Archiv für Oktober 1st, 2012

Verwirrung garantiert

Man kennt das: Fernseher, Autos, Mobiltelefone und vor allem Geschirrspüler gehen gerne dann kaputt, wenn die Garantiezeit gerade um ist.

Doch nicht alles, was der Laie als “Garantie” bezeichnet, ist auch im juristischen Sinne eine Garantie. Dort unterscheidet man nämlich zwischen der gesetzlichen Gewährleistung, nach der ein Kunde – vereinfacht gesprochen – einen Anspruch darauf hat, dass ein neu erworbenes Gerät auch funktioniert, und der Garantie, die ein Verkäufer oder Hersteller einräumt und deren Leistungen über die der gesetzlichen Gewährleistung hinausgehen. Die Gewährleistung gilt in Deutschland zwei Jahre, eine Garantie so lang, wie sie der Verkäufer oder Hersteller beim Kauf einräumt.

Diese Unterschiede sind auch für den Laien von Bedeutung, wenn er etwa ein Produkt von Apple erworben hat. Der Unterhaltungselektronikhersteller rät zum Kauf seines “AppleCare Protection Plan”, der die “einjährige Hardwaregarantie ab Kaufdatum” je nach Produkt auf zwei bzw. drei Jahre verlängert. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ist der Ansicht, dass Apple absichtlich nicht deutlich genug über die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche des Käufers gegenüber dem Händler aufkläre, um zum Kauf von “AppleCare” zu animieren, und hat Apple deswegen im Frühjahr abgemahnt.

Diese Unterschiede sind aber auch für Journalisten von Bedeutung, wenn sie etwa über den Brief schreiben wollen, den die EU-Justizkommissarin Viviane Reding an die nationalen Verbraucherschutzminister geschrieben hat und in dem sie Apples Vorgehen beim Verkauf von “Apple Care” ebenfalls kritisiert.

Der “Spiegel” schreibt dazu in seiner aktuellen Ausgabe:

“Es scheint, dass Apple-Verkäufer es versäumten, den Verbrauchern klare, wahrheitsgemäße und vollständige Informationen über die ihnen nach EU-Recht zustehende gesetzliche Garantie zu geben”, heißt es in einem Brief der zuständigen EU-Justizkommissarin Viviane Reding an die Verbraucherschutzminister aller 27 EU-Mitgliedsstaaten. […] Apple habe, schreibt Reding, prominent für seine eigene kommerzielle Gewährleistung geworben, “es aber versäumt darauf hinzuweisen, dass die Verbraucher nach EU-Recht einen automatischen und kostenlosen Anspruch auf eine zweijährige Garantie haben”.

Das ist, wie Sie gerade gelernt haben, falsch. Die Begriffe “Garantie” und “Gewährleistung” sind genau vertauscht.

Schuld daran ist womöglich die englische Sprache, in der Frau Reding ihren Brief an die verschiedenen Minister geschrieben hat. In dem Schreiben, das uns ebenfalls vorliegt, heißt es nämlich:

It appeared […] that, in order to make their own commercial warranties look more attractive, Apple retailers failed to provide consumers with clear, truthful and complete information on the legal guarantee from which they freely benefit under EU law.

Und an einer anderen Stelle:

Apple prominently advertised that its products come with a one year manufacturer warranty, but failed to clearly indicate the consumers’ automatic and free-of-cost entitlement to a minimum 2-year guarantee under EU-law.

Ja, fuck! Was im Englischen “commercial warranties” sind, sind im Deutschen also “kommerzielle Garantien”, und eine “(legal) guarantee” entspricht der “(gesetzlichen) Gewährleistung”.

Das muss man vielleicht nicht mal als Englischlehrer wissen. Aber als “Spiegel”-Journalist, der darüber schreibt, wäre es natürlich hilfreich.

Oder als Journalist, der die fehlerhaften “Spiegel”-Angaben für die Discounter-Agentur dapd übernimmt. Oder für Bild.de. Oder für “Focus Online”.

Die Deutsche Presse-Agentur dpa, der das Schreiben ebenfalls vorliegt, schreibt korrekt von dem “gesetzlichen zweijährigen Gewährleistungsanspruch”, übersetzt einen Satz aber auch mindestens unsauber:

“Es scheint, dass Apple-Verkäufer es versäumten, Verbrauchern klare, wahrhaftige und komplette Informationen zu geben über die Garantie, die ihnen nach EU-Recht zusteht.”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Genmais, geistiges Eigentum, Tomaten-Schiris

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der kalkulierte Genmais-Schock”
(spiegel.de, Nina Weber)
Nina Weber rollt auf, wie eine Studie über erhöhte Krebsraten bei Ratten, die genveränderten Mais konsumiert hatten, in die Medien gelangte: “Der Sustainable Food Trust, der die Öffentlichkeitsarbeit für diese Studie übernommen hatte, kontaktierte einige Journalisten: Sie könnten den Fachartikel vorab bekommen – aber nur, wenn sie schriftlich zusicherten, keine anderen Experten vor dem Ende der Sperrfrist dazu zu befragen.” Zum Medizinjournalismus siehe auch “Medizinpresse: Schmieren oder recherchieren?” (doccheck.com, Erich Lederer).

2. “North Sea cod: Is it true there are only 100 left?”
(bbc.co.uk, Hannah Barnes und Richard Knight, englisch)
“Just 100 cod left in North Sea” ist auf telegraph.co.uk zu lesen. “Looking at the data, it seems a more accurate headline would read ‘Just 436,900,000 cod left in the North Sea’.”

3. “Rassistische Kommentare: Wir bitten um Entschuldigung!”
(blogs.taz.de/hausblog)
Die “taz”-Redaktion sieht sich vom “Ausmaß an Häme und menschenverachtender Kommentare betroffen” – in den eigenen Kommentarspalten. “Es ist auch nicht damit zu entschuldigen, dass wir immer wieder darauf hinweisen, dass wir zu wenig Personal haben, um dieses Forum angemessen zu betreuen.”

4. “Fotograf will elf schwule Profi-Fußballer kennen”
(queer.de)
Ein Berliner Fotograf erzählt einem Reporter des “Berliner Kuriers”, er könne “eine komplette Elf aufzählen mit Spielern aus der Bundesliga und sogar zwei aktuelle Nationalspieler, die schwul sind”: “Leider ist die Beweisführung ein wenig dürftig geraten.”

5. “Hanebüchene Verschwörungstheorien”
(kurzpass.ch, Christian Meier)
Schiedsrichter in der Schweizer Fußball-Liga werden von der Boulevardpresse als “Tomaten-Schiris” bezeichnet. Verschiedene Trainer nehmen die Vorwürfe zustimmend auf und schmieden weitere Verschwörungstheorien.

6. “Missverständnisse zum ‘geistigen Eigentum’ in der Presse”
(doener.blogage.de, Stephan Dörner)
Ex-Handelsblatt.de-Redakteur Stephan Dörner kritisiert nach seinem Ausscheiden die “Handelsblatt”-Aktion “Mein Kopf gehört mir”: “Den Artikel zu der Kampagne habe ich damals in der Redaktionskonferenz scharf kritisiert, worauf Chefredakteur Gabor Steingart mich bat, die Kritik schriftlich auszuführen. Das habe ich damals getan – ohne jede Reaktion.”