Mindestlohnlügen


Jürgen Trittin, 53, ist seit 1980 Mitglied der Grünen, seit 1998 Bundestagsabgeordneter. Von 1998 bis 2005 war er Umweltminister und ist derzeit Vize-Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Am 29.1.2001 (kurz nach dem Amtsantritt von Kai Diekmann als “Bild”-Chef) druckte “Bild” das inzwischen legendäre “Bolzenschneider”-Foto mit Jürgen Trittin, das Diekmann auch im Nachhinein nur als “schwerwiegenden handwerklichen Fehler” verstanden wissen will. In den vergangenen Jahren musste “Bild” mehrere Gegendarstellungen Trittins abdrucken, darunter — mitten im Bundestagswahlkampf 2005 — eine, die (angesichts des vorgeblichen Sinneswandels der “Bild”-Zeitung in Ökofragen) heute für “Bild” um so peinlicher erscheint.

Von Jürgen Trittin

Am 13. Dezember 2007 geht Liselotte Pulver [1, siehe Abb. u.] mit “dem schönsten Lächeln ins Altersheim”, obwohl sie “mit 76 immer noch jugendlich” wirkt. “Bild” enthüllt [2], dass die Zuschauer die “Tageschau” nicht verstehen — anders als das “Ehe-Aus” bei Oettingers [3]. Deren neuer “Geliebter” hat nämlich bei “Bunte” “ausgepackt” und “Bild” druckt es nach. Vielleicht liegt das Ehe-Aus ja daran, dass — so Roland Koch auf der gleichen Seite — “Politiker zu wenig verdienen”. Weniger als Porsche-Manager auf jeden Fall.

Obwohl eine “Cara” [4] nicht bowlen kann, ist Philipp Mißfelder von der Jungen Union der “Gewinner” des Tages [5], weil er einer Jugendorganisation* der Linkspartei die Förderung durch den Ring Politischer Jugend verweigert hat. “Linksextremisten dürfen keine Staatsknete bekommen”, so Mißfelder. Die sollten der Jungen Union und ihrem Vorsitzenden vorbehalten bleiben, der die Staatsknete schon mal genutzt hat, um zu fordern, alten Menschen keine Hüftoperationen mehr zu bezahlen — wohl im Namen der Generationengerechtigkeit. So sehen bei “Bild” Sieger aus.

Verlierer, wie der bei den Bayern suspendierte “Titan” Olli Kahn [6], müssen sich dagegen auf der ersten “Bild”-Seite nachfragen lassen, ob sie gelogen haben. Da ist “Bild” Expertin. Ich empfehle Olli ein Weißbier samt Waldi Hartmanns Erkenntnis, auf der Bank ist es am schönsten. Und ein kleiner Trost für ihn findet sich auf der letzten Seite: Manchen geht es noch schlechter — Prinz Charles wurden 350 Gänse geklaut. Im Bild über den Gänsen: Paris Hilton [hier ohne Abb., d.Red.]. Die durfte zwar keine Werbung für ihren Dosen-Prosecco im Reichstag machen, aber doch dessen Kuppel besichtigen.

Unten auf Seite 1 kommt “Bild” auch zu einem Herzensanliegen seines Verlages, der Beibehaltung eines — staatlich subventionierten — Niedriglohnsektors [7]. Direkt unter der Nachricht [8] “Normal-Benzin immer öfter so teuer wie Super” (“Bild” konnte das schon mal kürzer) warnt “IFO-Chef Sinn”:

Mindestlohn kostet bis zu 1,9 Mio. Jobs.

Ein gesetzlicher Mindestlohn, so die sinnige Erkenntnis des Wirtschaftsprofessors im Boulevardblatt, würde 470.000 Stellen in Ostdeutschland und 1,42 Mio. Stellen in Westdeutschland kosten.

Das erscheint in jenem Springer-Verlag, der es als Miteigentümer der PIN AG gerade geschafft hat, einen privaten Zustelldienst trotz Hungerlöhnen an den Rand der Insolvenz zu führen und nun vor Massenentlassungen steht. Wie schön, dass man das eigene unternehmerische Versagen mit professoraler Hilfe einem noch nicht eingeführten Mindestlohn in die Schuhe schieben kann.

Aber Sinns Ideen zum Mindestlohn geben auch so keinen Sinn. Warum haben fast alle anderen Mitgliedstaaten der EU einen gesetzlichen Mindestlohn und viele trotzdem eine niedrigere Arbeitslosigkeit als Deutschland? Weil sich Niedriglohnjobs eben nicht einfach nach China verlagern lassen. Haare müssen geschnitten, Gebäude gereinigt und bewacht, und Briefe müssen zugestellt werden. Deutschland hingegen subventioniert ausbeuterische Arbeitgeber, in dem Wenigverdienern aus Steuermitteln das Gehalt aufgestockt wird.

Deutschland muss aufpassen, dass es ihnen nicht geht wie Werder Bremen. Die “Werder-Versager” nämlich “vergraulen Diego”. Da war ich mit “Bild” wieder im Reinen. Wenn die Hauspostille des FC Bayern uns grüne Fischköppe als Versager tituliert und Diego neidet, dann kann Thomas Schaaf diese Saison nicht alles falsch gemacht haben.

Jetzt aber möchte ich die “FAZ” und die “Berliner Zeitung” lesen.
 
BILDblogger für einen Tag ist morgen Hans Leyendecker.

*) Hier stand zunächst “Jugendmagazin“. Tatsächlich geht es in der “Gewinner”-Meldung von “Bild” aber um Solid, die Jugendorganisation der Linkspartei. Wir bitten um Entschuldigung, d.Red.