Archiv für Januar 9th, 2012

Bild  

Rasender Reporter

Wie einfach es sich “Bild” macht, wenn es darum geht, einen Schuldigen für ein Unglück zu finden, zeigt diese Schlagzeile von heute:

Beim Familien-Spaziergang am Sonntagnachmittag Raser tötet Mutter und Sohn (7)!

“Bild” zeigt dazu nicht nur das Unfallfahrzeug auf fast einer halben Seite, sondern auch eine abgedeckte Leiche und getrocknetes Blut. Daran, dass der Fahrer zu schnell gefahren ist, besteht für den Reporter kein Zweifel:

Ein Audi-Fahrer hat in Alzenau (Bayern) eine Mutter und ihr Kind in den Tod gerast.

Doch die Schuldzuweisung war wohl zu voreilig. Inzwischen scheint klar zu sein, dass der schwer verletzte Fahrer kurz vor dem Unfall einen Schlaganfall erlitten und dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Das berichtet jetzt auch Bild.de:

Unfallursache Schlaganfall! Fahrer raste hilflos in Mutter (36) und Sohn (7)

Darüber, dass “Bild” den nunmehr “hilflos rasenden” Fahrer zuvor als “Raser” bezeichnet hatte — kein Wort.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 10. Januar: Heute legt “Bild” nach und nutzt diese Gelegenheit noch einmal, um den Unfallwagen und die abgedeckte Leiche groß zu zeigen. Immerhin wird der Fahrer entlastet:

Schlaganfall

Ungebremst raste Audi-Fahrer Rüdiger B. (51) in eine Familie (…). Doch er konnte gar nichts dafür! Der Geschäftsmann saß hilflos im Auto. (…)
Es war also ein tragisches Unglück, das der Fahrer nicht verhindern konnte.

Doch so ganz scheint “Bild” die Vorstellung dann doch nicht ertragen zu können, dass niemand an dieser Tragödie schuld sein könnte. Fast schon vorwurfsvoll heißt es im nächsten Satz:

Allerdings kündigen sich Schlaganfälle durch Lähmungserscheinungen an Armen, Sprachstörungen und Schwindel an.

Mailbox, Metamorphose, My Little Pony

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Politiker und Journalisten: Freunde, die einander verdienen”
(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Das Netz habe die Spielregeln zwischen Parteizentralen und Redaktionen grundlegend verändert, schreibt Richard Gutjahr: “Absprachen, gegenseitige Abhängigkeiten, sanfte oder auch mal weniger sanfte Erpressung, das alles funktioniert in einer vernetzten Welt so nicht mehr. Blogger haben keinen Verleger, den man unter Druck setzen könnte. Eine über Twitter ausgeplauderte Indiskretion lässt sich nicht wieder einfangen.”

2. “Die Peinlichkeiten des Präsidenten und die Probleme der Presse”
(noz.de, Burkhard Ewert)
Der Fall Wulff sei “auch eine Affäre der Medien”, glaubt Burkhard Ewert und stellt eine Reihe von Punkte zusammen. “Eine Bankenpleite oder auch nur ein heftiger Wintereinbruch mit einigen verspäteten Zügen, dann wäre der Republik so mancher Akt des Wulff-Dramas erspart geblieben.” Siehe dazu auch “Perpetuum Mobile” (stefan-niggemeier.de).

3. “Diekmanns Anmaßung”
(taz.de, Ulrich Schulte)
Ulrich Schulte ist beeindruckt, wie “professionell und geschickt” Kai Diekmann mit der Mailbox-Nachricht von Christian Wulff umgeht. Seit Tagen hausierten “Bild”-Mitarbeiter mit Wulffs Sätzen bei anderen Medien. “Gerne lesen die Kollegen aus der Abschrift am Telefon vor, ausschließlich ‘unter 3’ versteht sich.”

4. “Herr Diekmann übt die Metamorphose”
(post-von-horn.de, uh)
Ebenfalls um Kai Diekmann und die Mailbox-Nachricht geht es in der Post von Horn: “Wulffs Feststellung, er habe vor der Veröffentlichung des besagten Artikels um Aufschub gebeten, sollte als Lüge hingestellt werden. Das gelang, auch mit Beihilfe der Qualitätsmedien. Dabei stellte sich später heraus, dass sich die Bitte um Aufschub tatsächlich auf der Mailbox befand.”

5. “Liebesentzug von Medien und Politikern”
(meedia.de, Stephan Weichert)
Nicht um die Sache, sondern um emotionale Stimmungsmache gehe es in der Causa Wulff, findet Medienwissenschaftler Stephan Weichert. Und um Macht: “Man spürt an der teils flatterhaften, teils alarmistischen Politikberichterstattung der letzten Tage, wie sich die Medienmeute förmlich daran ergötzt, Gott zu spielen und darüber zu richten, ob der Bundespräsident im Amt bleiben darf.”

6. “The story behind ‘the best NYT correction ever'”
(jimromenesko.com, Amy Harmon, englisch)
Die “New York Times” korrigiert eine Verwechslung der Ponys Fluttershy und Twilight Sparkle, Figuren der Kindersendung “My Little Pony”. “Not correcting it would have undermined the credibility of the other 5,011 words of the story – at least for ‘My Little Pony’ fans.”