Archiv für April, 2012

Bild, Breivik, Borchert

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bild.Macht.Politik – Deutschlands größte Tageszeitung wird 60”
(ardmediathek.de, Video, 43:45 Minuten)
“Die Story im Ersten” fragt nach dem Einfluss von “Bild” auf Politik und Politiker (BILDblog berichtete).

2. “Wie Medien Breiviks Spiel mitspielen”
(deranderefellner.wordpress.com)
Sebastian Fellner kommentiert die Berichterstattung über den Prozess gegen Anders Behring Breivik: “Bitte verschont mich mit Breivik. Ich will keine Fotos mehr sehen von diesem selbstverliebten Wahnsinnigen, wie er zufrieden lächelt ob der Aufmerksamkeit, die er bekommt. Ich will nicht lesen, dass er ‘gerührt’ ist, weil sein Video vor Gericht gezeigt wird. Gebt mir Bescheid, wenn es ein Urteil gibt. Bringt meinetwegen eine Meldung, wenn ein Zeuge oder eine Zeugin etwas bisher Unbekanntes aussagt. Aber füttert Breivik nicht mit der Aufmerksamkeit, die er sich wünscht.” Siehe dazu auch “Die Medien sollten Breiviks Spiel nicht mitmachen” (tagesschau.de, Albrecht Breitschuh).

3. “Verifikation von Inhalten in Social Media”
(konradweber.ch)
Konrad Weber gibt Tipps, wie man Twitter-Accounts, Websites, Bilder und Videos verifiziert.

4. “Katharina Borchert: Von der Bloggerin zum Spiegel-Online-Chef”
(t3n.de, Yvonne Ortmann)
Yvonne Ortmann porträtiert Katharina Borchert, Ex-Bloggerin und heute Geschäftsführerin von “Spiegel Online”.

5. “Griechenlands Medienhäuser fürchten den Kollaps”
(zeit.de, Ferry Batzoglou)
Viele griechische Medienhäuser haben sich in den 1990er-Jahren hoch verschuldet. “In Zeiten des Booms haben viele Medienhäuser ihre Glaubwürdigkeit im Volk verspielt. Es grassierten Vetternwirtschaft und Hofjournalismus. Die Devise lautete zu oft: Mitregieren statt kontrollieren.”

6. “Was ist besser? Gratis-Bildzeitung und -Koran im großen Praxistest”
(der-postillon.com)
In fünf Punkten vergleicht der Postillon die Gratis-“Bild” mit dem Gratis-Koran.

Faszination Sexy Cora

In der Redaktion der “Bild am Sonntag” dürften die Sektkorken geknallt haben, als bei der Auswertung von Beate Zschäpes halbverschmortem Rechner herauskam, dass von dort wohl unter anderem auch Pornoseiten der verstorbenen Erotikdarstellerin Sexy Cora angesurft wurden.

Sex, Tod und Nazis — und das alles auf einmal! Mehr kann sich eine Boulevardzeitung nun wirklich nicht in einer Story wünschen. Sogar ein Nacktfoto von Cora hat “Bild am Sonntag” für diesen halbseitigen Artikel aus dem Archiv gekramt (in unserem Ausriss nicht enthalten):

Das bizarre Internet-Protokoll

Und in einem Folgeartikel derselben Autoren auf Bild.de lautet die Überschrift so:

Beate Zschäpe surfte immer wieder auf Pornoseiten Was faszinierte die Nazi-Braut an "Sexy Cora"?

Dabei müssten genau diese Frage “Bild” und Bild.de doch eigentlich am besten beantworten können (BILDblog berichtete).

Die Sexy-Cora-Obsession von Bild.de ist so extrem, dass wir sie sogar in mehrere Phasen einteilen mussten:

Die Big-Brother-Ära:

Wie viel Nacktheit verträgt “Big Brother”? – Sexy Cora wird zum menschlichen Busenhalter (14.1.2010)

Jetzt wird es noch nackter! – Porno-Klaus zieht zu sexy Cora ins “Big Brother”-Haus (18.1.2010)

Callboy Klaus’ erste Nacht im “Big Brother”-Haus – Porno-Klaus befummelt sexy Cora (19.1.2010)

“Big Brother” – Cora und Micaela im sexy Dusch-Duett (21.1.2010)

“Big Brother”: Porno-Klaus, pass auf! Hier kuschelt deine sexy Cora mit Tobias fremd (21.1.2010)

“Big Brother”, Tag 12 – Tränen-Abschied von sexy Cora (23.1.2010)

“Big Brother” – Lüftet sexy Cora das Geheimnis um ihren überstürzten Auszug? (25.1.2010)

Erotikdarstellerin zog wieder ins Big-Brother-Haus ein – Jetzt kann sexy Cora wieder mit Tobias kuscheln (26.1.2010)

Eine Frau und drei Männer – Sexy Cora: Dusch-Orgie im “Big Brother”-Haus (27.1.2010)

Sexy Party im “Big Brother”-Haus – Cora und Kristina strippen für die Fans (28.1.2010)

Tränen im “Big Brother”-Haus – Sexy Cora in der Sinnkrise (3.2.2010)

Verliebt im “Big Brother”-Haus – Sexy Cora und Tobias kommen sich immer näher (4.2.2010)

Tobias will ausziehen! Ist sexy Cora bald wieder “Big Brother”-Single? (6.2.2010)

Versprechen gebrochen – “Big Brother”-Cora duscht wieder nackt (17.2.2010)

Im “Big Brother”-Container – Cora schockt Tobias mit Slip-Geständnis! (19.2.2010)

“Big Brother”: sexy Cora geht baden – So sexy räkelt sich Badenixe Cora in der Wanne (22.2.2010)

Big Brother 10 – Sexy Coras heiße Wannen-Show (23.2.2010)

“Big Brother” ohne Erotikdarstellerin? Sexy Cora denkt an Auszug (24.2.2010)

“Big Brother” – Sexy Cora: “Ich fühle mich hässlich!” (28.2.2010)

Lap-Dance-Kurs bei Big Brother – Cora zu sexy: Tobi schiebt Liebesfrust! (4.3.2010)

Big Brother 10: Neuzugang Anne – Macht sie sexy Cora im BB-Haus Konkurrenz? (8.3.2010)

Tobi unter Tränen – Ausgeduscht! Sexy Cora verlässt das „Big Brother“-Haus (9.3.2010)

Die eher ruhige Post-Big-Brother-Phase:

Zu viele Regeln, keine freie Entfaltung – Für Erotik-Star sexy Cora war Big Brother Quälerei (3.5.2010)

Porno-Sternchen entdeckt Mallorca – Sexy Cora zieht am Ballermann blank (20.5.2010

Nachlass unterm Hammer – Porno-Cora ersteigert Domenicas Perlencollier (3.11.2010)

Die Koma-Artikel:

Sie wollte noch dickere Brüste – Sexy Cora aus BB: Koma nach sechster Brust-OP (13.1.2011)

Nach OP im Koma – Jetzt spricht der Busen-Arzt von sexy Cora! (14.1.2011)

Nach Brust-OP im Koma – Staatsanwalt ermittelt gegen Busen-Arzt von sexy Cora (14.1.2011)

“Big Brother”- Star im Koma – Coras Ehemann: “Ich spüre, wie sie um ihr Leben kämpft” (15.1.2011)

Herzstillstand nach 6. Brust-OP – Wird sexy Cora heute aus dem Koma geholt? (16.1.2011)

Hamburgerin liegt weiter im Koma – Fieber-Drama um “Big Brother”-Star Cora (17.1.2011)

“Big Brother”-Star – Coras Hirn nach Busen-OP für immer geschädigt (18.1.2011)

“Big Brother”-Star nach Busen-OP im Koma – Arzt: Warum ich Cora nicht operieren wollte (19.1.2011)

Die Berichterstattung am Tag, an dem “Sexy Coras” Tod bekannt wurde:

Nach Busen-OP – “Big Brother”-Star Cora tot (21.1.2011)

Tod nach Busen-OP – Obduktion nächste Woche (21.1.2011)

Tod nach Busen-OP – Coras Ehemann: “Ich war immer gegen OPs” (21.1.2011)

Tod nach Busen-OP – Tausende Fans trauern um “Big Brother”-Star Cora (21.1.2011)

Tod nach Busen-OP – Verwirrung um Coras OP-Protokolle (21.1.2011)

Sie starb nach der sechsten Schönheits-OP “Big Brother”-Cora († 23): BILD erklärt ihren Körper-Kult (21.1.2011)

Ursachensuche, Porträts und Nachrufe:

Totes Busen-Model Cora – Jetzt ermittelt die Mord-Kommission! (22.1.2011)

Nach Tod von “Big Brother”-Star – Coras Busen-Arzt darf weiteroperieren (22.1.2011)

“Sexy Cora” (†23) – Protokoll eines verpfuschten Lebens (23.1.2011)

Im Video zeigt sie uns noch fröhlich ihre Wohnung – So war “Big-Brother”-Cora († 23) wirklich (24.1.2011)

Montag wurde Coras Leiche obduziert – Sie starb an Hirnlähmung (25.1.2011)

Sie starb bei ihrer 6. Busen-OP – So landete Cora im Rotlicht-Milieu (26.1.2011)

VON KÖRBCHENGRÖSSE 70 B AUF 70 F – Coras tödlicher Busen-Wahn (26.1.2011)

Ein verpfuschtes Leben – Die letzten Stunden im Leben von Cora (†23) (26.1.2011)

Sexy Busenstar – So brummt das miese Geschäft mit der toten Cora (27.1.2011)

Das geheime Grab – Hier findet Sexy Cora ihre letzte Ruhe (1.2.2011)

Tod nach Busen-OP – “Big Brother Cora”: Beerdigung in einem rosa Sarg (2.2.2011)

Die bis heute andauernde letzte Phase:

Nach dem Tod des Big Brother-Stars – Fans pilgern zu Coras Grab (4.2.2011)

St. Pauli-Film “Gegengerade” feierte Premiere – “Big Brother”-Cora (†23) mit Mario Adorf auf der Leinwand (15.2.2011)

Auf der Hamburger Reeperbahn – Trauer-Marsch für “Sexy Cora” (21.2.2011)

Sie starb nach einer Busen-OP – “Big Brother”-Cora (†): Mann klagt auf Millionen (11.4.2011)

Widersprüchliche OP-Protokolle, fehlende Unterlagen – Der rätselhafte Tod von “Big Brother”-Cora (28.4.2011)

Widersprüche in Medizin-Akten – Starb „Sexy Cora“ durch Ärzte-Pfusch? (28.4.2011)

Bilder am Grab zu sexy – BB-Cora: Friedhof will Grabstein abreißen (8.5.2011)

Abriss im Morgengrauen – Friedhof entfernt Grab-Platte von “BB-Cora” (9.5.2011)

Nach Abriss der Foto-Platten – Fan-Demo für Grab von “Big Brother”-Cora (10.5.2011)

Staatsanwalt – Big-Brother-Cora: Kein Drogenmissbrauch (21.6.2011)

7 Monate nach ihrem tragischen Tod – Sexy Cora im ZDF-Krimi (12.7.2011)

“CORAzón” – Ex-Supertalent schreibt Song über „Sexy Cora“ (20.7.2011)

Gutachten bestätigt – Ärzte sind schuld an “Big Brother”-Coras Tod! (19.8.2011)

Schuldfrage bei Tod von “Sexy Cora” offen (19.8.2011)

Das ZDF zeigt sie im Krimi – Tote Porno-Cora Samstag im TV (25.8.2011)

Neun Monate nach dem Todes-Drama – Fährt der Porno-Witwer hier die neue Cora vor? (27.9.2011)

Porno-Witwer Tim Wosnitza – Jetzt spricht seine neue “Sexy Cora” (2.10.2011)

Keine Anklage, nur hilflose Trauer – Heute vor einem Jahr starb “Sexy Cora” (20.1.2012)

TV-Star starb bei Busen-Op – Wird der Tod von Sexy Cora nie gesühnt? (22.3.2012)

Beate Zschäpe surfte immer wieder auf Pornoseiten – Was faszinierte die Nazi-Braut an “Sexy Cora”? (15.4.2012)

Fortsetzung folgt bestimmt.

Mit Dank an Benjamin K.

Bild  

Wie “Bild” Politik und Politiker macht

Ihre Millionenauflage macht “Bild” stark. Aber sie hat nur soviel Macht, wie Politiker ihr einräumen.

Das ist das Fazit einer Dokumentation, die die ARD über die “Bild”-Zeitung gedreht hat. Die Autoren Christiane Meier und Autor Sascha Adamek haben unter anderem mit Politikern wie Claudia Roth und Gregor Gysi gesprochen, die sich erfolgreich gegen Lügen der “Bild”-Zeitung gewehrt haben; mit dem Lobbyisten Hans-Olaf Henkel, einem ehemaligen “Bild”-Freund, den das Blatt, nachdem er in Ungnade gefallen war, publizistisch vernichten wollte; mit Bela Anda, dem ehemaligen “Bild”-Redakteur und Regierungssprecher unter Gerhard Schröder; mit Edmund Stoiber, der “Bild” als “eine Art direkte Demokratie” bezeichnet, und mit Lukas Heinser, dem Chef des “renommierten, kritischen BILDblogs im Internet“.

Es ist eine unaufgeregte, unspektakuläre, aber erhellende Dokumentation geworden — über die Art wie “Bild” Politik und Politiker macht.

Nachtrag, 23.35 Uhr:

Brüste, Gaskraftwerke, Greg Packer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Erfurt, Winnenden und die Verantwortung der Medien”
(thueringer-allgemeine.de, Hanno Müller)
An einer Podiumsdiskussion diskutieren Christiane Alt, Eric T. Langer, Uwe Kaufmann, Claudia Fischer und Frank Nipkau über die Berichterstattung zu den Amokläufen in Erfurt und Winnenden.

2. “In die Luft gegriffen – Die Berichterstattung über die Brüste von Kate Winslet”
(doppelpod.com, Sven Hänke)
“Die chinesischen Sittenwächter hatten befürchtet, die Zuschauer könnten im Kinosaal in die Luft greifen, um die Brüste von Winslet berühren zu wollen”, schreibt zum Beispiel Welt.de. “Dummerweise ist diese Begründung reiner Humbug und geht auf einen 5-Tage alten Blogeintrag zurück, der diese satirisch gemeinte Begründung offensichtlich seinerseits aus dem chinesischen Internet übernommen hat.”

3. “ARD und ZDF – die letzten oppositionellen Massenmedien?”
(heise.de/tp, Alexander Dill)
Alexander Dill weist auf Recherchen der Öffentlich-Rechtlichen hin und vermutet die mediale Opposition dort. “Die Printmedien sind boulevardesk geworden. (…) Redakteure möchten bei den Lesern, Inserenten und Eigentümern nicht anecken.”

4. “Der berühmteste Unbekannte der Welt”
(spiegel.de, Frank Patalong)
Frank Patalong schreibt über Greg Packer, der den Medien seit Jahren zu allen möglichen Themen erfolgreich als Mann von der Straße dient. “Packer sagt immer das, was passt, und Reporter schreiben mit. (…) Er ist der wohl mit weitem Abstand meistzitierte ganz normale Bürger der Welt. Er tut alles dafür, damit das so bleibt.”

5. “Zum ersten, zum zweiten und zum …”
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Gaskraftwerke sollen Atomkraftwerke ersetzen, soweit waren sich Schweizer Sonntagszeitungen gestern einig. Doch wie viele?

6. “Ich heb dann mal ur”
(spreeblick.com, Johnny Häusler)
“Urheberrechtsabschaffungspiraten und Medien-Panik-Journalisten gleichermaßen: Macht eure Hausaufgaben, lernt von der anderen Seite, hört ihr zu und nehmt die Argumente an den richtigen Stellen ernst, damit wir hier mal langsam vorwärts kommen.” Siehe dazu auch “Det fiel ma uff: Was ich zur Urheberrechtsdebatte zu sagen habe” (britcoms.de, Oliver).

Negatives emotionales Potential aus der Kindheit

Frage: 374 Studentinnen und Studenten (im Folgenden: “Studenten”) besuchen im Wintersemester die Mathematik-Vorlesung für Lehramtsstudenten an der Universität zu Köln. 305 von ihnen treten zur Abschlussklausur an, doch nur 22 bestehen diese. An der Nachklausur nehmen 242 Studenten teil, von denen 79 bestehen. 6 weitere Studenten melden sich krank und dürfen eine weitere Nachklausur schreiben. Wie hoch ist die Durchfallquote der Vorlesung?

Boah, okay, das ist fies. Zählen die 69 Studenten, die zur Prüfung zugelassen waren, aber gar nicht erschienen sind, mit? Ich sag mal nein. Wer nicht antritt, kann ja weder bestehen noch durchfallen.

Rechnung: (22+79) / 305 * 100 = 33,1147541
100 – 33,1147541 = 66,8852459

Ach, verdammt, da sind ja noch die Krankmeldungen. Da weiß ich gar nicht, wie viele von denen bestehen. Bei meiner Rechnung ja null. Und wenn alle sechs bestehen …

Rechnung 2: (22+79+6) / 305 * 100 = 35,0819672
100 – 35,0819672 = 64,9180328

Antwort: Die Durchfallquote liegt zwischen 64,9 und 66,9 %.

Oh, Mist. Oder hätte ich die 79 Leute aus der Nachklausur in Relation zu den 242 setzen müssen, die dazu überhaupt nur erschienen sind? Ach nee, die anderen sind ja auf jeden Fall durchgefallen. Oder? Verdammt, warum hab ich mich nur für Mathe als Nebenfach entschieden?

Was Studenten an den Rande des Nervenzusammenbruchs bringen kann, ist für “Spiegel Online” kein Problem: Die Hochschulredakteure dort setzen einfach die 22 Studenten, die im ersten Anlauf bestanden haben, ins Verhältnis zu den 374 Studenten, die für die Klausur zugelassen waren, und kommen so auf eine noch viel beeindruckendere Zahl:

Proteste nach harter Mathe-Klausur: Durchfallquote 94 Prozent

“Spiegel Online” schließt sich damit der Lesart von “Kölner Stadtanzeiger”, “WAZ” und WDR 5 an, die in den letzten Wochen und Monaten über den Fall berichtet hatten.

Das Seminar für Mathematik und ihre Didaktik der Uni Köln hatte sich schon vor Erscheinen des “Spiegel Online”-Artikels in einer ausführlichen Stellungnahme (PDF) zu den Vorwürfen der Studenten geäußert.

Neben Einlassungen zur Zahl der bestandenen Klausuren (“Damit werden am Ende der Veranstaltung 101 bis 107 diesen Modul bestanden haben”) gibt es einen ziemlich langen Teil zur Presseresonanz:

Die Skandalisierung eines solchen Ereignisses nimmt für uns eine neue Qualität an, wie sie uns bislang nur von englischen Kollegen berichtet wurde. […]

Unerträglich ist es für uns jedoch zu lesen, wenn Studierende, Journalisten, Leserbriefschreiber, Blogger und andere – meist ohne Kenntnis der Hintergründe – denken, den Grund für den Ausgang der Klausur in der Person der Dozentin ausgemacht zu haben. Sie schädigen den Ruf einer ausgewiesenen Dozentin. Seit dem Bekanntwerden des Klausurergebnisses wurde die Dozentin in der Öffentlichkeit persönlich angegriffen. […] Eine Teilnehmerin der Vorlesung schrieb am 29.02.2012 in einem Leserbrief: “Wie kann es sein, dass eine Professorin lehrt, die anscheinend keinerlei Interesse an den Studenten beziehungsweise ihren Zielen hat?”. Von ihr hat die Dozentin sieben E-Mails mit Mathematikfragen erhalten, die sie alle nachweisbar freundlich und sachlich beantwortet hat. Sie hat auch einige unfreundliche und sogar grob beleidigende E-Mails von Studierenden erhalten. Diese hat sie noch am selben Tag oder in einem Fall am folgenden Tag ausführlich beantwortet. Dies alles kann belegt werden. Diese Studierenden haben sich bis heute nicht von ihrer Aussage in der Zeitung distanziert, noch dafür entschuldigt.

Auch von Journalisten wurde ihr unterstellt, Dinge gesagt zu haben wie “Ihr habt nicht mal das Niveau einer fünften Klasse.” (Stadt-Anzeiger) oder dass sie die Studierenden für ‘zu blöd’ halte und ihnen ‘ein beschränktes Denken’ (WAZ) unterstelle. Diese angeblichen Zitate passen nicht zu ihrem nachweisbar großen Engagement. Wenn sie dieser Haltung wäre, würde sie nicht bis 21 Uhr freiwillig und unbezahlt Tutorien anbieten, um die aus der Schule mitgebrachten Defizite zu bearbeiten. Dass es diese Defizite gibt, hat sie allerdings sehr wohl angesprochen. Studierende, die behaupten, die Hilfe der Dozentin nicht in Anspruch genommen zu haben, weil sie sich eingeschüchtert fühlten, haben auch die Sprechstunden der Mitarbeiter und Hilfskräfte nicht besucht. Selbst in seriösen Medien (WDR 5, Deutschlandfunk) finden sich falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. Der dortige Verweis auf den kulturellen Hintergrund der Dozentin (‘Was sie hier verlange entspräche dem Niveau der neunten Klasse in ihrer Heimat Rumänien, meinte sie gegenüber den Studierenden in ihrer Vorlesung.’) stimmt in Anbetracht der ausgiebigen Erfahrungen der Dozentin an deutschen Universitäten und ihrer perfekten Beherrschung der deutschen Sprache nachdenklich.

Die Dozentin dieser Vorlesung hat sich weit über das von ihr geforderte Maß eingesetzt. […] Die E-mail Korrespondenz mit den Studierenden ist nachweisbar freundlich und auf die Sache bezogen – selbst dann noch, wenn sie mit frustrierten, polemischen Äußerungen von Studierenden konfrontiert wurde. […]

Die vielen Beschimpfungen der Dozentin durch Menschen, die sie gar nicht kennen, können wir uns vor allem nur durch das negative emotionale Potential erklären, dass Mathematikunterricht in Deutschland bei vielen Menschen in ihrer Kindheit erzeugt haben muss. Aber genau hier können wir nur mit mathematisch kompetenten Lehrerinnen und Lehrern Abhilfe schaffen.

Mit Dank an Thomas F.

Bild  

Alle gegen Bild

Im Juni wird “Bild” 60. Die Axel Springer AG will das feiern, indem sie am 23. Juni eine einmalige Sonderausgabe veröffentlicht, die kostenlos an alle Haushalte verteilt werden soll.

Die Branchenzeitschrift “Kontakter” berichtete vor zwei Wochen, dass das ganze Projekt “auf der Kippe” zu stehen scheint:

Offenbar bekommt das Mammutprojekt im Anzeigenmarkt weniger Zuspruch als erwartet. Zudem ist immer noch nicht klar, mit welchem Vertriebspartner die Haushalte beliefert werden sollen.

Kritik an der Aktion gab es von Anfang an auf Facebook und anderen Webseiten. Viele Menschen wollten keine “Bild” in ihrem Briefkasten — nicht mal geschenkt.

Gestern ist deshalb die Kampagne “Alle gegen Bild” gestartet. Unter dem Motto “Wer austeilt, muss auch einstecken können!” kann man via Internet ganz einfach Widerspruch gegen die Verteil-Aktion einlegen und der Axel Springer AG untersagen, die Sonderausgabe (oder irgendeine andere “Bild”-Ausgabe) in den eigenen Briefkasten zuzustellen.

Alle gegen Bild (Logo).

Mitmachen kann man auf alle-gegen-bild.de und bei campact.de.

Letztere sind gleichzeitig so freundlich, Spenden für uns zu sammeln. Selbstverständlich können Sie uns aber auch weiterhin wie gewohnt direkt unterstützen.

Hinweis: Offenbar wegen des großen Andrangs ist alle-gegen-bild.de zur Zeit nicht zu erreichen. Der Link zu Campact sollte aber funktionieren.

Roboterjournalisten, Monkeypenny, Grass

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Roboterjournalist interviewt Roboterpräsident”
(scilogs.de, Boris Hänßler)
Boris Hänßler denkt über automatisierten Journalismus nach: “Da wir unsere Vorlieben im Internet gerne preisgeben, können Newshersteller künftig nicht nur die Auswahl der Nachrichten auf unsere Präferenzen hin anpassen, sondern auch die Inhalte der Meldungen. Ein Roboter kann dieselbe Story während eines Wimpernschlags in 300 verschiedenen Varianten herunter rotzen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten.”

2. “Die 1-Million-Euro-Klage gegen Bild”
(journalist.de, Ferry Batzoglou)
Der Zeitschrift “journalist” liegt eine Klageschrift des griechischen Politikers Alexis Tsipras vor, die sich “gegen Bild, bild.de sowie Autor Paul Ronzheimer” wendet. “Weder Ronzheimer noch Springer wollten sich zu der Klage äußern. Bild-Sprecher Tobias Fröhlich verwies darauf, dass die Klage den Verlag noch nicht erreicht habe.”
Kürzlich in Athen freigesprochen wurde übrigens Helmut Markwort, Ex-Chefredakteur des “Focus”: “Freispruch und Ende” (sueddeutsche.de, Katharina Riehl).

3. “Sachen, die ich mache, wenn ich nicht hier bin”
(monkeypenny.blogspot.de, Zanet Zabarac)
Ein Interview mit Monkeypenny, Community-Redakteurin bei der “Neuen Zürcher Zeitung”: “Man kann keinen Journalisten dazu zwingen, mit Nutzern zu arbeiten, aber ein guter Journalist wird das tun, weil dies seine Arbeit stark bereichern kann.”

4. “Solche Aufnahmen sind daneben”
(beobachter.ch, Balz Ruchti)
Die Schüler Lina, Dario, Chris und Ines diskutieren den Umgang mit von Handys aufgenommenen Filmen im Netz.

5. “Acht mal acht”
(umblaetterer.de, Paco)
“Letzten Sonntag stieg ich also in den ICE, um von Dresden zurück nach Leipzig zu fahren. Ich hatte einen Schokoladenosterhasen und die FAS dabei.”

6. “Der gefragte Mann”
(facebook.com, Ruedi Widmer, Cartoon)
Herr Grass und der Boulevard.

Bild  

Hartz-IV-Sauerei-Sauerei

Gegen Hartz-IV-Empfänger zu hetzen, gehört bei “Bild” ja schon immer zu den Königsdisziplinen. Insofern ist diese Schlagzeile auf der gestrigen Titelseite eigentlich fast schon normal:

Sauerei

Im ausführlichen Artikel auf Seite 2 behauptet “Bild”:

Noch nie wurde so viel geschummelt und getrickst!

Erschreckende Hartz-IV-Bilanz: Im letzten Jahr wurden gegen 912 377 Hartz-IV-Drückeberger Sanktionen verhängt – REKORD! Wie geschummelt und gelogen wird, welche Strafen drohen, in welchen Bundesländern am meisten getrickst wird.

Es wurden allerdings nicht gegen “912.377 Hartz-IV-Drückeberger” Sanktionen verhängt, sondern insgesamt 912.377 einzelne Sanktionen. Laut Bericht der Bundesagentur für Arbeit (Excel-Datei) verteilen sich die auf gerade einmal 151.377 Leistungsberechtigte. Das bedeutet, dass je nach Lesart nur 3,4 bis 4,5 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger überhaupt sanktioniert wurden.

Nun ist es zwar korrekt, dass die Jobcenter 2011 insgesamt mehr Sanktionen verhängt haben als etwa im Jahr davor, doch “Bild” selbst muss einräumen, dass es in den meisten Fällen nicht um “Tricksereien” oder “Schummeleien” ging:

Meistens wurden im vergangenen Jahr Strafen verhängt, weil die Hartz-Empfänger Meldefristen nicht eingehalten haben (582 253), also z. B. trotz Einladung nicht beim Jobcenter erschienen.

“Zeit Online” erklärt genauer, was die sanktionierten Hartz-IV-Empfänger denn so angestellt haben:

In den meisten Fällen hatten die Hartz-IV-Empfänger der Statistik zufolge gegen sogenannte Meldepflichten beim Jobcenter verstoßen, erschienen also beispielsweise nicht zu Terminen. In anderen Fällen weigerten sie sich, eine Arbeit, Ausbildung oder Weiterbildungsmaßnahme anzutreten oder brachen diese ab.

Die Betrugsfälle beim Bezug von Hartz IV sind hingegen zurückgegangen. Die BA leitete 177.500 Straf- und Bußgeldverfahren wegen Missbrauchs beim Arbeitslosengeld II ein. Das waren knapp 22 Prozent weniger als 2010.

“Die reinen Missbrauchsfälle und Betrugsfälle steigen nicht an. Wir haben überwiegend Meldeversäumnisse, das hängt auch mit der guten konjunkturellen Entwicklung zusammen”, sagte der Sprecher [der Bundesagentur für Arbeit]. Ein einfaches Meldeversäumnis löse noch keinen Betrugsfall aus.

Die gestiegene Anzahl der Sanktionen hängt also hauptsächlich damit zusammen, dass es einfach mehr Termine gibt, die verpasst werden können. Die Betrugsfälle hingegen gehen – und das kann man nicht genug betonen – deutlich zurück. Ebenfalls “Zeit Online” berichtete darüber bereits vor einem Monat:

Die Agentur für Arbeit hat weniger Hartz-IV-Empfänger beim Täuschen erwischt. Innerhalb eines Jahres sank die Zahl der eingeleiteten Verfahren um 50.000.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband wirft “Bild” in einer Stellungnahme “unverantwortliche Stimmungsmache” vor:

“Hier wird ohne jede empirische Grundlage auf unverantwortliche Art und Weise gegen Millionen Menschen gehetzt und ein Bild der schmarotzenden Massen geschürt, das mit der Realität nichts zu tun hat”, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Bild  

Ist doch Fleischwurst!

Es ist ja nicht so, dass “Bild” die eigenen Fehler gar nicht korrigiert.

Heute zum Beispiel steht in der Ruhrgebietsausgabe diese Berichtigung:

Korrektur. Bild hatte gestern irrtümlich berichtet, dass der FC Bayern mit zwei Köchen nach Dortmund gereist sei und vakuumverpacktes Fleisch aus München mitgebracht habe. Das ist falsch. Die Mannschaft des FC Bayern ist in Dortmund ganz normal von der Hotel-Küche verpflegt worden. Wir bedauern diese Fehlinformation.

Günter Grass, Doomsday, Eifel-Zeitung

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Polarisierend: Grass und die Medien”
(ndr.de, Video, 5:04 Minuten)
Die “Süddeutsche Zeitung” druckte ein Gedicht von Günter Grass, das die “Zeit” zuvor abgelehnt hatte. Heribert Prantl: “Wir wollten den Anstoß liefern, über dieses Gedicht zu diskutieren.”

2. “Clown der Medienindustrie”
(news.at, Robert Menasse)
Schriftsteller Robert Menasse zum Grass-Werk: “Jeder Redakteur jeder Literaturzeitschrift heute hätte dieses ‘Gedicht’ abgelehnt. Der eigentliche Skandal liegt darin, dass fünfzehn deutsche Zeitungen und fünfundzwanzig Blätter der Weltpresse diesen Text publizierten und ihn sofort mit aufgeregten Kommentaren umrankten. Das zeigte mit einer Deutlichkeit, die zwar wünschenswert, aber doch buchstäblich furchtbar ist, wie sehr solche Skandale heute Medienskandale sind: Die Medien produzieren selbst den Skandal, den sie dann berichten, kommentieren und diskutieren.”

3. “Eine ekelhafte Debatte”
(donsbach.net, Wolfgang Donsbach)
Wolfgang Donsbach, Professor für Kommunikationswissenschaft in Dresden, befasst sich mit der Grass-Debatte. In Deutschland sachlich über schwierige Themen zu diskutieren, sei unmöglich. “Wir haben in Deutschland eine politische Kultur des Prangers. Wer heiße Eisen anpackt und dabei Behauptungen aufstellt, die nicht politisch korrekt sind, nicht getragen von der Mehrheit der öffentlichen Meinung, das heißt in diesem Fall der publizistischen Elite des Landes, der wird an den öffentlichen Pranger gestellt und als Staatsfeind, zumindest aber als Feind des vorherrschenden Meinungsklimas angesehen.”

4. “Presse-Zitate: Offline hui, Online pfui!”
(netzfeuilleton.de, Jannis Kucharz)
Angesichts des von Presseverlegern geforderten Leistungsschutzrechts erinnert Jannis Kucharz daran, dass sich deutsche Medien in einem Ranking messen, wie oft sie einander gegenseitig zitieren. “Während man online befürchten muss eine Rechnung präsentiert zu bekommen, wenn man auf einen spannenden Artikel verweist, ist es offline so, dass sich die jeweiligen Zeitungen darüber freuen erwähnt zu werden und damit brüsten, im Ranking vorne zu stehen.”

5. “Die Logik der Apokalypse”
(taz.de, Johannes Thumfahrt)
Johannes Thumfahrt berichtet über die US-TV-Sendungen “Doomsday Preppers” und “Doomsday Bunkers”.

6. “Facebook, Jacques Berndorf und 10.000 Aufkleber gegen die Eifel-Zeitung”
(rhein-zeitung.de, Lars Wienand)
Lars Wienand berichtet über Proteste gegen die “Eifel-Zeitung”, sie vergifte das politische Klima. Der angegriffene Unternehmer Peter Lepper antwortet, er sei nicht direkt an der Zeitung beteiligt und auch nicht von ihr angestellt.

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