Archiv für März 19th, 2012

Von Manga-Mord und Profi-Piraten

Im vergangenen November fand man in Leipzig in einem Fluss die zerstückelte Leiche eines jungen Mannes. Anfang Dezember konnte er als Jonathan H. identifiziert werden. “Bild” bastelte sich aus den Spuren, die Jonathan H. im Internet hinterlassen hatte, das Psychogramm einer “bizarren Welt” (BILDblog berichtete) und die “Dresdner Morgenpost” spekulierte über einen “Manga-Mord”.

Beide Zeitungen beschrieben das Leben des Getöteten (bzw. den Teil seines Lebens, der im Internet dokumentiert war) detailliert und zitierten Spekulationen von Nachbarn über die Intimsphäre des Toten. Illustriert waren die Artikel mit mehreren privaten Fotos. Eine Bekannte von Jonathan H. veröffentlichte auf BILDblog einen offenen Brief über die diffamierende Berichterstattung von “Bild” und “Morgenpost”, der größere Aufmerksamkeit erregte.

Vergangene Woche beschäftigte diese Berichterstattung auch den Deutschen Presserat: Der Beschwerdeausschuss sprach nicht-öffentliche Rügen gegen Bild.de (wo der “Bild”-Artikel ebenfalls erschienen war) und die “Dresdner Morgenpost” aus, da er in den Artikeln eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts nach Ziffer 8 des Pressekodex sah. Der Presserat habe im konkreten Fall “kein öffentliches Interesse” erkennen können, das das Persönlichkeitsrecht des Opfers überlagert hätte.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Die “Dresdner Morgenpost” kassierte außerdem auch noch eine öffentliche Rüge, weil sie auf der Titelseite und im Innenteil unter der Überschrift “Junge (17) warf sich vor Zug – tot” über den Suizid eines Teenagers berichtet hatte. Die “Morgenpost” schilderte die Selbsttötung ausführlich, spekulierte über das Motiv und beschrieb die Verletzungen des Jungen detailliert. Der Presserat sah durch diese Darstellungen die in Richtlinie 8.5 gebotene Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Selbsttötung verletzt.

Eine nicht-öffentliche Rüge erhielt die “B.Z.” für die Berichterstattung über einen schweren Autounfall, bei der sie mit der Unfallschilderung auch ein Foto eines 32-jährigen Opfers gezeigt hatte, das die Redaktion ohne Einwilligung der Angehörigen aus einem sozialen Netzwerk kopiert und veröffentlicht hatte. Der Presserat betont, dass über Unfallopfer “im Hinblick auf den Schmerz der Hinterbliebenen besonders zurückhaltend berichtet werden” müsse. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der identifizierenden Berichterstattung sei auch hier nicht zu erkennen gewesen.

Hier saugen Profi-Piraten - So haben Polizei und Abmahner keine ChanceBemerkenswert ist die Titelgeschichte, für die das “PC Magazin” eine öffentliche Rüge erhielt: Unter der Überschrift “Quellen der Raubkopierer” und dem Hinweis “So haben Polizei und Abmahner keine Chance” beschäftigte sich der Artikel mit verschiedenen Möglichkeiten zum illegalen Download von Musik, Filmen und Software aus dem Internet. Dabei nannte die Redaktion konkrete Websites und bewertete in einer Tabelle u. a. das Risiko für den User bei Nutzung des jeweiligen Download-Dienstes. Der Presserat sah in dieser Veröffentlichung eine Verletzung des Ansehens der Presse: Es sei nicht mit der Ziffer 1 Pressekodex vereinbar, wenn eine Redaktion illegale Downloadmöglichkeiten beschreibe, durch deren Nutzung Urheberrechte verletzt werden. Im vergangenen Jahr hatte das NDR-Medienmagazin “Zapp” über die Tipps verschiedener Computerzeitschriften berichtet, die sich “ganz nah am Rande der Legalität” bewegten, das “PC Magazin” selbst war bereits 2006 in zwei ähnlichen Fällen gerügt worden.

Ebenfalls gerügt wurden die “Lünepost”, ein Anzeigenblatt der “Landeszeitung für die Lüneburger Heide” (wegen Verstoßes gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung), das “Deutsche Waffenjournal” (Diskriminierung), sowie die “Bunte” und der “Weserkurier” (beide Schleichwerbung).

Busunfall, DSDS Kids, Krokotasche

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Car-Drama: Journalisten wollten sich zu verletzten Kindern einschleichen”
(sonntagonline.ch, Sandro Brotz und Cyrill Pinto)
Nach dem Busunfall im Wallis versuchen Journalisten, zu den Opfern vorzudringen. “Im Spital von Visp waren die sechs weniger schwer verletzten Kinder untergebracht. Das Gelände wurde zwar abgesperrt, doch mehrere Journalisten versuchten, auf die Abteilung der Kinder vorzudringen. Schliesslich musste die Polizei einschreiten, wie die Sprecherin der Walliser Spitäler, Florence Renggli, bestätigt.” Siehe dazu auch “Journalistische Grenzverletzungen” (suedostschweiz.ch, David Sieber).

2. “Versicherungsbranche manipuliert Panorama-Abstimmung”
(panorama.blog.ndr.de, Andrej Reisin)
Andrej Reisin hält einen Aufruf, eine Online-Abstimmung zu beeinflussen, für ein “Lehrstück im Hinblick darauf, wie Finanz- und Versicherungslobby versuchen, unabhängige Berichterstattung und Kritik zu diskreditieren und zu verunglimpfen”.

3. “Wie die Bild-Zeitung und RTL den 17-jährigen Daniele vor Millionenpublikum vorführen”
(wochenblatt.de, Christian Eckl)
Siehe dazu auch den Ausblick von Marie Amrhein auf die Sendung DSDS Kids, die vier- bis vierzehnjährige Kinder als Kandidaten gewinnen will: “Dieter Bohlens Prügel für die jüngste Generation” (cicero.de).

4. “Nur Polemik und keine Argumente von den freien Journalisten vom DJV zur Urheberrechtsdebatte”
(neunetz.com, Marcel Weiß)
Marcel Weiß nimmt einen Blogbeitrag des DJV-Freienblogs von Michael Hirschler zur Debatte um das Urheberecht auf. “Sowohl Google als auch Facebook halten sich an geltendes deutsches Recht. Was haben sie sich vorzuwerfen? Nur eins: Ein erfolgreiches Geschäftsmodell im Internet.”

5. “Mirror uses model’s image to illustrate serial killer story”
(tabloid-watch.blogspot.com, MacGuffin, englisch)
Der “Daily Mirror” verwendet ein Selbstporträt von @threnodynvelvet (Tweet), um eine Story über Serienmörderinnen zu illustrieren.

6. “Der Mann mit der Krokotasche”
(welt.de, Peter Stephan Jungk)