Archiv für August 17th, 2013

Google-Ausfall sorgt für Journalismus-Ausfall

In der vergangenen Nacht funktionierte Google für ein paar Minuten nicht. Was das für Folgen hatte, steht heute überall: Der Internet-Verkehr ist halb zusammengebrochen.



“Spiegel Online”, Bild.de, “Welt Online”, sie alle berichten dasselbe: einen Rückgang der “weltweiten Internetaktivitäten” oder des “weltweiten Internetverkehrs” um 40 Prozent.

Es gibt für diese Zahl exakt eine Quelle: den Analyse-Anbieter GoSquared. Der hat den vermeintlichen Traffic-Einbruch in einem Blog-Eintrag behauptet und auch gleich mit einer tollen Grafik belegt:

Die hat diverse Medien in aller Welt so sehr beeindruckt, dass sie damit gleich ihre Meldungen illustriert haben. Dass die eindrucksvolle Kurve keinerlei Legende hat und die Y-Achse nicht beschriftet ist, das hat sie nicht gestört. Hey, eine Kurve! Statistik! Wissenschaft! Fakten!

Aber was genau ist da zurückgegangen? GoSquared spricht von der Zahl der Seitenaufrufe, die von GoSquared erfasst werden (“the number of pageviews coming into GoSquared’s real-time tracking”).

GoSquared hat also nicht den Internetverkehr auf der ganzen Welt gemessen, mit welchen Methoden auch immer, sondern nur die Abrufe auf den Seiten der Kunden von GoSquared. Was für Seiten das sind und wie typisch sie für das Internet insgesamt sind — man weiß es nicht.

Überhaupt lässt sich die Zahl der Seitenabrufe (pageviews) keineswegs mit dem “Internetverkehr” oder den “Internetaktivitäten” gleichsetzen. Die Datenmenge, die bei einem Seitenabruf bewegt wird, kann winzig oder gewaltig sein.

Ist der Internettraffic also in Folge des Google-Ausfalls um 40 Prozent heruntergegangen? Vielleicht, aber wahrscheinlich nicht. In der Traffic-Statistik von DE-CIX, dem großen Internet-Knoten in Frankfurt/Main, hat der Google-Ausfall jedenfalls nur winzige Spuren hinterlassen.

Die GoSquared-Leute aber stehen im Stau und nehmen einfach an, dass zu dem Moment jeder im Stau steht: Autos auf jeder Straße, Fußgänger und Flugzeuge gleichermaßen. Und sie freuen sich, dass die halbe Welt auf ihre Bullshit-Meldung hereingefallen sind.

(Basierend auf einem Post von Torsten Kleinz.)

Nachtrag, 18. August, 12 Uhr. “Welt Online” und derstandard.at haben ihre Artikel klammheimlich verbessert.

Nachtrag, 19. August. Nun hat sich auch “Spiegel Online” etwas halbherzig, aber transparent korrigiert.

Bravo  

Gaga-Selbstmord

Vorsicht! Ihre Augen könnten jetzt etwas überfordert werden:
Ausriss: "Bravo", Nr. 33 vom 7. August 2013
So sieht sie heutzutage aus, die “Bravo”. Sympathisch, nicht wahr?

Aber nicht nur deswegen ist der “Marktführer bei den deutschen Jugendzeitschriften” eine echte Herausforderung für die Sinne. Kleine Kostprobe aus der Titelgeschichte (“Jus, du Opfer!”):

Allein im letzten Jahr hat er [Justin Bieber] fast 45 Millionen Euro verdient! WTF??! ‘Ne Menge Kohle! Tja, und dass er eine Rich-Bitch ist, lässt der Mädchenschwarm auch raushängen. Mindestens sieben Karren stehen bei ihm in der Garage – alle nach seinen persönlichen Wünschen gepimpt. […] Boah, geht’s noch prolliger? Jup, bei Biebs schon!

Den Rest des Artikels (“Billo-Schlampen”, “Asi-Aktionen”, “Ghetto-Freunde”) überspringen wir jetzt mal. Denn ein paar Artikel später wird es noch idiotischer:
Lady GaGa - Selbstmord-GEFAHR! Wie schlecht geht es ihr wirklich?
Für die “Selbstmord-Gefahr” von Lady Gaga hat die “Bravo” genau vier Belege:

Nummer eins: Lady Gaga hat abgenommen!
Nummer zwei: Ohne Make-Up sieht man Lady Gagas Augenringe!
Nummer drei: Bei irgendeiner Party wirkte sie “völlig abwesend”!

Und ganz besonders Nummer vier:
[Foto von Lady Gaga, auf dem sie ein Shirt mit der Aufschrift "Suicidal Tenencies" trägt]

Es wird immer schlimmer! Jetzt zeigte sich die 27-Jährige in ihrer Heimatstadt im T-Shirt mit dem Aufdruck “Suicidal Tendencies” = “Selbstmordgedanken”!

Dieser “Style” wirke “wie ein Hilferuf”, findet die “Bravo”. Na ja — man kann das Ganze allerdings auch weit weniger dramatisch deuten. Denn “Suicidal Tendencies” ist eine Band.

Im Text selbst und in der Vorabmeldung der “Bravo” ist davon nichts zu lesen. Aber immerhin in der Bildunterschrift — die “Bravo”-Leute wussten also ganz genau, dass es sich um ein Bandshirt handelt.

Da kann man nur froh sein, dass Lady Gaga nichts von den “Satanic Surfers” anhatte. Oder den “Dead Kennedys”. Die Schlagzeilen zu “Fury in the Slaughterhouse” oder “Pulled Apart By Horses” hätten uns dann allerdings doch interessiert.

Via PitCam (Facebook).
Mit Dank an caravanshaker.