Archiv für Februar 26th, 2015

Seite Eins, Martin Suter, Tatort

1. “SEITE EINS”
(krautreporter.de, Johannes Kram)
Das Drehbuch von “SEITE EINS – Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone”: “Wir vom Boulevard, wir übertreiben es manchmal, wir sind vielleicht oft etwas zu deutlich, aber … Handy klingelt wieder, er schaut auf das Display … aber ich sage Ihnen was: Wir nehmen den Leser ernst.”

2. “Suter, ein verhätschelter Staatskünstler?”
(tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
“Staatshilfe für Star-Autor”, titelt “Blick” gestern und greift Martin Suter an – Geld ist jedoch hauptsächlich an Übersetzer seines Werks geflossen: “Martin Suter hat bisher nur einmal einen substanziellen Beitrag vom Staat erhalten: 1997 bekam er die Ehrengabe des Kantons Zürich für seinen Erstlingsroman ‘Small World’. Dotiert war diese Ehrengabe mit gerade einmal 5’000 Franken.” Zur Beziehung zwischen Suter und “Blick” siehe auch diese Stellungnahme des Schweizer Presserats von 2010.

3. “Nimm mich!: Mehrere Städte buhlen um den neuen SWR-‘Tatort’ – nicht immer in Würde”
(dnn-online.de, Imre Grimm)
Städte bewerben sich als Schauplatz für den “Tatort”: “Beim SWR sieht man derlei Bemühen eher zurückhaltend. Bewerbungen hätten gar keinen Zweck, sagt Zöllner. ‘Die Entscheidung fällt nach dramaturgischen Gesichtspunkten.'”

4. “Alles Stasi außer Mami”
(heise.de/tp, Malte Daniljuk)
Malte Daniljuk beleuchtet das Journalisten-Ehepaar Jörg Eigendorf (“Die Welt”) und Katrin Eigendorf (ZDF): “Spätestens wenn er Kritikern seiner parteiischen Berichterstattung nicht nur pauschal Verbindungen zu gegnerischen Geheimdiensten unterstellt, sondern sogar sein ‘Investigativteam’ auf sie ansetzt, ist der Punkt erreicht, an dem sich der deutsche Journalismus und der Springer-Verlag im Besonderen jenseits des demokratischen Selbstverständnisses bewegen, das man so gerne lauthals für sich reklamiert.”

5. “Macht ohne Kontrolle – Die Troika”
(arte.tv, Video, 90 Minuten)
Harald Schumann stellt die Frage: “Was passiert mit Europa im Namen der Troika?”

6. “BILD? Unterstütz ich nicht!”
(preiselbauer.de)

Bild, Bild.de  etc.

Kachelmann vs. Bild

Verhandlungen vor deutschen Gerichten sind selten so spannend und ereignisreich, wie man es aus amerikanischen Serien und Filmen gewohnt ist. Noch dazu, wenn es sich nicht um einen Straf- sondern einen Zivilprozess handelt und eigentlich vorher schon klar ist, dass heute wenig bis nichts passieren wird.

Mehr als ein Dutzend Kameraleute und Fotografen stehen sich trotzdem gegenseitig auf den Füßen herum im Flur des Kölner Landgerichts, um gleich für zwei Minuten absolut nichtssagende Schnittbilder des Klägers Jörg Kachelmann, seinen Anwälten und einigen beeindruckenden Aktenbergen, auf die ein Gerichtsdiener extra hinweist, zu produzieren. Für die Gegenseite interessiert sich niemand.

Die Gegenseite, die Beklagten, das sind die Axel Springer SE als Herausgeberin der “Bild”-Zeitung und Bild Digital als Verantwortliche hinter Bild.de. Beide Medien hatten vor fünf Jahren eine beispiellose Berichterstattung über den Meteorologen Jörg Kachelmann begonnen, dem eine frühere Lebensgefährtin damals vorgeworfen hatte, sie vergewaltigt zu haben. “Bild” und Bild.de hatten – neben anderen Medien wie “Focus” und “Bunte”, gegen deren Verlag Kachelmann in einem weiteren Prozess vorgeht – anhaltend und ausführlich aus dem Intimleben Kachelmanns berichtet und dafür schon zahlreiche juristische Schlappen erlitten. Nach seinem Freispruch im Jahr 2011 fordert Kachelmann jetzt 2,2 Millionen Euro Geldentschädigung von “Bild” und Bild.de.

Die Menschen im Gerichtssaal versuchen, die ganze Zeit über interessiert zu wirken, was ihnen aber nicht immer gelingt. So werden viele Zeigefinger an Schläfen gelegt und Schriftsätze begutachtet. Die anwesenden Journalisten machen sich Notizen über die Kleidung Kachelmanns (dunkler Anzug, blaue Krawatte) und die Optik des Gerichtssaals (helles Holz, viel Braun). Das Kölner Landgericht ist schön wie die Ruhr-Universität Bochum.

Begriffe wie “Selbstöffnung” (wer sein Privatleben in der Öffentlichkeit ausbreitet, hat weniger Anrecht auf Privatsphäre als jemand, der sich zu intimen Details nicht äußert — das Gericht sieht bis heute keine solche Selbstöffnung bei Kachelmann), “kumulative Berichterstattung” und “Schmähkritik” werden engagiert diskutiert und zu definieren versucht.

Im Wesentlichen geht es hier um die Frage, in wie vielen Fällen “Bild” und Bild.de Kachelmanns Persönlichkeitsrechte verletzt haben (diese Zahl hat dann Auswirkungen auf die Höhe der Geldentschädigung), und darum, ob auch Berichte dazugerechnet werden, gegen die Kachelmann gar keine Unterlassungsansprüche geltend gemacht hatte. Kachelmanns Anwalt Ralf Höcker hatte zuvor argumentiert, dass sein Mandant gar nicht gegen alle zweifelhaften Artikel von “Bild” und Bild.de hätte vorgehen können, weil der Verlag durch alle Instanzen gehe und sich die Gerichtskosten im schlimmsten Falle auf 3,5 Millionen Euro summiert hätten — Geld, das Kachelmann im Gegensatz zu Springer nicht habe.

Es dürfte das Verlagshaus daher auch nicht wirklich schmerzen, sollte es am Ende die von Kachelmann geforderten 2,2 Millionen Euro zahlen müssen — wonach es allerdings nicht aussieht: Der Vorsitzende Richter Dirk Eßer lässt von Anfang an durchblicken, dass das Gericht eine Entschädigung für richtig hält, diese aber deutlich niedriger ausfallen dürfte. Das Gericht sieht 36, womöglich 47 schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen: mindestens 15 von Bild.de und mindestens 21 von “Bild”.

Eine organisierte Pressekampagne zwischen Springer und Burda, wie sie Kachelmanns Anwälte erkannt haben wollen, sieht das Gericht eher nicht — die Springer-Anwälte sehen die Schuld an der damaligen Berichterstattung erwartungsgemäß nicht bei einer “Bande von Journalisten”, sondern bei der offensiven Pressearbeit der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts Mannheim.

Für ein paar kurze Momente wird es dann doch noch lustig und geistreich, als Höcker und Gegenanwalt Hegemann durchspielen, wie sie an Stelle des jeweils anderen auf Argumente der Gegenseite reagiert hätten. Der Unterhaltungswert fällt dann aber sehr schnell wieder von dem Niveau einer Folge “Liebling Kreuzberg” auf das der Verlesung der Lottozahlen.

Eher nebensächlich lässt Höcker einfließen, dass ihm eine E-Mail der Gegenseite aus der Zeit des Verfahrens gegen Kachelmann vorliege, die er als “Erpressungsversuch” bezeichnet: “Bild” hätte einen Ausblick auf die zukünftige (wohl besonders negative) Berichterstattung über Kachelmann und dessen damaligen Verteidiger Reinhard Birkenstock geboten, bei einer gewissen Kooperationsbereitschaft aber freundlichere Artikel in Aussicht gestellt.

Es war, wie gesagt, klar, dass es hier heute keine Einigung und kein Urteil geben würde, mithin keine Summe, die gleich aufgeregt in die Redaktionen getickert werden kann. Der Vorsitzende Richter gibt den beiden Seiten sechs Wochen Zeit, sich zu einigen. “Sprechen kann man immer”, sagt Springer-Anwalt Hegemann, was aber auch eher nach einer halbherzigen Zusage zum Besuch beim Paartherapeuten klingt als nach der Aussicht auf eine außergerichtliche Einigung. Wenn dabei nichts rumkommt, will das Gericht am 24. Juni ein Urteil verkünden — “mein Namenstag”, wie Anwalt Jan Hegemann feststellt.

Fans etwas grobschlächtigerer Metaphern kommen anschließend aber auch noch auf ihre Kosten, als Kachelmann und Höcker gemeinsam mit den sie belagernden Kameraleuten in der automatischen Drehtür des Gerichtsgebäudes stecken bleiben.