Archiv für Februar 1st, 2012

Bomben-Symbolfoto

Nächstes Jahr trägt Marseille den Titel “Kulturhauptstadt Europas”, aber so richtig super ist die Lage in der Stadt nicht, weiß die “Süddeutsche Zeitung”, die sich schon jetzt dort umgesehen hat:

Die Großsiedlungen aus den sechziger Jahren sind teilweise zu Geisterstädten verkommen, in denen der Drogenhandel blüht und die Polizei sich nur noch mit Verstärkung bewegt. Der Rückgang des Industrie- und Hafenbetriebs hat die Arbeitslosigkeit erhöht. Die Hälfte der Haushalte ist nicht einkommenssteuerpflichtig, ein Drittel der Einwohner lebt an der Armutsgrenze, jeder zehnten Familie fehlt ein Elternteil. Marseille ist zwar die größte, zugleich aber die ärmste unter Frankreichs Regionalmetropolen.

Bei sueddeutsche.de sieht das etwa so aus:

In Teilen der Stadt, in denen der Drogenhandel blüht, bewegt sich die Polizei sich nur noch mit Verstärkung.

Es mag sein, dass sich die Polizei “in Teilen der Stadt, in denen der Drogenhandel blüht”, “nur noch mit Verstärkung” bewegt — doch das Bild ist ziemlich ungeeignet, das zu illustrieren: Die abgebildeten Polizisten begleiten die Evakuierung von mehr als 4.000 Einwohnern anlässlich der Entschärfung einer amerikanischen Fliegerbomber aus dem Zweiten Weltkrieg vor zwei Wochen.

Mit Dank an Simon Sch.

Nachtrag, 2. Februar: sueddeutsche.de hat das Foto samt Bildunterschrift entfernt und folgenden Hinweis unter den Artikel gesetzt:

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung des Textes war ein Foto dargestellt, das französische Polizisten in Marseille zeigt. Die Bildunterschrift erweckte den Eindruck, dass die Beamten aus Sicherheitsgründen in Gruppen unterwegs seien. Tatsächlich begleiteten die abgebildeten Polizisten die Evakuierung von mehr als 4.000 Einwohnern anlässlich der Entschärfung einer amerikanischen Fliegerbomber aus dem Zweiten Weltkrieg. Dank bildblog.de haben wir diese irreführende Berichterstattung berichtigen können, indem wir das Foto entfernt haben.

Muss ‘ne Frau zum Arzt

“Nicht schlecht!”, ruft der gut gelaunte Off-Sprecher bei Bild.de aus.

“Nicht schlecht!”, staunen die Insassen dieses Autos an der Ostküste der USA. Ein PKW fährt in halsbrecherischem Tempo auf dem Mittelstreifen der Autobahn 81 — und das trotz hohen Schneeaufkommens.

Warum der oder die Fahrerin nicht einfach langsam auf die Fahrbahn wieder auffährt, ist unklar.

Auch wenn der Blinker bereits gesetzt ist: Geändert wird die Richtung nicht. Sehr zur Belustigung der anderen Verkehrsteilnehmer.

Warum der oder die Fahrerin nicht einfach langsam auf die Fahrbahn wieder auffährt, mag vielleicht für Bild.de “unklar” sein. (“Unklar” ist journalistendeutsch für: “um das womöglich herauszufinden, hätten wir länger als dreißig Sekunden recherchieren müssen”.) Aber die Reporter vom lokalen TV-Sender abc27 haben es bereits vergangenen Dienstag erklärt, einen Tag nach Veröffentlichung des Videos auf YouTube:

Chief Mike Fife von der Feuerwehr in Paxtonia erzählte abc27, die 61-jährige Frau habe einen Diabetiker-Notfall erlitten.

“Ich würde es so ausdrücken: Das Licht ist an, aber es ist niemand zuhause. Das heißt, Deine Augen sind offen, Du bist hellwach, aber Du verstehst nicht, was um Dich rum los ist”, sagte Fife. “Dem Video nach zu urteilen, muss genau das passiert sein.”

Die Frau wurde ins Community General Hospital gebracht, wo sie Montagabend noch blieb.

(Übersetzung von uns.)

Ein medizinischer Notfall, gerade noch mal gut gegangen.

Oder, wie es Bild.de begeistert ausdrückt: “einfach irre!”

Mit Dank an Sebastian.

Nachtrag, 15.42 Uhr: Auch t-online.de zeigt das Video mit einem launigen “Unklar”-Kommentar:

Der Grund für den Offroad-Abstecher bleibt unklar. Vielleicht ist ihr ja einfach nur langweilig — und das Springen über die kleinen Hügel macht sicherlich eine Menge Spaß.

Mit Dank an Sascha K. und Wolfgang.

Stauffenberg, Privatdetektive, Ö1

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Schutzmechanismen haben versagt”
(journalist.de, Hans Hoff und Matthias Daniel)
In einer lesenswerten Nachbetrachtung der Causa Wulff kritisiert Friedrich Küppersbusch die FAZ und die SZ und nennt “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann den “Stauffenberg der Pressefreiheit”. “Ein Chefredakteur, der noch nie einen erbosten Politiker am Telefon hatte, muss sich fragen: Was habe ich falsch gemacht? Diese ganze Wehleidigkeitsnummer kotzt mich an. Es ärgert mich, dass alle sagen: Oh, Herr Diekmann hat einen erbosten Anruf entgegennehmen müssen. Amnesty! Anstatt zu sagen: Na klar, wir alle bekommen ständig diese Anrufe. Das ist unser Job. Wir kriegen das bezahlt.”

2. “Schnüffeln mit Privatdetektiven”
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Setzen Schweizer Redaktionen Privatdetektive ein? Der Ringier-Verlag antwortet so: “Zur Tätigkeit der Redaktion und insbesondere zum Einsatz von Privatdetektiven gibt die Blick-Gruppe keine Auskünfte.”

3. “Kampf gegen den Abmahnwahn”
(berliner-zeitung.de, Simon Hurtz)
Für Frühjahr 2012 ist die Gründung eines Vereins geplant, der Blogger und freie Journalisten gegen Abmahnungen mit überzogenem Streitwert schützt. “Die vier Gründungsmitglieder haben reichlich schlechte Erfahrungen gesammelt. Stefan Aigner stritt sich mit dem Bistum Regensburg, Hubert Denk mit einem Passauer Klinikbetreiber, Peter Posztos bekam zweimal Brief vom Anwalt, und Hardy Prothmann hat gerade seine elfte Abmahnung mit dem Berliner Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele ausgefochten – der zog zurück, nachdem intensiv berichtet worden war.”

4. “ORF: ‘Ein Balanceakt am sozialen Abgrund'”
(kurier.at, Anna Gasteiger und Barbara Mader)
Zwei freie Mitarbeiter von Ö1 legen ihre Einkünfte offen.

5. “Sorgen um den Journalismus überhaupt”
(meedia.de, Alexander Becker)
“Tendenziell lässt sich der Online-Journalismus nicht vom Print-Journalismus unterscheiden”, sagt Wolf Schneider, Mitautor des Buchs “Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus”.

6. “Warum es albern ist, gegen die Facebook-Timeline zu rebellieren”
(fudder.de, Manuel)
Die Proteste gegen die neue Timeline von Facebook führen nicht zum Ziel, glaubt Manuel, denn Facebook sei monarchisch organisiert, nicht demokratisch: “Facebook ist ein Königreich, auf dessen Thron ein 27-jähriger Nerd namens Mark sitzt. In seine Knechtschaft haben sich seit 2004 mehr als 800 Millionen Menschen begeben – nennen wir sie Bauern. Dies haben sie aus freiem Willen getan, wahrscheinlich, um Freiheit zu erlangen.”