Archiv für Oktober 4th, 2012

Legenden der Hörerschaft

Gestern Abend (Ortszeit) lieferten sich US-Präsident Barack Obama und sein Herausforderer Mitt Romney das erste TV-Duell im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in rund fünf Wochen. Diese Fernsehdebatten umweht ein ganz besonderer Hauch, wie auch sueddeutsche.de schreibt:

Den Mythos von der Macht der Mattscheibe in Amerikas Präsidentschafts-Kampagnen begründete die allererste Debatte. Am 26. September 1960 hatten sich der Republikaner Richard Nixon, der damalige Vizepräsident, und sein bis dato eher unbekannter Widerpart, der demokratische Senator John F. Kennedy, in einem Fernsehstudio eingefunden – und jene Millionen Amerikaner, die damals das Duell nur per Radio verfolgten, urteilten hinterher, Nixon sei klarer Sieger gewesen. Nur, im Fernsehen sah die Sache anders aus.

Ein Mythos, fürwahr. In ihrem Aufsatz “The myth of viewer‐listener disagreement in the first Kennedy‐Nixon debate” hatten sich die Wissenschaftler David L. Vancil und Sue D. Pendell schon 1987 der angeblichen Kluft zwischen den Menschen gewidmet, die die Debatte im Fernsehen bzw. Radio verfolgt hatten.

Ihre Erkenntnisse hat das Blog “Media Myth Alert” erst letzten Sonntag noch einmal zusammengefasst:

In ihrem Artikel […] zeigten Vancil und Pendell auf, dass die Umfrage vom [Meinungsforschungsinsitut] Sindlinger mehr als 2.100 befragte Personen enthielt — von denen nur 282 die Debatte im Radio verfolgt hatten.

Sie hielten fest, dass “eine untergeordnete Gruppe von 282 Befragungen unterhalb des Grenzwerts ist, der normalerweise für eine nationenweite Auswahl benötigt wird”. Nicht nur das: Nur 178 von den 282 Befragten “äußerten eine Meinung, wer die Debatte gewonnen habe”, schrieben Vancil und Pendell.

Außerdem sagten sie, habe die Sindlinger-Auswahl nicht spezifiziert, wo die Radiohörer lebten, und fügten hinzu

“Eine geographische Schlagseite in der Radio-Auswahl … könnte dramatische Auswirkungen auf die Auswahl eines Debattensiegers gehabt haben. Wenn mehr Leute aus der Provinz vertreten waren, was wegen des relativ eingeschränkten Zugangs zum Fernsehen in ländlichen Gebieten im Jahr 1960 ziemlich sicher der Fall war, hätten sie Nixon bevorzugt.”

[Übersetzung von uns.]

Die paar Befragten, die die Debatte überhaupt im Radio verfolgt hatten, lebten also vermutlich eher in ländlichen Gebieten, wo die politische Ausrichtung sowieso eher in Richtung des Konservativen Richard Nixon tendierte.

Aber die Geschichte ist offenbar zu schön, um sie nicht auch nach 52 Jahren noch zu erzählen.

Mit Dank an Sebastian H.

Dirk Bach, Sperrfristen, Lob

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Küsse des Todes. Wie Sie einen Journalisten abschiessen können”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Wie man Journalisten nachhaltig lahmlegen kann. Mit Lob: “Schon ehrlich gemeintes Lob bringt – gehäuft verabreicht – jeden Produktionsmotor ins Stottern. Das Opfer wird versuchen, sofort etwas ähnlich Begeisterndes aufs Papier zu bringen. Die Folge: Es sieht auf die Wirkung, nicht auf die Sache.”

2. “Ekelhaft”
(werkkanon.blogspot.de, Roland)
Zum Tod von Dirk Bach steht auf der Facebook-Seite des “Stern”: “Den ‘Like’-Button erklären wir hiermit zum Kondolenz-Knopf.” Und auf der von “Bild”: “P.S. Gefällt mir = Mein Beileid!”.

3. “‘Error 404’ – Brain not found”
(chpf.tumblr.com)
Um eine Diskussion anzustoßen, wird auf der Berliner Polizei eine “Strafanzeige gegen Unbekannt” eingereicht: “Unter dem Titel ‘Jetzt brennt er in der ewigen Homo-Hölle’ wurde auf kreuz.net ein Artikel veröffentlicht, der mich verletzt, verärgert und mein sonst so ruhiges Blut in Wallung versetzt.”

4. “Wie Sperrfristen ihre Glaubwürdigkeit verlieren”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert beschäftigt sich mit gebrochenen Sperrfristen: “Sobald eine Story eine gewisse Signifikanz besitzt, können sich Redakteure im Jahr 2012 mit großer Gewissheit darauf einstellen, den Artikel schon vorzeitig publizieren zu können (oder zu müssen).”

5. “Plädoyer für einen ‘echten’ Wissenschaftsjournalismus”
(wissenschaftsjournalismus.ch, Beate Kittl)
Wissenschafts-PR übernimmt zunehmend die Rolle der Wissenschaftsjournalisten. Eine Rede von SDA-Journalistin Beate Kittl.

6. “Postmortales”
(noemix.twoday.net)