piloten Andreas L. zu sprechen, aber weil zurzeit offenbar die meisten von denen mit so albernen Dingen wie Trauern beschäftigt sind, ziehen viele Reporter durch den Heimatort des Co-Piloten und befragen halt den Pizzabäcker um die Ecke.

Im Ernst:

Dass sich [Andreas L. und seine Freundin] getrennt haben könnten, schließt auch Pizzabäcker Habib Hassani (53) nicht aus. Zu ihm kamen die beiden immer ein- bis zweimal die Woche. “Sie waren immer freundlich und nett und bestellten meistens das gleiche: Pizza mit Schinken, Brokkoli und Zwiebeln.” Doch in den Wochen vor dem Absturz sei fast nur noch Andreas L. zu ihm gekommen – aber auch das nur noch sehr selten.

Erschienen ist dieser Absatz in der „Rheinischen Post“ und auf dem dazugehörigen Internetportal „RP Online“.

Die RP-Leute waren aber nicht die einzigen, die es für eine gute Idee hielten, den Pizzabäcker als Informanten heranzuziehen: Inzwischen ist er sogar eine der am häufigsten zitierten Quellen, wenn es um den Beziehungsstatus und den psychischen Zustand des Co-Piloten Andreas L. geht.

Er wurde bereits von „Bild“ zitiert …

Habibalah Hassani (53), der die Pizzeria in Düsseldorf betreibt, die ganz in der Nähe [von Andreas L.s] Zweitwohnung liegt, sagt, er habe ihn öfter mit einer Freundin gesehen.

… vom „Berliner Kurier“ …

Pizzabäcker Habib Hassani (53) erinnert sich an L. als einen gut gelaunten, freundlichen Kunden. „Ich habe ihn manchmal zweimal die Woche gesehen, er kaufte Pizza und Tiramisu.“

… vom „Stern“ …

Es ist eine ruhige Gegend mit Apotheke und Bäcker und der Pizzabude Da Paolo, 210 Meter entfernt von seiner Wohnung. Der Besitzer Habib Hassani hat [L.] oft bedient, machte ihm Pizza, immer mit Brokkoli, Schinken, Paprika, Zwiebeln, zum Mitnehmen. Zwei Stück. Eine für [L.] und eine für seine Freundin. Manchmal begleitete ihn die Freundin auch. Dunkelhaarig sei sie gewesen, kräftig und nett. Herr Hassani sagt: „Das war ein guter Junge. Manchmal hat er vom Fliegen erzählt. Hat gesagt: ‘Für mich scheint immer die Sonne – über den Wolken.’ Und dass er es liebt.“

… von der „Westdeutschen Zeitung“ …

Pizzabäcker Habib Hassani (53): “Ich habe ihn manchmal zweimal die Woche gesehen, er kaufte Pizza und Tiramisu. Er war immer freundlich, gut gelaunt.” Die letzten zwei Monate sei er aber nicht mehr gekommen.

… von der „Hamburger Morgenpost“ und dem „Express“ …

Pizzabäcker Habib Hassani (53) erinnert sich an [L.] als einen freundlichen Kunden, der einen älteren Fiat fuhr. “Ich habe ihn manchmal zwei Mal die Woche gesehen, er kaufte Pizza und Tiramisu.”

… von „Mail Online“ …

Habibalah Hassani, 53, who runs a pizza restaurant close to their flat said he had often seen them together. 
‘They were a very nice, friendly young couple. She was a polite and attractive woman. They would come in once maybe twice a week. ‘He used to tip well, he was very generous. He had told me about his trip to San Francisco. I hadn’t seen them for a couple of months before this happened.’ 

… von der „Mail on Sunday“, die es sogar schafft, die Wahl des Pizzabelags als Symptom einer angeblichen Kontrollsucht zu deuten …

His obsessive need to be in charge extended even to fast food. Habib Hassani, who runs a pizza restaurant near [L.]’s Dusseldorf home, said: ‘He was extremely particular about pizza toppings. He wasn’t interested in what was on the menu. It was often paprika, ham, onion and broccoli. He had to have it his way. He was compulsive about it.’

… von Telegraph.co.uk …

Local pizza shop owner Habibalah Hassani who knew [L.] refused to accept that he could have had a serious psychological condition […].

… von der „Financial Times“ …

Habib Hassani, owner of a pizza parlour close to [L.]’s home, was baffled as to why his regular customer might have taken such a step. “He was completely normal, always laughing, always nice,” he said.

… sowie von amerikanischen, kenianischen, ecuadorianischen, malaysischen, spanischen, neuseeländischen, indonesischen, französischen, honduranischen, estnischen, vietnamesischen, polnischen und unzähligen weiteren Medien.

Der „Financial Times“ sagte er übrigens noch:

“It’s impossible to believe he did this. But you can never know what’s happening inside someone’s head.”

Tja. Noch nicht mal als Pizzabäcker.

PS: Ziemlich genau eine Stunde bevor bei „RP Online“ die Aussagen des Pizzamanns erschienen waren, hatte RP-Chefredakteur Michael Bröcker „In eigener Sache“ geschrieben:

Glaubwürdigkeit bleibt gerade im Dauerfeuer der elektronischen Eilmeldungen das höchste Gut des Journalismus. Deshalb diskutieren wir bei jedem Foto, bei jeder Nachricht, bei jeder noch so kleinen Information: Kann das stimmen? Können wir das schon veröffentlichen? Trägt das Bild zum Verständnis des Unfassbaren bei oder ist es bloß voyeuristisch? Wir wägen ab, wir ringen mit uns. Eine tägliche Herkulesaufgabe. Sie gelingt sicher nicht immer.

In der Tat.

Mit Dank auch an Martin F., Christoph W., und S.!

Haltern, Montabaur, Crowdfunding

1. “Umgang der Medien mit Schülern und Angehörigen in Haltern”
(meistergedanke.de, Mika Baumeister)
Mika Baumeister schildert den Aufmarsch der Presse in Haltern am See – eine Schulklasse aus dem Ort starb beim Absturz von Germanwings-Flug 9525: “Geld für Interviews oder Aufzeichnungen der Gespräche in den ersten Stunden des Mittwochs wurden ebenfalls geboten. Das besthonorierte vor-Ort-Interview wäre wohl bei etwa 80€ dotiert gewesen, soweit ich weiß, gab es auch Einladungen zu Talkshows mit höheren Vergütungen. Diese Interviewanfragen gingen aber nicht immer an halbwegs reife Personen aus der Oberstufe, sondern auch an unschuldige Seelen aus den Klassen 5-7. Mit 10-13 Jahren alten Personen solche Deals zu machen, ist nicht mehr fragwürdig, sondern grenzt an krimineller Energie.”

2. “Dann gehen sie wieder”
(taz.de, Saskia Hödl)
Vor Ort in Montabaur war Saskia Hödl: “Die Herren in den Vierzigern sprechen so laut, dass es der ganze Raum mitbekommt. Man habe einer Kollegin vorgegaukelt, die Freundin des Copiloten hätte schon ausgepackt und hätte gesagt, der Ex habe einen kleinen Penis gehabt. Sie habe es kurz geglaubt. Lautes Gelächter.”

3. “4U9525 als Newsredakteur: Eine kaum zu ertragende Nachrichtenlage”
(kosmos.welt.de)
Die Nachricht über den Flugzeugabsturz in der Nachrichtenredaktion: “Nein, Spaß macht es gerade nicht, aber wir funktionieren.”

4. “Böhmermann überführt!! Der Videobeweis”
(krautreporter.de, Frederik Fischer)
Das #varoufake-Video in der Analyse von Videoforensikern.

5. “Social Media auf der nächsten Ebene – mein Langstecke-Crowdfunding-Fazit”
(dirkvongehlen.de)
Dirk Von Gehlen glaubt, die grosse Zeit von Crowdfunding komme erst: “Als die heute großen Social-Media-Plattformen aufkamen, wurden die ersten Nutzer verlacht oder zumindest naserümpfend angesehen. Ähnlich verhält es sich gerade mit dem allgemeinen Blick auf das Phänomen ‘Crowdfunding’, es wird als Randthema wahrgenommen. Als eine Bezahlmethode für diejenigen, die es im klassischen Betrieb nicht schaffen. Ich glaube, dass dies ein Trugschluss ist. Die Vorstellung von Crowdfunding wird sich in den nächsten Jahren radikal verändern.”

6. “Oje, wenn die Bild über ein Akademie-Gespräch schreibt”
(katharinagreve.de)