Archiv für Februar 19th, 2015

Live Action Media Bullshit

Heute unternehmen wir mal einen kleinen Ausflug in die englischsprachige Medienlandschaft. Dort haben einige Journalisten in den letzten Tagen nämlich fleißig über ein ungewöhnliches Bildungsprojekt aus Deutschland geschrieben — und eine fast schon “Focus Online”-würdige Recherchedoofheit an den Tag gelegt.

Zum Hintergrund: Anfang des Monats wurde in Wilhelmshaven ein ausgemustertes Kriegsschiff zu einem Raumschiff aus „Battlestar Galactica“ umdekoriert. Es diente dann mehrere Tage lang als Kulisse für ein Live-Rollenspiel (LARP), an dem über 80 Menschen teilnahmen.

Der große Unterschied zu “normalen” Live-Rollenspielen: Dieses Projekt — „Projekt Exodus“ — wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert, die damit unter anderem herausfinden wollte, wie gut sich LARPs für die Bildungsarbeit eignen.

In der Pressemitteilung (PDF) schreibt das Organisationsteam:

Inmitten der engen Räume des aufwändig umdekorierten Schiffes werden die Spieler eine von der Spielleitung grob vorgegebene Handlung erleben, die sie selbst mit ihren Reaktionen beeinflussen können. (…) Projekt Exodus greift Fragen über Sicherheit, Vertrauen und über Menschlichkeit in Zeiten großer Gefahr auf. Hinzu kommt der auch in der aktuellen Politik stark thematisierte Flüchtlingsaspekt. Auf dieser Grundlage werden die Spieler selbst die Probleme der Gesellschaft aus einem völlig neuen Blickwinkel erleben.

Die gleiche Mitteilung wurde auch auf Englisch (PDF) herausgegeben, damit sich auch Journalisten aus dem Ausland über das Projekt informieren konnten. Bloß: So richtig verstanden haben die es trotzdem nicht.

Das australische Portal news.com.au schreibt:

Basing the live-action role-play event on the popular science fiction television series is no vote-winning gimmick. (…) And the German government hopes locking up 80 of its aspirant diplomats, politicians and military leaders aboard a retired naval destroyer will teach them a lesson or two in something largely missing from modern international politics — ethics.

Und zack — werden auf dem Schiff deutsche Diplomaten, Politiker und militärische Führungskräfte ausgebildet.

Wie das Portal darauf kommt, bleibt zwar offen, für die Leute von Tor.com klang es aber offenbar auch so schon plausibel genug, jedenfalls übernahmen sie die Story ohne Bedenken:

Ebenso die “New York Daily News”:

Auch die Online-Version von “The Independent” schrieb die Falschmeldung ungeprüft ab und titelte:

Die Macher des Projekts wiesen die Medien zwar gleich auf den Fehler hin, korrigiert hat ihn bis heute aber niemand. Wissen wir immerhin: Andere Länder, gleiche Sitten.

Mit Dank an Dennis Z.

Deutungsmonopol, Frohsinn, Prinzessinnenreporter

1. “Ärger mit der ‘Lügenpresse'”
(nzz.ch, Heribert Seifert)
Wie deutsche Journalisten über das Bündnis Pegida schreiben: “Die Aufklärer, die hier auftreten, reden im Gestus strenger Kolonialoffiziere, die ihren noch immer nicht diskurshygienisch stubenreinen Eingeborenen die Leviten lesen, aber auf keinen Fall zuhören wollen. ‘Die Ansage muss lauten: ‘Jetzt hört ihr mal zu. Und zwar richtig.” (‘Süddeutsche Zeitung’) Das argumentative Inventar, mit dem hier ein Deutungsmonopol verteidigt wird, ist mit seinem phrasenhaft erstarrten, abstrakten moralischen Universalismus nicht nur bemerkenswert ausgezehrt, sondern zeigt gelegentlich Züge unfreiwilliger Komik. ”

2. “Die Frohsinns-Lawine”
(haz.de, Imre Grimm)
Imre Grimm “gönnt Düsseldorf jeden Moment des Frohsinns. Aber ist es notwendig, weite Teile des öffentlich-rechtlichen Abendprogramms über Wochen mit lokalem Brauchtum zu fluten? Brauchtum auf dem Niveau einer Après-Ski-Party in Saalbach-Hinterglemm?”

3. “Eine Hand hypt die andere”
(comiksdebris.blogspot.de, Marc-Oliver Frisch)
Marc-Oliver Frisch widmet sich Interessenskonflikten in der Berichterstattung über Comics: “Die Entscheidung eines FAZ-Redakteurs, ausgerechnet einen Comic in die Zeitung zu nehmen, an dessen Veröffentlichung er selbst beteiligt ist, wirkt unglücklich, selbst wenn man allen Beteiligten nur die besten Absichten unterstellt. (…) Immerhin klärt Platthaus—einmal in der Besprechung selbst, einmal im Kleingedruckten—den Leser über seine Verstrickung auf. Auch das ist leider keine Selbstverständlichkeit.”

4. “Why I have resigned from the Telegraph”
(opendemocracy.net, Peter Oborne, englisch)
In einem langen Artikel erzählt Peter Oborne, warum er beim “Telegraph” gekündigt hat: “If advertising priorities are allowed to determine editorial judgments, how can readers continue to feel this trust? The Telegraph’s recent coverage of HSBC amounts to a form of fraud on its readers. It has been placing what it perceives to be the interests of a major international bank above its duty to bring the news to Telegraph readers.”

5. “Europäischer Polizeikongress: Wir würden ja gerne über die Überwachungsmesse berichten, dürfen aber nicht”
(netzpolitik.org, Andre Meister)
Wie es Andre Meister ergeht, als er sich für Netzpolitik.org beim Europäischen Polizeikongress akkreditieren möchte.

6. “Prinzessinenreporter – Wo Prinzessinnen berichten”
(prinzessinnenreporter.de)